Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Hans Jürgen Fahn FREIE WÄHLER vom 11.08.2017 Umsetzung der Abschaffung der Vorrangprüfung Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie lautete – sofern bekannt – die Anordnung im Wortlaut, mit der die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, Mitte August 2016 die sog. Vorrangprüfung abgeschafft hat? 2. a) Inwieweit müssen jetzt alle Bundesländer diese Vorrangprüfung abschaffen oder gibt es hier Ausnahmen (z. B. bei höherer Arbeitslosigkeit), mit der Folge, dass einzelne regionale Bundesagenturen für Arbeit Arbeitsämter davon abweichen können? b) Wenn ja, in welcher Weise? 3. a) Ist die Meldung im Münchner Merkur vom 11.08.2017 richtig, dass in einem Großteil der Arbeitsagenturen in Bayern noch die „alte“ Vorrangprüfung angewendet wird? b) Sind es die Agenturbezirke München, Nürnberg und Augsburg (Münchner Merkur, 11.08.2017)? c) Wenn ja, was ist der Grund? 4. In welchen Arbeitsagenturen wird auch heute noch die „alte“ Vorrangprüfung durchgeführt (bitte einzeln aufzählen ) und auf welcher rechtlichen Grundlage setzt die Staatsregierung dies so um? 5. Gibt es Pläne der Staatsregierung, die Vorrangprüfung komplett abzuschaffen (so wie dies in den anderen Bundesländern der Fall ist)? 6. Verweigert die Staatsregierung Flüchtlingen die Arbeitserlaubnis , wenn eine geringe Bleibeperspektive vorliegt, und wie definiert die Staatsregierung diese geringe Bleibeperspektive, vor allem wenn diese prozentual schwankt wie z. B. im Fall Afghanistan? 7. Wie viele arbeitswillige Flüchtlinge haben von Januar 2016 bis 31.07.2017 einen sozialversicherungspflichtigen Job in Bayern erhalten? 8. Inwieweit unterstützt die Staatsregierung die Unternehmen , die Flüchtlinge in Arbeit und Brot stellen wollen, nachdem nach Angaben der IHK Oberbayern 2016 mehr als 12.000 Ausbildungsplätze offen geblieben und arbeitswillige Flüchtlinge sehr begehrt seien? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 17.10.2017 Vorbemerkung: Bei der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage wird davon ausgegangen, dass sich der Anfragesteller bei den Fragen 1 bis 5 ausschließlich auf die sog. Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete bezieht. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich die Regelungen zur Vorrangprüfung in Bezug auf die sonstigen Drittstaatsangehörigen nicht geändert haben. 1. Wie lautete – sofern bekannt – die Anordnung im Wortlaut, mit der die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, Mitte August 2016 die sog. Vorrangprüfung abgeschafft hat? Art. 1 der Verordnung zum Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (in Kraft getreten am 06.08.2016) bestimmt die Änderung des § 32 Abs. 5 der Beschäftigungsverordnung (BeschV). Gem. § 32 Abs. 5 Nr. 3 BeschV wird die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung Ausländerinnen und Ausländern mit einer Duldung oder Aufenthaltsgestattung u. a. dann ohne Vorrangprüfung erteilt, wenn sie eine Beschäftigung in dem Bezirk einer der in der Anlage zu § 32 aufgeführten Agenturen für Arbeit ausüben. Gem. Art. 6 Abs. 4 i. V. m. Art. 2 der Verordnung zum Integrationsgesetz tritt diese Regelung am 06.08.2019 außer Kraft. Sie ist somit befristet auf drei Jahre. Die Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete wurde damit nicht abgeschafft, sondern wird wie oben dargestellt in diesen Fällen befristet ausgesetzt. 2. a) Inwieweit müssen jetzt alle Bundesländer diese Vorrangprüfung abschaffen oder gibt es hier Ausnahmen (z.B. bei höherer Arbeitslosigkeit), mit der Folge, dass einzelne regionale Bundesagenturen für Arbeit/Arbeitsämter davon abweichen können? Die Vorrangprüfung wird ausgesetzt, wenn eine Beschäftigung in dem Bezirk einer der in der Anlage zu § 32 aufgeführten Agenturen für Arbeit ausgeübt wird (vgl. Frage 1). Um mögliche negative Auswirkungen am Arbeitsmarkt zu vermeiden, hat die Bundesregierung die Bundesländer am Gesetzgebungsverfahren beteiligt und ihnen eingeräumt, selbst zu bestimmen, in welchen Arbeitsagenturbezirken die Regelung zum Tragen kommt. Die Staatsregierung hat sich im Verfahren der Länderbeteiligung durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-les für die Orientierung an der Durchschnittsarbeitslosenquote des Landes für das Jahr 2015 (3,6 Prozent) entschieden. Dies bedeutet, in bayerischen Agenturbezirken mit einer Arbeitslosenquote unterhalb des bayerischen Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.02.2018 Drucksache 17/18660 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18660 Landesdurchschnitts wird die Vorrangprüfung ausgesetzt, bei einer Quote im oder über dem bayerischen Durchschnitt wird sie beibehalten. b) Wenn ja, in welcher Weise? Vgl. Antwort zu Frage 2a. 3. a) Ist die Meldung im Münchner Merkur vom 11.08.2017 richtig, dass in einem Großteil der Arbeitsagenturen in Bayern noch die „alte“ Vorrangprüfung angewendet wird? Die Vorrangprüfung wird ausgesetzt, wenn eine Beschäftigung in dem Bezirk einer der in der Anlage zu § 32 aufgeführten Agenturen für Arbeit ausgeübt wird. Dies sind in Bayern die 12 Agenturen für Arbeit Ansbach–Weißenburg, Regensburg, Schwandorf, Würzburg, Deggendorf, Donauwörth , Freising, Ingolstadt, Kempten–Memmingen, Landshut –Pfarrkirchen, Rosenheim und Weilheim. In den 11 Agenturbezirken Aschaffenburg, Bayreuth–Hof, Bamberg– Coburg, Fürth, Nürnberg, Schweinfurt, Weiden, Augsburg, München, Passau, Traunstein wird weiterhin in den ersten fünfzehn Monate des Aufenthalts (dann greift § 32 Abs. 5 Nr. 2 BeschV) eine Vorrangprüfung durchgeführt. b) Sind es die Agenturbezirke München, Nürnberg und Augsburg (Münchner Merkur, 11.8.2017)? Vgl. Antwort zu Frage 3a. c) Wenn ja, was ist der Grund? Vgl. Antwort zu Frage 2a. 4. In welchen Arbeitsagenturen wird auch heute noch die „alte“ Vorrangprüfung durchgeführt (bitte einzeln aufzählen) und auf welcher rechtlichen Grundlage setzt die Staatsregierung dies so um? Vgl. Antworten zu Fragen 2a und 3a. 5. Gibt es Pläne der Staatsregierung, die Vorrangprüfung komplett abzuschaffen (so wie dies in den anderen Bundesländern der Fall ist)? Die Staatsregierung plant keine komplette Abschaffung der bundesrechtlich geregelten Vorrangprüfung. 6. Verweigert die Staatsregierung Flüchtlingen die Arbeitserlaubnis, wenn eine geringe Bleibeperspektive vorliegt, und wie definiert die Staatsregierung diese geringe Bleibeperspektive, vor allem wenn diese prozentual schwankt wie z. B. im Fall Afghanistan? In die Ermessenentscheidung der Ausländerbehörden zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis an Asylbewerber fließt auch die Bleibeperspektive als einer von mehreren Ermessensgesichtspunkten mit ein, solange im konkreten Fall noch keine ablehnende Asylentscheidung ergangen ist. Die Bleibeperspektive ergibt sich aus der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich des jeweiligen Herkunftsstaates. Während eine hohe Bleibeperspektive für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis spricht, spricht umgekehrt eine niedrige dagegen. Bei Staaten wie Afghanistan, bei denen sich ablehnende und anerkennende Asylentscheidungen in etwa die Waage halten, kommt der Bleibeperspektive für die Ermessensentscheidung keine Bedeutung zu. 7. Wie viele arbeitswillige Flüchtlinge haben von Januar 2016 bis 31.07.2017 einen sozialversicherungspflichtigen Job in Bayern erhalten? 8. Inwieweit unterstützt die Staatsregierung die Unternehmen , die Flüchtlinge in Arbeit und Brot stellen wollen, nachdem nach Angaben der IHK Oberbayern 2016 mehr als 12.000 Ausbildungsplätze offen geblieben und arbeitswillige Flüchtlinge sehr begehrt seien? Die Fragen 7 und 8 werden gemeinsam beantwortet. Ausbildung und Arbeit sind der Schlüssel für eine gelingende Integration. Ausbildungs- und Arbeitsplätze entstehen in den Betrieben. Der bayerischen Wirtschaft kommt deshalb eine Schlüsselrolle und große Verantwortung zu, wenn es um die Integration der Menschen geht, die zu uns kommen. Bereits im Oktober 2015 hat die Staatsregierung zusammen mit der bayerischen Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit die Initiative „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ gestartet. Bis Ende des Jahres 2016 wurde das erste Teilziel nicht nur erreicht, sondern um das Dreifache übertroffen. Bis dahin konnten rd. 60.500 Flüchtlinge in Praktika, Ausbildung und Arbeit vermittelt werden, davon rd. 25.500 Flüchtlinge in Praktika, 4.778 Flüchtlinge in Ausbildung und 30.493 Flüchtlinge in jede Form der Arbeit. Mit über 30.000 Integrationen in Arbeit wurde das mittelfristige Ziel bereits zur Hälfte erreicht. Der Staatsregierung liegen jedoch keine Zahlen vor, wie viele arbeitswillige Flüchtlinge von Januar 2016 bis 31.07.2017 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Bayern aufgenommen haben, da in der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit nur nach der Staatsangehörigkeit und nicht nach „Personen im Kontext von Fluchtmigration“ differenziert wird. Die Betrachtung der Beschäftigung Geflüchteter im Rahmen der Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit ist eingegrenzt auf die Beschäftigten aus Ländern (Nationalitäten ) der im Fokus stehenden acht Haupt-Asyl-Herkunftsländer (HKL) Afghanistan, Syrien, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia. Diese Daten stehen jedoch nur mit einer Zeitverzögerung von sechs Monaten zur Verfügung und bilden Beschäftigte auf Basis ihrer Nationalität und nicht auf Basis des Aufenthaltsstatus ab. Des Weiteren liegen Daten auf Basis des Aufenthaltstitels erst seit Juni 2016 vor. Die aktuellsten Daten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegen zum 31.12.2016 vor. Die nächste Aktualisierung erfolgt Mitte Oktober zum Berichtsmonat März 2017. Das oben genannte Ziel der Initiative „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ konnte erreicht werden, weil die Staatsregierung eine Vielzahl von Maßnahmen durchführt, welche auch Unternehmen unterstützen. Gefördert wird hierzu beispielsweise bayernweit die interkulturelle Qualifizierung von Ausbildungs- und Personalverantwortlichen in bayerischen Unternehmen. Auf der Internetplattform „Sprungbrett into work“ stellen derzeit über 1.300 Unternehmen Praktikumsplätze für berufsschulpflichtige Flüchtlinge und Asylbewerber zur Verfügung. Das Projekt der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) wird aus Landesmitteln gefördert. Neben den bereits vom Bund geförderten Beratungsstellen zur Anerkennung ausländischer Bildungsqualifikationen in Augsburg, München und Nürnberg hat die Staatsregierung fünf weitere Stellen in Ingolstadt, Landshut, Regensburg , Bamberg und Würzburg geschaffen. Die Anerkennung bereits erworbener Qualifikationen ermöglicht es den Un- Drucksache 17/18660 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 ternehmen, vergleichbare Informationen bei der Einstellung neuer Mitarbeiter zu erhalten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die bereits genehmigten 25 Ausbildungsakquisiteure für Flüchtlinge (Stand 07.09.2017) sollen anerkannte jugendliche Flüchtlinge, junge Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive oder junge Geduldete, die Peergroups (Gruppen von jugendlichen Flüchtlingen, die sich an bestimmten Treffpunkten aufhalten und untereinander eine große Solidarität haben) und Familien proaktiv aufsuchen und über die Möglichkeiten einer Berufsausbildung informieren sowie Hilfestellungen leisten. Sie stehen aber auch für Betriebe, die diese Flüchtlinge ausbilden, als Ansprechpartner zur Verfügung und verfolgen einen Netzwerkansatz. Das Fördervolumen beträgt auch im Jahr 2017 1,62 Mio. Euro. 47 genehmigte Jobbegleiter (Stand 07.09.2017) sollen als Lotsen, Netzwerker und Partner für Flüchtlinge und Unternehmen fungieren und so auch die Zusammenarbeit der Beteiligten vor Ort verbessern. Ziel ist die Schaffung von Beschäftigungschancen durch eine ganzheitliche Herangehensweise und die Stabilisierung des Beschäftigungsverhältnisses . Dafür stellt das Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) im Jahr 2017 (wie im Jahr 2016) rd. 3,45 Mio. Euro zur Verfügung. Die Staatsregierung unterstützt über die Ausbildungsinitiative „Fit for Work“ außerdem Unternehmen, die geflüchtete junge Menschen ausbilden. Die Ausbildungsinitiative „Fit for Work“ ist integraler Bestandteil der „Allianz für starke Berufsbildung in Bayern“. Mit dem Programm „Fit for Work“ werden bayerische Unternehmen gefördert, die Jugendliche mit Bildungs- oder Qualifizierungsdefiziten in eine betriebliche Ausbildung übernehmen oder Teilzeitausbildungen für junge Mütter und Väter anbieten. Das Programm „Fit for Work“ umfasst als Zielgruppe auch junge Menschen mit Fluchtgeschichte. Mit der Maßnahme „Fit for Work–Chance Ausbildung“ werden aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) (jährlich rd. 3,9 Mio. Euro) neben Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit und EU-Bürgern auch Jugendliche aus Drittstaaten gefördert, die mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus in Bayern leben. Zu Letzteren zählen z. B. Geflüchtete mit einer Aufenthaltserlaubnis (sog. Anerkannte). Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive (Asylbewerber) oder Jugendliche, die sich als Geduldete in Deutschland aufhalten, zählen nicht zur förderfähigen Zielgruppe des ESF. Für diese Jugendlichen greift seit August 2016 die Maßnahme „Fit for Work für Geflüchtete“, die aus Landesmitteln (jährlich rd. 2,5 Mio. Euro) finanziert wird.