Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Eva Gottstein FREIE WÄHLER vom 02.08.2017 Aufklärung des konkreten Verwaltungshandelns im Fall Asif N. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Wie ist die Verwaltungspraxis der Regierung von Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) – bezüglich der Bekanntgabe ihrer Entscheidungen in Abschiebeverfahren und der Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln vor Vollzug der Abschiebung? b) Ist es zutreffend, dass die Ingewahrsamnahme zur Umsetzung einer geplanten Direktabschiebung ohne richterlichen Beschluss erfolgt und damit tägliche Praxis in Bayern darstellt? 2. a) Wieso wurde im konkreten Fall des 20-jährigen Afghanen Asif N. der ablehnende Bescheid der Regierung Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) – dem Empfänger erst am 31.05.2017 mit gleichzeitiger Vollstreckung der Ingewahrsamnahme durch die Polizeivollzugsbeamten ausgehändigt, obwohl der Bescheid bereits am 23.05.2017 per Fax an die für die Ingewahrsamnahme zuständige Polizeiinspektion Nürnberg-Süd gerichtet war? b) Wurde die Polizeiinspektion Nürnberg-Süd von der Regierung Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) – angehalten, den Ablehnungsbescheid erst mit Vollzug der Ingewahrsamnahme am 31.05.2017 an den Empfänger, den 20-jährigen Afghanen Asif N., auszuhändigen. 3. Welche Rechtsmittelbelehrung enthielt der an den 20-jährigen Afghanen Asif N. gerichtete und von den Polizeivollzugsbeamten am 31.05.2017 ausgehändigte Bescheid? 4. a) Wie rechtfertigt die Regierung von Mittelfranken –ZAB – den Umstand, dass sie mit ihrem Vorgehen bewusst dem 20-jährigen Afghanen Asif N. sein Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Entscheidung der Behörde entzogen bzw. auf ein Maß von nicht mehr einem ganzen Tag verkürzt hat? b) Lag ein Ablehnungsbescheid bereits am 12.05.2017 vor, wie das Datum des postalisch an die Polizeiinspektion Nürnberg-Süd versendeten Schreibens vermuten lässt? 5. Wie lauten die Entscheidungsgründe, die eine Ablehnung des Antrags von Asif N. auf Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden gemäß § 25a des Aufenthaltsgesetzes begründet haben? 6. a) Auf welcher Rechtsgrundlage wurde die Ingewahrsamnahme durchgeführt? b) Gab es hierzu insbesondere einen richterlichen Beschluss , der die Ingewahrsamnahme zur geplanten Umsetzung der Direktabschiebung legitimiert hat? 7. Wie viele Direktabschiebungen mit vorhergehender Ingewahrsamnahme sind im vergangenen Jahr in Bayern durchgeführt worden, wo erst zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme der ablehnende Bescheid für ein Bleiberecht ausgehändigt wurde? 8. a) Mit welcher Begründung wurde die Entscheidung, eine Ingewahrsamnahme, ohne richterliche Anordnung, im Fall Asif N. getroffen, wenn nach der Rechtsprechung doch die grundsätzlich zulässige Direktabschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers ohne richterliche Haftanordnung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten , entsprechen muss? b) Entspricht es den Tatsachen, dass Asif N. über eine Duldung bis zum 27.07.2017 verfügte und diese zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme nicht für erloschen erklärt worden war? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 21.09.2017 Vorbemerkung: Am 31.05.2017 sollte vom Flughafen Frankfurt aus eine Maßnahme zur Sammelrückführung nach Afghanistan stattfinden . Diese wurde aufgrund des schweren Anschlags an diesem Tag vor der deutschen Botschaft in Kabul von dem für die Organisation und Durchführung federführend zuständigen Bundesinnenministerium abgesagt, nachdem sich die für die Abschiebungsmaßnahme eingeplanten Personen bereits in Polizeigewahrsam befanden. Für diese Sammelrückführung war auch der afghanische Staatsangehörige Asif N. (geb. am 25.09.1996 in Ghazni) vorgesehen, der zum Zeitpunkt der geplanten Abschiebung in Nürnberg wohnhaft war und nach wie vor ist. 1. a) Wie ist die Verwaltungspraxis der Regierung von Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) – bezüglich der Bekanntgabe ihrer Entscheidungen in Abschiebeverfahren und der Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln vor Vollzug der Abschiebung? Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 8 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) darf der Termin der Abschiebung nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise dem Ausländer nicht angekündigt wer- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 10.11.2017 17/18230 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18230 den. Dies gilt für alle Ausländerbehörden gleichermaßen. Vor Vollzug einer Abschiebung steht es jeder ausreisepflichtigen Person frei, Rechtsmittel einzulegen. b) Ist es zutreffend, dass die Ingewahrsamnahme zur Umsetzung einer geplanten Direktabschiebung ohne richterlichen Beschluss erfolgt und damit tägliche Praxis in Bayern darstellt? Das Aufenthaltsgesetz sieht für eine Abschiebung, bei der es sich um eine bundesrechtlich geregelte spezielle Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handelt, keine richterliche Anordnung vor. Die Ingewahrsamnahme erfolgte zur Durchführung der am selben Tag vorgesehenen Direktabschiebung zwecks Verbringung des Betreffenden zum Flughafen Frankfurt am Main. In dieser Fallkonstellation stellt die Ingewahrsamnahme eine sekundäre Vollstreckungsmaßnahme zu der primär bezweckten Abschiebung dar. Sie führt lediglich zu einer Freiheitsbeschränkung, die nicht dem Richtervorbehalt unterliegt. Dies entspricht einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sowie ständiger Verwaltungspraxis in allen Ländern. 2. a) Wieso wurde im konkreten Fall des 20-jährigen Afghanen Asif N. der ablehnende Bescheid der Regierung Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) – dem Empfänger erst am 31.05.2017 mit gleichzeitiger Vollstreckung der Ingewahrsamnahme durch die Polizeivollzugsbeamten ausgehändigt , obwohl der Bescheid bereits am 23.05.2017 per Fax an die für die Ingewahrsamnahme zuständige Polizeiinspektion Nürnberg-Süd gerichtet war? Zu welchem Zeitpunkt (im Fall einer bevorstehenden Abschiebung ) die Zustellung eines Ablehnungsbescheids erfolgt , entscheidet die Ausländerbehörde anhand der Umstände des Einzelfalles. Ziel ist, den Erfolg der Abschiebung nicht zu gefährden. Anhand der Vorgeschichte war im vorliegenden Fall mit einem Untertauchen zu rechnen, wenn der Bescheid vor dem Abschiebungstag zugestellt worden wäre. Denn mit der Ablehnung waren alle Möglichkeiten für einen weiteren Verbleib in Deutschland ausgeschöpft. Im Übrigen wird auf die Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr auf die Anfrage zum Plenum der Frau Abgeordneten Claudia Stamm anlässlich des Plenums in der 25. Kalenderwoche (Drs. 17/17406) verwiesen . b) Wurde die Polizeiinspektion Nürnberg-Süd von der Regierung Mittelfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) – angehalten, den Ablehnungsbescheid erst mit Vollzug der Ingewahrsamnahme am 31.05.2017 an den Empfänger, den 20-jährigen Afghanen Asif N., auszuhändigen. Mit dem am 23.05.2017 von der ZAB übermittelten Ingewahrsamnahmeersuchen wurde die Polizeiinspektion Nürnberg-Süd um Vollzugshilfe bei der für den 31.05.2017 terminierten Rückführung des Herr N. ersucht und darum gebeten, Herr N. gegen Empfangsbekenntnis den Bescheid vom 23.05.2017 über die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG auszuhändigen . 3. Welche Rechtsmittelbelehrung enthielt der an den 20-jährigen Afghanen Asif N. gerichtete und von den Polizeivollzugsbeamten am 31.05.2017 ausgehändigte Bescheid? Der betreffende Ablehnungsbescheid vom 23.05.2017 enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung: „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Klage erhoben werden bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach Promenade 24–28 91522 Ansbach schriftlich, zur Niederschrift oder elektronisch in einer für den Schriftformersatz zugelassenen Form. Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und soll einen bestimmten Antrag enthalten. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, der angefochtene Bescheid soll in Abschrift beigefügt werden. Der Klage und allen Schriftsätzen sollen bei schriftlicher Einreichung oder Einreichung zur Niederschrift Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.“ 4. a) Wie rechtfertigt die Regierung von Mittelfranken – ZAB – den Umstand, dass sie mit ihrem Vorgehen bewusst dem 20-jährigen Afghanen Asif N. sein Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Entscheidung der Behörde entzogen bzw. auf ein Maß von nicht mehr einem ganzen Tag verkürzt hat? Die Aussage, die Regierung von Mittelfranken habe Herrn N. bewusst sein Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Entscheidung der Behörde entzogen bzw. auf ein Maß von nicht mehr einem ganzen Tag verkürzt, trifft nicht zu. Gegen den Bescheid konnte innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe Klage erhoben werden. Die Bekanntgabe des Bescheides erfolgte zum Zeitpunkt der Aushändigung , also am 31.05.2017, sodass die Rechtsmittelfrist erst dann zu laufen begann. Eine Verkürzung der Rechtsmittelfrist liegt daher nicht vor. Rechtsschutzmöglichkeiten wurden Herrn Asif N. durch dieses Vorgehen ebenfalls nicht genommen. Die Klage gegen die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis hat nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Mit Einfügung des § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass Rechtsschutz gegen eine Abschiebung am Tag der Abschiebung zu suchen ist. Die Möglichkeit eines Antrages auf Aussetzung der Abschiebung im Eilverfahren war am Abschiebetag vom Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme um ca. 08.10 Uhr bis zum geplanten Flug um ca. 21.50 Uhr gegeben. b) Lag ein Ablehnungsbescheid bereits am 12.05.2017 vor, wie das Datum des postalisch an die Polizeiinspektion Nürnberg-Süd versendeten Schreibens vermuten lässt? Auf die Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr auf die Anfrage zum Plenum der Frau Abgeordneten Eva Gottstein (FREIE WÄHLER) anlässlich des Plenums in der 25. Kalenderwoche (Drs. 17/17406) wird verwiesen. Drucksache 17/18230 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 5. Wie lauten die Entscheidungsgründe, die eine Ablehnung des Antrags von Asif N. auf Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden gemäß § 25a des Aufenthaltsgesetzes begründet haben? Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Aufenth G wurde mit Bescheid vom 23.05.2017 mangels Vorliegen der Voraussetzungen abgelehnt. 6. a) Auf welcher Rechtsgrundlage wurde die Ingewahrsamnahme durchgeführt? Auf die Antwort zu Frage 1 b wird verwiesen. Die im Rahmen der Direktabschiebung des betreffenden Ausländers erforderliche Ingewahrsamnahme als unmittelbare Zwangsmaßnahme richtete sich nach Art. 37 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz i. V. m. Art. 50, 58, 61 Polizeiaufgabengesetz. b) Gab es hierzu insbesondere einen richterlichen Beschluss, der die Ingewahrsamnahme zur geplanten Umsetzung der Direktabschiebung legitimiert hat? Auf die Antwort zu Frage 1 b wird verwiesen. 7. Wie viele Direktabschiebungen mit vorhergehender Ingewahrsamnahme sind im vergangenen Jahr in Bayern durchgeführt worden, wo erst zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme der ablehnende Bescheid für ein Bleiberecht ausgehändigt wurde? Hierzu liegen keine statistischen Daten vor. 8. a) Mit welcher Begründung wurde die Entscheidung , eine Ingewahrsamnahme, ohne richterliche Anordnung, im Fall Asif N. getroffen, wenn nach der Rechtsprechung doch die grundsätzlich zulässige Direktabschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers ohne richterliche Haftanordnung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, entsprechen muss? Auf die Antwort zu den Fragen 1 b und 4 a wird verwiesen. b) Entspricht es den Tatsachen, dass Asif N. über eine Duldung bis zum 27.07.2017 verfügte und diese zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme nicht für erloschen erklärt worden war? Herr N. war am Abschiebungstag in Besitz einer bis zum 27.07.2017 gültigen Duldungsbescheinigung. Die Duldungsbescheinigung enthielt die folgende Nebenbestimmung: „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungs- oder Ausreisetermins.“ Im Rahmen der Ingewahrsamnahme am Abschiebungstag wurde Herrn N. der Termin der Abschiebung inklusive der Flugdaten schriftlich mitgeteilt. Insofern ist zum Wegfall des materiellen Duldungsgrundes durch Eintritt der Nebenbestimmung die Duldung zum Erlöschen gebracht worden.