Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Otto Hünnerkopf CSU vom 15.12.2016 Genetische Vielfalt bei Saat- und Pflanzgut Landwirte und Gärtner sind bei der Beschaffung von Saatund Pflanzgut auf gewerbliche Anbieter angewiesen. Einheimische Anbieter stehen mittlerweile in internationaler und globaler Konkurrenz und können sich dabei dauerhaft nur über ausreichend große Absatzmengen behaupten. Entsprechend orientiert sich das Angebot unserer gewerblichen Züchter nicht an genetischer Vielfalt, sondern an größtmöglicher Absatzmenge je Züchtungsvorgang. Längst dominieren global tätige Großkonzerne den Weltmarkt und haben bei ihrer Forschungs- und Züchtungsarbeit zu Saat- und Pflanzmaterial primär oder gar ausschließlich weltweit solche Anbauflächen im Fokus, die aufgrund klimatischer Vorteile oder ihrer Flächengröße größtmögliche Umsätze versprechen. Die genetische Vielfalt ist beim gewinnorientierten globalen Handeln der großen Saatgutfirmen ebenso wenig bedeutend wie die Frage der ökologischen und ökonomischen Tauglichkeit des Zuchtmaterials für kleine Anbauflächen oder für Regionen mit weniger optimalen klimatischen Bedingungen. In diesem stark wirtschaftlich geprägten Streben bleiben auf lange Sicht lokal orientierte Züchter und Saatgutfirmen ebenso auf der Strecke wie Saat- und Pflanzgut, das für die im globalen Vergleich weniger bedeutenden bayerischen und deutschen Anbauflächen besser geeignet wäre. Langfristig könnte mit der genetischen Vielfalt auch die wirtschaftliche Grundlage der bayerischen und deutschen Gärtner und Landwirte leiden oder gar verloren gehen, weil klimaspezifisch geeignetes Material für den heimischen Anbau nicht mehr verfügbar sein wird. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie gedenkt die Staatsregierung die nachhaltige Eignung der genetischen Vielfalt von Saat- und Pflanzgut für den bayerischen und deutschen Anbau zu beurteilen und zu überwachen? 2. Welche nationalen oder internationalen Erkenntnisse über die Entwicklung der genetischen Vielfalt beim Saatund Pflanzgut sind der Staatsregierung bekannt, wie relevant sind diese für Bayern und wie werden sie für Bayern genutzt? 3. Wird aus den Kreisen der bayerischen heimischen Gärtner und Landwirte bereits über ein nachlassendes Angebot von an die hiesigen Klimabedingungen angepasstem Saat- und Pflanzgut berichtet? 4. Welche Möglichkeiten hat die Staatsregierung zur Hand, um die Entwicklung beim Angebot von für den heimischen Anbau geeignetem Saat- und Pflanzgut zu verfolgen? 5. Verfügen die Staatsministerien über Zahlen zur Entwicklung der heimischen Saatguterzeuger, der von ihnen bereitgestellten Vielfalt an Saat- und Pflanzgut sowie den dazu gehörenden Saat- und Pflanzgutmengen (möglichst getrennt nach Gartenbau und Landwirtschaft) in den letzten 20 Jahren, und wenn ja, welche? 6. Welche Möglichkeiten sieht die Staatsregierung zur nachhaltigen Sicherung des Angebots von geeignetem Saat- und Pflanzgut für den heimischen Anbau und für eine Erhaltung der an die hiesigen agro-ökologischen Bedingungen angepassten samenfesten Sorten für den heimischen Anbau in Gärtnerei und Landwirtschaft? Antwort des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 24.01.2017 1. Wie gedenkt die Staatsregierung die nachhaltige Eignung der genetischen Vielfalt von Saat- und Pflanzgut für den bayerischen und deutschen Anbau zu beurteilen und zu überwachen? Der Saatgutmarkt in Deutschland und der EU ist mit einer Reihe von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien geregelt . Dies hat vor allem den Zweck, dem Saatgutkäufer eine garantierte Qualität zuzusichern. Gewährleistet wird dies durch das amtliche Anerkennungsverfahren für landwirtschaftliche Arten, das im Saatgutverkehrsgesetz und den einschlägigen Verordnungen festgeschrieben ist. Für die Saatgutanerkennung sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. In Bayern ist dies die Amtliche Saatenanerkennung als Arbeitsgruppe innerhalb des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Die Aufgaben der Amtlichen Saatenanerkennung sind Hoheitsaufgaben. Es ist somit sichergestellt, dass die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen gewahrt wird. Die Anzahl der Sorten, die in Bayern vermehrt werden, hat sich im Laufe der Jahre ständig erhöht. Damit wird die genetische Vielfalt bei den Vermehrungen nicht kleiner, sondern sie nimmt zu. Über die Sortenanzahl im Konsumanbau werden keine Zahlen erfasst. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 29.03.2017 17/15113 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15113 Die Anzahl der Sorten, die in Bayern vermehrt werden, stellt sich wie folgt dar: Fruchtart Anzahl 2006 Anzahl 2011 Anzahl 2016 Kartoffel 158 166 183 Gräser und Futterpflanzen , Leguminosen 106 89 95 Getreide 267 264 319 Mais 9 29 44 Die in Deutschland zugelassenen Sorten von landwirtschaftlichen Arten haben sich von 783 Arten (1973) auf 2.671 Arten (2016) erhöht. Die Anzahl der gartenbaulichen Arten ist in etwa gleich geblieben. Das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten finanzierte ein Projekt „Voruntersuchungen zum Ausbau von LfL-Betrieben zu Erhaltungszentren für Pflanzengenetische Ressourcen“. Das Projekt ist an der LfL am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung (IPZ) angesiedelt . Dabei ist geplant, die mehr als 700 gefundenen Akzessionen (Sortenmaterial mit bayerischem Ursprung) von 23 landwirtschaftlichen Kulturarten in einem Sichtungsanbau zu charakterisieren und diejenigen, die regional eine wirtschaftliche Bedeutung erlangen könnten, wieder in den „On-farm“-Anbau zu bringen, um sie als Züchtungsmaterial in die Zusammenarbeit mit bayerischen Züchtungsunternehmen einzubringen. In den bayerischen Landessortenversuchen werden unter Federführung der LfL in Zusammenarbeit mit den Fachzentren für Pflanzenbau an den Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten umfangreiche Versuche zur Eignung der Sorten für die regionalen klimatischen und räumlichen Bedürfnisse in Bayern angelegt. Besonders in den kleinstrukturierten Naturräumen Bayerns ist es bedeutsam, Aussagen für die vielen unterschiedlichen Klima- und Standortbedingungen zu erarbeiten. Sorten großer und kleiner Züchterhäuser werden hier nach denselben Maßstäben geprüft. Aus den Versuchsergebnissen resultieren neutrale Beratungsaussagen, welche den Landwirten öffentlich zugänglich sind. So ist es ihnen möglich , die für ihren Betrieb und ihre räumlichen Bedingungen passenden Sorten zu wählen. Die Sortenversuche werden sowohl unter den Bedingungen des konventionellen als auch des ökologischen Landbaus angelegt. Mit der Gründung der Landessaatzuchtanstalt im Jahr 1903 hat sich Bayern zum Ziel gesetzt, die Züchtungsaktivitäten für besonders an bayerische Verhältnisse angepasstes Sortenmaterial in Zusammenarbeit mit den bayerischen Züchtungsunternehmen voranzutreiben. Seit dieser Zeit fördert die LfL die Entwicklung von Sorten, die an die heimischen Bedürfnisse angepasst sind. Innerhalb des Bayerischen Kulturlandschaftsprogramms ist die Anlage von Blühflächen sowie die Aussaat von Mulchsaatmischungen vorgesehen. Soweit diese Mischungen auch geregelte Arten enthalten, müssen sie von der Amtlichen Saatenanerkennung genehmigt werden. Die Anzahl der Mischungsanträge hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Mit der Einführung der Erhaltungsmischungsverordnung im Jahr 2010 wird die Saatgutproduktion des autochthonen Saatgutes geregelt und überwacht. Auch diese Aufgabe ist Hoheitsaufgabe und liegt im Zuständigkeitsbereich der Amtlichen Saatenanerkennung. So wurden im Jahr 2016 206 Arten von bayerischen Produzenten in Verkehr gebracht. Hier wird der Saatgutbedarf für die kommenden Jahre als stark steigend eingeschätzt. Seit der Einführung der Erhaltungssortenverordnung in Deutschland im Jahr 2009 wurden 64 Erhaltungssorten beim Bundessortenamt registriert und beschrieben. Auch in Bayern werden Erhaltungssorten zur Sicherung der biologischen Vielfalt in Sortenmaterial bei den Kulturarten Sommerweizen , Winterroggen, Ackerbohnen, Mais und Kartoffeln vermehrt. Einige dieser Erhaltungssorten wurden in Forschungsprojekten der LfL wieder für den praktischen Anbau und die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. An der LfL sind auch aktuell zahlreiche Forschungsprojekte angesiedelt, deren Ziel es ist, standortangepasste Sorten für unsere regionalen Verhältnisse zu finden und zu evaluieren. Auf den Internetseiten des IPZ sowie auf der Wissensplattform werden diese Projekte vorgestellt. Das IPZ betreibt umfangreiche Züchtungsforschung bei allen bedeutenden Fruchtarten. Pflanzenzüchtung garantiert Biodiversität bei Nutzpflanzen und ist Voraussetzung für einen leistungsfähigen Pflanzenbau. Ziele der Züchtungsforschung sind die Anpassung an den Klimawandel, umweltschonende Produktionsverfahren und gesunde Nahrungsmittel . Die LfL fördert durch die Zusammenarbeit mit den kleinen und mittelständischen bayerischen Züchtungsunternehmen auch deren Zusammenschluss mit der Zielsetzung einer verbesserten Konkurrenzfähigkeit am Markt und damit höheren Marktanteilen. Durch gemeinsame Projekte der LfL mit bayerischen Züchtungsunternehmen wird deren Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und die Schonung der natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt gestellt. 2. Welche nationalen oder internationalen Erkenntnisse über die Entwicklung der genetischen Vielfalt beim Saat- und Pflanzgut sind der Staatsregierung bekannt, wie relevant sind diese für Bayern und wie werden sie für Bayern genutzt? Ende der Achtzigerjahre vermehrten sich die Sorgen über den Verlust an Biodiversität. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen nahm sich 1988 des Themas an und bereitete eine weltweite Konvention zur biologischen Vielfalt vor, die 1992 beim Weltgipfel in Rio zur Unterzeichnung vorgestellt wurde. Diese Konvention war der Ausgangspunkt einer Reihe an internationalen Initiativen (u. a. die Cartagena und Nagoya Protokolle). Der von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vorbereitete internationale Vertrag über die pflanzengenetischen Ressourcen für Nahrung und Landwirtschaft, der im Jahr 2001 verabschiedet und auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde, führte in Deutschland zu Programmen, die den Erhalt der landwirtschaftlichen Vielfalt sichern sollten. Auf Bundesebene gibt das bereits 2002 aufgestellte „Nationale Fachprogramm pflanzengenetische Ressourcen“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) den Rahmen vor. Die vereinbarten Ziele und Maßnahmen wurden auf Länderebene delegiert. Diese finden sich auch im Bayerischen Biodiversitätsprogramm NaturVielfaltBayern 2030 von 2014 wieder. In Statistiken, die jährlich bayernweit und deutschlandweit erstellt werden, sind die Anzahl der vermehrten Sorten sowie die dazugehörige Anbaufläche ersichtlich. Die Statis- Drucksache 17/15113 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 tiken sind am IPZ seit 1946 lückenlos vorhanden. Für bundesweite Statistik sind die Zahlen seit 1988 verfügbar. International gibt es keine vergleichbaren Statistiken. Bei der Erfassung der Daten werden unterschiedliche Standards zugrunde gelegt. 3. Wird aus den Kreisen der bayerischen heimischen Gärtner und Landwirte bereits über ein nachlassendes Angebot von an die hiesigen Klimabedingungen angepasstem Saat- und Pflanzgut berichtet? Für den gewerblichen Anbau wird derzeit nicht über ein nachlassendes Angebot von standortangepassten Sorten berichtet. Die Bezugsquellen für Erhaltungssorten sind in der Regel über eine Recherche im Internet zu erfahren. Sorten von geregelten Arten nach der Verordnung zum Artenverzeichnis zum Saatgutverkehrsgesetz (SaatArtV), die weder zugelassen noch als Erhaltungssorte eingetragen sind, dürfen nach der nationalen Gesetzgebung nicht als Saatgut in Verkehr gebracht werden. Die Weitergabe dieses Saatguts zu Tauschzwecken ist möglich. Im Bereich des Amateuranbaus im Hobby- und Kleingärtnerbereich wird allerdings oft ein Verlust an Sortenvielfalt thematisiert. Dieser hat zur Entstehung zahlreicher privater Erhalterinitiativen geführt. Die zunehmende Anzahl von „Saatgutfesten“ in Bayern ist ein Ausdruck dieser Sorgen über einen Verlust an Sortenvielfalt. 4. Welche Möglichkeiten hat die Staatsregierung zur Hand, um die Entwicklung beim Angebot von für den heimischen Anbau geeignetem Saat- und Pflanzgut zu verfolgen? Die bayern- und deutschlandweiten Sortenstatistiken geben Auskunft über die Vermehrungsflächen. Durch den freien Warenverkehr im Saatgutmarkt innerhalb des Binnenmarktes ist das tatsächliche Angebot an Sorten für den heimischen Markt weitaus größer als die regional vermehrten Sorten. Die gehandelten Saatgutmengen und Anzahl der angebauten Sorten innerhalb des Binnenmarktes werden nicht erfasst. Die in Bayern tätigen Vertriebsfirmen informieren auf ihren Internetseiten über die Sorten, die sie vertreiben . 5. Verfügen die Staatsministerien über Zahlen zur Entwicklung der heimischen Saatguterzeuger, der von ihnen bereitgestellten Vielfalt an Saat- und Pflanzgut sowie den dazu gehörenden Saat- und Pflanzgutmengen (möglichst getrennt nach Gartenbau und Landwirtschaft ) in den letzten 20 Jahren, und wenn ja, welche ? Die Statistik der Vermehrungsflächen für landwirtschaftliches Saat- und Pflanzgut in Bayern existiert lückenlos seit dem Jahr 1946. Gemüse wird praktisch ausschließlich als Standardsaatgut gehandelt und ist damit nicht dem Anerkennungsverfahren unterstellt. Aus diesem Grund sind keine Statistiken von Gemüsevermehrungsflächen verfügbar. Auf der Homepage der LfL werden die jährlichen Anerkennungsergebnisse (https://www.lfl.bayern.de/ipz/saatgut/ 027629/index.php) veröffentlicht. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden die Daten nur fruchtartspezifisch (nicht sortenspezifisch) dargestellt. 6. Welche Möglichkeiten sieht die Staatsregierung zur nachhaltigen Sicherung des Angebots von geeignetem Saat- und Pflanzgut für den heimischen Anbau und für eine Erhaltung der an die hiesigen agro-ökologischen Bedingungen angepassten samenfesten Sorten für den heimischen Anbau in Gärtnerei und Landwirtschaft? Die Erhaltung der unabhängigen bayerischen Landessortenversuche leistet einen entscheidenden Beitrag, Sorten auf Eignung für die unterschiedlichen agrarökologischen Zonen zu prüfen. Hierbei werden auch Liniensorten bzw. Populationssorten von Arten geprüft, von denen vorwiegend Hybridsaatgut zum Einsatz kommt, z. B. bei Roggen oder Raps. In den Züchtungsarbeitsgruppen des IPZ werden derzeit bei Mais Populationen etabliert, die als geprüftes Saatgut einer Population (z. B. „Weihenstephaner“) bereits vermarktet werden. Durch eine Weiterführung der begonnenen Arbeiten zu bayerischen landwirtschaftlichen pflanzengenetischen Ressourcen an der LfL kann das landwirtschaftliche Erbe Bayerns erhalten und revitalisiert werden. Die gefundenen bayerischen Land- und Regionalsorten von 23 landwirtschaftlichen Kulturarten, die sich über Jahrhunderte an die agro-ökologischen Bedingungen in Bayern angepasst haben, können durch einen On-farm-Anbau wieder einer Nutzung in der regionalen Landwirtschaft zugeführt werden. Sie finden durch unsere bayerischen Pflanzenzüchter wieder Eingang in die regionalen Wertschöpfungsketten. Damit stellen sie einen wichtigen Genpool dar, der für die Zukunft erhalten werden muss.