Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Peter Paul Gantzer SPD vom 30.03.2017 Rockerbanden in Bayern Mit der von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden eingeführten Bezeichnung „Outlaw Motorcycle Gang“ (OMCG) werden weltweit die polizeilich bedeutsamen Rockergruppierungen von der breiten Masse der Motorradclubs (MCs) abgegrenzt, die zwar im Einzelfall auch kriminelle Aktivitäten verfolgen können, diese aber nicht als Hauptmotivation ihrer Existenz verstehen. Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche aktuellen Erkenntnisse liegen der Staatsregierung über Struktur, Netzwerke und Mitgliederentwicklung der verschiedenen Rockergruppierungen in Bayern vor (bitte einzeln nach Gruppen aufschlüsseln)? 2. Nachdem mit Bekanntmachung vom 19.01.2015 in Deutschland durch den Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, der Verein „Satudarah Maluku MC“ einschließlich seiner Teilorganisationen verboten wurde, da der Zweck und die Tätigkeit der Gruppierungen den Strafgesetzen zuwiderlaufen, frage ich die Staatsregierung, welche Auswirkungen hat das bundesweite Verbot des niederländischen „Satudarah Maluku MC“ einschließlich seiner Teilorganisationen auf das Milieu der Rockerbanden in Bayern? 3. a) In welcher Form erfolgt ein bundesweiter und länderübergreifender Daten- und Informationsaustausch über die Aktivitäten der Outlaw Motorcycle Gangs? b) Welche Erkenntnisse ergeben sich für die Entwicklungen in Bayern daraus? 4. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Straftaten der Outlaw Motorcycle Gangs in Bayern im Zusammenhang mit Drogen, Menschenhandel, Waffenhandel oder Verstoß gegen Waffenbesitz und Geldwäsche? 5. Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über die Rekrutierung neuer Mitglieder der Rockergruppen in Bayern und lassen sich daraus Verbindungen zu anderen kriminellen Gruppierungen (z. B. rechte Szene) ableiten? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 06.05.2017 Vorbemerkung Die Beobachtung und Bekämpfung der Rockerkriminalität ist ein Schwerpunkt bei der Bekämpfung Organisierter Kriminalität , sowohl in Bayern als auch im Bundesgebiet. Deshalb wird dieser Bereich insbesondere von den Dienststellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität wahrgenommen, ist aber zugleich eine gesamtpolizeiliche Aufgabe. Parallel dazu ist das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabe zur Beobachtung der Organisierten Kriminalität ebenfalls mit diesem Phänomenbereich befasst. Die nachfolgenden Antworten beruhen deshalb auf Erkenntnissen der Bayerischen Polizei und des BayLfV. Soweit Zahlenangaben gemacht werden, beruhen diese auf der aktuellen Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden. Da sich die Gruppierungen jedoch immer stärker sowohl bei ihrer öffentlichen Darstellung im Internet als auch gegenüber den staatlichen Behörden abschotten und die Szene zudem nicht statisch, sondern von Auflösungen, Neugründungen, Umbenennungen, Mitgliederwechseln, Ein- oder Austritten geprägt ist, können die Angaben nur eine ungefähre Größenordnung darstellen. 1. Welche aktuellen Erkenntnisse liegen der Staatsregierung über Struktur, Netzwerke und Mitgliederentwicklung der verschiedenen Rockergruppierungen in Bayern vor (bitte einzeln nach Gruppen aufschlüsseln)? Nach Mitteilung des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) sind die großen, international agierenden und als polizeilich relevant eingestuften Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG), auch 1-Prozent-Gruppierungen genannt (Hells Angels MC, Bandidos MC, Gremium MC, Outlaws MC sowie Trust MC), in Bayern derzeit mit insgesamt ca. 65 Ortsgruppen (sog. Chapter, beim Hells Angels MC Charter genannt) vertreten, denen einschließlich des Umfeldes (Prospects, Hangarounds) insgesamt ca. 950 Personen angehören. Diesen Gruppierungen sind außerdem 34 aktive Supporterclubs mit ca. 270 Personen zuzurechnen. Die regionale Verteilung dieser Chapter erstreckt sich über alle Regierungsbezirke hinweg. In Bezug auf die Anzahl registrierter Chapter inklusive der Niederlassungen von Supporterclubs ist der Bandidos MC mit 22 Chaptern die in Bayern am stärksten vertretene internationale Rockergruppierung. Jedoch ist der Trust MC – als überwiegend bayerische 1-Prozent-Gruppierung – mit rund 250 Angehörigen die mitgliederstärkste Outlaw Motorcycle Gang in Bayern. Während im zweiten Halbjahr 2016 ein Zuwachs der Mitglieder bei Hells Angels MC und Outlaws MC erkennbar war, konnte beim Gremium MC der höchste Mitgliederver- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 14.07.2017 17/16788 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/16788 lust festgestellt werden. Jedoch belaufen sich die absoluten Zahlen dieser Schwankungen in solch geringen Größenordnungen , dass derzeit weder von Expansions- noch von Auflösungstendenzen gesprochen werden kann. Über die letzten zwei Jahre betrachtet, haben die OMCG in Bayern zum Teil einen Mitgliederrückgang von bis zu 10 Prozent zu verzeichnen, der aber weitgehend durch eine Zunahme bei den Supporterclubs ausgeglichen wurde. Die Rockergruppierungen in Bayern sind nach den international bei den jeweiligen Gruppierungen üblichen Strukturen aufgebaut. Neben einer Führungsebene, die meist Präsident, Vizepräsident, Schriftführer/Schatzmeister (oft in Personalunion), „Road Captain“ (verantwortlich für Ausfahrten ) und „Sergeant at Arms“ (verantwortlich für Sicherheit und Ordnung im Club) umfasst, gibt es die Mitgliederebene sowie den Bereich der sog. „Prospects“ (Anwärter) und der „Hangarounds“ (Personen im Umfeld, die evtl. eine spätere Mitgliedschaft anstreben). Die jeweiligen Gruppierungen sind untereinander eng auf lokaler, überörtlicher und internationaler Ebene vernetzt. Zu diesem Netzwerk sind auch die jeweiligen Supportergruppierungen zu rechnen. Für den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes wird zudem auf die umfassende Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht Bayern verwiesen. 2. Nachdem mit Bekanntmachung vom 19.01.2015 in Deutschland durch den Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, der Verein „Satudarah Maluku MC“ einschließlich seiner Teilorganisationen verboten wurde, da der Zweck und die Tätigkeit der Gruppierungen den Strafgesetzen zuwiderlaufen, frage ich die Staatsregierung, welche Auswirkungen hat das bundesweite Verbot des niederländischen „Satudarah Maluku MC“ einschließlich seiner Teilorganisationen auf das Milieu der Rockerbanden in Bayern? Über das bundesweite Verbot des Satudarah Maluku MC und der daraus resultierenden Auflösung auch des Chapters „Borderland“ in Bayern sind Polizei und BayLfV keinerlei Auswirkungen auf das Rockermilieu in Bayern bekannt geworden. Die Gruppierung war in Bayern lediglich mit fünf Personen vertreten und hatte bereits vor dem Verbot keinen nennenswerten Einfluss auf die bayerische Rockerlandschaft. 3. a) In welcher Form erfolgt ein bundesweiter und länderübergreifender Daten- und Informationsaustausch über die Aktivitäten der Outlaw Motorcycle Gangs? Es besteht eine deutschlandweite IT-Plattform zur Abbildung von strukturierten Erkenntnissen aus dem Bereich der Rockerkriminalität, die somit bundesweit allen Berechtigten zur Verfügung stehen. Für sonstige Informationen kann ein Bereich im Extrapol-Angebot des Bundeskriminalamtes als Austauschmedium genutzt werden, für die die entsprechenden Sachbearbeiter berechtigt sind. Die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt sind im Bereich der Bekämpfung der Rockerkriminalität durch ein Netzwerk der Rocker-Sachbearbeiter sehr eng untereinander verbunden. In diesem findet ein regelmäßiger und intensiver Informationsaustausch statt, sowohl im Rahmen des polizeilichen Schriftverkehrs als auch bei regelmäßigen sowie anlassbezogenen Besprechungen. In dieses Netzwerk sind auch ausländische Dienststellen sowie Europol eingebunden. Rockerkriminalität ist ein Beobachtungsschwerpunkt beim BayLfV bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK). Das Beobachtungsgebiet „OK“ ist derzeit kein bundesweites Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden . Neben dem BayLfV bearbeiten nur noch die Landesämter Hessen und Saarland den Phänomenbereich OK. Das BayLfV arbeitet allerdings eng mit den OK-Dienststellen der Polizei zusammen und kooperiert aufgrund international vernetzter OK-Strukturen mit Sicherheitsbehörden über Landes- und Staatsgrenzen hinweg. Innerhalb einer Arbeitsgruppe der europäischen Inlandsnachrichtendienste hat Bayern die Koordinierungsfunktion für Deutschland und ist zentraler Ansprechpartner für ausländische Nachrichtendienste . Auf dieser Ebene können auch Informationen im Bereich der Rockerkriminalität ausgetauscht werden. b) Welche Erkenntnisse ergeben sich für die Entwicklungen in Bayern daraus? Die Erkenntnisse fließen in die Beurteilung der Gesamtlage ein, zumal Rockergruppierungen als überregional bzw. international vernetzt zu sehen sind. Dabei ist festzustellen, dass es erhebliche regionale Unterschiede gibt. Obwohl Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern kaum von gewalttätigen Auseinandersetzungen der Gruppierungen betroffen ist, können sich bayerische Ortsgruppen allgemeinen Trends sowie Unterstützungsersuchen anderer Chapter nicht völlig entziehen. Erkenntnisse aus anderen Ländern haben deshalb einen Frühwarncharakter, der in Bayern in verstärkte Aufmerksamkeit und anlassbezogen in lageangepasste präventivpolizeiliche oder strafprozessuale Maßnahmen umgesetzt wird. 4. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Straftaten der Outlaw Motorcycle Gangs in Bayern im Zusammenhang mit Drogen, Menschenhandel , Waffenhandel oder Verstoß gegen Waffenbesitz und Geldwäsche? Gegen Mitglieder von Rockergruppierungen werden nach Auskunft des BLKA insbesondere Ermittlungen wegen Verstößen nach dem Betäubungsmittelgesetz, dem Waffengesetz (insbes. Führen von verbotenen Gegenständen wie Schlagringe, Messer etc., teilweise aber auch Besitz von scharfen Schuss- und in Einzelfällen Kriegswaffen) sowie Rohheitsdelikten (Körperverletzungen u. Ä.) geführt. Bezüge ins Rotlichtmilieu bestehen, Ermittlungen wegen Menschenhandels sind dabei bisher jedoch die Ausnahme gewesen. Geldwäschedelikte wurden bislang ebenfalls nur selten bekannt. Insgesamt handelt es sich bei nahezu allen polizeilich bekannten Straftaten um Gesetzesverstöße einzelner Mitglieder , jedoch nicht einer gesamten Rockergruppierung. Allerdings wird das Rockermilieu mit seinen Akteuren oftmals gezielt genutzt, z. B. beim Betäubungsmittelhandel, um Kontakte zu Lieferanten oder Abnehmern herzustellen. 5. Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über die Rekrutierung neuer Mitglieder der Rockergruppen in Bayern und lassen sich daraus Verbindungen zu anderen kriminellen Gruppierungen (z. B. rechte Szene) ableiten? Ein offener und von außen erkennbarer Umgang mit der Rekrutierung und der Mitgliedschaft in einem Rockerclub wäre untypisch für eine OMCG. Es ist jedoch bekannt, dass Pro- Drucksache 17/16788 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 be- bzw. Wartezeiten zum Erlangen einer Vollmitgliedschaft („Member“) bestehen. Die Hierarchie ist klar geregelt; „Aufstiege “ sind zumeist mit einem Aufnahmeritual oder einer Art Aufnahmeprüfung versehen, welche in den klassischen OMCG bindend sind und völlig unterschiedlich ausfallen. Teilweise rekrutieren sich neue Mitglieder (oder komplette neue Chapter) aus dem Kreis der Supportergruppierungen, gelegentlich werden auch andere Rockergruppierungen übernommen. In jüngerer Zeit zeigt sich generell im Bundesgebiet, dass sich bei den etablierten OMCG analog zu rockerähnlichen Gruppierungen Ortsgruppen formieren, welche sich überwiegend aus Personen mit Migrationshintergrund zusammensetzen . Rekrutierungen dürften hier über persönliche Bindungen, aufgrund der gemeinsamen Herkunft, Lebensgeschichte oder gesellschaftlichen Situation sowie tatsächlicher oder eingeforderter Solidarität entstehen. Es konnte in Bayern polizeilich bislang keine Annäherung zwischen Rockern und rechtsextremen Gruppierungen oder Personen mit rechtsextremistischen Ideologien festgestellt werden. In Einzelfällen bestehen allerdings persönliche Überschneidungen. Auch in Bezug auf andere kriminelle Gruppierungen haben sich in Bayern bislang keine Hinweise ergeben, dass eine enge Zusammenarbeit oder eine regelmäßige Mitgliederwerbung erfolgt. Die türkisch-nationalistische Ülkücü-Bewegung (sog. „Graue Wölfe“) hat nach Erkenntnissen des BayLfV derzeit auch in Bayern Zulauf. Das gilt insbesondere für ihr zuzuordnende neue rockerähnliche Gruppierungen wie Turkos MC und Turan e.V., die jüngere, freizeit- und aktionsorientierte Zielgruppen ansprechen. Ähnlich wie Rockerclubs benutzen auch diese türkisch-nationalistischen Gruppierungen verbindende Symbole und Kleidungsstücke, verfügen über einen hierarchischen Aufbau und zeichnen sich durch eine oft enge persönliche Bindung der Mitglieder untereinander aus. Einige Angehörige dieser rockerähnlichen Gruppierungen betätigen sich auf dem Gebiet der Allgemeinkriminalität. Zwischen Rockern und Rechtsextremisten konnte seitens des BayLfV bislang keine strukturierte Zusammenarbeit und ideologische Annäherung in Bayern festgestellt werden . Ungeachtet dessen bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen. Teilweise handelt es sich dabei um Personen, die Führungspositionen in rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen einnehmen bzw. im rechtsextremistischen Versandhandel tätig sind.