17. Wahlperiode 06.11.2017 17/18017 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ruth Müller SPD vom 10.07.2017 Psychopharmaka in bayerischen Justizvollzugsanstalten Ich frage die Staatsregierung: 1 a) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zur Medikation von Psychopharmaka in den bayerischen Justizvollzugsanstalten vor? b) Wie hat sich die Verordnungsrate in den letzten zehn Jahren entwickelt (aufgeschlüsselt nach Haftanstalt und Medikament)? 2. Wie beurteilt die Staatsregierung die zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika in bayerischen Justizvollzugsanstalten ? 3. a) Welche Gründe sieht die Staatsregierung dafür, falls eine signifikante Steigerung der Verordnungen (s. Frage 1 b) erkennbar ist? b) Welche Maßnahmen will die Staatsregierung ergreifen , um eine Reduzierung zu erreichen, falls eine signifikante Steigerung der Verordnungen (s. Frage 1 b) erkennbar ist? c) Hat die Staatsregierung Kenntnis von Maßnahmen oder Modellprojekten aus anderen Bundesländern oder Ländern, um eine Reduzierung der Verabreichung von Neuroleptika in Justizvollzugsanstalten zu erreichen? 4. Welche Alternativen gibt es zur Medikation von Psychopharmaka mit sedierender Wirkung oder Nebenwirkung ? 5. Hat die Staatsregierung Kenntnis, inwieweit bereits bei der Inhaftierung betroffener Personen Medikamentenabhängigkeiten ein Problem darstellen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 31.07.2017 1. a) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zur Medikation von Psychopharmaka in den bayerischen Justizvollzugsanstalten vor? b) Wie hat sich die Verordnungsrate in den letzten zehn Jahren entwickelt (aufgeschlüsselt nach Haftanstalt und Medikament)? Bei der Medikation von Psychopharmaka wird in den bayerischen Justizvollzugsanstalten unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben insgesamt äußerst zurückhaltend verfahren. Ergänzend wird auf die Beantwortung der Fragen 2 und 3 Bezug genommen. Dem Staatsministerium der Justiz wird jährlich über die Kosten der Medikamentenbestellungen im bayerischen Justizvollzug berichtet. Die Ausgaben für Psychopharmaka – wobei die Einteilung der Medikamente in verschiedene Gruppen von der beliefernden Apotheke vorgenommen wird – entwickelten sich in den letzten zehn Jahren wie folgt: Jahr Ausgaben für Psychopharmaka im bayerischen Justizvollzug 2007 339.570 € 2008 336.098 € 2009 430.448 € 2010 544.121 € 2011 618.213 € 2012 680.622 € 2013 715.928 € 2014 535.401 € 2015 412.404 € 2016 470.312 € Die Verordnungsrate von Medikamenten, aufgeschlüsselt nach Justizvollzugsanstalten, wird statistisch nicht erfasst. 2. Wie beurteilt die Staatsregierung die zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika in bayerischen Justizvollzugsanstalten? Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge erfolgen auf der Grundlage von Art. 108 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) und sind nur bei Lebensgefahr, bei schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit der Gefangenen oder bei Gefahr für die Gesundheit anderer Personen zulässig. Die Maßnahmen müssen für die Beteiligten zumutbar sein, dürfen nicht mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit der Gefangenen verbunden sein und werden nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes im Einvernehmen mit der Anstaltsleitung durchgeführt . Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18017 Auf dieser gesetzlichen Grundlage werden Neuroleptika zwangsweise nur bei entsprechender ärztlicher Indikation – insbesondere also bei Erkrankungen aus dem Formenkreis der Schizophrenie – und einer dadurch bedingten Gefahr verabreicht, wenn sämtliche anderen deeskalierenden, nicht medikamentösen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Insbesondere wird versucht, durch Gespräche mit den Gefangenen sowie durch Aufklärung und Schutzmaßnahmen (zum Beispiel Unterbringung in einem verletzungssicheren Raum) eine zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika zu vermeiden. 3. a) Welche Gründe sieht die Staatsregierung dafür, falls eine signifikante Steigerung der Verordnungen (s. Frage 1 b) erkennbar ist? b) Welche Maßnahmen will die Staatsregierung ergreifen , um eine Reduzierung zu erreichen, falls eine signifikante Steigerung der Verordnungen (s. Frage 1 b) erkennbar ist? c) Hat die Staatsregierung Kenntnis von Maßnahmen oder Modellprojekten aus anderen Bundesländern oder Ländern, um eine Reduzierung der Verabreichung von Neuroleptika in Justizvollzugsanstalten zu erreichen? Der auf Seite 1 abgebildeten Tabelle lässt sich entnehmen, dass die vom bayerischen Justizvollzug jährlich aufgewandten Kosten für Psychopharmaka Schwankungen unterliegen , es jedoch in den vergangenen Jahren zu keiner signifikanten Steigerung der Medikamentenkosten für Psychopharmaka gekommen ist. Ursächlich hierfür ist sicherlich auch, dass der bayerische Justizvollzug neben einer adäquaten medikamentösen Behandlung der betroffenen Gefangenen seit Jahren ein besonderes Augenmerk darauf legt, die Versorgung und Betreuung psychisch auffälliger oder kranker Gefangener weiter auszubauen beziehungsweise zu optimieren. So ist neben den bereits bestehenden zwei psychiatrischen Abteilungen in den Justizvollzugsanstalten Straubing und Würzburg mittelfristig die Einrichtung einer weiteren psychiatrischen Abteilung geplant. Zudem wurden Anfang diesen Jahres gemeinsam mit dem Amt für Maßregelvollzug Handlungsempfehlungen entwickelt, um die praktische Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Maßregelvollzug bei der Behandlung von psychisch auffälligen Gefangenen zu verbessern. Auch wurde die sozialtherapeutische und psychologische Versorgung der Gefangenen in den letzten Jahren in erheblichem Umfang ausgebaut: Inzwischen gibt es in 13 Anstalten sozialtherapeutische Abteilungen sowie insgesamt im bayerischen Justizvollzug 118 Planstellen für Psychologen. Damit einhergehend wird auch ein breit gefächertes Angebot an gruppentherapeutischen Maßnahmen – wie zum Beispiel kreatives Werken, Arbeitstherapie, Entspannungstraining , Meditationsgruppen, Yoga, etc. – vorgehalten , durch die Gefangene eine psychische Stabilisierung erfahren und die die Verabreichung von Medikamenten in manchen Fällen obsolet machen. Erkenntnisse zu aktuellen Modellprojekten anderer deutschen Länder oder im Ausland zur Reduzierung von Neuroleptika liegen hier nicht vor. 4. Welche Alternativen gibt es zur Medikation von Psychopharmaka mit sedierender Wirkung oder Nebenwirkung? Aufgrund der Vielzahl und Unterschiedlichkeit psychischer Erkrankungen lässt sich jeweils nur im Einzelfall durch den behandelnden Arzt beurteilen, ob im konkreten Fall die Erkrankung auch anderweitig behandelt werden kann. Generell wird jedoch – soweit möglich – immer versucht, Gefangene durch psychologische Gespräche und das Angebot psychisch stabilisierender Maßnahmen zu entlasten. 5. Hat die Staatsregierung Kenntnis, inwieweit bereits bei der Inhaftierung betroffener Personen Medikamentenabhängigkeiten ein Problem darstellen ? Die Abhängigkeit ausschließlich von legal verschriebenen Arzneimitteln zum Zeitpunkt der Inhaftierung spielt im bayerischen Justizvollzug nach vollzuglicher Erfahrung nur eine untergeordnete Rolle. Zahlreicher sind Gefangene mit Polytoxikomanie , die neben Drogen und Alkohol zum Beispiel auch Benzodiazepine konsumiert haben und davon abhängig sind. Für diese komplexe Abhängigkeit muss jeweils ein auf den Einzelfall abgestimmtes ärztliches Behandlungskonzept zur Anwendung kommen.