Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 01.06.2017 Eskalierter Polizeieinsatz bei Abschiebung in Nürnberg Zur Umsetzung eines verbindlichen Abschiebebeschlusses der zuständigen Ausländerbehörde hat die Polizei am Morgen des 31.05.2017 einen 20-jährigen Afghanen an einer Nürnberger Berufsschule aus dem Unterricht herausgeholt, um ihn nach Afghanistan abzuschieben. Mitschüler bildeten eine Sitzblockade, um den Abtransport des Afghanen zu verhindern und gegen die Abschiebung zu protestieren. Nach Polizeiangaben wuchs die Teilnehmerzahl der Protestaktion im Laufe des Vormittags auf bis zu 300 Personen an. In der Folge eskalierte die Situation. Es kam zu tumultartigen Szenen. Die Polizei setzte körperliche Zwangsmittel , Pfefferspray und Hunde mit Beißschutz ein. Mehrere Polizist(inn)en wurden nach Presseangaben verletzt. Ich frage die Staatsregierung: 1.1 Welchen genauen Einsatzauftrag hatten die Polizeibeamt(inn)en? 1.2 Wer hat die Entscheidung getroffen, dass der 20-jährige Afghane während des Schulunterrichts und vor den Augen seiner Schulkamerad(inn)en von der Polizei in Gewahrsam genommen wird? 1.3 Wie ist es im Detail zu dieser Eskalation der Demonstration gekommen, bei der es zum Einsatz von Polizeihunden , Pfefferspray und unmittelbaren Zwangsmaßnahmen kam? 2.1 Aus welchen Gründen haben die Beamten unmittelbaren Zwang angewandt? 2.2 Wurden mildere Mittel erwogen und eingesetzt (bitte detailliert angeben)? 3.1 Welche Polizeieinheiten waren an dem Einsatz beteiligt ? 3.2 Wurde das Unterstützungskommando Spezialkräfte der Polizei hinzugerufen (bitte Zeit und Grund für den Einsatz des USK angeben)? 4.1 Wie hat die Polizei den Einsatz an der Nürnberger Berufsschule vorbereitet? 4.2 Hat die Staatsregierung vorab mit einer solchen Eskalation vor Ort gerechnet? 4.3 Gab es bei anderen Abschiebungen, die in letzter Zeit wiederholt während des Schulunterrichts erfolgt sind, Solidaritätsbekundungen, Demonstrationen und körperliche Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten? 5.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Tatsache, dass wie im Falle des 20-jährigen Afghanen derzeit wiederholt Abschiebungen während des Schulunterrichts erfolgen, bei denen der gesamte Klassenverband das staatliche Verhalten miterleben muss? 5.2 Wie hat sich die Schulleitung zu dem Einsatz verhalten ? 5.3 Welche Hilfe stellt die Staatsregierung den betroffenen Schüler(inn)en zur Verfügung, die infolge von diesem und anderen Polizeieinsätzen Angst und Schrecken erleben? 6.1 Gegen wie viele Personen, die an den Protestaktionen an der Nürnberger Berufsschule beteiligt waren, werden Ermittlungsverfahren eingeleitet (bitte unter Angabe einer jeweils kurzen, anonymisierten Sachverhaltsdarstellung und unter Aufschlüsselung der jeweiligen Straftatbestände)? 6.2 Wie viele Personen wurden bei dem Einsatz verletzt (bitte die Verletzungen angeben)? 7.1 Seit wann war der 20-jährige Asylbewerber in Deutschland und in welchen Einrichtungen war er untergebracht (bitte Ort und Zeitraum angeben)? 7.2 Aus welchen Gründen erfolgt die Abschiebung des 20-jährigen Afghanen? 7.3 In welcher Ausbildung befand sich der 20-jährige Afghane (bitte Ort, Betrieb und Beginn des Ausbildungsverhältnisses angeben)? 8. Welche Konseqenzen zieht die Staatsregierung aus dem Polizeieinsatz? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 13.08.2017 1.1 Welchen genauen Einsatzauftrag hatten die Polizeibeamt(inn)en? Die Durchführung der Abschiebemaßnahme der Regierung von Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde Mittelfranken (ZAB) – obliegt gem. Art. 30 Abs. 1 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) der Polizei. Der Polizei lag hierzu ein Ingewahrsamnahmeersuchen der Regierung von Mittelfranken zur Abschiebung des Herrn N. vor. Laut dem Ersuchen der ZAB Mittelfranken sollte der abzuschiebende Afghane am 31.05.2017, um 06:00 Uhr morgens, an seinem Wohnsitz abgeholt und in Gewahrsam genommen werden. Die Beamten konnten Herrn N. nicht an seiner Wohnung antreffen . Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.12.2017 17/18072 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18072 1.2 Wer hat die Entscheidung getroffen, dass der 20-jährige Afghane während des Schulunterrichts und vor den Augen seiner Schulkamerad(inn)en von der Polizei in Gewahrsam genommen wird? Gegen 07:00 Uhr wurde die Polizeiinspektion (PI) Nürnberg -Süd von der ZAB Mittelfranken fernmündlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich Herr N. in der Berufsschule 11, Deumentenstraße 1 in Nürnberg, aufhalten könnte. Die Polizei wurde von der Zentralen Ausländerbehörde ersucht, im Falle des Antreffens des Herrn N. diesen dort in Gewahrsam zu nehmen. Um ca. 07:45 Uhr traf die Streifenbesatzung an der Berufsschule ein und nahm mit dem stellvertretenden Schulleiter Kontakt auf. Um etwa 08:10 Uhr wurde Herr N. vom stellvertretenden Schulleiter aus dem Klassenzimmer gebeten und in den daran angrenzenden Büroraum begleitet. Dort wurde er von den Polizeibeamten in Gewahrsam genommen. 1.3 Wie ist es im Detail zu dieser Eskalation der Demonstration gekommen, bei der es zum Einsatz von Polizeihunden, Pfefferspray und unmittelbaren Zwangsmaßnahmen kam? Um ca. 08:15 Uhr kamen die Polizeibeamten dem Wunsch von Herrn N. nach, sich von seinem auf dem Gang des Schulgebäudes entgegenkommenden Lehrer zu verabschieden . Bereits auf dem Weg durch das weitläufige Schulgebäude äußerten einige Schüler ihren Unmut über die Ingewahrsamnahme des Herrn N. Beim Eintreffen am Dienstfahrzeug war diese Gruppe, welche augenscheinlich überwiegend aus Schülern bestand, auf zehn Personen angewachsen . Als Herr N. gegen 08:20 Uhr mit dem uniformierten Streifenfahrzeug zur Dienststelle gebracht werden sollte, blockierten einige Mitschüler die Abfahrt. Sie protestierten lautstark gegen die polizeilichen Maßnahmen und signalisierten ihre Solidarität mit dem Abzuschiebenden , weshalb weitere Streifen zur Unterstützung angefordert wurden. Von den Einsatzkräften wurde parallel versucht, die Freigabe der Fahrbahn auf kommunikativem Weg zu erreichen. Um 08:45 Uhr wurde die Einsatzleitung vor Ort durch die örtlich zuständige PI Nürnberg-Ost übernommen. Der Einsatzleiter nahm nochmals Kontakt zum stellvertretenden Schulleiter auf, welcher ebenfalls am Berliner Platz war. Dieser sah aber nach eigenen Angaben keine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Schüler. Das Verhalten der mittlerweile etwa 20 vor Ort befindlichen Personen wurde von der polizeilichen Einsatzleitung als Versammlung gewertet. Nachdem die Versammlungsteilnehmer das Polizeifahrzeug weiterhin blockierten und sich Herr N. bislang kooperativ verhielt, sollte er in ein anderes Fahrzeug außerhalb der Blockade verbracht werden, um so den Abtransport zu ermöglichen . Herr N. leistete hierbei erheblichen Widerstand. Er schlug und trat wild um sich und versuchte, sich massiv aus den Griffen der Polizeibeamten zu lösen. Dies nutzten die Versammlungsteilnehmer, blockierten auch das zweite Dienstfahrzeug nach rund 50 Metern Fahrt in der Straße „Berliner Platz“ und verhinderten die Weiterfahrt . Innerhalb weniger Minuten bildeten weitere Teilnehmer eine Sitzblockade von je ca. 15 Personen vor und hinter dem Polizeifahrzeug. Aus der Menge der blockierenden Versammlungsteilnehmer erfolgten Äußerungen, dass der Abtransport des Herrn N. verhindert werden soll und Abschiebungen nach Afghanistan im Allgemeinen nicht zumutbar wären. Trotz eines vom polizeilichen Einsatzleiter erlassenen beschränkenden Bescheids, die Versammlung auf dem Gehweg neben der Fahrbahn abzuhalten, konnte auch der Versammlungsleiter die Demonstranten nicht dazu bewegen, die Fahrbahn freizugeben. Er erklärte sich jedoch bereit, die Versammlung nach Fertigen von Bildern und Durchführung von Presseinterviews zu beenden. Um eine weitere Eskalation der Situation zu vermeiden, wurde dies den Demonstranten vom Einsatzleiter zugestanden . Inzwischen mischten sich bereits einige Personen, die, basierend auf polizeilichen Erkenntnissen und anhand szenetypischer Kleidung, der linksautonomen Szene zuzuordnen sind, unter die Demonstranten. Die Anzahl war zu diesem Zeitpunkt auf etwa 100 Personen angewachsen. Um 09:37 Uhr beendete der Versammlungsleiter die Versammlung . Dabei bat er die Teilnehmer, die Fahrbahn wieder freizugeben. Aus der Menge heraus wurde darauf erwidert, zwar keinen gewaltsamen Widerstand zu leisten, jedoch auf der Fahrbahn sitzen bleiben zu wollen. Mehrfache Versuche des Polizeieinsatzleiters, die Blockadeteilnehmer zur Freigabe der Fahrbahn zu überreden, verliefen erfolglos. Gegen 09:55 Uhr versuchten plötzlich mehrere, offenkundig dem linksautonomen Spektrum zuzuordnende Personen , ohne Vorwarnung gewaltsam zum Dienstfahrzeug, in welchem Herr N. saß, vorzudringen. Hierbei wurden nach Darstellung des Polizeipräsidiums Mittelfranken die Beamten massiv tätlich angegriffen. So wurde beispielsweise den Polizeibeamten in den Rücken gesprungen, gegen Knie und Beine getreten und mit den Ellbogen gegen Oberkörper und Hals geschlagen. Darüber hinaus wurden die Einsatzkräfte mit Flaschen beworfen. Die eingesetzten Beamten mussten unmittelbaren Zwang in Form von körperlicher Gewalt unter Zuhilfenahme des Einsatzmehrzweckstockes als Abdränghilfe anwenden, um sich zu schützen und die Lage wieder zu beruhigen. Danach ließen sich die Blockadeteilnehmer wieder auf der Fahrbahn nieder. Um weitere Auseinandersetzungen zu verhindern, begannen die Beamten, Herrn N. gegen 10:05 Uhr erneut in ein in der Nähe abgestelltes uniformiertes Dienstfahrzeug zu verbringen . Dieses wurde mit zwei Diensthunden abgesichert, denen der Beißschutz angelegt war. Herr N. wehrte sich erneut gegen die Verbringung, hielt sich am Fahrzeug fest und trat nach den Beamten. Die Blockadeteilnehmer wurden von den eingesetzten Kräften aufgefordert, die polizeilichen Maßnahmen nicht weiter zu behindern. Bei Nichtbeachtung wurde die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht. Trotzdem griffen die Störer die Beamten erneut körperlich an und versuchten, das bereitgestellte Dienstfahrzeug zu blockieren . Hierbei wurden zahlreiche Platzverweise gegen die Störer ausgesprochen, denen nicht Folge geleistet wurde. Um einen Korridor zum Abtransport freizumachen, musste letztlich von den Einsatzkräften unmittelbarer Zwang mittels Einsatzstock sowie Pfefferspray eingesetzt werden. Die polizeilichen Maßnahmen erfolgten stets unter der Maßgabe einer Differenzierung zwischen gewaltbereiten Personen und den sich solidarisch zeigenden, aber friedlichen Berufsschülern. Drucksache 17/18072 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 2.1 Aus welchen Gründen haben die Beamten unmittelbaren Zwang angewandt? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1.3 verwiesen. 2.2 Wurden mildere Mittel erwogen und eingesetzt (bitte detailliert angeben)? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1.3 verwiesen. 3.1 Welche Polizeieinheiten waren an dem Einsatz beteiligt ? An der Berufsschule waren laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mittelfranken zunächst 53 Polizeibeamte eingesetzt. Diese setzten sich aus 26 Beamten umliegender Inspektionen , 25 Beamten des Einsatzzuges der PI Erlangen-Stadt sowie 2 Diensthundeführern zusammen. 3.2 Wurde das Unterstützungskommando Spezialkräfte der Polizei hinzugerufen (bitte Zeit und Grund für den Einsatz des USK angeben)? Die Kräfte der 1. Einsatzhundertschaft/Unterstützungskommando Mittelfranken (USK) wurden, nachdem die Lage zu eskalieren begann, um 10:05 Uhr zur Verstärkung der eingesetzten Kollegen angefordert. Zum Zeitpunkt des Eintreffens der 37 Beamten des USK um 10:19 Uhr an der Einsatzörtlichkeit war Herr N. bereits mit dem Dienstfahrzeug abtransportiert worden. Das Unterstützungskommando Mittelfranken wurde somit im Rahmen der Ingewahrsamnahme nicht eingesetzt. Die Beamten standen anschließend lediglich an der vom Einsatzort abgesetzten Bereitstellungsörtlichkeit (im Bereich der Bayreuther Straße) als Reserve bereit. Ab 10:50 Uhr wurde das USK Mittelfranken mit dem Schutz der sich anschließenden fortbewegenden Versammlung vom Berliner Platz zur Ausländerbehörde in der Hirschelgasse beauftragt. 4.1 Wie hat die Polizei den Einsatz an der Nürnberger Berufsschule vorbereitet? Das Polizeipräsidium Mittelfranken mit seinen tangierten Dienststellen veranlasste zeitgerecht die Kontaktaufnahme und Abstimmung mit der zuständigen Ausländerbehörde sowie der Regierung von Mittelfranken. Darüber hinaus fand eine interne Kräftekoordination sowie Beauftragung und Einweisung der einzusetzenden Polizeibeamten statt. Bereits am 18.05.2017 wurde zwischen der Amtsleitung der beruflichen Schulen in Nürnberg, der Regierung von Mittelfranken, der Stadt Nürnberg und dem Polizeipräsidium Mittelfranken ein Abklärungsgespräch hinsichtlich des zukünftigen Vorgehens bei Direktabschiebungen mit notwendigen Gewahrsamnahmen in Schulen durchgeführt . 4.2 Hat die Staatsregierung vorab mit einer solchen Eskalation vor Ort gerechnet? Dem Polizeipräsidium Mittelfranken lagen keinerlei Hinweise für ein dementsprechend zu erwartendes Verhalten des Herrn N. bzw. auf eine derartige Lageentwicklung vor. 4.3 Gab es bei anderen Abschiebungen, die in letzter Zeit wiederholt während des Schulunterrichts erfolgt sind, Solidaritätsbekundungen, Demonstrationen und körperliche Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten? I m Recherchezeitraum Juni 2016 bis Juni 2017 lag die Zahl von Ingewahrsamnahmen zum Zwecke der Abschiebung in Schulen im unteren einstelligen Bereich. Dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wurden in diesem Zeitraum, bis auf den Fall in Nürnberg, keine weiteren Solidaritätsbekundungen oder Demonstrationen im Zusammenhang mit Ingewahrsamnahmen zum Zwecke der Abschiebung unmittelbar in Schulen bekannt. 5.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Tatsache, dass wie im Falle des 20-jährigen Afghanen derzeit wiederholt Abschiebungen während des Schulunterrichts erfolgen, bei denen der gesamte Klassenverband das staatliche Verhalten miterleben muss? Allein in den Jahren 2015 und 2016 sind mehr als eine Million Asylbewerber nach Deutschland und Bayern gekommen. Nur ein Teil der von ihnen gestellten Asylanträge hat Erfolg. Wessen Asylantrag abgelehnt worden ist, hat unser Land wieder zu verlassen. Erfolgt die Ausreise nicht freiwillig, ist die Abschiebung bundesrechtlich in den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen vorgesehen. Die Staatsregierung tritt für eine konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht ein. In Bayern ist die Polizei für den Vollzug von Abschiebungen auf Anordnung der Ausländerbehörden zuständig. Dabei stehen ihr auch ihre allgemeinen Befugnisse zur Verfügung , die sich insbesondere nach den Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes und der Strafprozessordnung bemessen. Die Polizei kann im Ausnahmefall, wenn der betreffende Ausländer an anderen Orten nicht angetroffen wird und ansonsten die Abschiebung scheitern würde, Abschiebungen auch aus Schulen vornehmen. Die Polizei hat die Befugnis, öffentlich zugängliche Räume, wie Schulen, zu betreten und in den Klassenräumen nach der abzuschiebenden Person zu suchen. Das Bundesrecht sieht bezüglich der Ausführung keine Einschränkungen vor. Deshalb erfolgen auch in anderen Ländern Abschiebungen aus Schulen. Gleichwohl ergibt sich für die Schulen eine besondere Situation . Um den Erfolg des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags nicht zu beeinträchtigen, müssen Abschiebungen aus der Schule die Ausnahme bleiben. Die Polizei hat daher die Vorgabe, dass Abschiebungen aus Schulen nur vorgenommen werden, wenn der betreffende Ausländer an anderen Orten nicht angetroffen wird und ansonsten die Abschiebung scheitern würde. Wie bereits zu Frage 4.3 ausgeführt , lag die Zahl von Ingewahrsamnahmen zum Zwecke der Abschiebung in Schulen im Zeitraum Juni 2016 bis Juni 2017 im unteren einstelligen Bereich. 5.2 Wie hat sich die Schulleitung zu dem Einsatz verhalten ? Die Schulleitung der kommunalen Beruflichen Schule 11 Nürnberg wurde, nach Angaben des Leiters des Amtes für berufliche Schulen der Stadt Nürnberg, von zwei uniformierten Beamten der PI Nürnberg-Süd am Morgen des 31.05.2017 in der Schule davon in Kenntnis gesetzt, dass der 20-jährige afghanische Schüler N. aufgrund einer Verfügung der Regierung von Mittelfranken in Gewahrsam genommen werden muss, um am gleichen Tag über den Flughafen Frankfurt nach Afghanistan abgeschoben werden zu können. Eine Ingewahrsamnahme in der Unterkunft des Schülers am frühen Morgen des Tages sei erfolglos gewesen . Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18072 Der stellvertretende Schulleiter bestätigte, dass Herr N. Schüler der Schule in einem Berufsgrundschuljahr Holz und an diesem Tag im Unterricht anwesend sei. Er begleitete die beiden Polizeibeamten zu dem Klassenzimmer und bat den Schüler in einen Nebenraum. Dort erklärten die beiden Polizeibeamten dem Schüler die rechtliche Situation und den Vollzug der Ingewahrsamnahme . Der Schüler reagierte darauf besonnen und ruhig. Das Amt für Berufliche Schulen der Stadt Nürnberg gab unabhängig vom Vorfall am 31.05.17 dem Rechtsamt der Stadt Nürnberg den Prüfauftrag, inwieweit Schulleitungen die Ingewahrsamnahme in der Schule unterstützen müssen . Das Rechtsamt teilte nach Prüfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen mit, dass die Schulleitung gegenüber den Vollzugsbeamten zur Auskunft über den Status und die Anwesenheit des Schülers verpflichtet sei. Diese Information hatte das Amt für Berufliche Schulen den Schulleitungen weitergegeben. Der stellvertretende Schulleiter verhielt sich nach Ansicht der Stadt Nürnberg in diesem vorgegebenen Rahmen völlig korrekt. 5.3 Welche Hilfe stellt die Staatsregierung den betroffenen Schüler(inn)en zur Verfügung, die infolge von diesem und anderen Polizeieinsätzen Angst und Schrecken erleben? Zunächst ist festzustellen, dass der Polizeieinsatz dem Vollzug rechtmäßig zu treffender Maßnahmen diente. Wie zu Frage 1.2 bereits angeführt, sind die Beamten nicht unmittelbar ins Klassenzimmer gegangen, sondern haben sich an den stellvertretenden Schulleiter gewandt. Dieser bat Herrn N. dann aus dem Klassenzimmer heraus in einen angrenzenden Büroraum, wo ihn die Polizeibeamten in Gewahrsam genommen hatten. Die eingesetzten Beamten sind hier also mit aller dem Schulbetrieb gebotenen Sensibilität vorgegangen. Beratungslehrkräfte und Schulpsycholog(inn)en und Schulpsychologen stehen den Schüler(inn)en und Schülern an den Schulen vor Ort und an den Schulberatungsstellen (www.schulberatung.bayern.de) zur Verfügung. Im konkreten Fall standen der kommunalen Schule drei Schulpsycholog(inn)en und eine Sozialpädagogin zur Verfügung . Es wurden Angebote im Klassenverband wahrgenommen , wie auch Zeitfenster für Einzelgespräche realisiert. 6.1 Gegen wie viele Personen, die an den Protestaktionen an der Nürnberger Berufsschule beteiligt waren , werden Ermittlungsverfahren eingeleitet (bitte unter Angabe einer jeweils kurzen, anonymisierten Sachverhaltsdarstellung und unter Aufschlüsselung der jeweiligen Straftatbestände)? Nach Mitteilung des Polizeipräsidiums Mittelfranken werden (mit Stand vom 28.07.2017) beim zuständigen Kommissariat 14 aktuell 20 strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 21 Personen geführt. Davon stehen bei fünf Verdächtigen die Personalien noch nicht fest. Gegen die 16 bekannten Personen wurden dabei folgende Straftatbestände zur Anzeige gebracht: – 1 Fall von Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Gefangenenbefreiung – 1 Fall von Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – 1 Fall von Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung – 2 Fälle von gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – 6 Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – 1 Fall von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Gefangenenbefreiung – 2 Fälle von Beleidigung zum Nachteil der eingesetzten Polizeibeamten – 1 Fall von Mittäterschaft zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – 1 Fall von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhen von Straftaten und Bedrohung Bei den Verfahren gegen unbekannt handelt es sich um Angriffe gegen Polizeibeamte wie folgt: – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung – Gefährliche Körperverletzung (Versuch) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Gefangenenbefreiung (Versuch) durch 2 Tatverdächtige – Gefährliche Körperverletzung – Beleidigung Am 03.06.2017 gaben zwei Personen über eine Berichterstattung in den „Nürnberger Nachrichten“ an, im Verlauf des Polizeieinsatzes verletzt worden zu sein. Das Landeskriminalamt (BLKA) hat daraufhin in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Körperverletzung im Amt gegen Unbekannt eingeleitet. Die beiden Zeugen wurden durch das BLKA zur Anzeigenaufnahme vorgeladen. Bislang meldeten sich die beiden Zeugen weder beim BLKA noch bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. In weiteren Medienberichten sowie in einem gemeinsamen Brief an den Landtag vom 10. Juli 2017 berichteten fünf Angehörige der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde am Berliner Platz in Nürnberg vom Polizeieinsatz an der Berufsschule. Auch sie wurden daraufhin zum BLKA zur Zeugenvernehmung vorgeladen. Vier Personen konnten mittlerweile als Zeugen vernommen werden. Die fünfte Person gab gegenüber der Polizei an, den Brief an den Landtag zu den Ereignissen an der Berufsschule nur aus Solidarität unterschrieben und keine eigenen Wahrnehmungen gemacht zu haben. Auf eine Zeugenvernehmung wurde daher verzichtet. Die Ermittlungen im o. g. Fall gegen unbekannt sind noch nicht abgeschlossen. Bislang liegen der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und dem BLKA keine Anzeigen von Versammlungsteilnehmern gegen die eingesetzten Polizeibeamten vor. 6.2 Wie viele Personen wurden bei dem Einsatz verletzt (bitte die Verletzungen angeben)? Im Rahmen des Einsatzes wurden insgesamt 12 Polizeibeamte verletzt. Folgende Verletzungen wurden festgestellt: – Abgebrochener Zahn, Verletzungen an Knie und Handgelenk – Lendenwirbelsäulendistorsion und Brustwirbelsäulenprellung (3 Tage dienstunfähig) – Daumendistorsion – Prellung/Distorsion Zeigefinger und Kratzer an der Hand – Kapselverletzung Daumen links – Knieschmerzen – Gelenkverletzung Daumen rechts – Schmerzen im Gesicht aufgrund Bewurf mit einer Plastikflasche Drucksache 17/18072 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 – Rippenprellung – Schmerzen im Oberkörper- und Beinbereich – Starke Knieschmerzen sowie Schürfwunden – Schmerzen im Beinbereich und Daumendistorsion > (6 Tage dienstunfähig) Im Nachgang zum Einsatz wurden bereits vor Ort Befragungen zur Erhebung von Verletzungen des polizeilichen Gegenübers vorgenommen, um diese zu dokumentieren und ggf. auch Hilfeleistungen anbieten zu können. Hierbei wurden keinerlei Verletzungen geltend gemacht. Bezüglich der zwei Personen, welche in einem Presseartikel der „Nürnberger Nachrichten“ angaben, im Rahmen des Polizeieinsatzes verletzt worden zu sein, darf auf die Antwort zu Frage 6.1 verwiesen werden. 7.1 Seit wann war der 20-jährige Asylbewerber in Deutschland und in welchen Einrichtungen war er untergebracht (bitte Ort und Zeitraum angeben)? Der Betreffende reiste am 30.11.2012 unerlaubt, ohne Reisepass und Visum, ins Bundesgebiet ein. Er war in folgenden Unterkünften untergebracht: Beginn Ende Unterkunftstyp Ort 04.12.2012 17.07.2013 Aufnahmeeinrichtung Zirndorf 17.07.2013 21.01.2016 Wohnung Nürnberg 22.01.2016 15.05.2016 Wohnung Nürnberg 15.05.2016 10.08.2016 Wohnung Nürnberg 10.08.2016 bis heute Gemeinschaftsunter - kunft Nürnberg 7.2 Aus welchen Gründen erfolgt die Abschiebung des 20-jährigen Afghanen? Der am 07.02.2012 gestellte Asylantrag des Betreffenden wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 01.10.2013 abgelehnt. Es wurde weiter festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie etwaige Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Es wurde eine Ausreisefrist von 30 Tagen gewährt. Die Entscheidung des BAMF wurde am 19.10.2013 bestandskräftig. Die gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise endete damit am 03.11.2013. Seitdem ist der Betreffende vollziehbar ausreisepflichtig. Da er bisher seine Ausreisepflicht nicht freiwillig erfüllt hat, muss seine Rückführung durch Abschiebung erfolgen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). 7.3 In welcher Ausbildung befand sich der 20-jährige Afghane (bitte Ort, Betrieb und Beginn des Ausbildungsverhältnisses angeben)? Zum Zeitpunkt der für den 31.05.2017 vorgesehenen Abschiebungsmaßnahme besuchte der Betreffende seit 18.11.2016 als Schüler der Beruflichen Schule – Direktorat 11 der Stadt Nürnberg das Berufsgrundschuljahr, Klasse HG10C, Berufsfeld Holztechnik, mit Vollzeitunterricht von 37 Schulstunden pro Woche. Er stand in keinem Ausbildungsverhältnis zu einem Ausbildungsbetrieb. 8. Welche Konseqenzen zieht die Staatsregierung aus dem Polizeieinsatz? Die Rechtsstaatlichkeit gebietet, dass Abschiebungen auch bei beharrlicher Weigerung durchgesetzt werden, sobald eine Ausreisepflicht unanfechtbar wird und eine freiwillige Ausreise nicht angetreten wurde. Wenn wir das anders gestalten , würden wir Anreize für illegale Migration mit all ihren Konsequenzen schaffen. Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass eine Gewahrsamnahme in einer Schule zum Zwecke der Abschiebung die absolute Ausnahme ist und bleiben wird. Die Schule ist aber kein rechtsfreier Raum. Wer am Tag der Abschiebung in seiner Unterkunft nicht anzutreffen ist, muss damit rechnen, dass die Polizei mögliche andere Aufenthaltsorte aufsucht.