Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ruth Müller SPD vom 17.05.2017 Reichsbürgerszene in Niederbayern In der Antwort auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Ritter (SPD) vom 08.03.2017 „Reichsbürger in Oberallgäu und Ausstellung Staatsangehörigkeitsausweis in Bayern“ (Drs. 17/16763) wurde für die Stadt Landshut eine signifikant hohe Anzahl von ausgestellten Staatsangehörigkeitsausweisen für die Jahre 2015 und 2016 von jeweils rund 90 Stück bei ca. 70.000 EW festgestellt. Im Landkreis Landshut gab es eine deutliche Steigerung von 2015 auf 2016 um 121,74 Prozent, im Landkreis Straubing um 77,14 Prozent. In der Antwort auf meine Schriftliche Anfrage vom 15.12. 2016 „Reichsbürger in Bayern“ (Drs. 17/16116) konnten noch keine detaillierten Aussagen zur regionalen Verteilung der Reichsbürger sowie deren Tätigkeit in öffentlichen Ämtern oder im öffentlichen Dienst gemacht werden. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie viele „Reichsbürger, sind der Staatsregierung derzeit in den niederbayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten bekannt (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten)? 2. Wie erklärt sich die Staatsregierung die signifikant hohen Werte bzw. deutlichen Steigerungen 2015/2016 auf Anträge für Staatsangehörigkeitsausweise? 3. a) Ist der Staatsregierung bekannt, welche „führenden Köpfe“ für die Ausweitung der Reichsbürgerszene in Niederbayern verantwortlich sind? b) Ist der Staatsregierung bekannt, in welchen Landkreisen bzw. kreisfreien Städten Informationsveranstaltungen der Reichsbürger-Ideologie in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurden? c) Wenn ja, wo? 4. Wie viele Auftritte von Referenten der „Reichsbürger“- Ideologie sind der Staatsregierung seit Aufnahme der „Reichsbürger“-Szene in den niederbayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten bekannt (bitte aufschlüsseln nach Ort, Datum, Referent, Einordnung als Rechtsextremist ja/nein, geschätzte Teilnehmerzahl)? 5. a) Ist der Staatsregierung mittlerweile bekannt, wie viele sogenannte „Reichsbürger“ öffentliche Ämter (bitte politisch bzw. kommunalpolitisch, aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken, kreisfreien Städten, Landkreisen und Gemeinden) bekleiden? b) Ist der Staatsregierung mittlerweile bekannt, wie viele sogenannte „Reichsbürger“ im öffentlichen Dienst tätig sind (bitte aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken, kreisfreien Städten, Landkreisen und Gemeinden)? 6. Was unternimmt die Staatsregierung, um die Ausbreitung der „Reichsbürger“-Ideologie speziell in Niederbayern einzudämmen? 7. Wie schätzt die Staatsregierung das Gefahrenpotenzial ein, dass von der Reichsbürgerszene in Niederbayern ausgeht? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 18.06.2017 1. Wie viele „Reichsbürger, sind der Staatsregierung derzeit in den niederbayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten bekannt (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten)? In den niederbayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten sind mit Stand 31.05.2017 126 Personen als tatsächlich identifizierte Reichsbürger bekannt. Zusätzlich werden zehn Personen als sog. Verdachtsfälle behandelt, d. h. nach derzeitigem Stand kann eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung polizeilich weder bestätigt noch ausgeräumt werden. Landkreis/kreisfreie Stadt Identifizierte Reichsbürger Verdachtsfälle Landkreis Freyung-Grafenau 24 2 Landkreis Dingolfing-Landau 6 Landkreis Rottal-Inn 24 4 Landkreis Landshut 10 Landkreis Kelheim 2 Landkreis Deggendorf 8 1 Landkreis Passau 26 1 Landkreis Regen 3 Landkreis Straubing-Bogen 6 Kreisfreie Stadt Landshut 1 1 Kreisfreie Stadt Passau 11 1 Kreisfreie Stadt Straubing 5 2. Wie erklärt sich die Staatsregierung die signifikant hohen Werte bzw. deutlichen Steigerungen 2015/2016 auf Anträge für Staatsangehörigkeitsausweise ? Zur Erklärung einzelner hoher Werte und signifikanter Steigerungen bei Anträgen auf Staatsangehörigkeitsausweise im Regierungsbezirk Niederbayern liegen der Staatsregierung keine näheren Erkenntnisse vor. 3. a) Ist der Staatsregierung bekannt, welche „führenden Köpfe“ für die Ausweitung der Reichsbürgerszene in Niederbayern verantwortlich sind? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.10.2017 17/17367 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17367 Das Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) unterscheidet bei der Zuordnung von Personen zur Reichsbürgerbewegung zwischen Anhängern und Aktivisten. Solche Aktivisten sind dem BayLfV auch für den Regierungsbezirk Niederbayern bekannt. Diese können aus Gründen des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nicht benannt werden. b) Ist der Staatsregierung bekannt, in welchen Landkreisen bzw. kreisfreien Städten Informationsveranstaltungen der Reichsbürger-Ideologie in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurden? Der Staatsregierung liegen Erkenntnisse zu Informationsveranstaltungen in den Landkreisen Landshut und Freyung- Grafenau vor. Darüber hinaus weisen verschiedene Internetseiten (z. B. www.gelberschein.net, www.bewusst.tv) auf vermeintliche Stammtischtreffen, auch im Regierungsbezirk Niederbayern , hin. In der Vergangenheit veröffentlichte auch der „Bundesstaat Bayern“ auf seiner Webseite www.bundesstaat .bayern.info Informationen zu Treffen und Tagesveranstaltungen . Weitere Erkenntnisse liegen hierzu nicht vor. c) Wenn ja, wo? In Kläham, einem Ortsteil von 84061 Ergoldsbach im Landkreis Landshut, führt die Reichsbürgerszene regelmäßig in einer Gaststätte einen Stammtisch durch. In 94065 Waldkirchen im Landkreis Freyung-Grafenau fand am 29.04.2016 in einer Gaststätte eine Informationsveranstaltung der Reichsbürgerszene statt. 4. Wie viele Auftritte von Referenten der „Reichsbürger “-Ideologie sind der Staatsregierung seit Aufnahme der „Reichsbürger“-Szene in den niederbayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten bekannt (bitte aufschlüsseln nach Ort, Datum, Referent, Einordnung als Rechtsextremist ja/nein, geschätzte Teilnehmerzahl)? Bei der Informationsveranstaltung am 29.04.2016 in Waldkirchen trat vor ca. 20 Teilnehmern ein Referent auf. Weitere Erkenntnisse zu der Person liegen nicht vor. 5. a) Ist der Staatsregierung mittlerweile bekannt, wie viele sogenannte „Reichsbürger“ öffentliche Ämter (bitte politisch bzw. kommunalpolitisch, aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken, kreisfreien Städten, Landkreisen und Gemeinden) bekleiden? Im kommunalen Bereich wurde wegen des Verdachts auf Reichsbürgerzugehörigkeit gegen eine ehrenamtliche erste Bürgermeisterin ein Disziplinarverfahren eingeleitet. b) Ist der Staatsregierung mittlerweile bekannt, wie viele sogenannte „Reichsbürger“ im öffentlichen Dienst tätig sind (bitte aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken , kreisfreien Städten, Landkreisen und Gemeinden)? Der Staatsregierung sind elf Polizeibeamte bekannt, bei denen der Verdacht einer Zugehörigkeit zur Reichsbürger-/ Selbstverwalterszene besteht. Der Ausgang der jeweils eingeleiteten Disziplinarverfahren bleibt abzuwarten. Ein Disziplinarverfahren gegen einen weiteren aktiven Polizeivollzugsbeamten ist bereits abgeschlossen. Außerhalb des Polizeidienstes sind der Staatsregierung vier Fälle von Bediensteten des Freistaats Bayern (ein Beamter aus dem Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz – StMJ, zwei Beamte aus dem Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst – StMBW und ein Arbeitnehmer aus dem Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat – StMFLH) bekannt geworden , die aufgrund der bislang bekannten Tatsachen als Anhänger der Reichsbürgerbewegung bezeichnet werden können. Im Fall der drei Beamten wurde jeweils ein Disziplinarverfahren eingeleitet; im Fall des Arbeitnehmers wurde das Arbeitsverhältnis am 09.11.2016 gekündigt. Die Staatsregierung hat ferner Kenntnis von vier weiteren Beamten des Freistaats Bayern außerhalb des Polizeidienstes (eine weitere Beamtin aus dem Geschäftsbereich des StMBW, ein weiterer Beamter aus dem Geschäftsbereich des StMJ, ein Beamter aus dem Geschäftsbereich des StMFLH sowie ein Beamter aus dem Geschäftsbereich des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr – StMI), bei denen sich bislang lediglich Hinweise darauf ergeben haben, dass diese möglicherweise der Reichsbürgerbewegung bzw. deren Gedankengut nahestehen könnten. Im kommunalen Bereich sind derzeit zwei Beschäftigte bekannt, die der Reichsbürgerbewegung zugerechnet werden . 6. Was unternimmt die Staatsregierung, um die Ausbreitung der „Reichsbürger“-Ideologie speziell in Niederbayern einzudämmen? Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) informiert als zentrale Präventionsstelle der Staatsregierung über die Erscheinungsformen des Rechts- und Linksextremismus, der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit sowie über sicherheitsgefährdende Bestrebungen (z. B. Reichsbürger). Sie ist Ansprechpartner für alle Bürger, Kommunen und Schulen. Die BIGE hat im Regierungsbezirk Niederbayern in den vergangenen 24 Monaten acht Präventionsveranstaltungen zum Thema Reichsbürger und Selbstverwalter abgehalten. Die Veranstaltungen richteten sich in erster Linie an Vertreter von Kommunen und Justiz. Aktuell ist für den Monat Juli 2017 ein Vortrag in der Regierung von Niederbayern geplant . Darüber hinaus finden sich Informationen über die Reichsbürger-/Selbstverwalterszene auf der Internetseite www.bayern-gegen-rechtsextremismus.bayern.de. 7. Wie schätzt die Staatsregierung das Gefahrenpotenzial ein, dass von der Reichsbürgerszene in Niederbayern ausgeht? Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein. Je nach Grad der Ideologisierung bzw. Emotionalisierung ist neben einer hohen verbalen Aggression, unter anderem in Form von Beleidigungen und Bedrohungen, auch die Anwendung von körperlicher Gewalt mit einzukalkulieren. Verschiedene Vorfälle belegen, dass sich in der Szene auch Personen bewegen, die gewaltbereit sind. Diese Gefahreneinschätzung gilt für alle Regierungsbezirke in gleicher Weise.