Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Schindler SPD vom 20.12.2016 Kapazitätsengpässe bei der psychiatrischen Begutachtung Nach der Reform der gerichtsärztlichen Dienste und dem mit der Neuregelung des § 63 des Strafgesetzbuches (StGB) und des § 463 der Strafprozessordnung (StPO) einhergehenden Anstieg der Begutachtungsfrequenz gibt es Befürchtungen, dass in naher Zukunft Engpässe bei der psychiatrischen Begutachtung auftreten werden, zumal die Zahl der hierfür qualifizierten Psychiater rückläufig ist und viele der bisher von Gerichten und Staatsanwaltschaften beauftragten Psychiater schon älter als 60 Jahre sind. Ich frage deshalb die Staatsregierung: 1. Wie viele psychiatrische Gutachten wurden von bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften seit dem Jahr 2010 pro Jahr a) zur Klärung der Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB, b) zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 63, 64, 66 StGB, c) zur Kriminalprognose gem. §§ 67 ff. StGB und § 463 StPO d) insgesamt in Auftrag gegeben? 2. In wie vielen Fällen laut Ziff. 1 sind a) Landgerichtsärzte des Gerichtsärztlichen Dienstes an den Oberlandesgerichten (OLG), b) Ärzte an Kliniken für Forensische Psychiatrie, c) Ärzte an allgemein-psychiatrischen Kliniken, d) freiberufliche forensische Psychiater, beauftragt worden? 3. Wie viele in Bayern und ggf. auch außerhalb Bayerns ansässige Sachverständige übernehmen derzeit Gutachtensaufträge von bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften zu Fragen der Schuldfähigkeit (einschließlich §§ 63, 64, 66 StGB) und zur Kriminalprognose im Vollstreckungsverfahren? 4. Wie lange dauert die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zu den in Ziff. 1 genannten Fragestellungen durchschnittlich? 5. Hält es die Staatsregierung für erforderlich, die Nachwuchsgewinnung auf dem Gebiet der forensischen Begutachtung zu fördern, und falls ja, welche Maßnahmen sollten zu diesem Zweck ergriffen werden? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 08.02.2017 Zu 1. a) bis d): Die Zahl der von bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften in den genannten Fällen in Auftrag gegebenen psychiatrischen Sachverständigengutachten wird statistisch nicht erfasst. Eine bayernweite händische Überprüfung aller in Betracht kommenden Verfahrensakten seit dem Jahr 2010 wäre mit einem nicht vertretbaren Aufwand verbunden. Zu 2. a) bis d): Eine einheitliche bayernweite statistische Erfassung dahingehend , welche Sachverständige mit der Erstellung psychiatrischer Gutachten beauftragt wurden, findet nicht statt. Eine bayernweite händische Überprüfung aller in Betracht kommenden Verfahrensakten seit dem Jahr 2010 wäre mit einem nicht vertretbaren Aufwand verbunden. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass in bayerischen Justizvollzugsanstalten beschäftigte Psychiater z. T. ebenfalls Gutachtensaufträge bayerischer Gerichte und Staatsanwaltschaften übernehmen. Zu 3.: Die Auswahl eines geeigneten Sachverständigen steht grundsätzlich im Ermessen des beauftragenden Gerichts bzw. der beauftragenden Staatsanwaltschaft. Nachdem – wie bereits in der Antwort zu Frage 2 der Schriftlichen Anfrage ausgeführt – eine Erfassung dahingehend, welche Sachverständige beauftragt werden, nicht erfolgt, liegen auch keine Erkenntnisse dazu vor, wie viele Sachverständige insgesamt Gutachtensaufträge von bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften übernehmen. Eine einheitliche bayern- oder bundesweite Erfassung geeigneter Sachverständiger findet nicht statt. Zu 4.: Wie viel Zeit die Erstellung eines von bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften in Auftrag gegebenen psychiatrischen Sachverständigengutachten in Anspruch nimmt, hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Von Relevanz ist etwa die konkrete Fragestellung, insbesondere, ob ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit oder ein Prognosegutachten in Auftrag gegeben wird. Auch die Beschaffenheit des konkreten Tatvorwurfs oder das Explorationsverhalten des Probanden können sich maßgeblich auf die Dauer der Gutachtenserstellung auswirken. Statistische Daten zu der Frage, wie lange die Erstellung von psychiatrischen Gutachten in den nachgefragten Fällen in Anspruch nimmt, liegen nicht vor. Zu 5.: Das Staatsministerium der Justiz und das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege stehen bereits seit mehreren Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 18.04.2017 17/15359 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15359 Jahren im Hinblick auf die Möglichkeiten und Instrumente der Qualitätssicherung und Fortbildung im Bereich der Forensischen Psychiatrie in Kontakt mit den zuständigen Verbänden , u. a. der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Bayerischen Landesärztekammer. Der Deutsche Bundestag hat am 8. Juli 2016 das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs und zur Änderung anderer Vorschriften (BGBl I 2016, S. 1610 ff.) beschlossen. Das am 1. August 2016 in Kraft getretene Gesetz geht auf den Entwurf einer Bund-Länder- Arbeitsgruppe zurück, an der sich Bayern maßgeblich – u. a. mit einem eigenen Diskussionsentwurf – beteiligt hat. Vor der Reform war im Überprüfungsverfahren nach § 67e des Strafgesetzbuchs (StGB) bei Verurteilten, die auf der Grundlage von § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, spätestens alle 5 Jahre ein externes Sachverständigengutachten einzuholen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes wurde die Frequenz für die Einholung von externen Sachverständigengutachten auf 3 Jahre , ab einer Unterbringungsdauer von 6 Jahren auf 2 Jahre verkürzt (vgl. § 463 Abs. 4 der Strafprozessordnung). Die Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird zu einem erhöhten Bedarf an psychiatrischen Sachverständigen führen. Dieser erhöhte Bedarf wird in allen Ländern gleichermaßen auftreten; nur ein bundesweit koordiniertes Vorgehen hat im Hinblick auf die Erhöhung der Zahl von qualifizierten Sachverständigen Aussicht auf Erfolg. Da die Justizressorts der Länder mangels Zuständigkeit keinen unmittelbaren Einfluss auf die Qualifizierung von Sachverständigen nehmen können, sind sie auf eine Zusammenarbeit mit der Gesundheitsseite und den entsprechenden Kammern und Verbänden angewiesen. Für die Erarbeitung eines tragfähigen Konzepts erscheint ein gemeinsames , bundesweit einheitliches Vorgehen von Justizund Gesundheitsseite als unabdingbar. Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (im Folgenden: Justizministerkonferenz) hat sich auf der Frühjahrstagung am 1. und 2. Juni 2016 in Nauen auf Initiative Bayerns mit der Thematik der Qualifizierung von Sachverständigen für das Überprüfungsverfahren gemäß § 67e StGB befasst. Sie hat die Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder (im Folgenden: Gesundheitsministerkonferenz) im Beschlusswege aufgefordert , die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Gesundheits- und der Justizseite, die Vorschläge zur Erhöhung der Zahl von qualifizierten ärztlichen und psychologischen Sachverständigen mit forensisch-psychiatrischer Sachkunde und Erfahrung und zur Gewinnung entsprechenden Nachwuchses erarbeiten soll, zu prüfen. Die Justizministerkonferenz hat mit Schreiben vom 20. Juli 2016 die Gesundheitsministerkonferenz über ihren Beschluss und die darin enthaltene Prüfbitte informiert. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 hat die Gesundheitsministerkonferenz den Vorschlag zur Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe begrüßt. In einem nächsten Schritt ist das weitere Vorgehen zwischen der Justiz- und der Gesundheitsseite abzustimmen.