Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ulrike Gote, Verena Osgyan BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 20.03.2014 Verbreitung und Wirksamkeit von Jugendschutzprogrammen /Jugendschutzsoftware Derzeit finden Verhandlungen der Bundesländer zu einer Neuregelung des Jugendmedienschutzes im JMStV statt, nachdem die letzte geplante Novellierung 2010 gescheitert war. Ziel der Überarbeitung ist es, der veränderten medialen Umwelt von Jugendlichen gerecht zu werden, die von Digitalisierung und einer Konvergenz der Plattformen und Inhalte geprägt ist. Ein zentraler Baustein sollen dabei die sog. „anerkannten Jugendschutzprogramme“ Jusprog und Kinderschutz Software sein. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Staatsregierung: 1. a) Welchen Stellenwert spricht die Staatsregierung der Anwendung von Jugendschutzprogrammen im Rahmen eines in die Zukunft gerichteten Jugendmedienschutzkonzepts zu? b) Welchen Stellenwert hat bei diesen Überlegungen die unter Jugendlichen weitverbreitete mobile Nutzung, z. B. auf Smartphones? 2. a) Liegen der Staatsregierung Zahlen zur Verbreitung von Jugendschutzprogrammen in Bayern oder Deutschland vor, z. B. Downloads oder Registrierungen? b) Wenn nein, sieht die Staatsregierung eine Notwendigkeit , die Verbreitung empirisch zu überprüfen? 3. Wie wird die Staatsregierung sicherstellen, dass die in der Vergangenheit häufig bemängelte Fehleranfälligkeit der Programme verringert wird und z. B. demokratische Parteien oder unproblematische Webseiten nicht zu Unrecht als „jugendgefährdend“ eingestuft werden? 4. Wurden seitens der Staatsregierung neue Finanzierungsmodelle in Erwägung gezogen, um die Fehlerquote der Jugendschutzprogramme zu minimieren und die extrem ressourcenintensive Aktualität zu gewährleisten ? 5. Schätzt die Staatsregierung es als problematisch ein, dass hinter den beiden am Markt befindlichen „anerkannten Jugendschutzprogrammen“ große Unternehmen stehen? 6. a) Gab es gegenwärtig oder in der Vergangenheit Überlegungen oder konkrete Konzepte der Staatsregierung – ggf. zusammen mit anderen Ländern – zur Entwicklung eines (teil-)staatlichen Jugendschutzprogramms ? b) Erachtet die Staatsregierung staatliche Förderungen als sinnvolles Mittel, um weitere Jugendschutzprogramme auf den Markt zu bringen und damit Wettbewerb zu schaffen? 7. a) Inwieweit kann ein nationalstaatlich ausgerichteter Ansatz auf regulatorischer und technischer Ebene mit der globalisierten, dynamischen Entwicklung des Internets Schritt halten? b) Setzt sich die Staatsregierung in diesem Zusammenhang für internationale Regelungen z. B. auf europäischer Ebene ein? 8. Wie möchte die Staatsregierung sicherstellen, dass die Neuauflage des Jugendmedienschutzstaatsvertrages zukunftstauglich ist und nicht – wie die derzeit geltende Fassung – nach wenigen Jahren kaum mehr auf die Medienwirklichkeit Anwendung finden kann? Antwort Der Leiterin der Bayerischen Staatskanzlei, Staatsministerin für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben vom 29.04.2014 1. a) Welchen Stellenwert spricht die Staatsregierung der Anwendung von Jugendschutzprogrammen im Rahmen eines in die Zukunft gerichteten Jugendmedienschutzkonzepts zu? Der Anwendung von Jugendschutzprogrammen im Rahmen eines in die Zukunft gerichteten Jugendmedienschutzkonzeptes spricht die Staatsregierung einen hohen Stellenwert zu ebenso wie der Stärkung der Medienkompetenz. Kinder und Jugendliche müssen lernen, wo Gefährdungen sind, sie erkennen und in der Lage sein, sich zu schützen. Jugendschutzprogramme sind ein wirksames ergänzendes Werkzeug . Eltern werden durch sie jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen, die Entwicklung ihres Kindes im Umgang mit Online-Angeboten aufmerksam zu begleiten. Jugendschutzprogramme greifen auch bei ausländischen Angeboten . Für Kinder unter 12 Jahren entfalten sie die notwendige Schutzwirkung unter der Voraussetzung, dass das Programm nach dem jeweils möglichen technischen Standard weiterentwickelt , allgemein verbreitet und installiert ist. Bei Jugendschutzprogrammen handelt es sich um nutzerautonome Pro- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 06.06.2014 17/1746 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/1746 gramme, d. h. der Gerätenutzer entscheidet über den Einsatz, weshalb jeder Zensurvorwurf ausgeschlossen ist. Die von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) anerkannten Jugendschutzprogramme können als entsprechende Schnittstelle insbesondere von Eltern etabliert und genutzt werden in Ergänzung und Unterstützung ihrer Erziehungsverantwortung . Maßnahmen der Staatsregierung zum Jugendmedienschutz sind umfassend im 2013 verabschiedeten Kinder- und Jugendprogramm aufgeführt (Kapitel 7, S. 109). b) Welchen Stellenwert hat bei diesen Überlegungen die unter Jugendlichen weitverbreitete mobile Nutzung z. B. auf Smartphones? Angesichts der Tatsache, dass nach der jüngsten JIMStudie aus dem Jahr 2013 bereits 73 Prozent der 12- bis 19-Jährigen über mobiles Internet verfügen und ein weiterer Zuwachs zu erwarten ist, haben immer mehr Kinder und Jugendliche Zugriff auf das Internet ohne unmittelbare elterliche Kontrollmöglichkeiten. Derzeit gibt es jedoch leider noch keine anerkannten Jugendschutzprogramme für mobile internetfähige Geräte. Aufgrund dessen begrüßt die Staatsregierung alle Initiativen zur Entwicklung von wirksamen Jugendschutzprogrammen für Smartphone und Tablet . Um auch Endgeräte und Verbreitungswege, die erst in den nächsten Jahren entwickelt werden, zu berücksichtigen, sollten Regeln technologieneutral formuliert werden. 2. a) Liegen der Staatsregierung Zahlen zur Verbreitung von Jugendschutzprogrammen in Bayern oder Deutschland vor, z. B. Downloads oder Registrierungen ? Aktuelle, belastbare Zahlen zur Verbreitung von Jugendschutzprogrammen in Bayern oder Deutschland liegen weder der BLM noch der Staatsregierung vor. Ergebnisse von Gutachten bzw. Studien zum technischen Jugendmedienschutz liegen einige Zeit zurück und beruhen zudem überwiegend auf empirischen Erhebungen, deren Aussagekraft nur sehr begrenzt ist. Sie sind kritisch zu hinterfragen , denn selbst konkreten Download-Zahlen lässt sich nicht entnehmen, ob die Jugendschutzprogramme im jeweiligen Haushalt auch tatsächlich zum Einsatz kommen . Die Aussagekraft empirischer Erhebungen leidet auch darunter, dass Filterlösungen und Jugendschutzprogramme im allgemeinen Sprachgebrauch oft verwechselt werden. b) Wenn nein, sieht die Staatsregierung eine Notwendigkeit , die Verbreitung empirisch zu überprüfen? Im Hinblick auf die geringe Aussagekraft von empirischen Überprüfungen (siehe Antwort zu Frage 2 a) sieht die Staatsregierung keine Notwendigkeit für weitere Gutachten dieser Art. 3. Wie wird die Staatsregierung sicherstellen, dass die in der Vergangenheit häufig bemängelte Fehleranfälligkeit der Programme verringert wird und z. B. demokratische Parteien oder unproblematische Webseiten nicht zu Unrecht als „jugendgefährdend “ eingestuft werden? Jugendschutz.net testete 2013 Filter von insgesamt neun Herstellern. Fünf konzentrierten sich mit ihren Produkten auf den deutschen Markt, alle anderen zielten auf internationales Publikum. Nur die beiden von der KJM anerkannten Jugendschutzprogramme erzielten in allen Altersstufen eine Wirksamkeitsquote von 80 %, was in puncto Treffsicherheit dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Trotz der Verbesserungswürdigkeit der Jugendschutzprogramme bieten sie derzeit immer noch die einzige Schutzlösung , die ausländische Angebote erfasst und nicht dem Vorwurf der Zensur begegnen. Die Selbstklassifizierungsmöglichkeit für Anbieter kann der technisch nicht auszuschließenden Fehler- und Falschklassifizierungsanfälligkeit entgegenwirken. Die Filterquote bei Jugendschutzprogrammen wird aber nie 100 % erreichen können. 4. Wurden seitens der Staatsregierung neue Finanzierungsmodelle in Erwägung gezogen, um die Fehlerquote der Jugendschutzprogramme zu minimieren und die extrem ressourcenintensive Aktualität zu gewährleisten? Anbieter von Telemedien unterliegen nach dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) den gleichen Jugendschutzbestimmungen wie der Rundfunk (§ 2 Abs. 1 JMStV). Von der KJM anerkannte Jugendschutzprogramme können gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 JMStV dem Anbieter von Webangeboten dazu dienen, seiner Pflicht zu entsprechen , Kinder oder Jugendliche vor entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten zu schützen (§ 5 Abs. 1 JMStV). Fragen der Finanzierung zur Minimierung der Fehlerquote oder Gewährleistung der Aktualität als Voraussetzung für die Wirksamkeit von Jugendschutzprogrammen richten sich daher vor allem an die Inhalteanbieter. 5. Schätzt die Staatsregierung es als problematisch ein, dass hinter den beiden am Markt befindlichen „anerkannten Jugendschutzprogrammen“ große Unternehmen stehen? Die Größe der Unternehmen, die hinter anerkannten Jugendschutzprogrammen stehen, ist aus Sicht der Staatsregierung nicht maßgeblich. Entscheidend ist die Eignung der Jugendschutzprogramme, die von der KJM im Rahmen der Anerkennung zu prüfen ist (§ 11 JMStV). 6. a) Gab es gegenwärtig oder in der Vergangenheit Überlegungen oder konkrete Konzepte der Staatsregierung – ggf. zusammen mit anderen Ländern – zur Entwicklung eines (teil-)staatlichen Jugendschutzprogramms ? Die Staatsregierung sieht keine Notwendigkeit, (teil-)staatliche Jugendschutzprogramme zu entwickeln, solange von der KJM als geeignet anerkannte Jugendschutzprogramme von privater Seite angeboten werden. b) Erachtet die Staatsregierung staatliche Förderungen als sinnvolles Mittel, um weitere Jugendschutzprogramme auf den Markt zu bringen und damit Wettbewerb zu schaffen? Gegen eine größere Zahl von Jugendschutzprogrammen spricht nichts. Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Jugendschutzprogrammen um die beste und effektivste Lösung wird begrüßt. Es geht vor allem um die Eignung der Programme. Die Staatsregierung sieht allerdings keine Notwendigkeit, die Anbieter aus ihrer gesellschaftlichen Pflicht zu entlassen. 7. a) Inwieweit kann ein nationalstaatlich ausgerichteter Ansatz auf regulatorischer und technischer Ebene mit der globalisierten, dynamischen Entwicklung des Internets Schritt halten? Drucksache 17/1746 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 In Zeiten der weltweiten Vernetzung und Globalisierung erlangen der technische Jugendmedienschutz und Instrumente der Selbstkontrolle eine wachsende Bedeutung. Die Reichweite anderer nationaler Maßnahmen wird durch die Internationalisierung im Anbieter-, Angebots- und Nutzerbereich begrenzt. Internationale Vereinbarungen und gemeinsame hohe Schutzstandards erscheinen auf lange Sicht unverzichtbar. b) Setzt sich die Staatsregierung in diesem Zusammenhang für internationale Regelungen z. B. auf europäischer Ebene ein? In der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) haben sich die Mitgliedstaaten erstmals auf europaweite verbindliche Grundstandards zum Schutz von Minderjährigen geeinigt, die über den klassischen Fernsehbereich hinaus auch auf fernsehähnliche Abrufdienste anwendbar sind. Im August 2013 hat sich die Bayerische Staatsregierung bei der Konsultation der EU-Kommission zum Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt gemeinsam mit den anderen Ländern dafür ausgesprochen, den Anwendungsbereich der AVMD-RL auf alle nichtlinearen Angebote zu erstrecken, um den Schutz von Minderjährigen in einer konvergenten Medienwelt sicherzustellen. Als Maßstab wurde der hohe Standard im linearen Bereich gefordert. 8. Wie möchte die Staatsregierung sicherstellen, dass die Neuauflage des Jugendmedienschutzstaatsvertrags zukunftstauglich ist und nicht – wie die derzeit geltende Fassung – nach wenigen Jahren kaum mehr auf die Medienwirklichkeit Anwendung finden kann? Die Länder haben den aktuellen Entwurf als Grundlage für eine breit angelegte Diskussion abgestimmt. Bürger, Fachstellen sowie anderweitig Betroffene und Interessierte sollen umfassend in den Modernisierungsprozess eingebunden werden. Das geschieht im Rahmen einer Online-Konsultation . Das Papier ist mit entsprechenden Anhörungsfragen von 24. März bis 19. Mai 2014 auf der Online-Plattform www.ideen-jugendmedienschutz.de veröffentlicht. Weitergehende Ideen und Vorschläge können eingebracht werden. Die Beiträge werden nach ihrer Auswertung der Rundfunkkommission als Eckpunkte für eine Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrags vorgelegt. Ziel ist es, im Dezember 2014 einen Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu paraphieren und anschließend den Landesparlamenten zur Einleitung des Zustimmungsverfahrens vorzulegen.