Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Margit Wild SPD vom 31.10.2016 Gestützte Kommunikation Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Wirksamkeit und die Möglichkeiten sog. Gestützter Kommunikation („facilitated communication“)? 2. In welchem Ausmaß und Umfang wird der Einsatz gestützter Kommunikation aktuell an den bayerischen Schulen eingesetzt? 3. Welche Voraussetzungen und Bedingungen müssen erfüllt sein, dass gestützte Kommunikation in Prüfungssituationen zugelassen wird? Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 06.04.2017 Vorbemerkung: Den Ausführungen wird folgende Begriffsabgrenzung zugrunde gelegt: Gestützte Kommunikation ist zu unterscheiden von unterstützter Kommunikation. Unter Unterstützter Kommunikation versteht man alle Kommunikationsformen, mit deren Hilfe fehlende Lautsprache ergänzt oder ersetzt werden kann. Darunter fallen z. B. Gebärden, Kommunikationstafeln oder Sprachausgabegeräte. Gestützte Kommunikation dagegen meint eine körperliche und emotionale Hilfestellung, die die Nutzung einer Kommunikationshilfe ermöglicht. Die Schülerin oder der Schüler zeigt auf Buchstaben oder Symbole und wird dabei durch eine andere Person (physisch) z. B. per Hand gestützt. 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Wirksamkeit und die Möglichkeiten sog. Gestützter Kommunikation („facilitated communication“)? Gestützte Kommunikation wird als eine mögliche Methode der Unterstützten Kommunikation im Lernbereich „Kommunikation und Sprache“ des Lehrplans für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (2003) aufgeführt und wie folgt beschrieben: „Facilitated Communication (FC) – Gestützte Kommunikation – ist eine Methode, die es kaum oder nicht sprechenden Menschen ermöglicht, gezielt auf Gegenstände, Bilder, Wörter oder auch Buchstaben zu zeigen. FC ist dann sinnvoll einsetzbar, wenn andere Methoden der Unterstützten Kommunikation unzulänglich sind. Eine zweite Person, die Stützerin bzw. der Stützer, hilft der Anwenderin bzw. dem Anwender, durch physische Stütze an der Hand, am Arm oder an der Schulter gezielt auf Gegenstände, Bilder, Symbole oder Schrift zu zeigen. Diese Stütze darf nicht mit Handführung verwechselt werden. Vielmehr üben Stützerinnen und Stützer einen individuell dosierten Gegendruck aus, der es den Anwenderinnen und Anwendern ermöglicht, ihre Bewegung nach vorne zu koordinieren. Von Anfang an muss am „Ausblenden“, d. h. der sukzessiven Rücknahme der Stütze in Richtung Körpermitte, gearbeitet werden. Neben der physischen Stütze geben die Stützerinnen und Stützer durch häufige Ermutigung, Bestätigung und vertrauensvolle Beziehung auch psychische Unterstützung .“ Stützer bzw. Stützerinnen können Lehrkräfte oder z.B. auch eine Schulbegleitung sein, sofern sie darin aus- bzw. fortgebildet sind. Sie ist im Hinblick auf die Frage der eigenständigen Leistung des Gestützten nicht unumstritten. In der Zusammenfassung der Studie von Prof. Bundschuh, Ludwig- Maximilians-Universität (LMU), im Auftrag des damaligen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen aus dem Jahr 2000 heißt es: „Auf der Basis der Ergebnisse internationaler Studien, der Resultate eigener Forschungsarbeiten und nicht zuletzt aufgrund von Beobachtungen in der Praxis kommen die Verfasser zu der Erkenntnis, dass Gestützte Kommunikation (FC) bei kompetenter Anwendung für einen Teil der Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen eine Möglichkeit der Kommunikationsförderung und -erweiterung , d. h. eine valide Kommunikationsmethode darstellt. Dabei wird eine Beeinflussung der FC-Anwender durch ihre jeweiligen Stützpersonen nicht generell ausgeschlossen. Eine gegenseitige Beeinflussung von Menschen im Kommunikationsprozess gehört zum Verständnis von Dialog, heilpädagogischer Beziehung und damit zur Kommunikation. Auf der Basis allgemeingültiger wissenschaftlicher Erkenntnisse ist Kommunikation nie etwas Statisches oder Isoliertes, sondern ein wechselseitiges, dynamisches Geschehen zwischen Menschen. Daher ist das Bemühen der Stützpersonen um positive Beeinflussung und Förderung der kommunikativen Prozesse im Hinblick auf technische und inhaltliche Eigenständigkeit der Gestützten von großer Bedeutung. Es geht nicht um die Beeinflussung von Inhalten und Mitteilungen, sondern um das Ingangsetzen und die Förderung eines prozesshaften Geschehens.“ (S. 180) Insgesamt zeigt sich, dass im Schulalltag die weiterentwickelten Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation – vor allem durch den Arbeitskreis ELECOK – immer besser greifen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 11.05.2017 17/15793 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15793 2. In welchem Ausmaß und Umfang wird der Einsatz Gestützter Kommunikation aktuell an den bayerischen Schulen eingesetzt? Zur Beantwortung der Fragen 2 und 3 erfolgte eine Abfrage bei den Regierungen, die wiederum Stellungnahmen von Schulen eingeholt haben. Nach den Rückmeldungen der Regierungen lässt sich zusammenfassend voranstellen, dass der Einsatz gestützter Kommunikation an den bayerischen Schulen über die Schularten hinweg sehr gering ist (Förderschulen, Grundund Mittelschulen) bzw. nicht stattfindet (Realschulen, Gymnasien, berufliche Schulen (Regelangebot)). Bei den wenigen Schülerinnen und Schülern, die gestützt kommunizieren , handelt es sich entweder um Kinder und Jugendliche , die an den Förderschulen nach dem Lehrplan geistige Entwicklung oder an den Regelschulen entsprechend lernzieldifferent unterrichtet werden. Die Abfrage bei den Regierungen brachte für die einzelnen Schularten folgendes Ergebnis: Förderschulen: Nach Rückmeldung der Regierungen sind an den Förderschulen überwiegend keine bzw. vereinzelte Fälle zum Einsatz gestützter Kommunikation bekannt. So melden die Regierungen von Niederbayern und Unterfranken Fehlanzeige, die Regierung der Oberpfalz einen Fall, die Regierung von Oberfranken sechs Fälle und die Regierung von Mittelfranken drei Fälle. Die Regierung von Oberbayern nennt eine allenfalls vereinzelte Anwendung. In allen Regierungsbezirken sind weitestgehend nur Förderzentren mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung betroffen. Nur in Oberfranken kommunizieren an einem Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung zwei Schüler mit gestützter Kommunikation. Beide werden ebenfalls nach dem Lehrplan geistige Entwicklung unterrichtet. Eine höhere Fallzahl meldet lediglich Schwaben (34 Kinder ). Die Regierung von Schwaben erklärt dazu, dass der Großteil dieser Schülerinnen und Schüler an einem Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung unterrichtet wird, das die Einführung der gestützten Kommunikation in der Vergangenheit stark verfolgt hatte. Grund- und Mittelschulen: An Grund- und Mittelschulen gibt es bei den Regierungen von Oberbayern, Niederbayern, der Oberpfalz, Mittelfranken und Unterfranken keine Kenntnis über Schülerinnen und Schüler, die gestützt kommunizieren. Dabei ist zu beachten, dass weder die Schulen noch die Schulämter den Einsatz gestützter Kommunikation melden müssen. Im Regierungsbezirk Oberfranken werden in den Regelschulen aktuell zwei Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung durch den entsprechenden Fach-MSD und den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD) geistige Entwicklung mit gestützter Kommunikation unterstützt. Für beide gilt Lernzieldifferenz . Darüber hinaus sind der Regierung von Schwaben je zwei Kinder in Grundschulen und Mittelschulen bekannt, bei denen diese Kommunikationsform zum Einsatz kommt. Auch bei diesen vier Schülerinnen und Schülern besteht sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Sie werden lernzieldifferent unterrichtet. Realschulen, Gymnasien, berufliche Schulen (Regelangebot ): An Realschulen und Gymnasien sowie an beruflichen Schulen (Regelangebot) sind dem Bayerischen Staatsministerium keine Fälle bekannt, in denen gestützte Kommunikation eingesetzt wird. Die Regierung von Oberbayern hat die Information einer Schule erhalten, dass die Zahl der Schüler, die in den vergangenen Jahren gestützt kommuniziert haben, stark abgenommen hat. Dafür sei die unterstützte Kommunikation in ihren verschiedenen Formen erheblich ausgebaut worden. Auch die Regierung von Unterfranken, die aktuell Fehlanzeige angibt, hält fest, dass vor einigen Jahren noch einige Schülerinnen und Schüler gestützt kommuniziert hätten. 3. Welche Voraussetzungen und Bedingungen müssen erfüllt sein, dass gestützte Kommunikation in Prüfungssituationen zugelassen wird? Bei der gestützten Kommunikation werden von der Schülerin bzw. vom Schüler i. d. R. einzelne Buchstaben unter Hilfe des Stützers oder der Stützerin gezeigt, die dann vom Stützer bzw. der Stützerin zu Worten zusammengefügt werden. Dies übersteigt i. d. R. die Möglichkeiten eines sinnvollen Zeitzuschlags. Ein Notenschutz ist für Fälle der gestützten Kommunikation in der Bayerischen Schulordnung nicht vorgesehen . Bayernweit sind keine Fälle bekannt, in denen gestützte Kommunikation in Prüfungssituationen zum Einsatz kommt. Wie sich aus der Antwort zu Frage 2 ergibt, erfolgt der Einsatz gestützter Kommunikation nur bei Kindern, die in Förderzentren nach dem Lehrplan geistige Entwicklung oder an Regelschulen lernzieldifferent unterrichtet werden und es daher zu keinem Einsatz von gestützter Kommunikation in Prüfungssituationen kommt.