Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 13.02.2017 Abschiebegefängnisse in Bayern Ich frage die Staatsregierung: 1.1 Wann wird die Abschiebehafteinrichtung in Eichstätt nach den derzeitigen Kenntnissen in Betrieb gehen und mit wie vielen Haftplätzen ist sie derzeit konzipiert ? 1.2 Wird die Abschiebehaft Mühldorf am Inn zeitgleich ihre Funktion als Abschiebehaftanlage verlieren? 2. In welchem Zeitraum und mit wie vielen Haftplätzen soll die Justizvollzugsanstalt (JVA) Erding als Abschiebehafteinrichtung genutzt werden? 3. Ist geplant, in den Aufnahme- und Rückführungseinrichtungen Haftplätze zu schaffen, wenn ja, wie viele und wo? 4. Wie viele Ausreisepflichtige, die nicht als Straffällige gelten beziehungsweise ihre Strafe verbüßt haben, befinden sich in den weiteren JVAs Bayerns beziehungsweise könnten dort untergebracht werden? 5.1 Bis wann soll in Passau (bitte bei Kenntnis auch den Ort angeben) das von Staatsminister der Justiz Prof. Dr. Winfried Bausback in die Diskussion gebrachte Abschiebegefängnis für Gefährder in Betrieb gehen? 5.2 Wie viele Plätze soll diese Einrichtung haben? 5.3 Inwieweit soll sich diese Einrichtung von Abschiebegefängnissen unterscheiden? 6. Wo und mit wie vielen Haftplätzen jeweils sollen die vom Bund in die Diskussion gebrachten neuen Ausreisezentren in Bayern entstehen? 7. Welche weiteren Einrichtungen mit wie vielen Haftplätzen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht gibt es derzeit in Bayern (bitte die jeweiligen Orte wie beispielsweise Flughäfen oder dergleichen angeben)? 8. Inwieweit erfüllen die unterschiedlichen vorhandenen oder geplanten Inhaftierungsmöglichkeiten von Ausreisepflichtigen – die entweder nicht straffällig geworden sind beziehungsweise die ihre Haftstrafe verbüßt haben – die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach Abschiebehäftlinge nicht in normalen Strafvollzugsanstalten untergebracht werden dürfen, sondern sich Abschiebehaft vom normalen Strafvollzug deutlich unterscheiden müsse (beispielsweise im Hinblick auf Zugang zu Kommunikation und Information ) und eine Inhaftierung allein wegen „Fluchtgefahr“ nicht mehr zulässig sei, sondern für die Begründung einer Fluchtgefahr klare „objektiv gesetzlich festgelegte Kriterien“ vorhanden sein müssen? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 10.03.2017 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1.1 Wann wird die Abschiebehafteinrichtung in Eichstätt nach den derzeitigen Kenntnissen in Betrieb gehen und mit wie vielen Haftplätzen ist sie derzeit konzipiert? Die Justizvollzugsanstalt Eichstätt soll den Vollzug der Abschiebungshaft im Laufe dieses Jahres, voraussichtlich ab Juni 2017, maßgeblich übernehmen. Für diese Aufgabe wird die Justizvollzugsanstalt Eichstätt derzeit noch umgebaut und technisch ertüchtigt. Die Justizvollzugsanstalt Eichstätt wird eine Belegungsfähigkeit von 96 Haftplätzen haben. 1.2 Wird die Abschiebehaft Mühldorf am Inn zeitgleich ihre Funktion als Abschiebehaftanlage verlieren? Ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Justizvollzugsanstalt Eichstätt als Einrichtung für Abschiebungshaft werden dann aufzunehmende Abschiebungsgefangene nach derzeitigen Planungen nicht mehr in Mühldorf am Inn, sondern in der Justizvollzugsanstalt Eichstätt untergebracht werden; bis dahin in der Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn inhaftierte Abschiebungsgefangene werden, sofern eine Abschiebung nicht ohnehin absehbar ist, Zug um Zug nach Eichstätt verlegt. 2. In welchem Zeitraum und mit wie vielen Haftplätzen soll die Justizvollzugsanstalt (JVA) Erding als Abschiebehafteinrichtung genutzt werden? Für den Fall, dass die Kapazitäten in der Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn nicht ausreichen sollten und die Justizvollzugsanstalt Eichstätt für den Vollzug der Abschiebungshaft noch nicht zur Verfügung steht, gibt es eine Art „Notfallplan“. Dieser sieht vor, dass die Justizvollzugsanstalt Erding kurzfristig (d. h. mit einem Vorlauf von ca. zwei Wochen) umgewidmet und nach derzeitigen Planungen vorübergehend, bis die Justizvollzugsanstalt Eichstätt zur Verfügung steht, mit ca. 20 Haftplätzen für den Vollzug der Abschiebungshaft genutzt werden könnte. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 11.05.2017 17/15940 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/15940 3. Ist geplant, in den Aufnahme- und Rückführungseinrichtungen Haftplätze zu schaffen, wenn ja, wie viele und wo? Nein. Die Aufnahme- und Rückführungseinrichtungen sind normale Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 47 des Asylgesetzes (AsylG) und enthalten keine Haftplätze. 4. Wie viele Ausreisepflichtige, die nicht als Straffällige gelten beziehungsweise ihre Strafe verbüßt haben , befinden sich in den weiteren JVAs Bayerns beziehungsweise könnten dort untergebracht werden ? Alle Gefangenen in Bayern, bei denen ausschließlich Abschiebungshaft vollzogen wird, befinden sich in der Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn – Einrichtung für Abschiebungshaft . 5.1 Bis wann soll in Passau (bitte bei Kenntnis auch den Ort angeben) das von Staatsminister der Justiz Prof. Dr. Winfried Bausback in die Diskussion gebrachte Abschiebegefängnis für Gefährder in Betrieb gehen? Ein „Abschiebungsgefängnis für Gefährder“ ist nicht geplant und wurde durch den Staatsminister der Justiz auch nicht „in die Diskussion“ gebracht. Hochgradige Gefährder und potenzielle Terroristen sind vielmehr vorzugswürdig in erster Linie in den Hochsicherheitsbereichen der regulären Justizvollzugsanstalten unterzubringen, wofür der Bund die erforderlichen Rechtsgrundlagen schaffen muss. Richtig ist dementsprechend, dass in Passau an der Königschaldinger Straße mittelfristig eine kombinierte Einrichtung zum Vollzug von Straf- und Abschiebungshaft errichtet werden soll. Nach derzeitigem Stand sind für den Gefängnisneubau in Passau ca. 450 Haftplätze geplant. 100 davon können – räumlich getrennt, aber auf dem Gelände der künftigen Anstalt – als Abschiebungshaftplätze, ohne besondere Zuständigkeit für „Gefährder“, genutzt werden. 5.2 Wie viele Plätze soll diese Einrichtung haben? Siehe Antwort zu Frage 5.1. 5.3 Inwieweit soll sich diese Einrichtung von Abschiebegefängnissen unterscheiden? Siehe Antwort zu Frage 5.1. 6. Wo und mit wie vielen Haftplätzen jeweils sollen die vom Bund in die Diskussion gebrachten neuen Ausreisezentren in Bayern entstehen? Der Bund hat die Ausreisezentren bislang nur vorgeschlagen , den Vorschlag allerdings noch nicht konkretisiert. Daher liegen zu dieser Frage noch keine verlässlichen Informationen vor. 7. Welche weiteren Einrichtungen mit wie vielen Haftplätzen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht gibt es derzeit in Bayern (bitte die jeweiligen Orte wie beispielsweise Flughäfen oder dergleichen angeben )? In Bayern besteht derzeit eine Abschiebehaftanstalt in der ehemaligen Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn mit regulär 82 Haftplätzen. Weitere Hafteinrichtungen im Sinne des § 62a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) existieren nicht. 8. Inwieweit erfüllen die unterschiedlichen vorhandenen oder geplanten Inhaftierungsmöglichkeiten von Ausreisepflichtigen – die entweder nicht straffällig geworden sind beziehungsweise die ihre Haftstrafe verbüßt haben – die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach Abschiebehäftlinge nicht in normalen Strafvollzugsanstalten untergebracht werden dürfen, sondern sich Abschiebehaft vom normalen Strafvollzug deutlich unterscheiden müsse (beispielsweise im Hinblick auf Zugang zu Kommunikation und Information) und eine Inhaftierung allein wegen „Fluchtgefahr“ nicht mehr zulässig sei, sondern für die Begründung einer Fluchtgefahr klare „objektiv gesetzlich festgelegte Kriterien“ vorhanden sein müssen? Die Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn – Einrichtung für Abschiebungshaft unterscheidet sich, ebenso wie die im Umbau befindliche Einrichtung in Eichstätt und die Planungen für die Einrichtung in Passau, zur Einhaltung der europarechtlichen Vorgaben in wesentlichen Aspekten von Haftanstalten für Straf- und Untersuchungsgefangene. So wird den Abschiebungsgefangenen innerhalb der Anstalt größtmögliche Bewegungsfreiheit eingeräumt. Ein Einschluss erfolgt derzeit nur noch zur Nachtzeit. Auch wurden die Zeiten für den Aufenthalt im Freibereich erweitert. Die Abschiebungsgefangenen werden in der Einrichtung engmaschig durch Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes , Mediziner, Psychologen, Sozialpädagogen, Vertreter von Flüchtlingshilfsdiensten und ehrenamtlich tätige Privatpersonen betreut. Auch wurden verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Unterbringungssituation ergriffen. So wurden – nachdem die Abschiebungsgefangenen nicht zur Arbeit verpflichtet sind – in der früheren Arbeitshalle ein zentraler Speiseraum eingerichtet und neue Sport- und Freizeitmöglichkeiten (Tischtennis, Kraftsport, Dart, Tischkicker) geschaffen. Der Fernsehempfang in den Hafträumen ist kostenlos möglich. Für die weiblichen Abschiebungsgefangenen ist ein gesonderter Aufenthaltsraum mit eigener Küche eingerichtet worden. Die Besuchsmöglichkeiten werden im Vergleich zum Strafvollzug großzügig gehandhabt. Auch wird den Gefangenen über einen Festnetzanschluss ein regelmäßiger Zugang zu einem Telefon ermöglicht, um (auch ins Ausland) telefonieren zu können. Der Bundesgesetzgeber hat im Übrigen der Rechtsprechung bereits Rechnung getragen und in § 2 Abs. 14 und 15 AufenthG objektive Kriterien für das Vorliegen von Fluchtgefahr geregelt. Für die Haft zur Sicherung des Überstellungsverfahrens nach Art. 28 der Dublin-III-Verordnung hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in zwei Entscheidungen (Beschluss vom 20.05.2016, Az. V ZB 24/16 und Beschluss vom 25.02.2016, Az. V ZB 157/15) obergerichtlich bestätigt, dass die in § 2 Abs. 14 und 15 AufenthG genannten Kriterien mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar sind.