Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ulrike Gote BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 27.10.2016 Flussperlmuscheldiebstahl Im Sommer 2016 wurde das Vorkommen der seltenen Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) im Raum Rehau , Oberfranken, durch Diebstahl um ca. 4.500 bis 5.500 Muscheln massiv reduziert. Die vom Aussterben bedrohte Flussperlmuschel ist aufgrund der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft (FFH-Richtlinie) besonders geschützt und unterliegt zudem dieses Jahr seit genau 30 Jahren der fischereirechtlichen Hegeverpflichtung nach Art. 1 Abs. 2 des Bayerischen Fischereigesetzes (Bay- FiG). Ich frage daher die Staatsregierung: 1. Wann fand die letzte Zählung der Flussperlmuscheln in Oberfranken statt und wann ist die nächste Zählung geplant? 1.1 Wie hat sich der Bestand der Flussperlmuscheln in Bayern und speziell in Oberfranken seit dem Flussperlmuschelkongress im Jahre 2000 entwickelt (bitte nach Alter aufschlüsseln und insbesondere den Anteil unter 70-jähriger – Beginn des Aussterbens – und unter 15-jähriger – seit Flussperlmuschelkongress – Individuen angeben)? 2. Sind die Bestände im Raum Rehau durch den Diebstahl in ihrer Selbsterhaltfähigkeit gestört? 2.1 Nach welchem Zeitraum wird sich der Bestand in Rehau vom Diebstahl erholt haben? 3. Ist es möglich, dass schon vor dem Sommer 2016 unbemerkt Flussperlmuscheln in größerem Umfang entwendet wurden, oder kann die Staatsregierung dies ausschließen? 4. Liegen Erkenntnisse zum Diebstahl vor, wie viele Male zwischen Juni und September 2016 zugeschlagen wurde und welche Mengen pro Diebstahl entwendet wurden? 5. Stehen die bayerischen Ermittlungs- und Naturschutzbehörden vor dem Hintergrund, dass sich die deutschlandweit bedeutende oberfränkische Flussperlmuschelpopulation auf der tschechischen Seite fortsetzt, bezüglich des Diebstahls in Kontakt mit den tschechischen Behörden, und falls ja, welche Erkenntnisse haben sich daraus ergeben? 5.1 Liegen der Staatsregierung Erkenntnisse über vergleichbare Diebstähle in Tschechien oder in anderen Regionen Deutschlands vor? 6. Wie weit erstreckt sich der Raum, aus dem Flussperlmuscheln entwendet wurden? 7. Welche Maßnahmen zum Schutz der Flussperlmuscheln vor Diebstahl hat die Staatsregierung in Erwägung gezogen oder durchgeführt, z. B. durch umfunktionierte Wildkameras, Überwachung des Internets auf Verkaufsangebote, Schulung der Beamtinnen und Beamten des Zolls und der Polizei oder Blockade der Zufahrtswege der möglichen Diebstahlorte? 8. Ist die vom Diebstahl betroffene Population durch die genetische Charakterisierung im Rahmen des „Artenhilfsprogramms Flussperlmuschel“ oder ähnlicher Programme identifizierbar im Fall eines Sucherfolgs? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 29.11.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1. Wann fand die letzte Zählung der Flussperlmuscheln in Oberfranken statt und wann ist die nächste Zählung geplant? Im Raum Rehau fand eine vollständige Erfassung der Flussperlmuscheln im Jahr 2012 statt. Die wichtigsten Gewässer wurden 2014 im Rahmen des FFH-Monitorings nochmals kartiert. Dabei wurden keine wesentlichen Veränderungen der Bestandsgrößen im Vergleich zur vorherigen Kartierung festgestellt. Nach der Entdeckung des ersten Diebstahls wurden am 07.10.2016 alle Muschelbänke überprüft. Im Frühjahr 2017 nach der Schneeschmelze wird eine erneute Zählung durchgeführt. 1.1 Wie hat sich der Bestand der Flussperlmuscheln in Bayern und speziell in Oberfranken seit dem Flussperlmuschelkongress im Jahre 2000 entwickelt (bitte nach Alter aufschlüsseln und insbesondere den Anteil unter 70-jähriger – Beginn des Aussterbens – und unter 15-jähriger – seit Flussperlmuschelkongress – Individuen angeben)? Der Flussperlmuschelbestand ist in Bayern rückläufig. In Oberfranken wurden bei der Zählung im Jahr 2012 insgesamt 30.000 Flussperlmuscheln im Vergleich zu etwa 80.000 Muscheln Anfang der 2000er-Jahre erfasst. Die ak- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 08.02.2017 17/14585 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14585 tuelle Analyse der Altersstruktur (an insgesamt 800 Individuen ) ergab einen Jungmuschelanteil von 2,8 % (unter 25 Jahre, denn Muscheln sind erst ab 20 Jahren geschlechtsreif ). Die Daten zum Populationsanteil der unter 70-jährigen Tiere sind noch nicht so weit ausgewertet, dass Aussagen zur Entwicklung im Zeitraum von 2000 bis heute getroffen werden könnten. 2. Sind die Bestände im Raum Rehau durch den Diebstahl in ihrer Selbsterhaltfähigkeit gestört? Die Population ist sehr stark gefährdet aufgrund des fehlenden Aufkommens von Jungmuscheln. Der Verlust einer hohen Anzahl von Tieren hat den rückläufigen Bestandstrend verschärft. 2.1 Nach welchem Zeitraum wird sich der Bestand in Rehau vom Diebstahl erholt haben? Aufgrund des fehlenden Aufkommens von Jungmuscheln sind gezielte Maßnahmen notwendig, wie die Wiederherstellung optimaler Lebensräume und die Aufzucht und spätere Ausbringung junger Muscheln zur vorübergehenden Bestandsstützung. Eine kurzfristige Erholung des geschädigten Bestandes ist dennoch unwahrscheinlich. 3. Ist es möglich, dass schon vor dem Sommer 2016 unbemerkt Flussperlmuscheln in größerem Umfang entwendet wurden, oder kann die Staatsregierung dies ausschließen? Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne Muscheln schon früher entnommen wurden. Ein Diebstahl in dem Umfang, wie er im Sommer 2016 vorgefallen ist, wäre aber wohl bei den Kontrollen durch das Wasserwirtschaftsamt Hof (WWA), die Koordinationsstelle für Muschelschutz und die Regionalbetreuer sowie weitere Muschelexperten bemerkt worden. 4. Liegen Erkenntnisse zum Diebstahl vor, wie viele Male zwischen Juni und September 2016 zugeschlagen wurde und welche Mengen pro Diebstahl entwendet wurden? Die Verluste und Tatzeiträume sind nicht exakt rekonstruierbar , weil die Flussperlmuschelvorkommen nicht kontinuierlich überwacht werden können. Auch aus Gründen des Artenschutzes sind allzu häufige Zählungen nicht ratsam, weil Muscheln dabei beschädigt werden können. Der Verlust beträgt nach Schätzungen rund 5.700 Tiere. Exakte Zählungen waren aufgrund des Pflanzenbewuchses in den Bächen und des beginnenden Laubfalls nicht möglich . 5. Stehen die bayerischen Ermittlungs- und Naturschutzbehörden vor dem Hintergrund, dass sich die deutschlandweit bedeutende oberfränkische Flussperlmuschelpopulation auf der tschechischen Seite fortsetzt, bezüglich des Diebstahls in Kontakt mit den tschechischen Behörden, und falls ja, welche Erkenntnisse haben sich daraus ergeben ? Durch die sachbearbeitende Dienststelle des Polizeipräsidiums Oberfranken wurden bereits zwei Erkenntnisschreiben über das Gemeinsame Zentrum (GZ) Schwandorf an die tschechischen Behörden versandt. Eine Rückantwort erfolgte bisher nicht. Das WWA steht im Kontakt zu den tschechischen Behörden , die die Überwachung der grenzbildenden Gewässer organisieren. 5.1 Liegen der Staatsregierung Erkenntnisse über vergleichbare Diebstähle in Tschechien oder in anderen Regionen Deutschlands vor? Bislang wurden dem Bayerischen Landeskriminalamt weder aus anderen Regionen Deutschlands noch aus Tschechien vergleichbare Fälle von Flussperlmuscheldiebstählen bekannt . Auch dem Polizeipräsidium Oberfranken liegen zu etwaigen Fällen in Tschechien keine Erkenntnisse vor. 6. Wie weit erstreckt sich der Raum, aus dem Flussperlmuscheln entwendet wurden? Ein Fließgewässer ist auf einer Strecke von etwa 2.500 m betroffen. 7. Welche Maßnahmen zum Schutz der Flussperlmuscheln vor Diebstahl hat die Staatsregierung in Erwägung gezogen oder durchgeführt, z. B. durch umfunktionierte Wildkameras, Überwachung des Internets auf Verkaufsangebote, Schulung der Beamtinnen und Beamten des Zolls und der Polizei oder Blockade der Zufahrtswege der möglichen Diebstahlorte? Die illegale Entnahme streng geschützter Arten aus der Natur muss konsequent verfolgt und bestraft werden. Für Hinweise zur Aufklärung hat das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz 10.000 Euro Belohnung ausgesetzt. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens laufen derzeit kriminaltaktische Maßnahmen. Weitere Informationen zu Einzelheiten können daher derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen im laufenden Strafverfahren nicht erteilt werden. Die Naturschutzverwaltung und das WWA unterstützen die zuständigen Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung nach Kräften. Allgemein ist festzustellen, dass für den Vollzug der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes grundsätzlich die Naturschutzbehörden zuständig sind. Die Polizei wird subsidiär ggf. im Rahmen der Gefahrenabwehr oder bei Vorliegen von strafbaren Handlungen im Wege der Strafverfolgung tätig . Die Themenbereiche des Umwelt- und Artenschutzes nehmen innerhalb der Aus- und Fortbildungsprogramme der Bayerischen Polizei breiten Raum ein. In den einzelnen Abschnitten der Ausbildung zur 2. Qualifikationsebene (QE) werden im Fach „Besonderes Sicherheitsrecht“ die Themen des Natur- und Artenschutzes vermittelt. Dieses Rechtsgebiet wird auch im Studiengang für die Aufstiegsqualifizierung bzw. für die Laufbahnbewerber für die 3. QE in vielfältiger Weise betrachtet. Die zentral am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei in Ainring veranstalteten Seminare „Umweltschutz und -kriminalität “ und „Naturschutz“ erweitern die speziellen Rechtskenntnisse der Teilnehmer. Daneben lernen die Beamten in den Seminaren, schädigende Eingriffe in Schutzgebiete zu erkennen und Natur- und Artenschutzbestimmungen in der polizeilichen Praxis anzuwenden. Ihre polizeilichen und kriminalistischen Arbeitsmethoden werden aktualisiert und ergänzt . Nicht zuletzt werden in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Einrichtungen Lösungsmöglichkeiten bei Ermittlungsproblemen aufgezeigt. Drucksache 17/14585 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 8. Ist die vom Diebstahl betroffene Population durch die genetische Charakterisierung im Rahmen des „Artenhilfsprogramms Flussperlmuschel“ oder ähnlicher Programme identifizierbar im Fall eines Sucherfolgs? Im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen in den Jahren 2005 und 2011 wurden hochauflösende genetische Marker für die Flussperlmuschel entwickelt und die bayerischen Populationen genetisch charakterisiert. Basierend auf den Ergebnissen dieser Studien ist eine Zuordnung von Individuen im Falle eines Sucherfolgs zu der jeweiligen Population wahrscheinlich möglich. Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/14585