17. Wahlperiode 10.10.2017 17/17701 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Paul Wengert SPD vom 10.05.2017 Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie viele Unterbringungsplätze für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gibt es in Bayern (bitte aufgeschlüsselt nach Bezirken und vollstätionären und teilstationären Plätzen)? 2. In welchen Fällen ist ein richterlicher Beschluss zur Unterbringung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe erforderlich? 3. a) Welche Schritte (Hilfsangebote o. ä.) werden im Regelfall durchlaufen, bevor ein Kind oder Jugendlicher in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht wird? b) Wie wird der Kindswille berücksichtigt bzw. kann ein Kind gegen seinen Willen von den Eltern getrennt und in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht werden? c) Kann ein Kind oder Jugendlicher gegen den Willen eines Elternteils ohne richterlichen Beschluss in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht werden ? 4. a) Wie ist in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe der Elternumgang geregelt? b) Unter welchen Bedingungen kann der Kontakt zwischen Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern verboten werden? c) Welche staatlichen Stellen sind bei der Klärung des Umgangsrechtes involviert? 5. a) Wie wird der Schulbesuch in Einrichtungen der Kinderund Jugendhilfe geregelt? b) Ist es prinzipiell möglich, dass, eventuell in Begleitung, eine Schule außerhalb der Einrichtung besucht wird? 6. a) Sind die neben stationären Angeboten vorhandenen ambulanten Angebote bzw. Einrichtungen, die gerade in Akutsituationen von Betroffenen in Anspruch genommen werden, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar? b) Wenn nein, was sind die Mindestöffnungszeiten für ambulante Angebote? c) Gibt es besondere Regelungen für Sonn- und Feiertage ? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 7. a) Wie ist das Verhältnis zwischen Amtsvormundschaft, Ergänzungspflege und Verfahrensbeiständen geregelt ? b) Wie wird die Unabhängigkeit des Verfahrensbeistandes von staatlichen Institutionen gewährleistet, damit ein Handeln im Sinne des Kindes, des Jugendlichen gewährleistet wird? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 10.07.2017 Die Schriftliche Anfrage wird unter Einbeziehung des Staatsministeriums der Justiz sowie des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) – Bayerisches Landesjugendamt wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Unterbringungsplätze für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gibt es in Bayern (bitte aufgeschlüsselt nach Bezirken und vollstätionären und teilstationären Plätzen)? Die Anzahl der Plätze ist der folgenden Tabelle zu entnehmen : Plätze gem. § 34 SGB VIII1 (vollstationär) Plätze gem. § 32 SGB VIII (teilstationär) Regierungsbezirk Oberbayern 5.265 2.517 Regierungsbezirk Niederbayern 1.490 498 Regierungsbezirk Oberpfalz 2.130 196 Regierungsbezirk Oberfranken 1.218 250 Regierungsbezirk Mittelfranken 1.840 461 Regierungsbezirk Unterfranken 1.887 338 Regierungsbezirk Schwaben 3.259 684 Bayern (insgesamt) 17.089 4.944 1 SGB VIII = Sozialgesetzbuch Achtes Buch (Quelle: Sonderauswertung des ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt auf der Grundlage einer Umfrage bei den Regierungen, Stand 09.06.2017) 2. In welchen Fällen ist ein richterlicher Beschluss zur Unterbringung in einer Einrichtung der Kinderund Jugendhilfe erforderlich? Die Kinder- und Jugendhilfe ist eine kommunale Aufgabe im eigenen Wirkungskreis. Entsprechend entscheiden die Jugendämter über die Gewährung von Hilfen zur Erziehung im Rahmen der gesetzlichen Regelungen. Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII), zum Beispiel in Form von Heimerziehung nach § 34 SGB VIII, werden vom Jugendamt auf An- Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17701 trag der Personensorgeberechtigten nach Durchführung eines Hilfeplanverfahrens gewährt. Ein richterlicher Beschluss ist somit im Regelfall nicht erforderlich. Die Anrufung des Familiengerichts durch das Jugendamt ist allerdings gemäß § 8a SGB VIII erforderlich, wenn eine Kindeswohlgefährdung nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Das Jugendamt kommt durch die Anrufung des Familiengerichts seiner Verpflichtung im Rahmen des Wächteramts der staatlichen Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) nach. Sollte nach fachlicher Einschätzung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe also eine stationäre Unterbringung zur Abwendung der Gefahr für das Kindeswohl notwendig sein, so ist ein entsprechender Antrag zu stellen. Das Familiengericht entscheidet dann gemäß § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), ob zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen ein Eingriff in das elterliche Sorgerecht erforderlich ist. Voraussetzung für eine gerichtliche Maßnahme gemäß § 1666 BGB ist, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist (Vernachlässigung, Misshandlung , Missbrauch), die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, diese Gefährdungssituation zu beenden, andere Maßnahmen, z. B. der Jugendhilfe, erfolglos geblieben sind oder zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen und die ergriffenen Maßnahmen (Ermahnungen, Verwarnungen, Auflagen, Entzug der elterlichen Sorge) eine geeignete und verhältnismäßige Form der Gefahrenabwehr darstellen (§ 1666a BGB). Darüber hinaus bedarf eine Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, stets der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig , wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§1631b BGB). 3. a) Welche Schritte (Hilfsangebote o. ä.) werden im Regelfall durchlaufen, bevor ein Kind oder Jugendlicher in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht wird? Gemäß §§ 36 ff. SGB VIII sind bei einer längerfristigen Fremdunterbringung folgende Grundlagen durch das Jugendamt einzuhalten: • Personensorgeberechtigte und Kinder sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe zu beraten und auf mögliche Folgen für die Entwicklung hinzuweisen . • Vor einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind (Adoption) in Betracht kommt. • Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind Personensorgeberechtigte und Kinder bei der Auswahl der Einrichtung zu beteiligen. • Die Entscheidung über die im Einzelfall geeignete längerfristige Hilfeart soll im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. • Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe soll zusammen mit den Personensorgeberechtigten und dem Kind ein Hilfeplan aufgestellt werden, welcher Feststellungen über den Hilfebedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält. • Es soll regelmäßig überprüft werden, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Das ZBFS – Bayerisches Landesjugendamt hat darauf aufbauend mehrere Verfahren entwickelt und Empfehlungen veröffentlicht, um die kommunalen Jugendämter in ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen. Beispielhaft angeführt seien die Veröffentlichungen „Sozialpädagogische Diagnose -Tabelle & Hilfeplan“, München 2013 und „Personalbemessung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Bayern (PeB)“, München 2013. Die erstgenannte Broschüre bietet je ein Verfahren zur sozialpädagogischen Diagnostik und zur Hilfeplanung unter besonderer Berücksichtigung des Schutzauftrages, u. a. mit der Zielsetzung, zu einer fundierten Hilfeentscheidung zu gelangen. Die zweite Handreichung erläutert insbesondere die Verfahrensschritte in einem Jugendamt vom Bekanntwerden eines individuellen Hilfebedarfes bis hin zur Evaluation einer abgeschlossenen Hilfemaßnahme. b) Wie wird der Kindswille berücksichtigt bzw. kann ein Kind gegen seinen Willen von den Eltern getrennt und in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht werden? Die rechtzeitige und umfassende Beteiligung des jungen Menschen und seiner Eltern bzw. Personensorgeberechtigten sind maßgeblich für den Erfolg einer Hilfeleistung. Gemäß § 8 SGB VIII sind Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht hinzuweisen. Auch sind Kinder und Jugendliche Adressaten einer eventuell erfolgenden Hilfeleistung. Deshalb ist es von wesentlicher Bedeutung, sie in die Sachverhaltsermittlung, Hilfeplanung, Hilfeausgestaltung und Hilfeüberprüfung frühzeitig einzubeziehen. Denn die Hilfe wirkt nur, wenn sie von den Beteiligten verstanden, akzeptiert und unter aktiver Beteiligung begonnen wird. Deshalb können Kinder oder Jugendliche gegen ihren Willen nur dann im Rahmen der Hilfen zur Erziehung in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht werden, wenn der Wille des Kindes dem Kindeswohl offensichtlich widerspricht. Dies gilt gleichermaßen bei Antragstellung der Personensorgeberechtigten und bei einer gerichtlichen Anordnung gemäß § 1666 BGB (vgl. auch Antwort zu Frage 2). Entscheidend ist dabei immer die Beurteilung im Einzelfall unter Berücksichtigung des Entwicklungsstands des Kindes oder Jugendlichen. c) Kann ein Kind oder Jugendlicher gegen den Willen eines Elternteils ohne richterlichen Beschluss in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe verbracht werden? Die Gewährung von Hilfen zur Erziehung bedarf der Antragstellung durch die Personensorgeberechtigten oder eines richterlichen Beschlusses (vgl. auch Antwort zu Frage 2). Gegen den Willen eines Elternteils und ohne richterlichen Beschluss ist die Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer Einrichtung nur als vorläufige Schutzmaßnahme möglich. Gemäß § 42 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um die Inobhutnahme bittet, eine dringende Gefahr für das Wohl des jungen Menschen es erfordert und die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden Drucksache 17/17701 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 kann. Ursache bzw. aktueller Anlass können Selbst- und/ oder Fremdgefährdungen, aber auch Vernachlässigung, Misshandlung, sexuelle Gewalt, drohende Obdachlosigkeit, Prostitution oder Strafdelikte sein. Die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen gemäß § 42 SGB VIII zieht deren vorläufige Unterbringung bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform nach sich. Das Jugendamt hat die Personensorgeberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten und ggf. eine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen (vgl. § 42 Abs. 2 SGB VIII). 4. a) Wie ist in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe der Elternumgang geregelt? Während der Heimerziehung ist gemäß § 37 Abs. 1 SGB VIII eine zukunftsgerichtete Zusammenarbeit von den in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und den Eltern zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen verpflichtend. Die Gestaltung der Kontakte zur Herkunftsfamilie wird gemeinsam mit dem jungen Menschen und seinen Eltern bzw. Personensorgeberechtigten vereinbart und im Hilfeplan beschrieben. Die Häufigkeit und Dauer der Kontakte richten sich nach den individuellen Bedarfen des jungen Menschen, der Erziehungsfähigkeit der Eltern und dem Konzept der Einrichtung. Die Spannweite reicht von stundenweisem begleitetem Umgang an einem neutralen Ort über angeleitete Kontakte in der Einrichtung bis hin zu mehrtägigen Heimfahrten über das Wochenende und in den Schulferien und vielfältigen weiteren Varianten der Umgangs - und Kontaktgestaltung. b) Unter welchen Bedingungen kann der Kontakt zwischen Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern verboten werden? c) Welche staatlichen Stellen sind bei der Klärung des Umgangsrechtes involviert? In diesem Kontext ist grundsätzlich zu beachten, dass die Rechte und Pflichten aus der elterlichen Sorge durch die Gewährung einer Hilfe zur Erziehung außerhalb der Familie zunächst unberührt bleiben. Es ist sowohl das Recht wie auch die Pflicht der Eltern – wenn auch unter besonderen Bedingungen – ihrer Erziehungsverantwortung weiterhin nachzukommen. Dazu gehört auch der Umgang bzw. Kontakt mit dem Kind oder Jugendlichen in einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Das Kindeswohl setzt die Grenzen für die Inanspruchnahme des Umgangs bzw. Kontaktes mit dem Kind oder dem Jugendlichen in einer stationären Einrichtung der Kinder - und Jugendhilfe. Hier ist seitens der verantwortlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen, dass Gefährdungstatbestände, die möglicherweise bereits bei der Anbahnung der Jugendhilfemaßnahme bestanden und zur Auswahl dieser Hilfeart geführt haben, ausgeschlossen werden können. Bestehen diese weiterhin bzw. werden neue Anhaltspunkte bekannt, ist durch die steuerungsverantwortlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe unverzüglich zu klären, ob die Gefahr im Zusammenwirken mit den Eltern und der Einrichtung abgewendet werden kann oder ob das Familiengericht Maßnahmen zu dieser Gefahrenabwehr treffen muss (vgl. § 8a SGB VIII). Nur das Familiengericht kann dann in letzter Konsequenz gemäß §§ 1666 Abs. 3 und 1666a BGB Gebote und Verbote gegenüber den Eltern bzw. Personensorgeberechtigten aussprechen. Dies schließt auch ein Kontaktverbot der Eltern mit ihrem Kind in der stationären Einrichtung der Jugendhilfe ein (§ 1666 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BGB). 5. a) Wie wird der Schulbesuch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe geregelt? b) Ist es prinzipiell möglich, dass, eventuell in Begleitung , eine Schule außerhalb der Einrichtung besucht wird? Kinder und Jugendliche in stationären Hilfen zur Erziehung besuchen in der Regel öffentliche Schulen im regionalen Umfeld der jeweiligen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Ausgehend von ihren individuellen Voraussetzungen und Bedarfen stehen ihnen dabei grundsätzlich alle Schultypen offen. Letztlich sind die Schulämter die entscheidende Instanz bei der Feststellung der passenden Schulform. Einige Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen haben sich auf eine Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen spezialisiert , bei welchen eine Regelbeschulung aufgrund ihrer individuellen Belastungen nicht möglich ist. Diese Einrichtungen betreiben einrichtungsinterne Schulen, insbesondere Schulen zur Erziehungshilfe mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Teilweise steht der Besuch dieser Schulen unter bestimmten Voraussetzungen auch Kindern und Jugendlichen aus dem regionalen Umfeld offen, die nicht in der Einrichtung leben. Für besonders schwierig gelagerte Einzelfälle gibt es Angebote für eine individuelle Beschulung außerhalb eines Klassenraums für junge Menschen, die an einer regulären Schule nicht lernen können (Schule für Kranke). 6. a) Sind die neben stationären Angeboten vorhandenen ambulanten Angebote bzw. Einrichtungen, die gerade in Akutsituationen von Betroffenen in Anspruch genommen werden, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar? b) Wenn nein, was sind die Mindestöffnungszeiten für ambulante Angebote? c) Gibt es besondere Regelungen für Sonn- und Feiertage ? Die Angebote der Erziehungsberatungsstellen in Bayern können in der Regel innerhalb der üblichen Öffnungszeiten und auch nach Vereinbarung in Anspruch genommen werden . Schnelle professionelle Hilfe bietet das Online-Beratungsangebot der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. (bke). Das bundesweit angelegte Angebot bietet einen zeitgemäßen, unmittelbaren, erprobten und niederschwelligen Zugang für Eltern, Kinder und Jugendliche und steht bei Problemen und Sorgen kostenlos zur Verfügung und ist rund um die Uhr erreichbar. Viele Jugendliche und Eltern, die sonst den (Erst-)Kontakt zur Erziehungsberatung scheuen würden, wählen die Onlineberatung bewusst als Alternative zur Face-to-Face-Beratung, weil sie die virtuelle als anonyme Form der Kommunikation bevorzugen. Beratung via Internet bietet mehr zeitliche Flexibilität und spricht damit insbesondere berufstätige Eltern an. Der schnelle und unkomplizierte Zugang bietet Unterstützung für Fragen, zu denen die Betroffenen (noch) keine Beratung vor Ort nutzen möchten, oder weil sie der umgehenden Unterstützung in akuten Krisen bedürfen. Im Schutz der Anonymität der Onlineberatung können schneller und ohne Furcht vor negativen sozialen Folgen Themen geäußert werden wie erlebte sexuelle, körperliche und seelische Gewalt, Suizidalität oder selbstverletzendes Verhalten sowie weitere hoch schambe- Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17701 setzte Themen. Internetbasierte Kinder- und Jugend- sowie Erziehungsberatung kommt den Lebenslagen und den daraus resultierenden Bedürfnissen von Ratsuchenden in einer zunehmend entgrenzten und beschleunigten Welt entgegen . Sie kann auch der erste Schritt sein, eine Hilfeeinrichtung vor Ort aufzusuchen. Onlineberatung steht nicht in Konkurrenz zur örtlichen Beratung. Sie ist in jeder Hinsicht eine Ergänzung des Unterstützungssystems der Jugendhilfe . Die bayerischen Erziehungsberatungsstellen beteiligen sich personell, der Freistaat finanziell (41.000 Euro/Jahr) an diesem länderübergreifenden Projekt. Bezüglich der Ausgestaltung der Krisendienstbereitschaft der zahlreichen weiteren ambulanten Angebote freier Träger liegen keine Informationen vor. Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so ist nach § 8a Abs. 1 SGB VIII das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Die Verpflichtung zur Sicherstellung der personellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII – auch nach der regulären Dienstzeit – richtet sich an die Kommunen im Rahmen des eigenen Wirkungskreises . 7. a) Wie ist das Verhältnis zwischen Amtsvormundschaft , Ergänzungspflege und Verfahrensbeiständen geregelt? Amtsvormundschaft, Ergänzungspflege und Verfahrensbeistände sind wie folgt voneinander zu unterscheiden: 1. (Amts-)Vormundschaft Nach § 1773 Abs. 1 BGB erhält ein Minderjähriger einen Vormund, wenn er nicht unter elterlicher Sorge steht oder wenn die Eltern insgesamt nicht zur Vertretung des Minderjährigen berechtigt sind. Beispiele sind der Tod beider Eltern oder ein vollständiger Entzug der elterlichen Sorge durch das Familiengericht gemäß § 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 6 BGB. Ein Vormund ist ferner dann erforderlich, wenn das Familiengericht das Ruhen der elterlichen Sorge feststellt, z. B. bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern, wenn keine Kommunikationsmöglichkeit mit den Eltern besteht. Nach § 1773 Abs. 2 BGB erhält ein Minderjähriger einen Vormund auch dann, wenn sein Familienstand nicht zu ermitteln ist, etwa bei Findelkindern. In der Regel ist die Vormundschaft von Amts wegen durch das Familiengericht anzuordnen (§ 1774 Satz 1 BGB). Haben die Eltern für den Fall ihres Todes durch letztwillige Verfügung eine bestimmte Person als Vormund benannt, darf diese Benennung vom Familiengericht nur aus gewichtigen Gründen übergangen werden (z.B. Verhinderung, Gefährdung des Kindeswohls u. ä.). In allen übrigen Fällen obliegt die Auswahl des Vormunds dem Familiengericht . Nach § 1779 Abs. 2 Satz 1 BGB soll das Familiengericht dabei eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. Wenn eine geeignete natürliche Person als ehrenamtlicher Einzelvormund nicht vorhanden ist, kann das Gericht auch einen vom Landesjugendamt hierzu für geeignet erklärten Verein zum Vormund bestellen (§ 1791a BGB) oder eine Amtsvormundschaft des Jugendamts anordnen (§ 1791b BGB). Neben dieser bestellten Amtsvormundschaft kennt das BGB eine gesetzliche Amtsvormundschaft des Jugendamts. Diese tritt gemäß § 1791c Abs. 1 Satz 1 BGB mit der Geburt des Kindes - kraft Gesetzes - grundsätzlich dann ein, wenn die Eltern des Kindes nicht miteinander verheiratet sind und kein Sorgeberechtigter vorhanden ist. In der Praxis ist das vor allem der Fall, wenn die Mutter minderjährig ist und ihr Sorgerecht daher ruht und ein rechtlicher Vater nicht existiert oder diesem – insbesondere mangels gemeinsamer Sorgeerklärung – die elterliche Sorge nicht zusteht. Der (Amts-)Vormund hat gemäß § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Minderjährigen zu sorgen, insbesondere den Minderjährigen zu vertreten. Der Vormund nimmt also im Wesentlichen die Aufgaben der elterlichen Sorge anstelle der Eltern wahr. 2. Ergänzungspflegschaft Ein Minderjähriger erhält nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Pfleger, soweit der oder die Inhaber der elterlichen Sorge in einer bestimmten Angelegenheit an der Ausübung des Sorgerechts verhindert sind. Ein Hauptanwendungsfall in der Praxis ist der teilweise Entzug der elterlichen Sorge wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 6 BGB, beispielsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts der Gesundheitsfürsorge für das Kind. Eine Ergänzungspflegschaft ist ferner dann erforderlich, wenn die Eltern das Kind in bestimmten Angelegenheiten aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht vertreten dürfen, so z. B., wenn eine Erbengemeinschaft auseinandergesetzt werden soll, an der minderjährige Kinder und die sorgeberechtigten Eltern beteiligt sind, oder bei der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in einem Strafverfahren gegen die Eltern, wenn das Kind selbst noch nicht die ausreichende Verstandesreife dafür besitzt. Für die Bestellung des Pflegers gelten – mit Ausnahme des Benennungsrechts der Eltern durch letztwillige Verfügung – die oben für die Vormundschaft dargelegten Grundsätze entsprechend. Insbesondere kann auch bei der Ergänzungspflegschaft das Jugendamt als Amtspfleger bestellt werden. Ebenso nimmt der Pfleger – wie der Vormund – die Aufgaben der elterlichen Sorge, ggf. insbesondere auch die rechtliche Vertretung des Kindes, wahr, allerdings beschränkt auf die Angelegenheiten oder Bereiche, für die er bestellt wurde. 3. Verfahrensbeistände Die Hauptaufgabe eines Verfahrensbeistands besteht darin, in einem familiengerichtlichen Kindschaftsverfahren (z. B. betreffend die elterliche Sorge, das Umgangsrecht oder die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen) das Interesse des Kindes festzustellen und zur Geltung zu bringen (§ 158 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG). Der Verfahrensbeistand wird (nur) für das konkrete Verfahren vom zuständigen Familiengericht bestellt. Voraussetzung ist, dass dies zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes erforderlich ist. In § 158 Abs. 2 FamFG zählt das Gesetz eine Reihe von Fällen auf, in denen die Bestellung in der Regel zu erfolgen hat. Das Gericht kann dem Verfahrensbeistand im Einzelfall die zusätzliche Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken. Nach § 158 Abs. 1 FamFG ist vom Gericht ein „geeigneter“ Verfahrensbeistand zu bestellen. Diese offene Regelung ermöglicht es dem Gericht, eine Person zum Verfahrensbeistand zu berufen, die im konkreten Einzelfall Drucksache 17/17701 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 unter Berücksichtigung des Verfahrensgegenstands und vor allem des Alters und der Persönlichkeit des Kindes für diese Aufgabe am besten geeignet erscheint. Dabei muss es sich nicht stets um einen professionellen Verfahrensbeistand handeln, sondern dies kann im Einzelfall zum Beispiel auch eine Vertrauensperson aus dem privaten Umfeld des Kindes sein. In der Praxis wird dies natürlich häufig daan scheitern, dass die Privatperson auch in einem engen Verhältnis zu den Eltern oder einem Elternteil steht. Meist greifen die Familiengerichte deshalb auf professionelle Verfahrensbeistände zurück, wobei – je nach Schwerpunkt des Verfahrens – insbesondere Sozialpädagogen, Pädagogen, Psychologen oder Rechtsanwälte als geeignete Personen in Betracht kommen. Nach § 158 Abs. 4 Satz 5 FamFG ist der Verfahrensbeistand ausdrücklich nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes. Er kann allerdings im Interesse des Kindes Rechtsmittel einlegen. Zusammenfassend kommt dem Verfahrensbeistand daher – anders als einem Pfleger oder Vormund – eine rein verfahrensrechtliche Funktion zu. Um dies deutlicher zum Ausdruck zu bringen, hat der Gesetzgeber im Zuge des FGG-Reformgesetzes (FGG = Gesetz über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) aus dem Jahr 2008 auch bewusst den früheren Begriff „Verfahrenspfleger “ durch die Bezeichnung „Verfahrensbeistand“ ersetzt (vgl. BT-Drs. 16/6308, S. 238). b) Wie wird die Unabhängigkeit des Verfahrensbeistandes von staatlichen Institutionen gewährleistet , damit ein Handeln im Sinne des Kindes, des Jugendlichen gewährleistet wird? Die zum Verfahrensbeistand bestellten Personen gehören in aller Regel keiner staatlichen Institution an. Insbesondere ist die Wahrnehmung der Aufgaben eines Verfahrensbeistands – anders als die Beistandschaft, Amtspflegschaft und Amtsvormundschaft nach dem BGB - keine gesetzliche Aufgabe des Jugendamts. Eine Bestellung des Jugendamts zum Verfahrensbeistand würde überdies zu einem Interessenkonflikt führen, da das Jugendamt bereits gemäß § 162 FamFG an familiengerichtlichen Kindschaftsverfahren mitwirkt und darüber hinaus ggf. in seiner Eigenschaft als Amtspfleger oder -vormund an dem Verfahren beteiligt ist. Der Verfahrensbeistand unterliegt auch keinen Weisungen durch das Jugendamt , das Gericht oder sonstige staatlichen Stellen. Das Familiengericht hat lediglich Art und Umfang der Beauftragung konkret festzulegen. Im Übrigen ist der Verfahrensbeistand bei der Ausübung seines Amtes unabhängig und frei.