Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 03.02.2017 Sammelabschiebung nach Afghanistan am 23.01.2017 Bezug nehmend auf die Sammelabschiebung mehrerer Bundesländer nach Afghanistan am 23.01.2016 frage ich die Staatsregierung: 1.1 Wie viele Flüchtlinge waren für die Sammelabschiebung am 23.01.2017 in Frankfurt am Main nach Afghanistan aus Bayern vorgesehen? 1.2 Nach welchen Kriterien wurden in Bayern die Flüchtlinge für die Sammelabschiebung am 23.01.2017 zusammengestellt ? 1.3 Welche Stellen wirkten an der Zusammenstellung der Abschiebelisten mit, welche Stelle war koordinierend tätig? 2.1 Wann wurden die Abschiebelisten für den 23.01.2017 fertiggestellt? 2.2 Wann wurde der Flug gebucht? 2.3 Wann erfolgte die Festlegung der konkret abzuschiebenden Personen durch die jeweilig beteiligten Bundesländer ? 3.1 Inwiefern wurden bei den am 23.01.2017 zur Abschiebung Vorgesehenen jeweils bisherige gute Integrationsleistungen , soziales Umfeld, familiäre Bindungen, Beruf, Ausbildungsbeginn und Arbeit, ehrenamtliche Tätigkeit und Vereinsarbeit bei der Entscheidung, die Flüchtlinge zur Sammelabschiebung vorzusehen, berücksichtigt ? 3.2 Bei wie vielen Personen, die am 23.01.2017 zur Abschiebung vorgesehen waren, lagen ärztliche Atteste und/oder Gutachten vor, die belegt haben, das eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation nach einer Abschiebung folgen kann, bzw. Atteste, die sich strikt gegen eine Abschiebung ausgesprochen haben (bitte die Fälle einzeln benennen, sowie die Gründe, warum jeweils die Abschiebungen trotzdem erfolgen sollten)? 3.3 Wie lange haben sich jeweils die Betroffenen, die am 23.01.2017 abgeschoben werden sollten, zuvor in Deutschland aufgehalten? 4.1 Wie viele der am 23.01.2017 zur Abschiebung Vorgesehenen hatten vorher an der Beschaffung ihrer Ausweispapiere mitgewirkt? 4.2 Wie viele der am 23.01.2017 aus Bayern zur Abschiebung Vorgesehenen waren in Deutschland oder Europa straffällig geworden, und um welche Delikte handelte es sich hierbei jeweils? 5.1 Aus welchen Gründen wurde in den Fällen, in denen bereits Petitionen eingereicht worden waren, jeweils die Entscheidung des Petitionsausschusses nicht abgewartet ? 5.2 Wie viele Fälle waren jeweils seit wann bei der Härtefallkommission zur Beratung vorgesehen bzw. zur Beratung beantragt? 6.1 Wer trägt die Verantwortung für die Sammelabschiebungen (bitte die Verantwortungskette und die Zuständigkeiten bei jedem einzelnen Schritt benennen)? 6.2 Wie hoch ist bei den am 23.01.2017 nach Afghanistan Abgeschobenen jeweils die Wiedereinreisesperre? 7.1 Wie viele Menschen in Bayern sind derzeit konkret davon bedroht, von einer der folgenden Sammelabschiebungen betroffen zu sein? 7.2 Wie viele Menschen davon sind schon über vier Jahre hier und gut integriert? 7.3 Sind auch Familien, alleinstehende oder alleinerziehende Frauen von der Abschiebung bedroht? 8.1 Wie erklärt sich die Staatsregierung die unterschiedliche Beurteilung der Sicherheitslage zwischen dem Bundesministerium des Innern und der UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) vom Dezember 2016, wonach laut UNHCR ganz Afghanistan von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15c der EU-Qualifikationsrichtlinie erfasst sei, man zwischen sicheren und unsicheren Regionen aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage in dem Bürgerkriegsland gar nicht unterscheiden könne, sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt im Laufe des Jahres 2016 in Afghanistan weiter ausgebreitet habe und durch eine Fragmentierung und Stärkung der aufständischen Kräfte gekennzeichnet sei? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 07.06.2017 17/16108 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/16108 Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 20.03.2017 1.1 Wie viele Flüchtlinge waren für die Sammelabschiebung am 23.01.2017 in Frankfurt am Main nach Afghanistan aus Bayern vorgesehen? Mit der in der Fragestellung verwendeten Bezeichnung „Flüchtlinge“ sind im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Anfrage wohl ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige gemeint. Ausländern, denen die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt wurde, ist gemäß § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Anerkannte Flüchtlinge sind nicht ausreisepflichtig und werden nicht abgeschoben . Durch bayerische Behörden wurden 38 vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige für diese Sammelabschiebung gemeldet. 1.2 Nach welchen Kriterien wurden in Bayern die Flüchtlinge für die Sammelabschiebung am 23.01.2017 zusammengestellt? Es wurden durch die jeweils zuständigen Ausländerbehörden nur im Bundesgebiet alleinstehende Männer und Straftäter zur Abschiebung vorgesehen, bei denen keine Abschiebungshindernisse vorlagen, die sich nicht in einer qualifizierten Berufsausbildung befanden, deren Ausreisefrist abgelaufen und die Abschiebungsandrohung vollziehbar war. 1.3 Welche Stellen wirkten an der Zusammenstellung der Abschiebelisten mit, welche Stelle war koordinierend tätig? Die Erstellung der Personenlisten erfolgte durch Bundesbehörden . Sofern die Zuständigkeit bayerischer Behörden gegeben war, erfolgte die Zuleitung der hierfür notwendigen Informationen durch die jeweils zuständige Ausländerbehörde. Die bayernweite Koordination übernahm die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern. 2.1 Wann wurden die Abschiebelisten für den 23.01.2017 fertiggestellt? Auf die Antwort zu Frage 1.3 wird verwiesen. Das Datum des Abschlusses der Personenlisten ist daher nicht bekannt. Änderungen des Sachverhaltes in Einzelfällen wurden, wie es bei allen Abschiebungsmaßnahmen Praxis ist, sofern notwendig und entscheidungserheblich, bis unmittelbar zum Abschiebungszeitpunkt durch die bayerischen Behörden an die zuständigen Bundesbehörden zugeleitet. 2.2 Wann wurde der Flug gebucht? Die Buchung des Fluges erfolgte nicht durch bayerische Behörden , sodass das Datum nicht bekannt ist. 2.3 Wann erfolgte die Festlegung der konkret abzuschiebenden Personen durch die jeweilig beteiligten Bundesländer? Auf die Antwort zu Frage 1.3 wird verwiesen. Die Zusammenstellung der ausreisepflichtigen Personen durch die zuständigen Ausländerbehörden wird unabhängig von konkreten Abschiebungsterminen ständig fortgeschrieben, um in jedem Einzelfall auf Entwicklungen des Sachverhalts reagieren zu können. 3.1 Inwiefern wurden bei den am 23.01.2017 zur Abschiebung Vorgesehenen jeweils bisherige gute Integrationsleistungen, soziales Umfeld, familiäre Bindungen, Beruf, Ausbildungsbeginn und Arbeit, ehrenamtliche Tätigkeit und Vereinsarbeit bei der Entscheidung, die Flüchtlinge zur Sammelabschiebung vorzusehen, berücksichtigt? Auf die Antwort zu Frage 1.2 wird verwiesen. Im Übrigen haben die genannten Kriterien für die Aufenthaltsbeendigung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer nach den Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes keine Referenz. 3.2 Bei wie vielen Personen, die am 23.01.2017 zur Abschiebung vorgesehen waren, lagen ärztliche Atteste und/oder Gutachten vor, die belegt haben, das eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation nach einer Abschiebung folgen kann, bzw. Atteste, die sich strikt gegen eine Abschiebung ausgesprochen haben (bitte die Fälle einzeln benennen, sowie die Gründe, warum jeweils die Abschiebungen trotzdem erfolgen sollten)? Angaben zu Einzelfällen sind aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Die Entscheidung über die Asylgewährung sowie die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen liegt nicht bei bayerischen Behörden , sondern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge . Die Prüfung von Abschiebungshindernissen wegen vorgetragener mangelnder oder qualitativ minderer ärztlicher Versorgung im Heimatland fällt daher nicht in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörden. Das Bundesamt stellt in seiner Entscheidung über die Schutzgewährung ausdrücklich fest, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz – AsylG). An diese Entscheidung sind die bayerischen Ausländerbehörden gebunden (§ 42 Satz 1 AsylG). Bei Sammelabschiebungen sind sowohl am Flughafen als auch während des Fluges eigens für diese Maßnahmen eingesetzte Ärzte und Sanitäter anwesend, die neben einer medizinischen Betreuung der Rückführungsmaßnahmen auch noch kurz vor dem Start eine überraschend auftretende Reiseunfähigkeit feststellen können. Bereits im Vorfeld der Ingewahrsamnahme und der Abschiebung werden durch die Ausländerbehörden bei Erkrankungen oder sonstigen Besonderheiten je nach Notwendigkeit im Einzelfall geeignete Maßnahmen getroffen, um zum Beispiel einer Suizidgefahr wirksam zu begegnen. Die Ausländerbehörden prüfen in jedem Stadium des ausländerbehördlichen Vollzugs von Amts wegen unter Zugrundelegung der bekannten ausländerrechtlichen Unterlagen sowie der fristgerecht vorgelegten qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen, ob die Abschiebung der Person durchgeführt werden kann und ob sie tatsächlich auch reisefähig ist. Die abzuschiebenden Personen haben zu jeder Zeit vor und auch während des Fluges Gelegenheit, sich an einen der begleitenden Ärzte zu wenden und dabei auch die Hilfe von mitreisenden Dolmetschern in Anspruch zu nehmen. Drucksache 17/16108 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 3.3 Wie lange haben sich jeweils die Betroffenen, die am 23.01.2017 abgeschoben werden sollten, zuvor in Deutschland aufgehalten? Bei den zur Abschiebung vorgesehenen Personen liegt das Datum der Ersteinreise zwischen September 2002 und August 2016. 4.1 Wie viele der am 23.01.2017 zur Abschiebung Vorgesehenen hatten vorher an der Beschaffung ihrer Ausweispapiere mitgewirkt? Die nachgefragten Daten werden statistisch nicht erfasst und können mit vertretbarem Aufwand in der für die Beantwortung der Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit auch nicht ermittelt werden. 4.2 Wie viele der am 23.01.2017 aus Bayern zur Abschiebung Vorgesehenen waren in Deutschland oder Europa straffällig geworden, und um welche Delikte handelte es sich hierbei jeweils? Die nachgefragten Daten werden statistisch nicht erfasst und können mit vertretbarem Aufwand in der für die Beantwortung der Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit auch nicht ermittelt werden. 5.1 Aus welchen Gründen wurde in den Fällen, in denen bereits Petitionen eingereicht worden waren, jeweils die Entscheidung des Petitionsausschusses nicht abgewartet? Hinsichtlich der Sammelabschiebung am 23.01.2017 ist kein Fall bekannt, in welchem zum Zeitpunkt der Abschiebung eine Eingabe zum Bayerischen Landtag anhängig war. 5.2 Wie viele Fälle waren jeweils seit wann bei der Härtefallkommission zur Beratung vorgesehen bzw. zur Beratung beantragt? Unter den tatsächlich abgeschobenen Personen befand sich kein Ausländer, mit dessen Angelegenheit die Härtefallkommission befasst war. 6.1 Wer trägt die Verantwortung für die Sammelabschiebungen (bitte die Verantwortungskette und die Zuständigkeiten bei jedem einzelnen Schritt benennen)? Hinsichtlich der ausländerrechtlichen Bearbeitung wird auf die Antwort zu Frage 1.3 verwiesen. Die tatsächliche Durchführung der Abschiebung obliegt gemäß Art. 30 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) der Polizei; Zuständigkeiten der Bundespolizei ergeben sich aus § 71 Abs. 3 AufenthG. 6.2 Wie hoch ist bei den am 23.01.2017 nach Afghanistan Abgeschobenen jeweils die Wiedereinreisesperre ? Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG entscheidet die zuständige Behörde unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens über die Länge der Frist. 7.1 Wie viele Menschen in Bayern sind derzeit konkret davon bedroht, von einer der folgenden Sammelabschiebungen betroffen zu sein? Die Staatsregierung führt Sammelabschiebungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer bereits seit Februar 2015 in nahezu wöchentlichem Rhythmus durch, wobei Zielländer und zeitliche Abfolge bedarfsgerecht ermittelt werden. Sie beteiligt sich zudem auch an Sammelabschiebungsmaßnahmen anderer Bundesländer, an entsprechenden Maßnahmen des Bundes oder an FRONTEX-Maßnahmen. Bei allen Ausländern, deren Ausreisepflicht vollziehbar ist und die nicht innerhalb der ihnen gesetzten Ausreisefrist freiwillig aus Deutschland ausgereist sind, denen eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder bei denen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich ist, sind die Ausländerbehörden gesetzlich verpflichtet, sie abzuschieben (§ 58 Abs. 1 AufenthG). Alle diese ausländischen Staatsangehörigen kommen daher grundsätzlich auch für zukünftige Sammelabschiebungen in Betracht. Eine Bezifferung ist nicht möglich. 7.2 Wie viele Menschen davon sind schon über vier Jahre hier und gut integriert? Die nachgefragten Daten werden statistisch nicht erfasst und können mit vertretbarem Aufwand auch nicht ermittelt werden. 7.3 Sind auch Familien, alleinstehende oder alleinerziehende Frauen von der Abschiebung bedroht? Grundsätzlich sind auch Familien, alleinstehende oder alleinerziehende Frauen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, nach den gesetzlichen Vorgaben abzuschieben und werden auch abgeschoben. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7.1 verwiesen. 8.1 Wie erklärt sich die Staatsregierung die unterschiedliche Beurteilung der Sicherheitslage zwischen dem Bundesministerium des Innern und der UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) vom Dezember 2016, wonach laut UNH- CR ganz Afghanistan von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15c der EU- Qualifikationsrichtlinie erfasst sei, man zwischen sicheren und unsicheren Regionen aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage in dem Bürgerkriegsland gar nicht unterscheiden könne, sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt im Laufe des Jahres 2016 in Afghanistan weiter ausgebreitet habe und durch eine Fragmentierung und Stärkung der aufständischen Kräfte gekennzeichnet sei? Die Entscheidung über die Asylgewährung sowie die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen liegt nicht bei bayerischen Behörden, sondern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. An diese Entscheidung sind die bayerischen Ausländerbehörden gebunden (§ 42 Satz 1 AsylG). Im Übrigen wird auf die Zuständigkeit des Bundes für die auswärtigen Angelegenheiten verwiesen.