Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze, Ulrich Leiner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 06.06.2017 Abrechnungsbetrug ambulante Pflegedienste Ca. 230 ambulante Pflegedienste stehen im Verdacht, in Deutschland ein System für Abrechnungsbetrug aufgebaut zu haben. Die Sonderermittlungsgruppe vom Bundeskriminalamt und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen vermutet , dass nicht erbrachte Leistungen abgerechnet worden seien. Auch in Bayern soll es zu Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege gekommen sein. (http://www.br.de/nachrichten /pflege-abrechnungsbetrug-netzwerk-100.html und https://www.welt.de/wirtschaft/article165040974/Hunderte- Pflegedienste-unter-Betrugsverdacht.html.) Wir fragen die Staatsregierung: 1.1 Inwieweit haben nach den neuen Erkenntnissen Pflegedienste auch in Bayern mutmaßlich Betrug zulasten der Pflegekassen begangen bzw. wie viele Ermittlungsverfahren wurden von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs in Bayern bisher eingeleitet? 1.2 Wie wurden diese kriminellen Strukturen entdeckt? 1.3 Welche Bereiche der Pflege – stationäre, ambulante Pflege oder Pflege-Wohngemeinschaften – sind betroffen (bitte einzeln auflisten)? 2.1 In welchen Orten waren diese Pflegedienste tätig (bitte nach Regierungsbezirken geordnet angeben)? 2.2 Welche Verstöße liegen vor (bitte unter Angabe einer jeweils kurzen, anonymisierten Sachverhaltsdarstellung und unter Aufschlüsselung der jeweiligen Straftatbestände )? 2.3 Auf welchem Stand befinden sich die Verfahren in diesem Moment (aufgeschlüsselt nach: der Einstellung unter Angabe des jeweiligen Einstellungsgrunds, Anklageerhebung , Verurteilung, andauernde Ermittlung)? 3.1 Dürfen die betroffenen Anbieter von Pflegeleistungen derzeit weiter im Pflegebereich arbeiten? 3.2 Sind durch betrügerische Aktivitäten Personen zu gesundheitlichen Schäden oder sogar zu Tode gekommen ? 4.1 Wann ereigneten sich diese Pflegebetrugsfälle in Bayern ? 4.2 Wann haben die Aufsichtsbehörden erstmals Kenntnis von den Betrugsfällen erlangt? 4.3 Wurde den Hinweisen der AOK ausreichend nachgegangen ? 5.1 Droht derzeit bereits eine Verfolgungsverjährung der Taten? 5.2 Seit wann ist der Staatsregierung bekannt, dass es sich im Gegensatz zum Bericht der Staatsregierung – Beschlüsse des Landtags vom 20.04.2016 (Drs. 17/11120, 17/11121, 17/11122) – doch um einen professionell organisierten Betrug bei Pflegedienstleistungen , also um Organisierte Kriminalität handelt? 5.3 Wurde oder wird gegen die betroffenen Personen in Bayern wegen anderer Straftaten aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität ermittelt, insbesondere wegen Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen, Glücksspiel, oder Mordes (bitte unter Angabe einer jeweils kurzen, anonymisierten Sachverhaltsdarstellung und unter Aufschlüsselung der jeweiligen Straftatbestände)? 6.1 Wie hoch ist die Schadenssumme für Bayern? 6.2 Sind die Kontrollmöglichkeiten in der Pflege nach Ansicht der Staatsregierung derzeit ausreichend? 6.3 Welche Auswirkungen haben die neuen Regelungen im dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III) auf die Betrugsentdeckung ? 7.1 Welche Maßnahmen haben die Staatsregierung bzw. die Aufsichtsbehörden nach Kenntnisnahme der Vorfälle bereits ergriffen, wie zukünftig betrügerische Abrechnungen zu Lasten der Pflegekassen vermieden werden könnten? 7.2 Welche Maßnahmen der Staatsregierung bzw. der Aufsichtsbehörden nach Kenntnisnahme der Vorfälle sind beabsichtigt, wie zukünftig betrügerische Abrechnungen zu Lasten der Pflegekassen vermieden werden könnten? 8.1 Welcher Reformbedarf ergibt sich noch aus den neuen Erkenntnissen im Hinblick auf Betrugsbekämpfung? 8.2 Welche Konsequenzen zieht die Staatsregierung konkret auf Landesebene aus dem Skandal? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 11.07.2017 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit den Staatsministerien des Innern, für Bau und Verkehr, der Justiz und für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet: Die Anfrage wird im Hinblick auf die einleitende Sachverhaltsdarstellung der Anfrage, die darin erwähnten Sonderermittlungen sowie der zitierten Pressemeldungen über den Verdacht eines Abrechnungsbetrugs gegen circa 230 Pfle- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 23.08.2017 17/17808 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17808 gedienste dahingehend verstanden, dass sie sich insbesondere auf das Projekt „Curafair“ bezieht. Darüber hinaus enthält die Antwort weitere Informationen zu Betrugsfällen in der Pflege in Bayern, die sich aus den Berichten der bayerischen Generalstaatsanwälte zu Verfahren gegen Verantwortliche von Pflegediensten mit osteuro - päischem Bezug und der Arbeitsgemeinschaften der Kranken- und Pflegekassenverbände in Bayern (ARGE) zu Betrug in der Pflege insgesamt ergeben. Vorbemerkung: In den vergangenen Jahren wurden im Bundesgebiet Ermittlungsverfahren gegen sogenannte russische Pflegedienste wegen Abrechnungsbetrugs geführt. Der Begriff „russische Pflegedienste“ beschreibt die tatsächliche Situation nicht exakt. Die handelnden Personen in den betroffenen Pflegediensten sind häufig deutsche Staatsangehörige mit russisch-eurasischem Migrationshintergrund. Gleiches gilt für die „begünstigten“ Personen, d. h. die Patienten der Pflegedienste . Gleichwohl wurde der Begriff „russische Pflegedienste “, der erstmals in einem Kölner Ermittlungsverfahren eingeführt wurde, aus Gründen der Wiedererkennbarkeit und sprachlichen Vereinfachung im Projekt „Curafair“ generell verwendet. Den Impuls zur Einleitung eines Projekts im Rahmen der gemeinsamen Schwerpunktsetzung der Kommission Organisierte Kriminalität (KOK) ergab sich insbesondere aus Erkenntnissen im Rahmen von Ermittlungsverfahren in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Niedersachsen und Mecklenburg -Vorpommern. Daraufhin wurde ein bundesweites operativ-strategisches Auswerteprojekt zum Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russischsprachige Pflegedienste namens „Curafair“ in der KOK beschlossen. Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen übernahm die Projektleitung, die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sowie das Bundeskriminalamt (BKA) erklärten sich zu einer Mitarbeit als Projektpartner bereit. Ziel des Projekts „Curafair“ war das Erkennen von Kriminalitätsstrukturen , deren Verbindungen zur Organisierten Kriminalität sowie gegebenenfalls die Initiierung weiterer Ermittlungsverfahren. Wesentliche Informationsquellen bildeten hierbei insbesondere die Erkenntnisse aus abgeschlossenen bzw. laufenden Ermittlungsverfahren aus den Ländern sowie Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen. Das Bayerische Landeskriminalamt stellte auf Anfrage des Projekts ebenfalls entsprechende Informationen zur Verfügung . Soweit der Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz betroffen ist, wurden zur Beantwortung der Anfrage die Generalstaatsanwälte in München, Nürnberg und Bamberg um Bericht zu Verfahren gegen Verantwortliche von Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs gebeten. Unter „Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug“ werden dabei solche Pflegedienste verstanden, bei denen mindestens einer der Inhaber eine Person osteuropäischer Herkunft ist. Die Berichte beschränken sich dabei weder auf Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Projekt „Curafair “ stehen, noch bestehen Erkenntnisse dazu, ob sich die berichteten Verfahren auf Pflegedienste beziehen, die im Projekt „Curafair“ als auffällig deklariert wurden. Eine vollständige Beantwortung der Fragen war jedoch nicht für alle bei den Staatsanwaltschaften anhängigen Verfahren möglich, da ein kurzfristiger Zugriff auf die Ermittlungsakten zum Teil nicht möglich war, weil sie sich zur Durchführung von Ermittlungen außer Haus befanden. Weiterhin ist zu bedenken, dass Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Abrechnungsbetrugs bei Pflegeleistungen im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz als solche nicht gesondert erfasst werden. Entsprechende statistische Daten sind daher im Staatsministerium der Justiz nicht vorhanden. Die von den Staatsanwaltschaften mitgeteilten Informationen zu den einzelnen Verfahren beruhen zum Großteil auf den Erinnerungen der damaligen bzw. ak- tuellen Sachbearbeiter. Ferner wird in diesem Zusammenhang durch das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr darauf hingewiesen, dass grundsätzlich eine quantitative Benennung von Verfahren wegen Abrechnungsbetrugs in der Pflege aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) heraus nicht möglich ist, da hier nur die Verfahren wegen Abrechnungsbetrugs im Gesundheitswesen allgemein ausgewiesen werden. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass sich die Anfrage zu einem erheblichen Teil auf laufende Ermittlungsverfahren bezieht. Teilweise haben die Beschuldigten noch keine Kenntnis von den gegen sie geführten Ermittlungen, teilweise stehen hier noch Exekutivmaßnahmen im Raum. Darüber hinaus sind die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen zu beachten, denen bei laufenden Ermittlungen im Lichte der Unschuldsvermutung besonderes Gewicht zukommt . 1.1 Inwieweit haben nach den neuen Erkenntnissen Pflegedienste auch in Bayern mutmaßlich Betrug zulasten der Pflegekassen begangen bzw. wie viele Ermittlungsverfahren wurden von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs in Bayern bisher eingeleitet? Im Zusammenhang mit dem eingangs erläuterten Projekt „Curafair“ konnten über 950 Pflegedienste im Bundesgebiet identifiziert werden, welche eine Pflege und Betreuung russischsprachiger Pflegebedürftiger zum Unternehmensgegenstand haben. Mit diesen Unternehmen waren in der Unternehmensführung mehr als 1.200 Personen verbunden, die über einen russisch-eurasischen Migrationshintergrund verfügen. Aus den 950 identifizierten Unternehmen konnten letztlich rund 230 phänomenrelevante Pflegedienstunternehmen in ganz Deutschland, davon 13 in Bayern, ermittelt werden, deren handelnde Personen bzw. Personen aus ihrem Umfeld in früheren Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs im Gesundheitswesen bereits aufgefallen waren. Darüber hinaus wurden geldwäscherelevante Handlungen, Betrugs- und Steuerdelikte entsprechend berücksichtigt . Aus dem Projekt „Curafair“ ergaben sich nach Einschätzung des Bayerischen Landeskriminalamts bzw. der örtlich zuständigen Polizeipräsidien bislang keine neuen hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten im Sinne des § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO), weshalb auf Basis des Projektberichts durch die Verbände der Bayerischen Polizei keine Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Im Zusammenhang mit Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug haben nach den vorliegenden Berichten der Generalstaatsanwälte die bayerischen Staatsanwaltschaften bis zum 22.06.2017 39 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte wegen des Verdachts des Drucksache 17/17808 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Abrechnungsbetrugs eingeleitet. Diese 39 Verfahren sind insgesamt 31 Verfahrenskomplexen zuzuordnen. In einem weiteren eingeleiteten Ermittlungsverfahren wird derzeit gegen Unbekannt ermittelt. Die AOK Bayern teilte mit, dass ihre Betrachtung sich nicht auf eine strafrechtliche Betrachtung und Bewertung von Abrechnungsbetrug beschränkt, sondern auch zivil- und sozialrechtliche Aspekte berücksichtigt werden. Die AOK Bayern hat – losgelöst von Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug – im Rahmen der Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen seit 2012 bis zum 1. Quartal 2017 insgesamt 1.139 Neufälle von Abrechnungsbetrug in der Pflege geprüft und 646 Bestandsfälle weiter verfolgt. Allein für das 1. Quartal 2017 weist die von der AOK übermittelte Statistik 88 Neufälle aus. Seit 2012 hat die AOK Bayern in 92 Fällen die Staatsanwaltschaft nach § 197 Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) informiert bzw. sich einem laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren angeschlossen. 1.2 Wie wurden diese kriminellen Strukturen entdeckt ? Wie in der Vorbemerkung dargestellt, lagen für die Initiierung des Projekts „Curafair“ Erkenntnisse im Rahmen von Ermittlungsverfahren in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern vor. Daraufhin wurde ein operativstrategisches Auswerteprojekt zum Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russischsprachige Pflegedienste namens „Curafair“ beschlossen. Bei Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug in Bayern beruht der überwiegende Teil der berichteten Ermittlungsverfahren , nämlich 25 Verfahren, auf Anzeigen der AOK oder anderer Krankenkassen. Es ist ein Verfahren bekannt, bei dem eine leitende Person des betroffenen Pflegedienstes weitere Beteiligte angezeigt hat; die AOK hat sich dieser Anzeige angeschlossen. Bei einem weiteren Verfahren erfolgte neben der Anzeige durch die betroffene Krankenkasse eine anonyme Anzeige bei der Polizei. Bei einem weiteren Verfahren erstatteten die Verteidiger des/der Beschuldigten zugleich Selbstanzeige. Zum Teil beruhen die Ermittlungs- und Strafverfahren auf Anzeigen öffentlicher Stellen, wie etwa der Landeshauptstadt München oder des Betreuungsgerichts (drei Verfahren ). Ein nicht unbedeutender Teil der Verfahren geht auf Anzeigen von Privatpersonen, etwa von (ehemaligen) Arbeitnehmern oder Angehörigen der zu pflegenden Patienten , zurück (fünf Verfahren). Ein Verfahren wurde eingeleitet , nachdem sich aus einem anderen Ermittlungsverfahren gegen denselben Beschuldigten wegen anderer Straftaten Verdachtsmomente in Bezug auf einen Abrechnungsbetrug ergaben. Bei den übrigen Verfahren konnte in den Berichten der Generalstaatsanwälte nicht mitgeteilt werden, wie die zugrunde liegenden Taten entdeckt wurden; auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. Die AOK teilte mit, dass die ihr bekannten Fälle sowohl durch intensive interne Prüfungen, als auch durch externe Hinweise – oftmals von (ehemaligen) Mitarbeitern des Pflegediensts oder Angehörigen der Versicherten – entdeckt wurden und werden. Dieses Phänomen wurde auch von den Generalstaatsanwälten berichtet. Weitere Kassen teilten mit, dass derzeit vermehrt Fälle mit Verdacht auf Abrechnungsbetrug aufgrund der durch das PSG II und PSG III verpflichtenden MDK-Prüfungen (MDK = Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) aufgedeckt werden. 1.3 Welche Bereiche der Pflege – stationäre, ambulante Pflege oder Pflege-Wohngemeinschaften – sind betroffen (bitte einzeln auflisten)? Der Bericht „Curafair“ konstatiert für seine bundesweite Auswertung , dass grundsätzlich ein Handeln der Akteure auf allen Ebenen (Geschäftsführer, Pflegepersonal, Leistungsempfänger , Angehörige, Ärzte, Apotheker, Sanitätshäuser etc.) festgestellt werden konnte. Alle seitens der Generalstaatsanwälte berichteten 39 Er mittlungsverfahren gegen Pflegedienste mit osteuropäischem Bezug in Bayern betreffen die ambulante Pflege. Bei mindestens vier der Pflegedienste wurde zusätzlich Intensivpflege angeboten, bei zwei weiteren Pflegediensten waren entweder betreutes Wohnen oder Wohngemeinschaften mitumfasst. Nach Mitteilung der Krankenkassen bzw. Krankenkassenverbände ist fast ausschließlich der ambulante Pflegebereich (Leistungen nach SGB V und SGB XI) betroffen. In der stationären Pflege sind Betrugsfälle die absolute Ausnahme . 2.1 In welchen Orten waren diese Pflegedienste tätig (bitte nach Regierungsbezirken geordnet angeben )? Für Bayern wurden im Zusammenhang mit dem Bericht „Curafair “ 13 phänomenrelevante Pflegedienstleistungsunternehmen im Sinne der Antwort zu Frage 1.1 festgestellt, die ihren Sitz in München, Augsburg, Kaufbeuren, Regensburg und Würzburg hatten. 2.2 Welche Verstöße liegen vor (bitte unter Angabe einer jeweils kurzen, anonymisierten Sachverhaltsdarstellung und unter Aufschlüsselung der jeweiligen Straftatbestände)? Nach derzeitigen Erkenntnissen der Generalstaatsanwälte liegt 33 Verfahren im Zusammenhang mit Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug der Vorwurf zugrunde, dass Leistungen abgerechnet wurden, die überhaupt nicht oder nicht wie abgerechnet erbracht worden waren. Hierbei steht der Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 StGB im Raum. In zwei dieser Verfahren soll kollusiv mit einem Vertragsarzt zusammengewirkt worden sein, um nicht erbrachte bzw. medizinisch nicht indizierte Leistungen abzurechnen. Teilweise soll es auch zu Zahlungen an die zu pflegende Person bzw. deren Angehörige gekommen sein. In drei dieser 33 Verfahren wurden zusätzlich Unterschriften auf Leistungsnachweisen gefälscht, so dass in diesen Fällen auch der Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Betracht kommt. In fünf der 33 Fälle besteht der weitere Verdacht, dass auch der Einsatz von nicht hinreichend qualifiziertem Personal abgerechnet wurde. In einem Verfahren sollen Leistungen abgerechnet worden sein, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Die fünf weiteren Verfahren haben ausschließlich die Abrechnung des Einsatzes von nicht hinreichend qualifiziertem Personal zum Gegenstand. Ergänzend stellt das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr fest, dass durch das Bayerische Landeskriminalamt weiterhin entsprechende Auswertungen von Lageerkenntnissen hinsichtlich strafbewehrten Verhaltens in Form eines Abrechnungsbetrugs durch Pflegedienste stattfinden , auch unabhängig vom Projekt „Curafair“. Zu den Betrugsmustern wird zudem auf die Ausführungen der Staatsregierung im Bericht an den Bayerischen Landtag Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17808 vom 22.07.2016, Teil 3, Fragen 3 und 4 hingewiesen. Zudem bestätigt die AOK den im Curafair-Bericht genannten „Modus operandi“ (S. 4 f.), der auch für Bayern mit konkreten Fällen belegt werden könne. 2.3 Auf welchem Stand befinden sich die Verfahren in diesem Moment (aufgeschlüsselt nach: der Einstellung unter Angabe des jeweiligen Einstellungsgrunds , Anklageerhebung, Verurteilung, andauernde Ermittlung)? Nach den Berichten der Generalstaatsanwälte sind bei den Staatsanwaltschaften derzeit noch 19 Verfahren im Zusammenhang mit Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug anhängig. Die Ermittlungen dauern in diesen Verfahren an. Vier der Verfahren wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt . Ein Verfahren gegen mehrere Beschuldigte wurde durch Einstellungen gemäß §§ 153, 153a StPO abgeschlossen bzw. es wurden teilweise nach Nichtleistung der Geldauflage Strafbefehle beantragt. Vier der Verfahren wurden gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt . In fünf Verfahren wurde Anklage erhoben bzw. ein Strafbefehl beantragt. Fünf weitere Verfahren sind bereits abgeurteilt bzw. es wurde der beantragte Strafbefehl erlassen (in einem Fall nach Verbindung von zwei Ermittlungsverfahren ); drei dieser Verfahren sind wiederum rechtskräftig abgeschlossen. Von den von der AOK Bayern mitgeteilten 92 strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind nach dortigen Erkenntnissen 37 noch offen und 55 zwischenzeitlich beendet. Die Erledigung erfolgte durch: Urteil/Strafbefehl (13), Einstellung §§ 153, 153a, 154 StPO (19), Einstellung § 170 StPO (22), kein Ermittlungsverfahren (1). 3.1 Dürfen die betroffenen Anbieter von Pflegeleistungen derzeit weiter im Pflegebereich arbeiten? Seitens der Kranken- und Pflegekassen wird festgestellt, dass zwar die Versorgungsverträge mit den verurteilten Trägern i. d. R. beendet oder aufgelöst werden. Aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Regelungen ist es jedoch ohne weiteres möglich, dass diese Träger übergangslos einen neuen Versorgungsvertrag aufgrund Trägerwechsels erhalten , wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen nachweisen / erfüllen. Es besteht noch keine rechtliche Grundlage dafür, z. B. mittels einer „Betrugsdatenbank“ auffällig gewordene Leistungserbringer von der Versorgung (dauerhaft) auszuschließen. Strafrechtlich besteht die grundsätzliche Möglichkeit, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Berufsverbot zu verhängen (§ 70 StPO). 3.2 Sind durch betrügerische Aktivitäten Personen zu gesundheitlichen Schäden oder sogar zu Tode gekommen ? Der Staatsregierung und der ARGE liegen derzeit keine Erkenntnisse zu gesundheitlichen Schäden vor. Todesfälle sind in diesem Zusammenhang nicht bekannt. 4.1 Wann ereigneten sich diese Pflegebetrugsfälle in Bayern? Soweit die Tatzeiträume der Verfahren im Zusammenhang mit Pflegediensten mit osteuropäischem Bezug unter Berücksichtigung von teilweise laufenden Ermittlungen bereits bekannt sind, sind nach Mitteilung des Staatsministeriums der Justiz zumeist Taten aus den Jahren 2014 bis 2016 Gegenstand der Verfahren. Teilweise reichen die Taten jedoch bis ins Jahr 2009 zurück. Zum 01.01.2004 sind die Kranken- und Pflegekassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzurichten. Der an die Aufsichtsbehörde alle zwei Jahre abzugebende Bericht umfasst auch Fehlverhalten in der Pflege. 4.2 Wann haben die Aufsichtsbehörden erstmals Kenntnis von den Betrugsfällen erlangt? Hierzu darf auf die Vollzugsmitteilung der Staatsregierung vom 22.07.2016 zu den Beschlüssen des Landtags vom 20.04.2016, Drs. 17/11120, 17/11121, 17/11122, (Teil 3 Nr. 1) verwiesen werden. Im Übrigen sind die vorgelegten Berichte der Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen den zuständigen Behörden bekannt. 4.3 Wurde den Hinweisen der AOK ausreichend nachgegangen ? Die Staatsanwaltschaften gehen den Hinweisen der Anzeigeerstatter nach, soweit Verdachtsmomente für verfolgbare Straftaten vorliegen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dies in Bezug auf von der AOK erstattete Anzeigen nicht der Fall war. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen unverzüglich die Staatsanwaltschaften zu unterrichten ha- ben, wenn eine Prüfung einen Anfangsverdacht für strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung ergibt. Die Krankenkassen , insbesondere die AOK Bayern, sind ihrer Verpflichtung zur Unterrichtung der Staatsanwaltschaft nachgekommen . 5.1 Droht derzeit bereits eine Verfolgungsverjährung der Taten? Es sind dem Staatsministerium der Justiz keine Verfahren bekannt, in denen Verfolgungsverjährung droht. Wegen der Tatzeiten steht eine Verfolgungsverjährung regelmäßig noch nicht im Raum oder die Verjährung wurde durch entsprechende Strafverfolgungsmaßnahmen unterbrochen. 5.2 Seit wann ist der Staatsregierung bekannt, dass es sich im Gegensatz zum Bericht der Staatsregierung – Beschlüsse des Landtags vom 20.04.2016 (Drs. 17/11120, 17/11121, 17/11122) – doch um einen professionell organisierten Betrug bei Pflegedienstleistungen , also um Organisierte Kriminalität handelt? Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Organisierte Kriminalität im engeren Sinne handelt, haben sich nach den Berichten der Generalstaatsanwälte bislang nicht ergeben. Auch das Bayerische Landeskriminalamt hat festgestellt, dass trotz einzelner Verfahren gegen russische Pflegedienste für Bayern bisher nicht bestätigt werden kann, dass es sich hierbei um eine phänomenologische Ausprägung der Organisierten Kriminalität handelt. Gleichwohl schließt dies einzelne Beziehungen von Firmen oder deren Verantwortlichen untereinander nicht aus. Zu den Aussagen des Curafair-Berichts , die sich auf außerbayerische Sachverhalte beziehen, kann die Staatsregierung nicht Stellung nehmen. Auf die Vollzugsmitteilung der Staatsregierung vom 22.07.2016 zu den Beschlüssen des Landtags vom Drucksache 17/17808 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 20.04.2016 (Drs. 17/11120, 17/11121, 17/1112) wird ergänzend Bezug genommen. 5.3 Wurde oder wird gegen die betroffenen Personen in Bayern wegen anderer Straftaten aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität ermittelt, insbesondere wegen Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen , Glücksspiel, oder Mordes (bitte unter Angabe einer jeweils kurzen, anonymisierten Sachverhaltsdarstellung und unter Aufschlüsselung der jeweiligen Straftatbestände)? Auf die Antworten zu Frage 1.1 und 5.2 wird verwiesen. Ergänzend ist auszuführen dass nach den Berichten der Generalstaatsanwälte nicht bekannt ist, dass gegen die betroffenen Personen in Bayern wegen anderer Straftaten aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität ermittelt worden wäre oder wird. 6.1 Wie hoch ist die Schadenssumme für Bayern? Aufgrund der laufenden Ermittlungen sind nach Mitteilung des Staatsministeriums der Justiz endgültige Schadenssummen vielfach noch nicht geklärt. Verlässliche Angaben sind derzeit daher nicht möglich. Soweit die Ermittlungen bereits abgeschlossen sind, sind Fälle mit folgenden Schadenssummen bekannt: • 202.574,00 Euro • 99.220,00 Euro • 63.478,00 Euro • 20.425,00 Euro • 9.656,05 Euro • ca. 4.200 Euro • 2.660,80 Euro • ca. 2.000 Euro Die jeweiligen Verfahren sind allerdings nur teilweise rechtskräftig abgeschlossen. Bei den Verfahren, in denen die Ermittlungen andauern, liegen die bisher bekannten (vorläufigen) Schadenssummen zwischen 500,00 Euro und 393.565,00 Euro. Im Einzelnen wurden Verfahren mit folgenden Schadenssummen berichtet: • 393.565,00 Euro • 270.000,00 Euro • 260.000,00 Euro + 36.000,00 Euro • 53.330,00 Euro • ca. 45.000 Euro • 27.000,00 Euro • 11.736,01 Euro • 11.500,00 Euro • 7.483,00 Euro • ca. 5.000 Euro • 4.200,00 Euro • ca. 500 Euro In einem weiteren Verfahren bestehen zurzeit Anhaltspunkte für eine Schadenssumme im mindestens sechsstelligen Bereich . Hinsichtlich der übrigen Verfahren liegen zurzeit keine Angaben zu den Schadenssummen vor. Ergänzend wird zu den Schadenssummen aus Betrugshandlungen auf die Aussprache im Landtag zum Schriftlichen Bericht der Staatsregierung betreffend „Pflegebetrug“ hingewiesen. Für den Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung wurde ausgehend von den Daten der AOK in Abstimmung mit den anderen Kassen eine Schadenshochrechnung erstellt. Diese hat ergeben, dass in den Jahren 2010 bis 2016 für Bayern ein Gesamtschaden durch Betrug in der Pflege von rund zehn Millionen Euro zu vermuten sei. Die AOK Bayern hat für die Schriftliche Anfrage alleine für das 1. Quartal 2017 eine Schadenssumme von weiteren rund 540.000 Euro mitgeteilt. Hiervon konnten rund 165.000 Euro bereits durchgesetzt werden. Die AOK weist aber darauf hin, dass es sehr schwierig ist, von einem einheitlichen Schadensbegriff zu sprechen – zumindest dann, wenn hierbei nicht nur eine strafrechtlich-prozessuale Betrachtungsweise vorgenommen wird. Die Kranken- und Pflegekassen hätten in der Regel darüberhinausgehende zivil- und/oder sozialrechtliche Ansprüche, die aus Sicht der jeweiligen Kasse und der durch sie vertretenen Solidargemeinschaft auch als Schaden zu bewerten sind. Außerdem werde aufwandsbedingt ein Schaden oftmals nur auf einen eng begrenzten Zeitraum und auf eine klein ausgewählte Betroffenengruppe bezogen ermittelt. Würden längere Zeiträume und mehr (potenziell) Betroffene betrachtet, würde sich die Schadenssumme erhöhen. 6.2 Sind die Kontrollmöglichkeiten in der Pflege nach Ansicht der Staatsregierung derzeit ausreichend? Die in der Sozialen Pflegeversicherung durch das PSG II geschaffene Möglichkeit, Abrechnungsprüfungen als Teil der Qualitätsprüfungen durchzuführen, wird seit November 2016 genutzt. Zum 01.01.2017 wurden die Kontrollmöglichkeiten in der Pflege mit dem Inkrafttreten des PSG III noch deutlich ausgeweitet (siehe Frage 6.3). Beispielsweise werden jetzt auch Fälle, in denen ausschließlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbracht werden, in die Prüfungen einbezogen. Ob dies ausreichend ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Die Staatsregierung wird dies weiter im Blick behalten und – soweit sich die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zeigen sollte – auch auf weitere Gesetzesänderungen hinwirken. Mit § 197a SGB V und § 47a SGB XI bestehen Rechtsgrundlagen für die Kranken- und Pflegekassen, um Abrechnungsbetrug in der Pflege wirksam bekämpfen und Fehlverhalten im Gesundheitswesen effektiv verfolgen zu können. In diese Kontrollverfahren können auch die Sozialhilfeträger, die für die Erbringung der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zuständig sind, miteinbezogen werden. Eine Einbeziehung von Fällen, in denen ausschließlich Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII gewährt wird, ist nach aktueller Rechtslage allerdings nicht zulässig. Um auch den Sozialhilfeträgern zu ermöglichen, effektiver gegen Betrugsfälle in der Hilfe zur Pflege vorzugehen, haben die Arbeits- und Sozialministerkonferenz und die Gesundheitsministerkonferenz gemeinsam eine Länder-Arbeitsgruppe „Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege“ eingerichtet, in der auch Bayern vertreten ist. In der ersten Sitzung dieser Arbeitsgruppe am 06.04.2017 wurden u. a. mögliche Regelungslücken im Hinblick auf die Prüfmöglichkeiten der Sozialhilfeträger nach dem SGB XII sowie im Bereich der Schnittstellen des SGB XII (Sozialhilfe) zum SGB V (gesetzliche Krankenversiche - rung) und SGB XI (soziale Pflegeversicherung) diskutiert . In dieser Arbeitsgruppe sollen die Vorschriften der Hilfe zur Pflege im SGB XII mit dem Ziel überprüft werden, den Trägern der Hilfe zur Pflege die gleichen Prüf- und Informationsaustauschmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen wie den Kranken- und Pflegekassen im SGB V und SGB XI. Bayern wird sich in die noch fortzuführende Diskussion in dieser Arbeitsgruppe weiterhin aktiv einbringen. Die Ergeb- Seite 6 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/17808 nisse der Arbeitsgruppe bleiben abzuwarten. Auch der Städtetag hält hier gesetzliche Regelungen für eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen allen Leistungsträgern und den Datenaustauch für erforderlich. 6.3 Welche Auswirkungen haben die neuen Regelungen im dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III) auf die Betrugsentdeckung? Zur besseren Bekämpfung von Abrechnungsbetrug wurden mit dem PSG III folgende Regelungen getroffen, die zum 01.01.2017 in Kraft getreten sind: • In die Regelprüfungen des MDK nach dem SGB XI werden nun generell die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V einbezogen. Früher erfolgte dies nur bei paralleler Gewährung von Pflegesachleistungen. Damit werden nun auch Patienten mit außerklinischem Intensivpflegebedarf in die Prüfung einbezogen, die neben der häuslichen Krankenpflege Pflegegeld bzw. keine Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. • Der MDK hat jetzt ein systematisches Prüfrecht: Auch Pflegedienste, die ausschließlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Auftrag der Krankenkassen erbringen , werden nun regelmäßig von den Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen durch den MDK erfasst. Dabei gelten die im Rahmen des PSG II bereits verschärften Prüfrechte des MDK entsprechend, d. h. Anlassprüfungen sollen unangemeldet erfolgen. Für Intensivpflege- Wohngemeinschaften wurden besondere Meldepflichten eingeführt. Hier sind die Prüfungen sogar grundsätzlich unangemeldet durchzuführen und es gelten auf Grund der stationsähnlichen Organisation erweiterte Betretungsrechte . • Abrechnungsprüfungen werden von den Pflegekassen zudem nun auch unabhängig von den Qualitätsprüfungen des MDK durchgeführt, wenn Anhaltspunkte für fehlerhaftes Abrechnungsverhalten vorliegen. • Darüber hinaus wurde die Pflegeselbstverwaltung in den Ländern gesetzlich verpflichtet, in den Landesrahmenverträgen insbesondere Voraussetzungen festzulegen, durch die wirksamer gegen bereits auffällig gewordene Anbieter vorgegangen werden kann. Damit soll sichergestellt werden, dass sich beispielsweise kriminelle Pflegedienste nicht einfach unter neuem Namen oder über Strohmänner eine neue Zulassung erschleichen können. • Die Pflegedienste wurden ergänzend zur Mitwirkung an Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen des MDK verpflichtet . Insbesondere müssen sie nun Namen und Kontaktdaten der von ihnen versorgten Personen an die jeweiligen Prüfer weiterleiten und können diese Auskünfte nicht mehr unter Berufung auf den Datenschutz verweigern . Mit dieser Neuregelung wurde darauf reagiert, dass in der Vergangenheit von einzelnen Pflegediensten teilweise Listen mit den Namen und Kontaktdaten der von ihnen betreuten Personen für die Stichprobenauswahl zur Prüfung verweigert wurden. Einzelne Pflegedienste hatten offenbar alle ihre Klienten pauschal ein Formular unterschreiben lassen, mit dem diese Klienten unter Berufung auf ihre Datenschutzrechte einer Weitergabe ihres Namens und ihrer Kontaktdaten an einen Prüfer pauschal widersprachen. Effektive Prüfungen dieser Pflegedienste waren damit früher faktisch nicht möglich. Diese Regelungen verfolgen das Ziel und erscheinen auch dazu geeignet, Abrechnungsbetrug zu erschweren und ggf. leichter als früher zu entdecken. Eine Beurteilung ihrer Wirkung in der Praxis ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Seitens der Kassen wurde festgestellt, dass aufgrund der durch das PSG II und PSG III verpflichtenden MDK-Prüfungen Fälle mit Verdacht auf Abrechnungsbetrug vermehrt aufgedeckt werden. 7.1 Welche Maßnahmen haben die Staatsregierung bzw. die Aufsichtsbehörden nach Kenntnisnahme der Vorfälle bereits ergriffen, wie zukünftig betrügerische Abrechnungen zu Lasten der Pflegekassen vermieden werden könnten? Die Bayerische Staatsregierung hat die im PSG III auf Bundesebene vorgenommenen Gesetzesänderungen mit unterstützt und erfolgreich einen Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht. Gegenstand war v. a. eine Prüfbitte an die Bundesregierung, ob für ein effektiveres Vorgehen gegen bereits auffällig gewordene Anbieter von Pflegeleistungen ein Regelungsauftrag für die Pflegeselbstverwaltungen auf Landesebene ausreicht oder ob es nicht vielmehr gesetzlicher Regelungen bedarf. Der Bundestag hat daraufhin eine redaktionelle Ergänzung der §§ 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 95 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI vorgenommen, nach dem die Pflegekassen bzw. ihre Verbände personenbezogene Daten nun auch im Rahmen von Abrechnungsprüfungen nutzen dürfen. Darüber hinaus haben die Länder auf der 89. Gesundheitsministerkonferenz am 29./30.06.2017 und auf der 93. Amtschefkonferenz der Arbeits- und Sozialministerkonferenz am 06./07.10.2016 zahlreiche Beschlüsse zur Thematik gefasst. Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat seit dem Bekanntwerden des Abrechnungsbetrugs durch russischsprachige Pflegedienste im April 2016 zudem zwei Fachgespräche „Bekämpfung von Fehlverhalten in der Pflege “ mit Vertretern der Kranken- und Pflegekassen, des MDK Bayern, der Polizei sowie der Staatsministerien für Arbeit und Soziales, Familie und Integration, der Justiz und des Innern , für Bau und Verkehr geführt, um das weitere Vorgehen gegen Abrechnungsbetrug abzustimmen. Zudem ist das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in der gemeinsam von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Gesundheitsministerkonferenz eingerichteten Länder-Arbeitsgruppe „Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege“ vertreten. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, eventuellen weiteren Handlungsbedarf und möglicherweise noch bestehende Regelungslücken in den gesetzlichen Vorschriften zur Prüfung der Abrechnungen von Pflegediensten zu klären und ggf. entsprechend für Abhilfe zu sorgen. Damit ist ein weiterer Austausch zwischen Bundes- und Landesebene gewährleistet. Weiter wurde die Zuständigkeit der drei bayerischen Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen zum 01.12.2016 auf nicht-akademische Heilberufe erweitert. Dahinter steht die Erwägung, dass die effektive Verfolgung der häufig äußerst komplexen Straftaten vielfach spezifisches Fachwissen und Erfahrung in speziellen Materien voraussetzt. Die Strukturen sollen so verbessert und die Qualität der Bearbeitung durch die Bündelung von Fachwissen weiter gesteigert werden. Zudem werden die Grundlagen gelegt, um in einem tatsächlich wie rechtlich gleichermaßen komplexen wie sensiblen Bereich noch besser eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Überdies werden Abgrenzungsschwierigkeiten in Fällen, in denen Ärzte und Angehörige nichtakademischer Heilberufe wie Pflegedienste Drucksache 17/17808 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 7 zusammenwirken, vermieden. Schließlich findet eine Harmonisierung mit dem neuen § 299a StGB statt, der keine Beschränkung auf akademische Heilberufe vorsieht. Begleitend wurde eine personelle Verstärkung veranlasst, um nicht zuletzt die zu erwartende Mehrbelastung auch seitens der befassten Staatsanwälte auffangen zu können. Eine weitere Aufstockung ist zum 01.10.2017 beabsichtigt. 7.2 Welche Maßnahmen der Staatsregierung bzw. der Aufsichtsbehörden nach Kenntnisnahme der Vorfälle sind beabsichtigt, wie zukünftig betrügerische Abrechnungen zu Lasten der Pflegekassen vermieden werden könnten? Zunächst bleibt abzuwarten, wie die bereits beschlossenen Maßnahmen in der Praxis wirken. Sollte sich weiterer Reformbedarf zeigen, wird die Staatsregierung – auch und insbesondere im Rahmen der Länder-Arbeitsgruppe „Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege“ – dem entsprechend nachgehen. Soweit erforderlich werden weitere bundesgesetzliche Regelungen angestoßen. Auf die Antwort zu Frage 6.2 wird ergänzend verwiesen. 8.1 Welcher Reformbedarf ergibt sich noch aus den neuen Erkenntnissen im Hinblick auf Betrugsbekämpfung ? Siehe Antwort zu Frage 7.2 8.2 Welche Konsequenzen zieht die Staatsregierung konkret auf Landesebene aus dem Skandal? Bei dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung handelt es sich um Bundesrecht . Deshalb ist zunächst der Bundesgesetzgeber für die Schließung gesetzgeberischer Lücken zuständig. Dies ist mit den im PSG III enthaltenen Regelungen erfolgt. Soweit sich weiterer Reformbedarf zeigt, wird Bayern, ggf. in entsprechenden Gesetzgebungsverfahren, sinnvolle und notwendige Maßnahmen unterstützen. Dies gilt auch für die von der ARGE im Positionspapier „Vorschläge zur Kriminalprävention im Bereich der ambulanten Pflege“ erarbeiteten Vorschläge. Hierzu wird die Staatsregierung den Dialog mit den betroffenen Ressorts und den Körperschaften weiterführen , um ggf. die durch die bereits getroffenen Maßnahmen noch nicht ausreichend geschlossen Regelungslücken zu identifizieren. Im Fachgespräch vom 13.01.2017 haben die beteiligten Ressorts sowie die ARGE und der MDK Bayern verabredet, Anfang 2018 ein erneutes Treffen zur Evaluation der Umsetzung der Maßnahmen des PSG II und PSG III durchzuführen. Dabei ist zu beachten, dass Bayern kein regionaler Schwerpunkt gewerbsmäßiger Betrugshandlungen durch osteuropäische Pflegedienste darstellt. Wenn, wie aus dem Curafair-Bericht hervorgeht, sich 13 von 230 betroffenen Pflegediensten in Bayern befinden, ist dies bevölkerungsbezogen deutlich unterdurchschnittlich. Angesichts der unstrittig auch in Bayern vorkommenden Betrugsfälle hat die Staatsregierung sich hier dennoch aktiv eingebracht, um Rechtsnormen zu verbessern und deren Vollzug zu optimieren sowie die zuständigen Körperschaften in Bayern zu sensibilisieren und zu vernetzen. Die Staatsregierung verfolgt das Ziel, die vielen hervorragend arbeitenden Pflegeeinrichtungen nicht mit zusätzlicher Bürokratie und zusätzlichem Dokumentationsaufwand zu belasten und gleichzeitig aber Regelungen zu finden, die verhindern können, dass Kriminelle das System ausnutzen. Dies erfordert eine fundierte Analyse der bestehenden Möglichkeiten , einen Dialog mit allen Beteiligten und ein zielgerichtetes und maßvolles Handeln. Auf die Antworten zu Fragen 2.2 sowie 7.1 wird ergänzend verwiesen.