17. Wahlperiode 13.04.2017 17/15419 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Bernhard Roos SPD vom 12.01.2017 Gefährdung privatwirtschaftlicher Verkehrsunternehmen als Akteure des öffentlichen Nahverkehrs Entgegen dem Trend in anderen Bundesländern werden im Freistaat Bayern nahezu 60 Prozent der Verkehrsleistung im öffentlichen Nahverkehr durch private Busunternehmen erbracht, die in diesem Bereich als Genehmigungsinhaber und Vertragspartner der öffentlichen Verkehrsbetriebe und Kommunen auftreten. Nach einer Aufstellung des Landesverbandes Bayerischer Omnisbusunternehmen (LBO) fehlen den bayerischen Verkehrsunternehmen aufgrund von Kürzungen seitens des Staates insbesondere im Bereich der gesetzlichen Ausgleichsleistung 160 Millionen Euro, deren Verfügbarkeit für dringend notwendige Investitionen auch der privaten Busunternehmen in den öffentlichen Nahverkehr geboten wäre. Ich frage daher die Staatsregierung: 1. a) Wie viele Neuvergaben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs wurden in den letzten 5 Jahren aufgrund einer europaweiten Ausschreibung vergeben? b) Bei wie vielen dieser Neuvergaben erhielt ein bayerisches Busunternehmen den Zuschlag? c) Bei wie vielen Neuvergaben wurde von dem Schutzmechanismus der EU-Nahverkehrsverordnung (EG 1370/2007), wonach zugunsten der heimischen Verkehrsunternehmen bei Vergaben bis zu einer Maximalhöhe von zwei Millionen Euro pro Jahr eine Direktvergabe erfolgen kann, Gebrauch gemacht? 2. Bei wie vielen Neuvergaben erfolgte der Zuschlag an ein nicht bayerisches Unternehmen, obwohl das Vergabeverfahren nach obiger Verordnung zugunsten der heimischen Wirtschaft privilegiert gewesen wäre? 3. Ist es zutreffend, dass zulasten der bayerischen Busunternehmen seit 2004 durch die Kürzungen der gesetzlichen Ausgleichsleistung um 12 Prozent ca. 160 Millionen Euro eingespart wurden? 4. Welche Initiativen wird die Staatsregierung ergreifen, um den heimischen Busunternehmen die dringend erforderlichen Mittel für die Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr zu ermöglichen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 08.02.2017 Vorbemerkung: Die 839 privaten Verkehrsunternehmen erbringen mit über 3,7 Millionen Personenkilometern rund 37 Prozent der Verkehrsleistung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) (Quelle: Landesamt für Statistik, Schienennahverkehr und gewerblicher Straßenpersonenverkehr in Bayern 2015). Der Freistaat hat mit 1.080, mit deutlichem Abstand vor Nordrhein -Westfalen mit 665, die höchste Anzahl an privaten Verkehrsunternehmen . Sie stellen einen wichtigen Baustein bei der Gewährleistung der Mobilität im gesamten Freistaat dar. 1. a) Wie viele Neuvergaben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs wurden in den letzten 5 Jahren aufgrund einer europaweiten Ausschreibung vergeben ? b) Bei wie vielen dieser Neuvergaben erhielt ein bayerisches Busunternehmen den Zuschlag? c) Bei wie vielen Neuvergaben wurde von dem Schutzmechanismus der EU-Nahverkehrsverordnung (EG 1370/2007), wonach zugunsten der heimischen Verkehrsunternehmen bei Vergaben bis zu einer Maximalhöhe von zwei Millionen Euro pro Jahr eine Direktvergabe erfolgen kann, Gebrauch gemacht? In Bayern wurden in den vergangenen fünf Jahren 2012 bis einschließlich 2016 insgesamt 232 Aufträge im ÖPNV im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung vergeben, die alle von bayerischen Verkehrsunternehmen gewonnen wurden. Zusätzlich wurden im Rahmen von Direktvergaben 182 Aufträge im ÖPNV an private bayerische Busunternehmen vergeben. Die Direktvergaben an kommunale Verkehrsunternehmen nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) 1370/2007 wurden dabei nicht erfasst. Es wurde auf Vergaben und nicht auf die Genehmigung von Linien abgestellt . Die Vergabe von mehreren Linien gemeinsam in einem Linienbündel wurde somit als eine Vergabe gewertet. Bei dem Zeitpunkt der Neuvergabe wurde auf den Beginn der Liniengenehmigung und damit der Leistungserbringung abgestellt. Bayerische Unternehmen werden definiert als Verkehrsunternehmen, die ihren Sitz in Bayern haben. Wesentlich ist das Verkehrsunternehmen, das Inhaber der Liniengenehmigung ist, unabhängig davon, ob es sich hierbei um ein Tochterunternehmen eines (nicht) bayerischen Unternehmens handelt. Art. 5 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung (EG) 1370/2007 definiert die Grenzen zur Direktvergabe nach dieser Verordnung , soweit nationales Recht nicht entgegensteht. In Art. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15419 5 Abs. 4 Satz 2 der Verordnung (EG) 1370/2007 werden die Grenzen für die Direktvergabe für kleinere und mittlere Verkehrsunternehmen mit bis zu 23 Fahrzeugen auf 2 Millionen Euro pro Jahr oder 600.000 km erhöht. Diese Grenzen gelten aber nur, soweit es im nationalen Recht keine abweichenden Regelungen gibt. Die Laufzeit der Verkehrsbedienungsverträge kann hierbei bis zu zehn Jahren betragen. Dies kann zu einer Gesamtvertragssumme von bis zu 20 Millionen Euro führen. Im Interesse der transparenten Mittelverwendung und der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit von öffentlichen Geldern untersagt das bayerische kommunale Haushaltsrecht grundsätzlich Direktvergaben in dieser Größenordnung und definiert deutlich geringere Grenzen (§ 31 Abs. 1 der Kommunalhaushaltsverordnung-Kameralistik – KommHV-Kameralistik, § 31 Abs. 2 KommHV in Verbindung mit der Bekanntmachung des Staatsministeriums des Innern über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich vom 14. Oktober 2005 (AllMBl S. 424), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 7. Dezember 2016 (AllMBl S. 2190)). Die Verordnung (EG) 1370/2007 eröffnet ausschließlich die Möglichkeit, kleinere und mittlere Verkehrsunternehmen zu präferieren. Die Privilegierung eines „heimischen Verkehrsunternehmens“, und damit die bewusste Diskriminierung eines Verkehrsunternehmens aus einer anderen Region in Bayern, einem anderen Bundesland oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist in der Verordnung (EG) 1370/2007 nicht vorgesehen. Dies wäre mit dem Diskriminierungsverbot von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten bzw. dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 des Grundgesetzes unvereinbar. Voraussetzung für eine nationale Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz, etwa einer Liniengenehmigung im ÖPNV, ist eine Niederlassung in Deutschland. Dies gilt auch für Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten . Gerade in den grenznahen Räumen zu anderen Bundesländern , etwa im Bereich Ulm und Neu-Ulm, ist es üblich und sinnvoll, dass Verkehrsunternehmen auch in den jeweils anderen Bundesländern tätig sind. Die Zusammenarbeit und die Erbringung der Verkehrsleistung in einem bundeslandübergreifenden Verkehrsraum ist regelmäßig ein Vorteil für die Fahrgäste. 2. Bei wie vielen Neuvergaben erfolgte der Zuschlag an ein nicht bayerisches Unternehmen, obwohl das Vergabeverfahren nach obiger Verordnung zugunsten der heimischen Wirtschaft privilegiert gewesen wäre? Wie oben ausgeführt beinhaltet die Verordnung (EG) 1370/2007 keine Privilegierung von bayerischen Verkehrsunternehmen , gegen die verstoßen werden könnte. Sämtliche Neuvergaben erfolgten an bayerische Verkehrsunternehmen . 3. Ist es zutreffend, dass zulasten der bayerischen Busunternehmen seit 2004 durch die Kürzungen der gesetzlichen Ausgleichsleistung um 12 Prozent ca. 160 Millionen Euro eingespart wurden? Die Berechnung des Ausgleichs für die Ermäßigung der Zeitfahrkarten für Auszubildende erfolgt im Freistaat nach den bundesgesetzlichen Regelungen des § 45a des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) und der bundesrechtlichen Verordnung über den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßenpersonenverkehr. Nach § 45a Abs. 2 Satz 3 PBefG wird der sich rechnerisch ergebende Ausgleichsbetrag für das Jahr 2004 um vier Prozent, für das Jahr 2005 um acht Prozent und ab dem Jahr 2006 um zwölf Prozent gekürzt. Der Ausgleichssatz zwischen rechnerisch ermittelten Sollkosten und tatsächlichen Einnahmen wurde somit von 50 Prozent auf 44 Prozent reduziert. Die Kürzung erfolgte im Bundesgesetz nicht nur für bayerische Verkehrsunternehmen, sondern bundesweit für alle Verkehrsunternehmen . Da der Ausgleich stets im Jahr nach der tatsächlichen Verkehrserbringung abgerechnet wird, wurde die bundesrechtliche Kürzung erst mit der Abrechnung des Jahres 2004 im Haushaltsjahr 2005 wirksam. Die Kürzung der Ausgleichsmittel hat, soweit sie nicht durch Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Verkehrsunternehmen kompensiert wurden, zu Änderungen im Tarif- und Fahrplanangebot geführt. Die ausgereichten Mittel sind im Haushaltsjahr 2016 mit 115,25 Millionen Euro in etwa auf dem Niveau des Jahres vor Wirksamwerden der Kürzung 2004 mit 115,82 Millionen Euro. Dabei ist die Zahl der Anspruchsberechtigten für den Erwerb der ermäßigten Zeitfahrkarten leicht gesunken und somit der Ausgleich je ausgleichsberechtigten Auszubildenden durch den Rückgang der Auszubildenden- und Schülerzahlen , die nur zum Teil durch den Anstieg der Studierendenzahlen kompensiert wurden, trotz der vorgenommenen Kürzung des Ausgleichssatzes leicht angestiegen. 4. Welche Initiativen wird die Staatsregierung ergreifen , um den heimischen Busunternehmen die dringend erforderlichen Mittel für die Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr zu ermöglichen? Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, die bis 2019 vom Bund zweckgebunden zur Verfügung gestellten Entflechtungsmittel vom Umfang her weiterhin zur Verfügung zu stellen, indem den Ländern ab 2020 eine höhere Beteiligung an den Umsatzsteuereinnahmen zufließt. Die Staatsregierung ist sich des Erfordernisses einer Fortführung der Förderung von ÖPNV-Infrastrukturen bewusst und wird auch nach 2019 unter Berücksichtigung der finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der haushaltsmäßigen Möglichkeiten dem Haushaltsgesetzgeber eine bedarfsgerechte Dotierung vorschlagen. Die Busförderung wird im Doppelhaushalt 2017/18 in Höhe von 30 Mio. Euro pro Jahr fortgeführt. Für innovative Projekte im ÖPNV wurde zudem für das Jahr 2017 ein mit 1,6 Mio. Euro dotiertes Förderprogramm geschaffen, um etwa Elektrobusse in Bayern im Praxisbetrieb einsetzen zu können. Da die Gewährung einer Zuwendung europäisches Beihilferecht berührt, muss die Bemessung der Förderquote die Regelung über Umweltbeihilfen in Artikel 36 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) berücksichtigen . Zulässig ist eine maximale Beihilfeintensität von bis zu 40 Prozent der Mehrkosten für den Elektroantrieb.