Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ruth Müller SPD vom 29.09.2017 Familien- und Sexualkundeerziehung an bayerischen Schulen Ich frage ich Staatsregierung: 1. a) Seit wann wird das Thema „Familien- und Sexualkundeerziehung “ im Lehramtsstudium behandelt? b) Mit wie vielen Stunden wird das Thema „Familien- und Sexualkundeerziehung“ im Lehramtsstudium und in der Seminarausbildung belegt? 2. Wie viele Stunden sind für das Thema „Familien- und Sexualkundeerziehung“ im Grundschullehrplan vorgesehen ? 3. Wie lassen sich die widersprüchlichen Vorgaben in den „Richtlinien Familien- und Sexualkundeerziehung“ vom 15.12.2016 und der „Studie zur Bedarfsermittlung zum Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder in Bayern“ (Seite 127, Pkt. 5., Abs. 1 und 2) in Einklang bringen? 4. Wie soll eine ähnlich hohe Quote der Aufklärung – lt. Erfahrungsberichten, z. B. aus dem Frauennotruf Kempten, kommen drei von vier Fällen nach einer Aufklärungsveranstaltung in der Schule in eine Beratungsstelle – durch Lehrer erreicht werden? Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 06.11.2017 1. a) Seit wann wird das Thema „Familien- und Sexualkundeerziehung “ im Lehramtsstudium behandelt? „Grundfragen der Familien- und Sexualerziehung“ wurden als inhaltliche Prüfungsanforderung für die Erste Staatsprüfung im Fach Erziehungswissenschaften, Teilgebiet Allgemeine Pädagogik, mit Inkrafttreten der Lehramtsprüfungsordnung I (LPO I) zum 01.10.1979 verankert. Gemäß § 33 Fachdidaktik LPO I sollen alle Lehramtsstudierenden „Kenntnis der Bildungsaufgaben […] des betreffenden Fachs in den einzelnen Schularten“ (enthalten seit 21.12.1979) sowie „Kenntnis der Beiträge des betreffenden Fachs für die Erfüllung der fächerübergreifenden Bildungsund Erziehungsaufgaben der jeweiligen Schulart“ (enthalten seit 07.11.2002) nachweisen. Hierzu zählen in den einschlägigen Fächern u. a. auch Inhalte der Familien- und Sexualerziehung. Studierende des Fachs Biologie setzen sich darüber hinaus seit Inkrafttreten der LPO I im Rahmen des Studiums der Verhaltens- sowie Humanbiologie mit der Thematik auseinander. Auch im Studium der Fächer Katholische und Evangelische Religionslehre werden Themen der Familien- und Sexualerziehung (Katholische Religionslehre: z. B. Sinn und Zweck von Normen, verantwortliche Gestaltung von Sexualität, Lebensform Ehe, nichteheliche Lebensgemeinschaften ; Evangelische Religionslehre: z. B. Mensch als Geschöpf, Ethik des Lebens, Sexualität und Lebensformen ) aufgegriffen (enthalten seit 12.03.2008). b) Mit wie vielen Stunden wird das Thema „Familienund Sexualkundeerziehung“ im Lehramtsstudium und in der Seminarausbildung belegt? Mit wie vielen Stunden das Thema Familien- und Sexualerziehung im Lehramtsstudium und in der Seminarausbildung belegt wird, liegt in der Eigenverantwortung der Universität für die Ausgestaltung des Lehramtsstudiums bzw. in der Verantwortung der jeweiligen Seminarlehrkraft. Das Staatsministerium Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (StMBW) kann hier den Universitäten keine verbindlichen Vorgaben machen und vertraut auch bei der Ausbildung im Vorbereitungsdienst auf die fachliche Kompetenz der Seminarlehrkräfte . Die Grundlage für die im Rahmen der Seminarausbildung zu behandelnden Themen der Familien- und Sexualerziehung im Bereich Pädagogik bilden gemäß den Zulassungs - und Ausbildungsordnungen für das Lehramt an den verschiedenen Schularten die in der LPO I festgelegten Inhalte des erziehungswissenschaftlichen Studiums. Weiterhin sehen die Zulassungs- und Ausbildungsordnungen für das Lehramt an Gymnasien sowie an Realschulen die Behandlung „besondere[r] Unterrichtsinhalte (darunter Fragen der Familien- und Sexualerziehung, […])“ im Bereich Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 18.06.2018 Drucksache 17/18841 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/18841 Schulkunde vor. In den Fachseminaren erfolgt die Ausbildung der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter auf der Grundlage u. a. des Lehrplans des jeweiligen Fachs sowie ggf. einschlägiger Richtlinien des StMBW. Familienund Sexualerziehung ist in den Lehrplänen aller Schularten als fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel verbindlich verankert. Darüber hinaus finden sich entsprechende Inhalte und Kompetenzerwartungen in den Lehrplänen der einschlägigen Fächer, wie z. B. Biologie, Religionslehre und Ethik. 2. Wie viele Stunden sind für das Thema „Familienund Sexualkundeerziehung“ im Grundschullehrplan vorgesehen? Familien- und Sexualerziehung ist im LehrplanPLUS der Grundschule als fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel verbindlich verankert (vgl. Antwort auf Frage 1 b). Darüber hinaus beinhaltet der Lernbereich 2 Körper und Gesundheit des Fachlehrplans Heimat- und Sachunterricht in allen vier Jahrgangsstufen verbindliche Kompetenzerwartungen und Inhalte aus dem Bereich der Familien- und Sexualerziehung. Über den Zeitrahmen zur Behandlung der Themen entscheidet die Lehrkraft im Rahmen ihrer pädagogischen Verantwortung für den Unterricht und mit Blick auf die Gesamtjahresplanung im Fach Heimat- und Sachunterricht . 3. Wie lassen sich die widersprüchlichen Vorgaben in den „Richtlinien Familien- und Sexualkundeerziehung “ vom 15.12.2016 und der „Studie zur Bedarfsermittlung zum Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder in Bayern“ (Seite 127, Pkt. 5., Abs. 1 und 2) in Einklang bringen? Zwischen den Inhalten der „Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen“ vom 15.12.2016 (auf den Internetseiten des StMBW abrufbar unter: https://www.km.bayern.de/download/493_richtlinien_ familien_und_sexualerziehung.pdf) und den Ergebnissen der in der Frage genannten „Studie zur Bedarfsermittlung zum Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder in Bayern“ der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen -Nürnberg ist kein Widerspruch ersichtlich. Sowohl in der Studie als auch in den Richtlinien wird die Bedeutung von Prävention betont. Die Schulen nehmen die ihnen hierfür zugewiesene Rolle und Verantwortung auch wahr und übernehmen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vorbeugung, Aufklärung und Intervention von bzw. bei sexueller Gewalt (vgl. Kapitel 4 der Richtlinien: „Prävention von sexueller Gewalt “). In präventiver Weise, aber auch bei einschlägigen Vorkommnissen können die Schulen auf Programme zur Gewalt- und Missbrauchsprävention zurückgreifen. Diese Programme zielen auf die Stärkung der Selbstkompetenz, die Entwicklung eines stabilen Selbstwertgefühls und auf die Verbesserung der Sozialkompetenz. Sie reichen von der Wertebildung als schulischem Auftrag über Lebenskompetenzprogramme wie „Lions Quest“ bis hin zu spezifischer Missbrauchsprävention wie „Mit mir nicht.“ oder „Trau dich!“. Am 29.09.2017 lief in Bayern darüber hinaus die Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs (UBSKM) an. In deren Rahmen werden über 5.000 allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Bayern Informationen zum Thema sexuelle Gewalt zugeleitet , die den Schulen wichtige Anstöße zur Entwicklung eines Schutzkonzepts liefern können. Den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften stehen fachliche Unterstützung durch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit an Schulen sowie die staatlichen Schulberatungsstellen zur Verfügung. Außerdem bietet das Portal der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen mit der Website https://sexuelle -gewalt.alp.dillingen.de wichtige Informationen sowie ein E- Learning-Programm zur Fortbildung der Lehrkräfte an. 4. Wie soll eine ähnlich hohe Quote der Aufklärung – lt. Erfahrungsberichten, z. B. aus dem Frauennotruf Kempten, kommen drei von vier Fällen nach einer Aufklärungsveranstaltung in der Schule in eine Beratungsstelle – durch Lehrer erreicht werden? In den Richtlinien des StMBW für die Familien- und Sexualerziehung wird die Möglichkeit zur Einbeziehung außerschulischer Experten in den Unterricht geregelt. So können für besondere Fragestellungen und Zielsetzungen externe Experten den Unterricht an weiterführenden Schulen ergänzen . Einen unterrichtlichen Einbezug von außerschulischen Experten im Rahmen der Familien- und Sexualerziehung an Grundschulen sehen die Richtlinien aus folgenden Gründen nicht vor: Die Vermittlung der im Lehrplan vorgesehenen klar begrenzten Inhalte zur Familien- und Sexualerziehung gehört zu den originären Aufgaben der Lehrkräfte, die im Rahmen von Studium und Seminarausbildung entsprechend vorbereitet werden. Besonders im Hinblick auf die Prävention von sexualisierter Gewalt ist es sinnvoll und sogar notwendig, die Verantwortung für diesen sensiblen Bereich der Klassenlehrkraft bzw. der Lehrkraft für das Fach Heimat- und Sachunterricht zuzuordnen, die als verlässliche Bezugsperson jedes Kind gut kennt und ein entsprechendes Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Aufgrund des Unterrichts in Familien und Sexualerziehung wissen die betroffenen Schülerinnen und Schüler, dass sie sich ggf. vertrauensvoll an ihre Lehrerin bzw. ihren Lehrer wenden dürfen. Beim Einsatz außerschulischer Experten wäre dies nicht möglich, weil sie nur einmalig und kurzfristig an der Schule sind. Das in der Grundschule geltende Klassenlehrerprinzip ermöglicht hingegen einen engen Kontakt zwischen den Schülerinnen und Schülern und der Lehrkraft. Neben der fachlich-didaktischen Arbeit lässt ein wertschätzender Umgang differenzierte Beobachtungen hinsichtlich der persönlichen Entwicklung und ggf. auffälligen Veränderungen des Kindes sowie die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen zu. Grundsätzlich ist ein Ziel der Richtlinien für die Familienund Sexualerziehung genauso wie der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“, eine klare Haltung der Schulen zu signalisieren und damit betroffene Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, sich zu offenbaren, um Hilfe zu bekommen. Verbunden ist damit, dass offen über Missbrauch und sexualisierte Gewalt gesprochen wird und dass Schulen Schutzkonzepte entwickeln. Zur Vermittlung der Unterrichtsinhalte stehen den Lehrkräften Unterrichtshilfen und Medien zur Verfügung. Wie bisher haben die Grundschulen darüber hinaus auch weiterhin die Möglichkeit, externe Partner in Fortbildungsveranstaltungen für die Lehrkräfte sowie im Rahmen von besonderen außerunterrichtlichen Veranstaltungen einzubeziehen. Auch sei darauf hingewiesen, dass von Aufführungen des Theaterstücks „Trau dich!“, das bayerischen Grundschulen seit 2015 angeboten wird, Rückmeldungen vorliegen, dass Drucksache 17/18841 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 betroffene Schülerinnen und Schüler sich danach zum Teil offenbart haben.