Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Ganserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 21.05.2017 Wettbewerb auf dem ÖPNV-Markt Um ein ausgewogenes, qualitätsorientiertes und sozial verträgliches Wettbewerbsgeschehen zu gewährleisten, hat das Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vor Jahren den Aufgabenträgern des allgemeinen öffentlichen Personennahverkehrs die Software Cost Control zur Verfügung gestellt. Mit dem Programm konnten wettbewerbsverzerrende Dumping-Angebote erkannt werden. In Art. 5 Abs. 4 Satz 2 der Verordnung (EG) 1370/2007 wurden die Grenzen für die Direktvergabe für kleinere und mittlere Verkehrsunternehmen mit bis zu 23 Fahrzeugen auf 2 Mio. Euro pro Jahr oder 600.000 km erhöht. Diese Grenzen gelten aber nur, soweit es im nationalen Recht keine abweichenden Regelungen gibt. Das bayerische kommunale Haushaltsrecht untersagt grundsätzlich Direktvergaben in dieser Größenordnung und definiert deutlich geringere Grenzen von 50.000 Euro (§ 31 Abs. 1 der Kommunalhaushaltsverordnung -Kameralistik – KommHV-Kameralistik, § 31 Abs. 2 KommHV-Kameralistik, in Verbindung mit der Bekanntmachung des Staatsministeriums des Innern über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich vom 14.10.2005 (AllMBl S. 424), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 07.12.2016 (AllMBl S. 2190)). In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. a) Wie wird sichergestellt, dass die allgemein verbindlichen Löhne für das Fahrpersonal eingehalten werden ? b) Wie und im welchen Umfang wird die Einhaltung der allgemein verbindlichen Löhne kontrolliert? c) Welche Verstöße wurden bei der Kontrolle registriert? 2. a) Von wann stammt die letzte Aktualisierung von „Cost Control ÖPNV“? b) Inwieweit sind inzwischen kommunale Verkehrsbetriebe in „Cost Control ÖPNV“ integriert? c) Inwieweit wird nach Kenntnis der Staatsregierung „Cost Control ÖPNV“ von den ÖPNV-Aufgabenträgern genutzt? 3. a) Inwieweit wurden mithilfe von „Cost Control ÖPNV“ Dumpingangebote identifiziert? b) Inwieweit nutzen die Regierungen als Genehmigungsbehörden „Cost Control ÖPNV“ zur Identifizierung von Dumping bei eigenwirtschaftlichen Genehmigungsanträgen ? 4. a) Sieht die Staatsregierung die Möglichkeit, die ÖPNV- Aufgabenträger anzuhalten, im vollen Umfang die nach der EU-Verordnung vorgesehenen Optionen zur Direktvergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nach Artikel 5 der EGVO 1370/2007 für kleinere und mittlere Unternehmen mit bis zu 23 Fahrzeugen und bis zu 2 Mio. Euro pro Jahr oder 600.000 km sowie für sog. Kleine Aufträge bis zu einem Auftragswert von 1 Mio. Euro pro Jahr bzw. 300.000 km und für kommunale Verkehrsunternehmen auszuschöpfen? b) Inwieweit wäre dies geboten, um eine diskriminierungsfreie Anwendung des EU-Nahverkehrsrechts sicherzustellen, die zahlreichen Verkehrs- und Tarifgemeinschaften zu erhalten, das stark mittelständisch geprägte bayerische Omnibusgewerbe zu stützen? 5. a) Sieht die Staatsregierung die Möglichkeit und Notwendigkeit bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für Verkehrsleistungen, die Einhaltung der regional geltenden und repräsentativen Tarifverträge in den Vergabebedingungen vorzuschreiben? b) Wenn nein, warum nicht? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 26.06.2017 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet: 1. a) Wie wird sichergestellt, dass die allgemein verbindlichen Löhne für das Fahrpersonal eingehalten werden? b) Wie und im welchen Umfang wird die Einhaltung der allgemein verbindlichen Löhne kontrolliert? c) Welche Verstöße wurden bei der Kontrolle registriert ? Teil des Aufgabenkatalogs der Behörden der Zollverwaltung (Finanzkontrolle Schwarzarbeit – FKS) ist neben der Prüfung der Einhaltung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten nach § 28a des Sozialgesetzbuchs Viertes Buch – SGB IV (§ 2 Abs. 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes – SchwarzArbG) auch die Prüfung der Einhaltung der Mindestlohnbestimmungen nach dem Mindestlohngesetz (§ 14 MiLoG), dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 13.10.2017 17/17518 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17518 (§ 16 AEntG) und dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (§ 17 Abs. 2 AÜG). Der Bereich des Personenbeförderungsgewerbes fällt nicht unter die branchenspezifischen Mindestlohnbestimmungen nach dem AEntG, allerdings sind auch hier die Regelungen zum allgemeinen Mindestlohn nach dem MiLoG zu beachten. Die Kontrollen der FKS werden im Rahmen risikoorientierter Prüfungen durchgeführt. Nachdem die FKS als Bundesbehörde dem Bundesministerium der Finanzen untersteht, hat die Staatsregierung keine Einwirkungsmöglichkeiten auf deren Tätigkeit. Die Deutsche Rentenversicherung kontrolliert im Rahmen ihrer Betriebsprüfungen zur Feststellung der geschuldeten Beiträge gegebenenfalls auch die Einhaltung des Mindestlohngesetzes und der einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen. Werden Verstöße gegen Mindestlohnbestimmungen oder einschlägige tarifvertragliche Regelungen bei regulären, stichprobenhaften Betriebsprüfungen im Vierjahresturnus oder bei Anlassprüfungen festgestellt, kann dies zu Beitragsnachforderungen führen. Für das private Omnibusgewerbe in Bayern ist in diesem Zusammenhang auch der Lohntarifvertrag Nr. 27 zwischen dem Landesverband Bayerischer Omnibusunternehmen und ver.di zu beachten, der mit Wirkung ab dem 01.01.2016 für allgemein verbindlich erklärt wurde (Bundesanzeiger AT 13.04.2016 B8). Aufgabe der Rentenversicherungsträger ist jedoch nur die Geltendmachung von Beitragsansprüchen gegenüber dem Arbeitgeber als Schuldner der Gesamtsozialversicherungsbeiträge , nicht aber die Durchsetzung von Lohnansprüchen zugunsten der jeweiligen Arbeitnehmer. 2. a) Von wann stammt die letzte Aktualisierung von „Cost Control ÖPNV“? b) Inwieweit sind inzwischen kommunale Verkehrsbetriebe in „Cost Control ÖPNV“ integriert? c) Inwieweit wird nach Kenntnis der Staatsregierung „Cost Control ÖPNV“ von den ÖPNV-Aufgabenträgern genutzt? 3. a) Inwieweit wurden mithilfe von „Cost Control ÖPNV“ Dumpingangebote identifiziert? b) Inwieweit nutzen die Regierungen als Genehmigungsbehörden „Cost Control ÖPNV“ zur Identifizierung von Dumping bei eigenwirtschaftlichen Genehmigungsanträgen? Die letzte Aktualisierung des Programms Cost Control wurde am 30. Januar 2006 den ÖPNV-Aufgabenträgern zur Verfügung gestellt und umfasst die privaten Omnibusunternehmen . Inwieweit die 131 kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger dieses Programm aktiv nutzen und ob dort Dumpingangebote identifiziert wurden, ist nicht bekannt. Durch die Änderungen des europäischen Rechts ist die Überprüfung der möglichen Überkompensation durch das Programm Cost Control nicht mehr möglich. Das europäische Beihilferecht stellt nicht mehr auf ein durchschnittlich geführtes Verkehrsunternehmen – wie es das Programm Cost Control vorsieht –, sondern, wie unter anderem in der Entscheidung der EU-Kommission K(2010), 975 dargestellt, auf das individuelle Verkehrsunternehmen und eine mögliche Überkompensation bei diesem ab. Die Überkompensationskontrolle für den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen etwa bei allgemeinen Vorschriften nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 oder bei Direktvergaben nach Art. 5 Abs. 2 bis 6 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hat daher zwingend entsprechend den europarechtlichen Vorgaben nach Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 mit dem entsprechenden Anhang für jedes Unternehmen individuell und nicht mit dem Programm Cost Control zu erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.10.2013 – 3 C 26.12 können die Genehmigungsbehörden bei Zweifeln, ob die wirtschaftlichen Konditionen der Verkehrserbringung die dauerhafte Bedienung der Linie gewährleisten, eine Einzelfallprüfung vornehmen und die Liniengenehmigung verweigern, wenn durch die fehlende Sicherheit der dauerhaften Verkehrsbedienung die öffentlichen Verkehrsinteressen beeinträchtigt sind. Anzeichen hierfür können unter anderem dann vorliegen, wenn ein zuvor bezuschusster gemeinwirtschaftlicher Verkehr zukünftig eigenwirtschaftlich ohne Zahlungen des ÖPNV-Aufgabenträgers verkehren soll. In einer sozialen Marktwirtschaft ist aber die Prognose der Wirtschaftlichkeit grundsätzlich Aufgabe des Verkehrsunternehmens. Eine Nutzung vom Cost Control bei den Regierungen findet aus den oben dargestellten Gründen nicht statt. Bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen beinhaltet das allgemeine Vergaberecht entsprechende Möglichkeiten, dass ÖPNV-Aufgabenträger Dumpingangebote gegebenenfalls ausschließen können. Dies erfolgt auch unabhängig von dem Programm Cost Control. 4. a) Sieht die Staatsregierung die Möglichkeit, die ÖPNV-Aufgabenträger anzuhalten, im vollen Umfang die nach der EU-Verordnung vorgesehenen Optionen zur Direktvergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nach Artikel 5 der EGVO 1370/2007 für kleinere und mittlere Unternehmen mit bis zu 23 Fahrzeugen und bis zu 2 Mio. Euro pro Jahr oder 600.000 km sowie für sog. Kleine Aufträge bis zu einem Auftragswert von 1 Mio. Euro pro Jahr bzw. 300.000 km und für kommunale Verkehrsunternehmen auszuschöpfen? b) Inwieweit wäre dies geboten, um eine diskriminierungsfreie Anwendung des EU-Nahverkehrsrechts sicherzustellen, die zahlreichen Verkehrs- und Tarifgemeinschaften zu erhalten, das stark mittelständisch geprägte bayerische Omnibusgewerbe zu stützen? Die Planung, Organisation und Sicherstellung des allgemeinen öffentlichen Personennahverkehrs ist eine freiwillige Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Gemeinden im eigenen Wirkungskreis. Sie haben hierbei die rechtlichen Vorgaben des Vergabe-, Haushalts- und Kommunalrechts einzuhalten. Die Aufsicht des Freistaates beschränkt sich auf die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben. Eine Vorgabe an die kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger, wie die Aufgabe im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten zu erfüllen ist, beinhaltet die Rechtsaufsicht nicht. Daher ist es nicht möglich, den kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger vorzugeben, Direktvergaben an private Verkehrsunternehmen vorzunehmen, anstatt öffentliche Ausschreibungen durchzuführen. Eine diskriminierende Anwendung des EU-Nahverkehrsrechts in Bayern ist nicht erkennbar. Wir verweisen hierzu auf die Beantwortung zu Frage Nr. 1 in der Schriftlichen Anfrage von Herrn Abgeordneten Roos vom 12.01.2017 betreffend „Gefährdung privatwirtschaftlicher Verkehrsunternehmen als Akteure des öffentlichen Nahverkehrs“ (Drs. 17/15419). Drucksache 17/17518 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Der bundesweit in der ÖPNV-Studie von convia (Dannenfeld , ÖPNV-Report 2016/17, S.19 ff.) dargestellte Trend, dass mittelständische Verkehrsunternehmen von Ausschreibungen zulasten der Bahnbusunternehmen profitieren, wird so auch in Bayern bestätigt. Mit 82 Prozent der gewonnenen Ausschreibungen an private Verkehrsunternehmen in den Jahren 2012 bis 2016 ist der Anteil der privaten mittelständischen Verkehrsunternehmen bei Ausschreibungen deutlich höher als der entsprechende Anteil bei Direktvergaben . Begünstigte der Direktvergabepraxis sind vorwiegend die Bahnbusunternehmen, die hier einen deutlich höheren Marktanteil als bei Ausschreibungen behaupten können. 5. a) Sieht die Staatsregierung die Möglichkeit und Notwendigkeit bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für Verkehrsleistungen, die Einhaltung der regional geltenden und repräsentativen Tarifverträge in den Vergabebedingungen vorzuschreiben ? b) Wenn nein, warum nicht? Durch die Allgemein verbindlichkeit des Tarifvertrages Nr. 27 zwischen dem Landesverband Bayerischer Omnibusunternehmen e.V., München, und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di – Landesbezirk Bayern, München, vom 24.02.2015 existiert in Bayern bereits ein Schutz gegen Sozialdumping. Zusätzlich steht es nach Vorbemerkung Nr. 17 zur Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den zuständigen Behörden, im Freistaat den kommunalen ÖPNV-Aufgabenträgern, frei, soziale Kriterien und Qualitätskriterien festzulegen, um Qualitätsstandards für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufrechtzuerhalten oder zu erhöhen. Dies eröffnet die Möglichkeit, für die ÖPNV- Aufgabenträger besondere soziale Normen und Dienstleistungsqualitätsnormen vorzuschreiben, um das Risiko eines Sozialdumpings zu verhindern. Dabei müssen die Grenzen des Vergaberechts beachtet werden, damit keine Wettbewerbsverzerrung entsteht. Im Rahmen der derzeit geltenden Rechtslage hat nicht der Freistaat, sondern der zuständige ÖPNV-Aufgabenträger als Verantwortlicher für die Organisation, Planung und Finanzierung des ÖPNV die Möglichkeit, entsprechende Vorgaben zur Verringerung des Risikos des Sozialdumpings bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vorzusehen .