17. Wahlperiode 05.05.2017 17/15758 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Ganserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 23.01.2017 Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit im Personenbeförderungsgesetz Nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) genießen eigenwirtschaftliche Verkehre Vorrang vor Ausschreibungen und Direktvergaben der Öffentlichen Personennahverkehr(ÖPNV)-Aufgabenträger gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Damit ist es Unternehmern möglich, bei nur unwesentlicher Abweichung von in einer Vorabbekanntmachung festgelegten Anforderungen der Aufgabenträger trotz einer nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 beabsichtigten Vergabe die Verkehrsleistung eigenwirtschaftlich zu erbringen. Bei Ausschreibungen und Direktvergaben können die ÖPNV-Aufgabenträger u. a. soziale Standards vorgeben. Im PBefG ist das nicht vorgesehen . Insbesondere bei stark defizitären Stadtverkehren galt der Vorrang als Theorie, weil ohne direkten Defizitausgleich durch die Aufgabenträger kein eigenwirtschaftlicher Verkehr denkbar war. In letzter Zeit hat es aber einige eigenwirtschaftliche Genehmigungsanträge in Konkurrenz zu von Aufgabenträgern beabsichtigten Ausschreibungen bzw. Direktvergaben gegeben. In der Folge sehen u. a. Gewerkschaften , kommunale Spitzenverbände, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Korrekturbedarf im PBefG. In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. Inwieweit schränkt nach Auffassung der Staatsregierung der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit im PBefG die Gestaltungsmöglichkeiten der Aufgabenträger bei der Gestaltung von Qualitäts-, Umwelt- und Sozialstandards im öffentlichen Personennahverkehr ein? 2. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, dass wenn bei geplanten wettbewerblichen oder Direktvergaben im ÖPNV soziale Faktoren sowie Vorgaben zur Tariftreue und zum Personalübergang bei einem möglichen Betreiberwechsel von den Aufgabenträgern gefordert werden, diese auch von eigenwirtschaftlichen Konkurrenten erfüllt werden müssen? 3. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, dass Antragsteller für eigenwirtschaftliche Konkurrenzanträge einen Nachweis erbringen müssen, dass sie den beantragten Verkehr aufnehmen und auch über die gesamte Laufzeit der Genehmigung kostendeckend erbringen können? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 4. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, dass vom Aufgabenträger festgelegte weitere Standards – etwa in Bezug auf Umweltaspekte, Kundenbetreuung, Fahrplananpassung – ebenfalls von eigenwirtschaftlichen Konkurrenten erfüllt werden müssen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 27.02.2017 Vorbemerkung: Die Schriftliche Anfrage bezieht sich auf den Gesetzesantrag der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg im Bundesrat zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes zur Sicherung von Qualitäts- und Sozialstandards im öffentlichen Personennahverkehr (PBefG-Änderungsgesetz) vom 7. Dezember 2016 (BR-Drucksache 741/16). In der 953. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2017 wurde mehrheitlich, gegen die Ablehnung des Freistaates, beschlossen, den Antrag zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes in den Bundestag einzubringen . Im Wesentlichen soll das Gesetz in drei Punkten geändert werden. Durch die Schaffung der Möglichkeit, soziale und tarifrechtliche Vorgaben durch den ÖPNV-Aufgabenträger in die Vorabbekanntmachung zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages im ÖPNV aufzunehmen , soll der „Wettbewerbsnachteil“ der kommunalen Verkehrsunternehmen durch die höheren Arbeitsstückkosten der Haustarifverträge bzw. der kommunalen Tarifverträge gegenüber den privaten Verkehrsunternehmen beseitigt werden. Daneben ist die Möglichkeit zur Vorgabe eines Arbeitnehmerübergangs vorgesehen, der Beschäftigungssicherheit für die kommunalen Arbeitnehmer schafft. Diese beiden Änderungen sollen nur für Anträge gelten, die in Konkurrenz zu geplanten gemeinwirtschaftlichen Vergaben des ÖPNV-Aufgabenträgers gestellt werden. Schließlich soll ein Schutz, insbesondere der bezuschussten Verkehre , vor nichtkostendeckenden Dumpingangeboten durch den Nachweis der Kostendeckung des eigenwirtschaftlichen Konkurrenzantrages und ein Betriebsvorbereitungskonzept eingeführt werden. Diese Kostendeckung soll zukünftig stets bei Konkurrenzanträgen, d. h. auch im eigenwirtschaftlichen Genehmigungswettbewerb gelten. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15758 1. Inwieweit schränkt nach Auffassung der Staatsregierung der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit im PBefG die Gestaltungsmöglichkeiten der Aufgabenträger bei der Gestaltung von Qualitäts-, Umwelt- und Sozialstandards im öffentlichen Personennahverkehr ein? Eine Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten des ÖPNV-Aufgabenträgers durch den Vorrang der eigenwirtschaftlichen Verkehre wird in Bayern nicht gesehen. Den ÖPNV-Aufgabenträgern stehen ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten zu. Die kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger haben bereits durch den Nahverkehrsplan für den ÖPNV nach Art. 13 des Gesetzes über öffentlichen Personennahverkehr in Bayern (BayÖPNVG) weitreichende Möglichkeiten. Die Ausgestaltung des Nahverkehrsplans ist in Bayern im Gesetz bewusst offen, um den kommunalen ÖPNV-Aufgabenträgern bei der Organisation und Planung des ÖPNV als eigene Angelegenheit im eigenen Wirkungskreis (Art. 8 Abs. 1 BayÖPNVG) die Möglichkeiten zu geben, den ÖPNV an den konkreten Bedürfnissen vor Ort auszurichten. Vorgaben zu Umweltstandards, etwa emissionsarme Fahrzeuge, oder Qualitätsstandards, zum Beispiel barrierefreie Niederflurbusse, sind in vielen neuen Nahverkehrsplänen bereits verankert. Die regelmäßige Aktualisierung der Nahverkehrspläne wird bei den einzelnen ÖPNV-Aufgabenträgern sehr unterschiedlich praktiziert. Der Freistaat unterstützt dabei die Aufwendungen für die Fortschreibung des Nahverkehrsplans im Rahmen der ÖPNV-Zuweisungen . Es ist sachgerecht, dass der ÖPNV-Aufgabenträger Gestaltungsfreiheit hat, welche konkreten Anforderungen er in den Nahverkehrsplan aufnimmt. Nach § 8a Abs. 1 Satz 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) dürfen dann öffentliche Zuschüsse durch den ÖPNV-Aufgabenträger zum Verkehr im Rahmen einer allgemeinen Vorschrift oder eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages geleistet werden, wenn eine eigenwirtschaftliche Bedienung ohne Zuschüsse des ÖPNV-Aufgabenträgers nicht (mehr) möglich ist. Bei hohen Anforderungen im Nahverkehrsplan steigen regelmäßig die Kosten der Verkehrsunternehmen, was dazu führen kann, das eine eigenwirtschaftliche Verkehrserbringung nicht mehr möglich ist und der ÖPNV-Aufgabenträger nun selbst finanzielle Anstrengungen für den ÖPNV unternehmen muss. 2. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, dass wenn bei geplanten wettbewerblichen oder Direktvergaben im ÖPNV soziale Faktoren sowie Vorgaben zur Tariftreue und zum Personalübergang bei einem möglichen Betreiberwechsel von den Aufgabenträgern gefordert werden, diese auch von eigenwirtschaftlichen Konkurrenten erfüllt werden müssen? Die in dem o. a. Änderungsantrag zum Personenbeförderungsgesetz genannte Verpflichtung zur Bindung der Tariftreue für eigenwirtschaftliche Anträge greift in das Grundrecht auf Berufsfreiheit des Verkehrsunternehmers ein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 (Rn. 101) die Verpflichtung zur Tariftreue im Bausektor bei öffentlichen Aufträgen als vereinbar mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit mit der spezifischen Begründung anerkannt, dass der Unternehmer im Baugewerbe es selbst in der Hand hat, ob er sich um einen öffentlichen Auftrag bewirbt, da auch private Aufträge in erheblicher Größenordnung, und damit eine ausreichende Ausweichmöglichkeit gegenüber öffentlichen Aufträgen in der Bauwirtschaft existieren. Im Rahmen des Linienverkehrs im Nahbereich ist die öffentliche Hand, mit Ausnahme der weniger bedeutsamen Sonderlinienverkehre, regelmäßig der einzige und auch der bestimmende Nachfrager. Es bestehen daher Bedenken, inwieweit diese Verpflichtungen mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit vereinbar sind. Die Übernahme der Arbeitnehmer entspricht den Regelungen des Betriebsübergangs nach § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und kann dazu führen, dass vorhandenes Personal des neuen Genehmigungsinhabers freigestellt werden muss. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, warum das Personal des neuen Genehmigungsinhabers weniger schutzwürdig sein soll. Durch den allgemeinen verbindlichen Tarifvertrag Nr. 27 für das private Omnibusgewerbe in Bayern besteht bereits heute ein wirksamer Schutz vor Sozialdumping. 3. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, dass Antragsteller für eigenwirtschaftliche Konkurrenzanträge einen Nachweis erbringen müssen, dass sie den beantragten Verkehr aufnehmen und auch über die gesamte Laufzeit der Genehmigung kostendeckend erbringen können? Wie oben ausgeführt, dürfen nach § 8a Abs. 1 Satz 1 PBefG nur dann öffentliche Zuschüsse im Rahmen einer allgemeinen Vorschrift oder eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages geleistet werden, wenn eine eigenwirtschaftliche Bedienung ohne Zuschüsse des ÖPNV-Aufgabenträgers nicht möglich ist. Der ÖPNV-Aufgabenträger hat daher bereits vor der Entscheidung für einen Zuschuss interne Überlegungen angestellt, dass eine Bedienung ohne Zuschüsse nicht möglich ist. Die Staatsregierung ist, entsprechend dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2013 – 3 C 26/12 der Ansicht, dass, bei begründeten Zweifeln hinsichtlich einer dauerhaften Tragfähigkeit des Verkehrs, der Antragsteller bereits nach geltendem Recht gehalten ist, diese nachvollziehbar darzulegen. Hierbei ist jeder Fall unter Berücksichtigung des Defizites und der wirtschaftlichen Bedeutung der Linie für das Verkehrsunternehmen individuell zu betrachten. Die im Änderungsantrag zum Personenbeförderungsgesetz vorgesehene Möglichkeit der Ablehnung wird nicht befürwortet. Entsprechend des Vorschlages soll jede nicht kostendeckende Bedienung über die gesamte Laufzeit, unabhängig von der Höhe des Defizites, kategorisch zur Ablehnung der Liniengenehmigung führen. Bei einer Genehmigungsdauer von bis zu zehn Jahren sind zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit zahlreiche Annahmen, etwa zur Bevölkerungsentwicklung, zu den Kosten für den Treibstoff der Fahrzeuge, zur Tarifentwicklung oder der Nutzung des ÖPNV durch die Bevölkerung zu treffen und Unsicherheiten zu berücksichtigen. Eine genaue Prognose der Wirtschaftlichkeit ist daher nicht möglich. Die Ablehnung des Verkehrs aufgrund eines prognostizierten geringfügigen Defizites im Rahmen einer zehnjährigen Verkehrserbringung geht weit über die Maßgaben des Bundesverwaltungsgerichtes hinaus . Drucksache 17/15758 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 4. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, dass vom Aufgabenträger festgelegte weitere Standards – etwa in Bezug auf Umweltaspekte, Kundenbetreuung , Fahrplananpassung – ebenfalls von eigenwirtschaftlichen Konkurrenten erfüllt werden müssen? Wie unter Nr. 1 dargestellt, kann der ÖPNV-Aufgabenträger im Nahverkehrsplan oder im Rahmen der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages entsprechende Anforderungen vorsehen. Die Einhaltung der Vorgaben des Nahverkehrsplans wird nach § 13 Abs. 2a Satz 1 PBefG von der Genehmigungsbehörde geprüft. Ein Verstoß gegen die Anforderungen des Nahverkehrsplanes kann zur Ablehnung führen. Wir gehen davon aus, dass entsprechend der vorgeschlagenen Regelung unter Art. 1 Nr. 3 des o. a. Änderungsantrags zum Personenbeförderungsgesetz die Abweichungen von der Vorabbekanntmachung des ÖPNV-Aufgabenträgers zur Vergabe eines gemeinwirtschaftlichen Verkehrs angesprochen sind. Bereits mit den jetzigen Regelungen nach § 13 Abs. 2a Satz 2 PBefG ist ein konkurrierender eigenwirtschaftlicher Antrag abzulehnen, wenn er nicht den Vorgaben des ÖPNV-Aufgabenträgers in der Vorabbekanntmachung zur geplanten Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages entspricht oder wesentlich von den Anforderungen abweicht. Die möglichen Inhalte und Anforderungen für einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag, d. h. damit auch für die Vorabbekanntmachung sind grundlegend in dem Erwägungsgrund Nr. 17 zur Verordnung (EG) 1370/2007 dargestellt . Die als wesentlich definierten Abweichungen sind in § 13 Abs. 2a Satz 4 PBefG aufgezählt und umfassen unter anderem den Linienweg, die Haltestellen, die Bedienungshäufigkeit und den Bedienungszeitraum. Diese gesetzlichen Vorgaben sind auch vom eigenwirtschaftlichen Verkehr zu erfüllen. Bei weiteren Aspekten, etwa der Kundenbetreuung oder des Umweltschutzes, ist im Einzelfall zu entscheiden, ob es sich um eine zulässige und verhältnismäßige Anforderung in der Vorabbekanntmachung handelt. Die geplante pauschale Erweiterung der wesentlichen Abweichungen um Vertriebs- und Komfortstandards, den Kundenservice und Serviceleistungen wird vor diesem Hintergrund abgelehnt. Aus Sicht des Freistaates ist nicht jede Abweichung in diesen Bereichen wesentlich und rechtfertigt daher nicht die Ablehnung eines eigenwirtschaftlichen Antrages .