Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Christoph Rabenstein SPD vom 14.09.2017 Kirchenasyl in Bayern und rechtliche Konsequenzen für Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Mitglieder der Landeskirchen Aus der Süddeutschen Zeitung vom 02./03.09.2017 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen den früheren Koordinator für das Kirchenasyl der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ermittelt, da er eine Pfarrei in Hof, die Afghanen vor der Abschiebung schützen will, beraten hat. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Wie viele Verfahren gegen Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Mitglieder der Landeskirchen wurden bis jetzt, insbesondere im Jahr 2017, aufgrund von Kirchenasylgewährung eingeleitet? b) Wie bewertet die Staatsregierung den „Drei-Punkte- Plan“, nach dem die bayerischen Staatsanwaltschaften gegen Pfarrerinnen und Pfarrer vorgehen? 2. a) Wie viele Menschen befinden sich in Bayern nach Kenntnis der Staatsregierung derzeit in Kirchenasyl (bitte aufgegliedert in Regierungsbezirke)? b) Aus welchen Staaten kommen diese Menschen (bitte aufgegliedert nach Zahl und Herkunftsland)? c) Wie vielen Menschen droht im Falle des Verlassens des Kirchenasyls eine unmittelbare Abschiebung in ihr Herkunftsland? 3. Welche Fälle sind der Staatsregierung in anderen Bundesländern bekannt, in denen gegen Pfarrerinnen und Pfarrer oder Mitglieder der Landeskirchen Strafverfahren wegen Gewährung von Kirchenasyl eingeleitet wurden (gesamt und aufgegliedert in Bundesländer)? 4. Wie bewertet die Staatsregierung die am 24.02.2015 in Berlin zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche einerseits und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) andererseits geschlossene Vereinbarung, dass das Kirchenasyl als christliche Tradition zu respektieren und von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen sei? 5. Wie beurteilt die Staatsregierung die Aussage von Ministerpräsident Horst Seehofer, der im August 2017 sagte, dass die Zahl der Flüchtlinge im Kirchenasyl keine „radikalen Schritte“ rechtfertigen würde? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 16.10.2017 Die schriftliche Anfrage wird hinsichtlich der Antworten zu den Fragen 2a bis 2c und 4 im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1. a) Wie viele Verfahren gegen Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Mitglieder der Landeskirchen wurden bis jetzt, insbesondere im Jahr 2017, aufgrund von Kirchenasylgewährung eingeleitet? Die Gewährung von Kirchenasyl ist kein statistisches Merkmal , das in der Geschäftsstatistik der bayerischen Staatsanwaltschaften gesondert erfasst wird. Es liegen daher keine Daten zur Gesamtzahl der Ermittlungsverfahren vor, eine Aussage hierüber wäre nur aufgrund einer händischen Durchsicht aller Verfahrensakten der letzten Jahre mit Bezug zum Aufenthaltsrecht möglich, die aufgrund des hiermit verbundenen Aufwands nicht geleistet werden kann. Aus diesem Grund können auch Aussagen zur Person der jeweils Beschuldigten nur getroffen werden, soweit die Staatsanwaltschaften bislang zu Einzelfällen berichtet haben . Hieraus ergibt sich, dass wegen der Gewährung von Kirchenasyl in wenigen Fällen gegen Ordensleute und im Übrigen gegen Pfarrerinnen und Pfarrer wegen des Verdachts der Anstiftung oder Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ermittelt wurde. Soweit sich Frage 1a auf Verfahren gegen Mitglieder der Landeskirchen bezieht, werden hierunter im Rahmen der Beantwortung sowohl ehrenamtliche Funktionsträger in den Kirchengemeinden als auch Amtsträger in den Kirchenverwaltungen verstanden. Insoweit wurde berichtet, dass die Staatsanwaltschaft Schweinfurt ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Koordinator für das Kirchenasyl der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Kirchenasylfall geführt hat. Das Verfahren wurde Anfang September 2017 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozeßordnung (StPO) eingestellt, da ein hinreichender Tatverdacht nicht gegeben war. Im Bezirk der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) sind zudem vereinzelt Vorermittlungen zur Frage einer möglichen Beteiligung von Kirchenvorstandsmitgliedern an der Gewährung von Kirchenasyl erfolgt, die jedoch nicht zur Einleitung von Ermittlungsverfahren geführt haben. Weitere Verfahren gegen ehrenamtliche Funktionsträger in den Kirchengemeinden oder Amtsträger in den Kirchenverwaltungen wurden nach den vorliegenden Informationen nicht eingeleitet. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.02.2018 Drucksache 17/18566 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18566 b) Wie bewertet die Staatsregierung den „Drei-Punkte -Plan“, nach dem die bayerischen Staatsanwaltschaften gegen Pfarrerinnen und Pfarrer vorgehen? Ein den bayerischen Staatsanwaltschaften vom Staatsministerium der Justiz vorgegebener, zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft getretener, schematischer „Drei-Punkte- Plan“, wonach Ermittlungsverfahren wegen der Gewährung von Kirchenasyl zunächst wegen geringer Schuld gemäß § 153 Abs. 1 StPO einzustellen seien, im Wiederholungsfall eine Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Abs. 1 StPO erfolgen soll und bei nochmaliger Wiederholung die öffentliche Klage zu erheben sei, existiert nicht. Wie in allen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren haben die Staatsanwaltschaften auch bei der Gewährung von Kirchenasyl sämtliche be- und entlastenden Umstände des jeweiligen Einzelfalls aufzuklären und auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses eine dem jeweiligen Fall angemessene Entscheidung zu treffen. Die Staatsanwaltschaften berücksichtigen hier die Besonderheiten eines jeden Einzelfalles und gehen mit Augenmaß vor. Allerdings stimmen die bayerischen Generalstaatsanwälte darin überein, dass bei der erstmaligen Gewährung von Kirchenasyl die Schuld des beteiligten Pfarrers regelmäßig als so gering anzusehen sein wird, dass eine Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 StPO, also wegen geringer Schuld, in Betracht kommt. Dementsprechend haben die Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit von dieser Erledigungsmöglichkeit in großem Umfang Gebrauch gemacht. Ist gegen einen Beschuldigten bereits ein Ermittlungsverfahren wegen geringer Schuld eingestellt worden, entspricht es losgelöst von Fällen des Kirchenasyls der allgemeinen Strafverfolgungspraxis der bayerischen Staatsanwaltschaften auch bei anderen Delikten, dass im Wiederholungsfall häufig eine erneute Verfahrenseinstellung nach dieser Vorschrift nicht mehr in Betracht kommt. Stattdessen prüfen die Staatsanwaltschaften bei derartigen Fällen oft, ob die Erfüllung bestimmter Auflagen geeignet ist, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, oder ob die Erhebung der öffentlichen Klage geboten ist. Entscheidend sind aber auch hier die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. 2. a) Wie viele Menschen befinden sich in Bayern nach Kenntnis der Staatsregierung derzeit in Kirchenasyl (bitte aufgegliedert in Regierungsbezirke)? Zum Stichtag 31.08.2017 befanden sich 247 Fälle (286 Personen ) im Kirchenasyl, die in der Zuständigkeit einer bayerischen Ausländerbehörde liegen. Die Zahlen gestalten sich aufgeteilt nach Regierungsbezirken wie folgt: Oberbayern: 30 Fälle (37 Personen) Niederbayern: 20 Fälle (21 Personen) Oberpfalz: 28 Fälle (34 Personen) Oberfranken: 39 Fälle (45 Personen) Mittelfranken: 55 Fälle (58 Personen) Unterfranken: 30 Fälle (45 Personen) Schwaben: 15 Fälle (15 Personen) In 30 Fällen (31 Personen) wird Kirchenasyl durch eine Kirche in einem anderen Bundesland gewährt, unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Hessen. b) Aus welchen Staaten kommen diese Menschen (bitte aufgegliedert nach Zahl und Herkunftsland)? Staatsangehörigkeit Anzahl Fälle (Personen) Afghanistan 32 (38) Syrien 15 (22) Armenien 1 (4) Aserbaidschan 1 (3) Äthiopien 54 (56) Eritrea 66 (69) Irak 29 (37) Iran 23 (25) Kosovo 1 (7) Nigeria 7 (7) Pakistan 1 (1) Senegal 3 (3) Sierra Leone 6 (6) Somalia 6 (6) Uganda 1 (1) Ukraine 1 (1) c) Wie vielen Menschen droht im Falle des Verlassens des Kirchenasyls eine unmittelbare Abschiebung in ihr Herkunftsland? In 23 Fällen (35 Personen) ist nach Verlassen des Kirchenasyls Abschiebung ins Herkunftsland vorgesehen. Die Zielländer sind Kosovo, Armenien und Afghanistan. 3. Welche Fälle sind der Staatsregierung in anderen Bundesländern bekannt, in denen gegen Pfarrerinnen und Pfarrer oder Mitglieder der Landeskirchen Strafverfahren wegen Gewährung von Kirchenasyl eingeleitet wurden (gesamt und aufgegliedert in Bundesländer)? Eine Umfrage der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vom 15.08.2017 bei den außerbayerischen Generalstaatsanwaltschaften zur dortigen Strafverfolgungspraxis in Fällen des Kirchenasyls ergab, dass im Zusammenhang mit der Gewährung von Kirchenasyl in Baden-Württemberg, Brandenburg , Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen Ermittlungsverfahren gegen Kirchenangehörige eingeleitet worden sind. In den Antworten der Generalstaatsanwaltschaften wurden 14 Verfahren konkret benannt. Hinzu kommt eine in den Antworten nicht konkret benannte Anzahl weiterer Verfahren. 4. Wie bewertet die Staatsregierung die am 24.02.2015 in Berlin zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche einerseits und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) andererseits geschlossene Vereinbarung, dass das Kirchenasyl als christliche Tradition zu respektieren und von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen sei? Inhalt der zwischen dem Bundesamt und den Kirchen im Februar 2015 getroffenen Vereinbarung ist, dass in begründbaren Ausnahmefällen so frühzeitig wie möglich eine zwischen Kirche und Bundesamt gesteuerte, lösungsorientierte Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen über zentrale Ansprechpartner stattfindet. Die Beteiligten stimmen überein, dass das Kirchenasyl kein eigenstän- diges, neben dem Rechtsstaat stehendes Institut ist, sich jedoch als christlich-humanitäre Tradition etabliert hat, die das Bundesamt nicht beabsichtigt infrage zu stellen. Die Staatsregierung hält die Vereinbarung, an der sie nicht beteiligt war, für Drucksache 17/18566 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 einen zielführenden Weg zum Umgang mit Kirchenasylen und zu ihrer Vermeidung. Sie erwartet, dass sich beide Seiten an die getroffene Vereinbarung halten. Für die Kirchen bedeutet dies, dass möglichst vor Aufnahme eines Ausländers in ein Kirchenasyl, jedenfalls zeitnah danach dem Bundesamt ein Dossier über den Fall vorgelegt wird und im Fall eines ablehnenden Prüfergebnisses des Bundesamtes das Kirchenasyl unverzüglich beendet wird. Die Vereinbarung befasst sich zwar nicht mit den strafrechtlichen Aspekten des unerlaubten Aufenthalts und ändert grundsätzlich nichts daran, dass die Gewährung von Kirchenasyl nach den gesetzlichen Vorschriften den Anfangsverdacht der Anstiftung oder Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt begründen kann. Allerdings kann durch ihre strikte Beachtung der Eintritt der Strafbarkeit der am Kirchenasyl Beteiligten zumindest in den sogenannten Dublin-Fällen vermieden werden. Wenn die Kirchen durch die unverzügliche Vorlage des Dossiers eine Erklärung des Bundesamtes herbeiführen können, wonach dieses in eine erneute Prüfung des Falls einsteigt und die Abschiebung im konkreten Fall daher zunächst nicht weiterbetrieben werden soll, ist für diesen Zeitraum grundsätzlich kein strafbarer unerlaubter Aufenthalt gegeben. Die Strafbarkeit würde grundsätzlich erst dann einsetzen, wenn das Bundesamt nach negativer Prüfung des Dossiers erklärt, dass die Abschiebung nunmehr erfolgen soll, und der Ausländer dennoch im Kirchenasyl verbleibt. 5. Wie beurteilt die Staatsregierung die Aussage von Ministerpräsident Horst Seehofer, der im August 2017 sagte, dass die Zahl der Flüchtlinge im Kirchenasyl keine „radikalen Schritte“ rechtfertigen würde? Für die Staatsregierung ist das Kirchenasyl eine christliche Tradition und Ausdruck des großen humanitären Engagements der Kirchen vor Ort für die Flüchtlinge. Es ist aber kein rechtsfreier Raum. Nach den gesetzlichen Vorschriften kann die Gewährung von Kirchenasyl den Anfangsverdacht der Anstiftung oder Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt begründen. Wenn der Verdacht einer Straftat besteht, sind die Staatsanwaltschaften nach dem sogenannten Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen und den Sachverhalt aufzuklären Bei ihren Ermittlungen in Fällen von Kirchenasyl gehen die bayerischen Staatsanwaltschaften mit Augenmaß vor und tragen den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und insbesondere der persönlichen Gewissensentscheidung in ganz besonderer Weise Rechnung. Genau dies entspricht dem von Herrn Ministerpräsident Seehofer in den Mittelpunkt gestellten Respekt vor dem humanitärem Engagement der Kirchen und der von ihm unterstrichenen Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Bereits in der Vergangenheit wurde in großem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Verfahren wegen geringer Schuld gemäß § 153 Abs. 1 StPO einzustellen. Nach den vorliegenden Informationen ist in Bayern bislang gegen Pfarrer wegen der Gewährung von Kirchenasyl noch kein einziger Strafbefehl erlassen worden.