Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Schuster SPD vom 25.09.2017 Zuweisung von Geldauflagen in Strafverfahren zugunsten von Organisationen der Hilfe für Opfer von Straftaten Gerichte und Staatsanwaltschaften können anlässlich der Einstellung von Ermittlungs- oder Strafverfahren oder bei der Festsetzung von Bewährungsauflagen Geldzuweisungen zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen verfügen. Die Stiftung Opferhilfe Bayern ist ebenso wie andere gemeinnützige Organisation der Opferhilfe und des Opferschutzes auf solche Bußgeldzuweisungen stark angewiesen. Ich frage die Staatsregierung: 1. In welcher Höhe hat die Stiftung Opferhilfe Bayern seit ihrer Gründung jeweils jährlich Mittel aus dem Staatshaushalt erhalten? 2. a) Wie haben sich die Bußgeldzuweisungen an die Stiftung Opferhilfe Bayern seit ihrer Gründung jährlich entwickelt ? b) Wie haben sich die Bußgeldzuweisungen an andere gemeinnützige Organisationen der Hilfe für Opfer von Straftaten seitdem entwickelt? 3. a) Entstehen durch die freie Auswahl der begünstigten Organisationen und Einrichtungen durch Richter und Staatsanwälte Probleme bei der Verteilung der Mittel? b) Gibt es im Speziellen Probleme bei der Verteilung der Mittel auf die verschiedenen Organisationen der Hilfe für Opfer von Straftaten? 4. Können alternative Verteilungsmethoden, etwa über einen Sammelfonds für Bußgelder nach Hamburger Vorbild, dabei helfen, eine gerechtere Verteilung der Bußgeldzuweisungen auf die verschiedenen gemeinnützigen Organisationen zu erreichen? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 26.10.2017 1. In welcher Höhe hat die Stiftung Opferhilfe Bayern seit ihrer Gründung jeweils jährlich Mittel aus dem Staatshaushalt erhalten? Aus dem Staatshaushalt hat die Stiftung Opferhilfe anlässlich ihrer Gründung im Oktober 2012 ein Stiftungskapital in Höhe von 20.000 Euro und ein Grundstockvermögen von 50.000 Euro erhalten. Ihr werden gemäß dem Haushaltsvermerk zu Kapitel 04 01 Titel 124 01 Räume des Staatsministeriums der Justiz (derzeit in der Schleißheimer Straße 139, München) zur unentgeltlichen Nutzung überlassen. Darüber hinaus wird die Stiftung aus Infrastrukturmitteln des Hauses (Telefon, EDV- Ausstattung, Geschäftsbedarf usw.) ausgestattet. Die Stiftung kann außerdem in gewissem Umfang auf die sonstige Infrastruktur des Ministeriums, etwa in der Form von Sekretariatsleistungen , unentgeltlich zugreifen. 2. a) Wie haben sich die Bußgeldzuweisungen an die Stiftung Opferhilfe Bayern seit ihrer Gründung jährlich entwickelt? Es wird davon ausgegangen, dass mit dem Begriff „Bußgeldzuweisungen “ keine Geldbußen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) gemeint sind, die der öffentlichen Hand zufließen, sondern Auflagen an einen Beschuldigten, Angeklagten oder Verurteilten zur Zahlung eines Geldbetrages . Bezüglich der insoweit in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen kann auf die einleitenden Ausführungen in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Verena Osgyan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 13.03.2014 betreffend „Bußgelderzuweisungen der Gerichte und Staatsanwaltschaften in Bayern“ (Drs. 17/1695) verwiesen werden. Die Jahresabrechnungen der Stiftung Opferhilfe von 2012 bis einschließlich 2016 weisen für die jeweiligen Jahre die folgenden Einnahmen aufgrund von Zuwendungen durch Gerichte und Staatsanwaltschaften aus: 2012: 321.300,00 Euro 2013: 554.425,90 Euro 2014: 678.579,12 Euro 2015: 351.738,99 Euro 2016: 219.011,09 Euro b) Wie haben sich die Bußgeldzuweisungen an andere gemeinnützige Organisationen der Hilfe für Opfer von Straftaten seitdem entwickelt? Die Beantwortung dieser Frage würde aufwendige, mehrstufige , manuelle Recherchen im Internet, per Telefon und in verschiedenen Dateisystemen erfordern. Diese Recherchen wären erforderlich, da nur der Name der Einrichtungen erfasst wird. Über diejenigen Einrichtungen hinaus, deren Name eindeutig auf ein Hilfsangebot Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 27.03.2018 Drucksache 17/18802 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18802 für Opfer von Straftaten schließen lässt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Organisationen entsprechende Hilfsangebote im Programm haben oder hatten. Dies müsste über das Internet oder telefonisch recherchiert werden. Bei über 1.000 Einrichtungen, welche allein im Jahr 2016 Geldzuweisungen erhalten haben, wäre diese Recherche mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. 3. a) Entstehen durch die freie Auswahl der begünstigten Organisationen und Einrichtungen durch Richter und Staatsanwälte Probleme bei der Verteilung der Mittel? b) Gibt es im Speziellen Probleme bei der Verteilung der Mittel auf die verschiedenen Organisationen der Hilfe für Opfer von Straftaten? In Bayern werden alle gemeinnützigen Einrichtungen, die um Zuweisung von Geldbeträgen durch Staatsanwaltschaften oder Gerichte nachsuchen, in Listen erfasst, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen. Grundlage hierfür ist die Bekanntmachung des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 10.12.2008 (JMBl 2009, S. 12). Listenführende Stellen sind die Präsidenten der Oberlandesgerichte und der Landgerichte, wobei an den Oberlandesgerichten jeweils eine Liste für überregional tätige Einrichtungen geführt wird, an den Landgerichten dagegen jeweils eine Liste für nur im jeweiligen Gerichtsbezirk tätige Stellen. Eine gleichzeitige Eintragung in eine überregionale und eine regionale Liste ist nicht möglich. Die Listen dienen insbesondere dem Zweck der Information der Richter und Staatsanwälte über in Betracht kommende gemeinnützige Einrichtungen. Im Übrigen können Zuwendungen grundsätzlich auch an gemeinnützige Einrichtungen erfolgen, die nicht in diesen Listen verzeichnet sind. Bei den Gerichten folgt dies zwingend schon daraus, dass die Auswahl der jeweils zu begünstigenden gemeinnützigen Einrichtung in richterlicher Unabhängigkeit erfolgt. Die richterliche Unabhängigkeit ist in Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantiert. Sie steht in engem Zusammenhang mit der in Art. 20 Abs. 3 GG hervorgehobenen Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht sowie dem in Art. 20 Abs. 2 GG verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung . Der nach dem Grundgesetz durch die richterliche Unabhängigkeit verbürgte Schutz vor Einflussnahme durch die Exekutive ist weit zu verstehen. Grundsätzlich unzulässig ist ein Einwirken auf den Kernbereich der Rechtsprechung im Sinne sachlich richtiger Entscheidungstätigkeit. Verboten ist aber auch jegliche mittelbare oder psychologische Einflussnahme . Auch die Auferlegung von Geldauflagen ist Teil der Rechtsfindung, denn sie ist eine hoheitliche Reaktion auf die Straftat. Und auch die Auswahl des Zuweisungsempfängers kann neben der Höhe der Geldauflage unter Umständen ein Mittel darstellen, das z. B. aufgrund eines besonderen Bezugs der begünstigten Einrichtung zu Tat oder Täter bewusst zur Einwirkung auf den konkreten Täter und zur Wiedergutmachung der konkreten Tat genutzt wird. Ganz allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die Geldauflage nicht in erster Linie dem Ziel der gleichmäßigen Förderung bestimmter gemeinnütziger Zwecke dient – dies ist gleichsam ein positiver Nebeneffekt der Geldauflage –, sondern dem angemessenen Schuldausgleich im Einzelfall. Ihre Ausgestaltung muss sich an diesem Zweck ausrichten. Bei der Zuweisung einer Geldauflage nach § 153a der Strafprozessordnung (StPO) durch die Staatsanwaltschaft kommt zudem ein „4-Augen-Prinzip“ zur Anwendung, d. h. Zuweisungsentscheidungen bedürfen grundsätzlich der Abzeichnung durch den Abteilungsleiter. Außerdem akzeptiert das in Bayern flächendeckend eingesetzte IT-Fachverfahren web.sta nur Zuweisungen an dort eingetragene Geldauflagenempfänger . Entsprechende Eintragungen können nur durch den Behördenleiter veranlasst werden. Bei der Eintragung orientieren sich die Behördenleiter an den auf Basis der Bekanntmachung des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 10.12.2008 geführten Listen bzw. an den für die Eintragung in die Listen maßgeblichen Anforderungen. Außerdem ergibt sich eine bundesweit bestehende inhaltliche Vorgabe aus den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV: eine bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift, die Verbindlichkeit nur gegenüber den Staatsanwaltschaften, nicht gegenüber den Gerichten besitzt). Gemäß Nr. 93 Abs. 2 RiStBV hat der Staatsanwalt bei Einstellungen nach § 153a StPO neben spezialpräventiven Erwägungen zu beachten, dass „bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe , Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang berücksichtigt werden“. Eine Kontrolle der Zuwendungen wird auch durch die regelmäßigen Geschäftsprüfungen durch die Generalstaatsanwaltschaften gewährleistet. Vor diesem Hintergrund können im Sinne der Fragestellung keine strukturellen Probleme bei der Verteilung der Mittel erkannt werden. 4. Können alternative Verteilungsmethoden, etwa über einen Sammelfonds für Bußgelder nach Hamburger Vorbild, dabei helfen, eine gerechtere Verteilung der Bußgeldzuweisungen auf die verschiedenen gemeinnützigen Organisationen zu erreichen? Bezüglich des „Hamburger Modells“ ist zunächst anzumerken , dass dieses im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit erheblichen Bedenken begegnet. Denn es wird dabei nicht zwischen Zuweisungen durch Gerichte und Staatsanwaltschaften unterschieden. Eine solche Differenzierung erscheint jedoch zwangsläufig, da die Zuweisungsentscheidungen der Gerichte in richterlicher Unabhängigkeit erfolgen. Gegenüber den Gerichten kann das System nur auf Freiwilligkeit beruhen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Antwort auf Frage 3 a und 3 b wird insoweit ergänzend verwiesen. Darüber hinaus begegnen sog. Fonds- oder Poollösungen aber auch generellen Bedenken. So können täter- und tatspezifische Besonderheiten nicht in die Auswahlentscheidung einbezogen werden und spezialpräventive Gesichtspunkte finden keine Berücksichtigung mehr. Diese und nicht die Verteilungsgerechtigkeit sind aber das für die Zuweisungsentscheidung in erster Linie maßgebliche Kriterium. Aber auch unter dem Blickwinkel der Verteilungsgerechtigkeit dürften sich aus der Poollösung mehr Probleme ergeben , als dadurch gelöst werden. So wirft die Frage, nach welchen Kriterien der Fonds die Gelder verteilen soll, weitere Fragen auf. Angesichts von Tausenden potenzieller Empfänger ist eine zentralisierte Verteilung, die allen gerecht wird, nahezu ausgeschlossen. Gerade kleinere, ortsansässige Einrichtungen liefen Gefahr, nicht mehr bedacht Drucksache 17/18802 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 zu werden. Auch wäre eine solche Fondslösung mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Letztlich dürfte eine zentralisierte Zuweisungsentscheidung unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit eher fehleranfälliger sein als das gegenwärtige System zahlreicher dezentralisierter Entscheidungsträger.