Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Angelika Weikert SPD vom 28.11.2016 Verlust des Krankengeldanspruchs und der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit Gemäß § 192 des Sozialgesetzbuches (SGB) Fünftes Buch (V) bleibt die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Ende eines Beschäftigungsverhältnisses aufrecht, wenn bei einem Versicherten zu diesem Zeitpunkt eine Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldanspruch besteht. Aufgrund einer minimalen verspäteten Meldung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit verlieren die Betroffenen jedoch den Krankengeldanspruch. Im Zuge dessen wird vonseiten der Versicherer auch die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgekündigt. Teilweise schwerstkranke Menschen verlieren dadurch, möglicherweise ohne die Verspätung selbst verantworten und die Folgen abschätzen zu können, sowohl ihren Krankengeldanspruch als auch ihren Versicherungsschutz. Es besteht der Verdacht, dass die Krankenkassen diese gesetzliche Regelung systematisch dafür nutzen, Personen, die mangels Einkommen aus Arbeit oder Krankengeld keine Beiträge mehr einzahlen können, aber kostenintensive Leistungen in Anspruch nehmen müssen, aus der Mitgliedschaft zu entlassen. Ich frage die Staatsregierung, ob ihr Kenntnisse zu folgenden Fragen vorliegen: 1. In wie vielen Fällen in Bayern blieb die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Ende eines Beschäftigungsverhältnisses in den vergangenen fünf Jahren bestehen, da bei einem Versicherten zuvor eine Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldanspruch festgestellt worden war? 2. a) In wie vielen Fällen in Bayern kam es (bitte aufgeschlüsselt nach Krankenkassen) in Bayern in den vergangenen fünf Jahren zu einer Ablehnung der Fortsetzung der Krankengeldzahlung durch die Krankenkassen gemäß § 192 SGB V aufgrund verspätet eingereichter Nachweise über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit? b) Wie viele dieser Fälle sind bei den Jobcentern gemeldet worden? c) Wie verfahren die Jobcenter in solchen Fällen? 3. Wer kommt für die medizinische Versorgung nach dem Verlust des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes auf, wenn die Betroffenen keine beitragspflichtigen Einnahmen vorweisen können? 4. In wie vielen Fällen wurde vor bayerischen Gerichten in den letzten fünf Jahren Klage gegen den Verlust des Krankengeldanspruchs und der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung eingereicht? 5. Erkennt die Staatsregierung ein systematisches Vorgehen der Krankenkassen mit dem Ziel, Personen, die keine Beiträge mehr einzahlen, aber kostenintensive Leistungen in Anspruch nehmen müssen, aus der Mitgliedschaft zu entlassen? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 07.02.2017 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Als Reaktion auf Probleme beim Krankengeldbezug wegen einer geringfügig verspätet festgestellten fortdauernden Arbeitsunfähigkeit hat der Bundesgesetzgeber mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vom 16.07.2015 bereits eine gesetzliche Änderung mit Wirkung vom 23.07.2015 vorgenommen. Nach der bis dahin geltenden Rechtslage entstand der Anspruch auf Krankengeld – abgesehen von stationärer Krankenhausbehandlung – von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Versicherte waren deshalb gehalten , eine Folgekrankheitsbescheinigung spätestens ab dem Tag vor dem Ablauf der (Erst-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Diese Obliegenheit der Versicherten ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigt worden. Wurde die Arbeitsunfähigkeit erst verspätet festgestellt, führte dies in bestimmten Fallgestaltungen zu weitreichenden versicherungs- und leistungsrechtlichen Konsequenzen bis hin zum Verlust des Anspruchs auf Krankengeld. Seit 23.07.2015 sieht die Neuregelung des § 46 Satz 2 SGB V deshalb vor, dass der Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen bleibt, wenn das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit am nächsten Werktag nach dem Ende der bisher festgestellten Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Samstage gelten in diesem Sinne nicht als Werktag. Somit ist die ärztliche Feststellung der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit auch noch am Montag ausreichend, wenn die zuvor ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit an einem Freitag endet. Seit 23.07.2015 ist damit ein nahtloser Leistungsbezug sichergestellt und Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 18.04.2017 17/15357 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15357 gewährleistet, dass die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger aufgrund des Krankengeldbezugs nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erhalten bleibt. Die Änderungen gelten nach § 5 Abs. 3 der Arbeitsunfähigkeits -Richtlinie auch im Rahmen einer ambulanten Notfallbehandlung im Krankenhaus. Bisher war es notwendig, sofort nach einer Notfallbehandlung eine Arbeitsunfähigkeit durch einen Vertragsarzt bescheinigen zu lassen, um den nahtlosen Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit sicherzustellen . Nunmehr kann durch eine Attestierung am auf die Notfallbehandlung folgenden Werktag ein nahtloser Nachweis der Arbeitsunfähigkeit sichergestellt werden. 1. In wie vielen Fällen in Bayern blieb die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Ende eines Beschäftigungsverhältnisses in den vergangenen fünf Jahren bestehen, da bei einem Versicherten zuvor eine Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldanspruch festgestellt worden war? Für Bayern konnte trotz Anfrage bei der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern keine aussagekräftige Datenbasis ermittelt werden. Die meisten Krankenkassen haben aus Gründen der Zeitersparnis und Verwaltungsökonomie von umfangreichen Recherchen und Auswertungen zu den nach Ende eines Beschäftigungsverhältnisses aufrechterhaltenen Mitgliedschaften abgesehen. Bundesunmittelbare Krankenkassen weisen ohnehin keine Daten auf einzelne Bundesländer bezogen aus. Eine gesetzliche Verpflichtung hierzu besteht nicht. 2. a) In wie vielen Fällen in Bayern kam es (bitte aufgeschlüsselt nach Krankenkassen) in Bayern in den vergangenen fünf Jahren zu einer Ablehnung der Fortsetzung der Krankengeldzahlung durch die Krankenkassen gemäß § 192 SGB V aufgrund verspätet eingereichter Nachweise über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit? Werden Nachweise über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit verspätet eingereicht, führt dies zu einem Ruhen des Krankengeldes nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V. Die Mitgliedschaft nach § 192 SGB V bleibt jedoch in diesen Fällen erhalten. Soweit die Fragestellung auf die Anzahl der Fälle abstellt, in denen die Arbeitsunfähigkeit nach § 46 SGB V nicht lückenlos festgestellt wurde, ist darauf hinzuweisen, dass keine amtliche Statistik existiert, die belegt, aus welchen Gründen der Anspruch auf Krankengeld beendet wurde. Zudem wäre zu unterscheiden zwischen den Fallgestaltungen, die vor dem 23.07.2015 eingetreten sind und aufgrund höchstrichterlicher und gefestigter Rechtsprechung (Bundessozialgericht ) entschieden wurden, und den Fallgestaltungen, die ab dem 23.07.2015 eingetreten sind und aufgrund der gesetzlichen Neuregelung durch das GKV-VSG entschieden werden. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu Frage 1 Bezug genommen. b) Wie viele dieser Fälle sind bei den Jobcentern gemeldet worden? c) Wie verfahren die Jobcenter in solchen Fällen? Die Rechtsaufsicht über die als gemeinsame Einrichtung betriebenen Jobcenter (rd. 90 Prozent der bayerischen Jobcenter) in den hier gegenständlichen Fragen liegt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration hat insoweit mangels Aufsichtsrechten keinen Informationsanspruch . Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht auch keine Daten zu dieser Frage. Es liegen daher weder Erkenntnisse zur Zahl der Fälle noch zur Verfahrensweise der Jobcenter vor. 3. Wer kommt für die medizinische Versorgung nach dem Verlust des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes auf, wenn die Betroffenen keine beitragspflichtigen Einnahmen vorweisen können ? a) Anschlussversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Mit dem Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderungen bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.07.2013 wurde in § 188 Abs. 4 SGB V mit Wirkung vom 01.08.2013 eine Fortführung des Krankenversicherungsschutzes in der GKV auch sichergestellt, wenn die gesetzliche Krankenversicherung kraft Gesetzes endet, ohne dass sich nahtlos eine neue, vorrangige Versicherungspflicht oder eine Familienversicherung anschließt. Damit werden auch Pflichtversicherte, deren Mitgliedschaft wegen Bezugs von Krankengeld endet, im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung als freiwillige Mitglieder weiterversichert. Allerdings beinhaltet diese Versicherung keinen Anspruch auf Krankengeld mehr. Die notwendige medizinische Versorgung bleibt selbst dann sichergestellt, wenn der Versicherte seiner Beitragszahlungsverpflichtung nicht nachkommen sollte. Hier hat der Gesetzgeber jedoch eine Sanktionierung vorgesehen. Wenn der Versicherte mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand ist und trotz Mahnung nicht zahlt, ruht der Anspruch auf Leistungen. Vom Ruhen ausgenommen sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 SGB V und Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Ein Ruhen der Leistungsansprüche tritt allerdings nicht ein, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches sind oder werden (§ 16 Abs. 3a SGB V). b) Pflichtversicherung in der GKV aufgrund Leistungsbezug nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) Grundsätzlich kommen für Betroffene ohne beitragspflichtige Einnahmen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach den Vorschriften des SGB II in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat und seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln , insbesondere seinem Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen erhält. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende umfassen keine Übernahme von Kosten der medizinischen Versorgung. Durch den Leistungsbezug nach dem SGB II besteht stets Versicherungspflicht in der GKV. c) Sozialhilfe Soweit der Leistungsberechtigte über keine Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung verfügt, wird der Drucksache 17/15357 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Krankenversicherungsschutz über Leistungen der Hilfen zur Gesundheit nach dem SGB XII (§§ 47 ff. SGB XII, insbesondere Hilfe bei Krankheit und vorbeugende Gesundheitshilfe) sichergestellt. Bei der Prüfung, ob ein Anspruch auf Hilfe zur Gesundheit nach dem SGB XII besteht, ist insbesondere der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz zu beachten. Der Nachranggrundsatz besagt , dass Sozialhilfeleistungen nur derjenige erhält, der sich nicht selbst helfen oder die erforderliche Leistung von anderen erhalten kann. Die Leistungen der Hilfe bei Krankheit entsprechen begrifflich und ihrem Umfang nach den Leistungen der GKV. Liegen die Leistungsvoraussetzungen nach dem Sozialhilferecht vor, steht dem Träger der Sozialhilfe hinsichtlich Art und Maß der Leistungen kein Entscheidungsspielraum zu. Die Hilfe bei Krankheit ist ohne jede zeitliche Begrenzung zu leisten, auf Heilbehandlungsbedürftigkeit oder Wiederherstellung der Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit kommt es bei der Hilfe bei Krankheit nicht an. 4. In wie vielen Fällen wurde vor bayerischen Gerichten in den letzten fünf Jahren Klage gegen den Verlust des Krankengeldanspruchs und der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung eingereicht? Es können keine Zahlen über die anhängig gewesenen Klage- und Berufungsverfahren in der Sozialgerichtsbarkeit genannt werden, weil es keine statische Kennzeichnung für solche Verfahren gab oder gibt. Nach Einschätzungen der Sozialgerichte dürften es insgesamt aber einige Hundert gewesen sein. Allerdings ist festzustellen, dass im Hinblick auf die zum 23.07.2015 eingetretene Rechtsänderung durch Ergänzung der Regelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V durch das GKV- VSG die gerichtlichen Verfahren, welche die in der Anfrage beschriebenen „Lückenfälle“ als Streitgegenstand haben, deutlich rückläufig geworden sind. 5. Erkennt die Staatsregierung ein systematisches Vorgehen der Krankenkassen mit dem Ziel, Personen , die keine Beiträge mehr einzahlen, aber kostenintensive Leistungen in Anspruch nehmen müssen, aus der Mitgliedschaft zu entlassen? Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Krankenkassen an geltendes Recht gebunden. Die Krankenkassen haben erklärt, in Altfällen sei nach Vorschriften des SGB V und der hierzu erfolgten höchstrichterlichen Rechtsprechung verfahren worden. In Neufällen würden die Neuregelungen des GKV-VSG umgesetzt werden. Anhaltspunkte für ein rechtlich unzulässiges Verwaltungshandeln der landesunmittelbaren Krankenkassen liegen dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nicht vor. Die Fragestellung verkennt im Übrigen die geltende Finanzierungssystematik der GKV, in der sämtliche Beitragseinnahmen der Krankenkassen dem Gesundheitsfonds zufließen , aus dem die Krankenkassen dann risikoadjustierte Zuweisungen nach den Kriterien des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) erhalten.