Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 05.02.2014 Arbeitshilfen der Landeszentrale zu „Mein Kampf“ In der Antwort auf die Anfrage zum Plenum des Abgeordneten Sepp Dürr vom 27. Januar 2014 Drs. 17/516 zur vorgesehenen Publikation zu „Mein Kampf“ für den schulischen Unterricht durch die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit teilte die Staatsregierung mit, dass die Arbeit an ihr nach Entwicklung eines „Grobkonzepts“ im Frühjahr 2013 zurückgestellt wurde. Kurz zuvor, am 21. Februar 2013, hatte der Landtag fraktionsübergreifend beschlossen, „eine didaktische Handreichung . . . zum Gebrauch in der politischen Bildung“ zu erstellen. Der Publikationsstopp überrascht umso mehr, als das Kultusministerium selbst die Notwendigkeit von Arbeitshilfen zu „Mein Kampf“ für die politische Bildungsarbeit betont hat. Im Zwischenbericht des Kultusministeriums vom 5. November 2012 zum Beschluss des Landtags „Konzept zum Umgang mit NS-Druckerzeugnissen“ (Drs. 16/10213) wird wegen „der Ende 2015/Anfang 2016 sicher besonders starken öffentlichen Aufmerksamkeit“ hervorgehoben, dass ‚mit angemessen aufbereiteten Materialien‘ … Schüler entsprechend dem Lehrplan oder auch Jugendliche und Erwachsene im Rahmen der einschlägigen Bildungsarbeit sich … mit Hitlers ideologischen Anschauungen auseinandersetzen können, wie sie namentlich in Hitlers ‚Mein Kampf‘ dokumentiert sind“. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wann genau im Jahr 2012 und von wem wurde der Mitarbeiter der Landeszentrale mit der Entwicklung des Grobkonzepts der Arbeitshilfe zu „Mein Kampf“ beauftragt? a) Wann im Jahr 2013 und von wem wurde die Arbeit zurückgestellt ? b) Wurde die Mitarbeiterstelle für die Publikation neu eingerichtet bzw. der Vertrag mit dem Mitarbeiter eigens für diesen Zweck befristet verlängert? 2. Wurde der Mitarbeiter für seine Arbeit an den Materialien zu „Mein Kampf‘“ für die politische Bildungsarbeit ganz oder teilweise von seinen regulären Aufgaben freigestellt? a) Wenn ja, in welchem Umfang (mit Angabe der zweckgebundenen wöchentlichen Arbeitsstunden)? 3. Inwieweit war das Publikationsreferat in die Entwicklung des Grobkonzepts eingebunden? a) Wurde die Arbeit am Grobkonzept von den Mitarbeitenden des Publikationsreferats ebenfalls im Rahmen der „normalen Arbeitszeit“ geleistet? 4. Was genau stand im Grobkonzept? a) Bis wann hätte die Arbeitshilfe nach den ursprüngli- chen Plänen fertiggestellt sein sollen? b) War geplant, dass der damit befasste Mitarbeiter sie allein erstellt? c) Hatte die Landeszentrale vorgesehen, zur Umsetzung des Grobkonzepts weitere Mitarbeitende fest oder befristet einzustellen? 5. Wurde das vom damaligen Direktor der Landeszentrale Dr. Peter März in der Diskussion des Hochschulausschusses am 11. März 2009 zum Antrag der Grünen „Nachdrucke von NS-Propaganda (Drs. 16/330) angekündigte Projekt, „wie eine historisch kundige und didaktisch sensible Aufarbeitung von massen- und öffentlichkeitswirksamen Quellen gestaltet sein könne“, realisiert? a) Wurde die von Dr. Peter März in der Diskussion für „2010 oder 2011“ erwogene „umfangreiche Untersuchung , bei der nicht nur akademisch abstrakt, sondern mit sehr konkreten Fallbeispielen gearbeitet werde“, umgesetzt? b) Wenn ja, was waren jeweils die Ergebnisse? 6. Wer hat wann genau und auf Basis welchen Diskussions - und Entscheidungsprozesses entschieden, die Arbeit an der Arbeitshilfe für den schulischen Unterricht kurz nach dem einstimmigen Beschluss des Landtags (Drs. 16/15763), „eine didaktische Handreichung mit exemplarischen Texten und leicht verständlichen Kommentierungen, zum Gebrauch in der politischen Bildung zu erarbeiten“, zurückzustellen? a) Warum wurde der Landtag über die Zurückstellung nicht informiert? b) Wer hat wann und auf Basis welchen Diskussions- und Entscheidungsprozesses die im Dezember letzten Jahres bekannt gegebene Entscheidung der Staatsregierung getroffen, dem Projekt des IfZ die Unterstützung zu entziehen, nicht als Herausgeber zu fungieren und Veröffentlichungen von Hitlers Hetzschrift strafrechtlich verfolgen zu lassen? 7. Gibt es im Kultusministerium Pläne, wie im Unterricht mit den NS-Schriften umgegangen werden wird, sollte das Verbot über 2015 hinaus gerichtlich nicht haltbar sein? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 23.05.2014 17/1676 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/1676 Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 07.04.2014 1. Wann genau im Jahr 2012 und von wem wurde der Mitarbeiter der Landeszentrale mit der Entwicklung des Grobkonzepts der Arbeitshilfe zu „Mein Kampf“ beauftragt? Das Vorhaben, eine Arbeitshilfe zu „Mein Kampf“ zu erstellen , wurde in der ersten Hälfte des Jahres 2012 im Rahmen normaler Arbeitsbesprechungen des Publikations- wie Veranstaltungsreferats der Landeszentrale (LZ1/LZ4) entwickelt und von der Leitung der Landeszentrale gebilligt (LZ); ein konkretes Datum ist nicht mehr bestimmbar. a) Wann im Jahr 2013 und vom wem wurde die Arbeit zurückgestellt? Die Arbeit an der Arbeitshilfe wurde auf meine Entscheidung hin im Januar 2014 zurückgestellt. b) Wurde die Mitarbeiterstelle für die Publikation neu eingerichtet bzw. der Vertrag mit dem Mitarbeiter eigens für diesen Zweck befristet verlängert? Für die geplante Publikation wurde keine Mitarbeiterstelle neu eingerichtet und auch kein Vertrag mit einem Mitarbeiter eigens befristet verlängert. 2. Wurde der Mitarbeiter für seine Arbeit an den Materialien zu „Mein Kampf“ für die politische Bildungsarbeit ganz oder teilweise von seinen regulären Aufgaben freigestellt? a) Wenn ja, in welchem Umfang (mit Angabe der zweckgebundenen wöchentlichen Arbeitsstunden)? Die Arbeit an den Materialien zu „Mein Kampf“ war eine Aufgabe der Landeszentrale im Rahmen ihrer zahlreichen und vielfältigen Aufgaben im Bereich des historisch-politischen Lernens, sodass dafür keine Freistellung von „regulären Aufgaben“ erfolgen musste. 3. Inwieweit war das Publikationsreferat in die Entwicklung des Grobkonzepts eingebunden? a) Wurde die Arbeit am Grobkonzept von den Mitarbeitenden des Publikationsreferats ebenfalls im Rahmen der „normalen Arbeitszeit“ geleistet? Das Publikationsreferat der Landeszentrale (LZ 1) war in Form eines intensiven inhaltlichen Austausches dauerhaft an der Entwicklung des Grobkonzepts beteiligt. Diese inhaltliche Einbindung fand im Rahmen der normalen Arbeitszeit statt. 4. Was genau stand im Grobkonzept? Das Grobkonzept enthielt folgende thematische Aspekte: – eine Darstellung der Genese der Schrift „Mein Kampf“ im Kontext mit vergleichbaren Beispielen des NS-Schrifttums (etwa: Rosenberg, Mythus des 20. Jahrhunderts) und einer Gesamtschau der Eher-Schriften; – exemplarische Textstellenanalyse mit Vorschlägen von Anwendungsmöglichkeiten im Unterricht; – generationelle Perspektiven und Umgangsweisen; – Vorschläge zur Auseinandersetzung mit „Mein Kampf“ in der schulischen und außerschulischen Bildung. a) Bis wann hätte die Arbeitshilfe nach den ursprünglichen Plänen fertiggestellt sein sollen? Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, die Arbeitshilfe in zeitlicher Nähe zur Publikation der historisch-kritischen Ausgabe von „Mein Kampf“ (durch das Institut für Zeitgeschichte) fertigzustellen, frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2015. b) War geplant, dass der damit befasste Mitarbeiter sie allein erstellt? Es wurde erwogen, für spezielle Teilkapitel der Arbeitshilfe über Honorarverträge Autoren zu verpflichten. c) Hatte die Landeszentrale vorgesehen, zur Umsetzung des Grobkonzepts weitere Mitarbeitende fest oder befristet einzustellen? Eine Einstellung weiterer Mitarbeiter, sei es fest oder befristet , zur Umsetzung des Grobkonzepts war zu keinem Zeitpunkt vorgesehen. 5. Wurde das vom damaligen Direktor der Landeszentrale Dr. Peter März in der Diskussion des Hochschulausschusses am 11. März 2009 zum Antrag der Grünen „Nachdrucke von NS-Propaganda“ (Drs. 16/330) angekündigte Projekt, „wie eine historisch kundige und didaktisch sensible Aufarbeitung von massen- und öffentlichkeitswirksamen Quellen gestaltet sein könne“, realisiert? a) Wurde die von Dr. Peter März in der Diskussion für „2010 oder 2011“ erwogene „umfangreiche Untersuchung , bei der nicht nur akademisch abstrakt, sondern mit sehr konkreten Fallbeispielen gearbeitet werde“, umgesetzt? b) Wenn ja, was waren jeweils die Ergebnisse? Das genannte Projekt wurde in Form eines Themenheftes der LZ-Zeitschrift „Einsichten und Perspektiven“ (1/2010) realisiert. Ausgehend von einem schulischen Feldversuch mit Original-Zeitungen wurde darin die Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs mit solchem Material paradigmatisch vorgeführt. Die Ergebnisse dieser Studie sind in dem weiterhin bei der LZ erhältlichen Themenheft (auch online unter: http://www.blz.bayern.de/blz/eup/01_10_themenheft/EPT- 1.10.pdf) verfügbar. 6. Wer hat wann genau und auf Basis welchen Diskussions - und Entscheidungsprozesses entschieden , die Arbeit an der Arbeitshilfe für den schulischen Unterricht kurz nach dem einstimmigen Beschluss des Landtags (Drs. 16/15763), „eine didaktische Handreichung mit exemplarischen Texten und leicht verständlichen Kommentierungen, zum Gebrauch in der politischen Bildung, zu erarbeiten “, zurückzustellen? a) Warum wurde der Landtag über die Zurückstellung nicht informiert? Die Arbeit an der Arbeitshilfe wurde auf meine Entscheidung hin im Januar 2014 aufgrund ihres Zusammenhangs mit der vorgreiflichen Entscheidung über die staatliche Edition einer kommentierten „Mein-Kampf“-Ausgabe zurückgestellt. Eine formale Information des Landtags war nicht geboten, da das Projekt nicht beendet, sondern nur zurückgestellt wurde. Drucksache 17/1676 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 b) Wer hat wann und auf Basis welchen Diskussions- und Entscheidungsprozesses die im Dezember letzten Jahres bekannt gegebene Entscheidung der Staatsregierung getroffen, dem Projekt des IfZ die Unterstützung zu entziehen, nicht als Herausgeber zu fungieren und Veröffentlichungen von Hitlers Hetzschrift strafrechtlich verfolgen zu lassen? Der Freistaat Bayern hat als Rechtsnachfolger des Verlages, der die Veröffentlichungsrechte von „Mein Kampf“ gehalten hatte, über viele Jahrzehnte auf der Grundlage eines weitgehenden nationalen Konsenses das Urheberrecht genutzt, um eine mediale Verbreitung des Originaltextes zu unterbinden . Wenn das Urheberrecht als wirksame Schutzmaßnahme vor der Verbreitung dieser Schandschrift ausläuft, ist als Folge des Legalitätsprinzips auf die Mittel des Strafrechts, insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung zurückzugreifen ; hier ist in der Sache an sich (Verhinderung von Nachdrucken) zu keiner Zeit ein Wandel in der Haltung der Staatsregierung eingetreten. Mit Blick auf die Zukunft ist zunächst im Auftrag der Staatsregierung die Arbeit an einer historisch-kritischen Ausgabe von „Mein Kampf“ begonnen worden. Die Staatsregierung hat ihre Meinung hinsichtlich der Wahrnehmung des Handelns der Exekutive im In- und Ausland geändert. Entscheidend haben hierauf die auf einer Reise von Herrn Ministerpräsidenten Seehofer nach Israel gewonnenen Eindrücke Einfluss genommen. Die Wahrnehmung etwa in der Israelitischen Kultusgemeinde in Deutschland und in Bayern hat sich verändert. Es wurden vor Ort eine Reihe von Gesprächen mit Opfern oder deren Angehörigen geführt, die die Staatsregierung zu der Erkenntnis brachten, dass eine wissenschaftlich-kritisch begleitete Publikation, die in staatlichem Auftrag entstehe, von dieser Seite falsch aufgefasst werden könnte. Die Staatsregierung erachtet die dargestellte Haltung als begründet, nachvollziehbar und zwingend und hat in einer intensiven Diskussion im Ministerrat am 10. Dezember 2013 zu dieser einvernehmlichen Haltung gefunden . Gleichwohl kann das Institut für Zeitgeschichte voll von seiner grundgesetzlich verbrieften Wissenschaftsfreiheit Gebrauch machen. Geschichtspolitisch erscheint es der Staatsregierung aber richtig, dass sie ihre Haltung bezüglich eines staatlichen Auftrages, Hitlers „Mein Kampf“ historischkritisch zu edieren, revidiert hat. In der Sitzung des Hochschulausschusses am 22.01.2014 wurde dem Landtag durch Staatsminister Dr. Spaenle ein intensiver Dialog zu diesem Thema angeboten. Herr Staatsminister möchte demnächst Vertreter des Landtags, des IfZ, der LZ und der beteiligten Ressorts zu einem „Runden Tisch“ einladen. Die Terminabstimmung läuft derzeit. 7. Gibt es im Kultusministerium Pläne, wie im Unter- richt mit den NS-Schriften umgegangen werden wird, sollte das Verbot über 2015 hinaus gerichtlich nicht haltbar sein? Der Umgang mit NS-Schriften im Unterricht, auch mit Auszügen aus „Mein Kampf“, ist keineswegs verboten; sowohl in Schulbüchern als auch in anderen Unterrichtsmaterialien stehen solche zur Verfügung und können von Lehrkräften in eigener pädagogischer Verantwortung genutzt werden. Für die unterrichtliche Befassung mit „Mein Kampf“ ist es von erheblicher Bedeutung, in welcher Weise, in welchem Umfang und in welcher Aufbereitung der Text dann über die vor allem den wissenschaftlichen Bibliotheken zugängliche Ausgabe des IfZ hinaus in der Öffentlichkeit präsent sein wird.