Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Herbert Kränzlein SPD vom 28.08.2017 Handlungsweise der zuständigen Staatsanwaltschaft im Fall Engelhorn Der Fall Engelhorn beschäftigte sowohl die Justiz als auch den Landtag; unter Bezugnahme auf den Vollzugsbericht des Staatsministeriums der Justiz zu diesem Fall frage ich die Staatsregierung: 1. a) Hat sich die Staatsanwaltschaft vor der Beantragung der Aufhebung der Haftbefehle im entsprechenden Fall mit dem zuständigen Finanzamt und der Steuerfahndung über dieses Vorgehen ausgetauscht? b) Wenn nein, warum wurde dies entgegen der üblichen Praxis nicht getan? c) Wenn ja, aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Haftbefehle trotz Fluchtgefahr aufzuheben? 2. Wie erklärt sich die Staatsregierung, dass die Anwälte der Beschuldigten Urkunden vorlegen konnten, die sowohl den Tatverdacht der Hinterziehung im Bereich Schenkung- als auch der Einkommensteuer entkräfteten , deren Existenz die Steuerfahndung jedoch verneint hatte? 3. a) Wurden im Verlauf der weiteren Ermittlungen Verdachtsmomente in Bezug auf andere Steuerstraftaten entdeckt, die eine Aufrechterhaltung des Haftbefehls gerechtfertigt hätten? b) Wenn ja, warum wurden die entprechenden Sachverhalte nicht vor der Haftentlassung der Beschuldigten aufgearbeitet? Antwort des Staatsministeriums der Justiz, hinsichtlich der Fragen 1 a und 2 im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat vom 29.09.2017 Vorbemerkung: Mit Schreiben vom 04.07.2016 hat das Staatsministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat dem Landtag zu seinem Beschluss vom 07.04.2016, betreffend „Steuerverfahren Engelhorn“, Drs. 17/10804, berichtet. Die vorliegende Schriftliche Anfrage knüpft an diesen Bericht an. In der Vorbemerkung des Berichts vom 04.07.2016 wurde im Einzelnen ausgeführt, dass und aus welchen Gründen der Staatsregierung rechtliche Beschränkungen auferlegt sind, die die umfassende Offenlegung der relevanten Sachverhalte verbieten. Denn das zugrunde liegende Verfahren „Engelhorn“ unterliegt vollumfänglich dem Steuergeheimnis nach § 30 Abgabenordnung (AO). Der Staatsregierung ist es selbstredend verwehrt, diese – strafbewehrte – bundesgesetzliche Norm zu missachten. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 13 Abs. 2 Satz 1 der Bayerischen Verfassung (BV) das subjektive Recht eines jeden Abgeordneten gewährleistet, sich mit Fragen an die Exekutive zu wenden. Dieses Recht dient dazu, den Mitgliedern des Parlaments die Informationen zu verschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere zur Mitwirkung an der Gesetzgebung sowie zu einer wirksamen Kontrolle der Regierung und Verwaltung, benötigen . Mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten korrespondiert grundsätzlich eine Antwortpflicht der Staatsregierung, die allerdings bestimmten Grenzen unterliegt. Diese ergeben sich in erster Linie aus den Grundrechten der Bayerischen Verfassung sowie sonstigen verfassungsrechtlichen Grundsätzen und können nicht für alle in Betracht kommenden Fälle abstrakt im Voraus bestimmt werden. Die Ablehnung, eine Frage überhaupt (materiell) zu beantworten, muss dabei die Ausnahme sein und bedarf besonderer Rechtfertigung. Grenzen der Antwortpflicht können sich ergeben, wenn die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage Grundrechte Dritter berührt. Das Recht auf Wahrung des Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht, sondern eine auf verfassungsrechtlichen Verbürgungen beruhende Abwehranspruchsnorm , die dazu dient, Grundrechte des Steuerbürgers zu schützen und zu realisieren (BayVerfGH, Entscheidung vom 11.09.2014 – 67-IVa-13, Rn. 52). Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse, deren Weitergabe einen Bezug zum Steuerpflichtigen oder zu privaten Dritten erkennbar werden lässt, kann insbesondere im Hinblick auf das aus Art. 100, 101 BV abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung geboten sein. Dieses Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 07.02.2018 Drucksache 17/18381 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18381 Recht schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Erfasst werden persönliche bzw. personenbezogene Daten, also Informationen zu den persönlichen oder sachlichen Verhältnissen einer bestimmten Person. Um festzustellen, ob schutzwürdige private Interessen dem parlamentarischen Fragerecht entgegenstehen, sind diese und das Informationsinteresse des Auskunft begehrenden Abgeordneten unter Berücksichtigung der Bedeutung der Pflicht zur erschöpfenden Beantwortung parlamentarischer Anfragen für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems gegeneinander abzuwägen. Die unterschiedlichen Belange müssen einander im Weg der praktischen Konkordanz so zugeordnet werden, dass jeder für sich so weit wie möglich seine Wirkungen entfaltet . Diese Bewertung ist einzelfallbezogen anhand der jeweiligen konkreten Gesamtumstände vorzunehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in bestimmten Fallgestaltungen einem Geheimhaltungsinteresse dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Antwort auf entsprechende Fragen lediglich in einem Schreiben an den Fragesteller erteilt und nicht in die Landtagsdrucksachen aufgenommen wird (BayVerfGH a.a.O., Rn. 38). Für die Abwägung der maßgeblichen unterschiedlichen Belange gelten nach der Rechtsprechung des BayVerfGH folgende Grundsätze (a.a.O., Rn. 56 f.): Einerseits kommt dem parlamentarischen Fragerecht im Gefüge des demokratischen Staates, wie auch der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, grundlegende Bedeutung zu. Dem steht andererseits das ebenfalls gewichtige Interesse des betroffenen Steuerpflichtigen an der Geheimhaltung seiner persönlichen Lebensumstände gegenüber. Dieses wird nicht dadurch relativiert, dass die betroffene Privatperson weiten Kreisen der Öffentlichkeit bekannt und häufig in den Medien präsent ist. Soweit eine parlamentarische Anfrage Auskünfte über die steuerlichen Verhältnisse von Privatpersonen zum Gegenstand hat, wird in der Regel kein überwiegendes Informationsinteresse gemäß Art. 13 Abs. 2, Art. 16a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV anzunehmen sein. Die Geheimhaltung von Steuerdaten und -verhältnissen darf jedoch nicht dazu führen, dass insoweit ein von parlamentarischer Kontrolle gänzlich freier Raum entsteht. In Anlehnung an die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO kann bei Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses eine Antwortpflicht der Staatsregierung bestehen. Nach diesen Grundsätzen des BayVerfGH gilt für die Abwägung der maßgeblichen unterschiedlichen Belange im Rahmen der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage Folgendes : Die Fragen beziehen sich auf Vorgänge in Zusammenhang mit der Aufhebung der zunächst gegen die Beschuldigten ergangenen Haftbefehle. Zu dieser Thematik wurden bereits im Rahmen des Berichts vom 04.07.2016 Angaben gemacht; auf die in der Vorbemerkung des Berichts ausgeführten Erwägungen zur Abwägung wird Bezug genommen . Ausgangspunkt des Beschlusses des Landtags vom 07.04.2016 waren Medienberichte, die zu Nachfragen nach den Gründen für die Aufhebung der Haftbefehle Anlass gaben und deswegen ausnahmsweise im Grundsatz ein berechtigtes Interesse des Parlaments an der Aufklärung über die Gründe dieser Sachbehandlung begründeten. Dasselbe gilt für die Schriftliche Anfrage, die an den Beschluss des Landtags sowie den Bericht vom 04.07.2016 anknüpft und in Ergänzung dazu einige Einzelaspekte in Zusammenhang mit der Haftentlassung zum Gegenstand hat. Insoweit überwiegt das Aufklärungsinteresse des Landtags gegenüber den Rechten der Steuerpflichtigen, weil nicht unmittelbar deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse betroffen sind, sondern die Überprüfung behördlicher Verfahrensweisen im Vordergrund steht. Um das Parlament in die Lage zu versetzen, seinen Kontrollaufgaben nachzukommen, wurde im Bericht vom 04.07.2016 nach Abwägung zwischen dem Recht der Steuerpflichtigen auf informationelle Selbstbestimmung und dem parlamentarischen Informationsinteresse auch der Tatverdacht in Grundzügen benannt. Darüber hinausgehende Angaben sind zur Beantwortung der Fragen der Schriftlichen Anfrage nicht erforderlich. Auf eine vollumfängliche Wiederholung der damaligen Ausführungen wird verzichtet, zumal im Hinblick auf die beantragte Drucklegung der Antwort den Rechten der in dem konkreten Ermittlungsverfahren beschuldigten Personen größeres Gewicht zukommt als in Zusammenhang mit dem Bericht vom 04.07.2016, der – soweit bekannt – nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde . Ungeachtet dessen sind – wie im Bericht bereits deutlich gemacht wurde – über die darin enthaltenen Ausführungen hinausgehende einzelfallbezogene Sachverhaltsangaben, die direkt oder indirekt einen Hinweis auf die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Steuerschuldner enthalten, nicht möglich und nicht zulässig, weil insoweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen überwiegt. Ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BayVerfGH ist insoweit nicht gegeben. Soweit unter Abwägung der vorstehend dargestellten Aspekte das berechtigte parlamentarische Informationsinteresse gegenüber dem Interesse der Steuerpflichtigen an der Wahrung des Steuergeheimnisses überwiegt, wird die Anfrage wie folgt beantwortet: 1. a) Hat sich die Staatsanwaltschaft vor der Beantragung der Aufhebung der Haftbefehle im entsprechenden Fall mit dem zuständigen Finanzamt und der Steuerfahndung über dieses Vorgehen ausgetauscht ? Das Finanzamt Augsburg wurde am 17.10.2013 durch die Staatsanwaltschaft über das Vorbringen der Verteidigung und die Aufhebung der Haftbefehle in Kenntnis gesetzt. Ob die Information bezüglich der Haftfrage bereits vor dem Antrag auf Aufhebung der Haftbefehle oder erst danach erfolgte , lässt sich nicht mehr abschließend aufklären. b) Wenn nein, warum wurde dies entgegen der üblichen Praxis nicht getan? Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht; sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht (§ 112 Abs. 1 der Strafprozessordnung – StPO). Bei Entfallen des dringenden Tatverdachts ist die bedingungslose Aufhebung eines Haftbefehls von Gesetzes wegen zwingend. Die Beschuldigten sind unverzüglich aus der Haft zu entlassen, die Aufhebung der Haftbefehle durch das Gericht darf wegen des mit der Haft einhergehenden schwerwiegenden Grundrechtseingriffs nicht abgewartet werden (§ 120 Abs. 3 Satz Drucksache 17/18381 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 2 StPO); ein Ermessen der Staatsanwaltschaft besteht insoweit nicht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 120 Rn. 14). Eine „übliche Praxis“ der Staatsanwaltschaften, bei Sachverhaltskonstellationen , in denen sich die Verdachtslage grundlegend zugunsten der Beschuldigten ändert, Personen in Untersuchungshaft zu belassen, um weitere Abstimmungen mit Ermittlungsbehörden abzuwarten, besteht nicht. Wenn nach Auffassung der Staatsanwaltschaft, die die Gesamtverantwortung für den Ablauf eines Ermittlungsverfahrens trägt, kein dringender Tatverdacht mehr besteht, müssen bestehende Haftbefehle aufgehoben und Beschuldigte aus der Haft entlassen werden. Wie im Bericht vom 04.07.2016 ausgeführt wurde, lag dem Antrag auf Aufhebung der Haftbefehle im konkreten Einzelfall zugrunde, dass hinsichtlich der dort gegenständlichen Sachverhalte der dringende Tatverdacht aus Sicht der Staatsanwaltschaft nachträglich entfallen war. Auf den Bericht vom 04.07.2016 wird Bezug genommen. c) Wenn ja, aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Haftbefehle trotz Fluchtgefahr aufzuheben? Da der dringende Tatverdacht aus Sicht der Staatsanwaltschaft nachträglich entfallen war, war die bedingungslose Aufhebung der Haftbefehle zwingend. Auf die Antworten auf die Fragen 1 a und 1 b wird Bezug genommen. 2. Wie erklärt sich die Staatsregierung, dass die Anwälte der Beschuldigten Urkunden vorlegen konnten , die sowohl den Tatverdacht der Hinterziehung im Bereich Schenkung- als auch der Einkommensteuer entkräfteten, deren Existenz die Steuerfahndung jedoch verneint hatte? Nach dem Vollzug der Haftbefehle und weiteren Ermittlungsmaßnahmen am 08.10.2013 legten Verteidiger der Beschuldigten am 17.10.2013 Urkunden vor, aus denen sich ergab, dass die schenkungsteuerrechtlich relevanten Sachverhalte fristgemäß gegenüber dem zuständigen Finanzamt angezeigt worden waren. Eine zeitlich vor den Anträgen auf Erlass von Haftbefehlen gestellte Anfrage der Steuerfahndung nach der Existenz entsprechender Vorgänge hatte das zuständige Finanzamt zunächst verneint. Danach ergab sich jedoch, dass eine Anzeige der Schenkung vorlag. Infolge der Vorlage der Urkunden, hinsichtlich deren Authentizität und Richtigkeit keine Zweifel bestanden, durch die Verteidiger war zu diesem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht in Bezug auf die im Haftbefehl aufgeführten Schenkungsteuerhinterziehungen aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht mehr gegeben. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass sich die Vorlage von Urkunden zu Vorgängen, deren Existenz das zuständige Finanzamt zunächst verneint hatte, nur auf den Verdacht der Schenkungsteuerhinterziehung bezog. Auf den Bericht vom 04.07.2016 wird Bezug genommen. 3. a) Wurden im Verlauf der weiteren Ermittlungen Verdachtsmomente in Bezug auf andere Steuerstraftaten entdeckt, die eine Aufrechterhaltung des Haftbefehls gerechtfertigt hätten? Nach einem Bericht des Generalstaatsanwalts in München vom 19.09.2017 waren der Staatsanwaltschaft Augsburg zum Zeitpunkt der Haftentlassungen und der Aufhebung der Haftbefehle keine Verdachtsmomente in Bezug auf andere Steuerstraftaten der Beschuldigten bekannt. Für eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft war daher kein Raum. Soweit sich infolge der weiteren Ermittlungen Verdachtsmomente in Bezug auf andere Steuerstraftaten ergaben, lag zum Zeitpunkt des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Haftbefehle und der Entlassung der Beschuldigten aus der Haft kein dringender Tatverdacht vor, der der Staatsanwaltschaft die Beantragung neuer Haftbefehle hätte ermöglichen können. Auf den Bericht vom 04.07.2016 wird insoweit verwiesen. b) Wenn ja, warum wurden die entprechenden Sachverhalte nicht vor der Haftentlassung der Beschuldigten aufgearbeitet? Da kein dringender Tatverdacht bestand, war es nicht zulässig , die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Auf die Antworten auf die Fragen 1 b und 3 a sowie den Bericht vom 04.07.2016 wird Bezug genommen.