Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ruth Waldmann SPD vom 18.09.2017 Versorgung mit ambulanter Soziotherapie Soziotherapie wurde als § 37a des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) mit der GKV-Gesundheitsreform 2000 als ambulante Leistung für schwer psychisch kranke Menschen eingeführt. Soziotherapie soll die Patientinnen und Patienten befähigen, ambulante Therapieoptionen selbstständig wahrzunehmen und so unnötige stationäre Aufenthalte vermeiden helfen. Das Nähere über Voraussetzungen , Art, Inhalt und Umfang der Versorgung bestimmt gemäß § 37a Abs. 2 SGB V der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). In Bayern ist der aktuell gültige Rahmenvertrag über Zulassung zur Erbringung und Vergütung von Soziotherapie zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den Landeswohlfahrtsverbänden seit dem 27.07.2016 in Kraft. Über die Anzahl aktiver Sozoziotherapeutinnen und -therapeuten in Bayern liegen aus unterschiedlichen Quellen stark differierende Angaben vor: In der Anlage zum Rahmenvertrag zwischen Krankenkassen und Wohlfahrtsverbänden sind insgesamt 55 beigetretene oder zugelassene Leistungserbringer gelistet. In ihrer Antwort auf die Interpellation der SPD-Fraktion betreffend die Entwicklung der ambulanten, teilstationären und stationären Versorgung psychisch erkrankter, seelisch behinderter und suchtkranker Menschen in Bayern vom Januar 2014 (Drs.17/482) hat die Staatsregierung in Antwort 2.23 41 ambulante Soziotherapeutinnen und -therapeuten angegeben. Auf der Hompage des Berufsverbands der Soziotherapeuten erscheinen für Bayern lediglich sieben Einträge. Mit Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes wurde eine „Öffnungsklausel “ eingeführt, nach der neben Ärztinnen und Ärzten auch psychologische Psychotherapeutinnen und therapeuten zur Verordnung von Soziotherapie ermächtigt werden. Der GBA hat dies in seinem Beschluss zur Änderung der Soziotherapie -Richtlinie vom 16.03.2017 umgesetzt. Gemäß Rückmeldungen von psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten ist eine bedarfsdeckende Versorgung mit ambulanter Soziotherapie in Bayern derzeit nicht gewährleistet. Ich frage daher die Staatsregierung: 1. a) Wie oft wurde in den vergangenen fünf Jahren in Bayern von entsprechend befugten Ärztinnen und Ärzten Soziotherapie verordnet? b) Wie viele der Patientinnen und Patienten, für die Soziotherapie verordnet wurde, haben auch tatsächlich Leistungen der Soziotherapie in Anspruch genommen ? c) Was waren die hauptsächlichen Gründe für eine Nichtinanspruchnahme von verordneten soziotherapeutischen Leistungen? 2. a) Wie viele der im Anhang zum Soziotherapie-Rahmenvertrag zwischen Landesverbänden der Krankenkassen und der Wohlfahrtsverbände gelisteten Leistungserbringer haben in den Jahren 2015 und 2016 auch tatsächlich soziotherapeutische Leistungen erbracht? b) Wie viele soziotherapeutische Behandlungseinheiten wurden in den vergangenen fünf Jahren an wie vielen Patientinnen und Patienten in Bayern erbracht? c) Wie hoch war in den vergangenen fünf Jahren die durchschnittliche Vergütung für Soziotherapie je Patientin bzw. Patient pro Stunde? 3. a) Wie hoch waren in den vergangenen fünf Jahren die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für ambulante Soziotherapie insgesamt und je Mitglied? b) Waren nach Auffassung der Staatsregierung die von den gesetzlichen Krankenversicherungen für ambulante Soziotherapie verwendeten finanziellen Mittel ausreichend, um den Zweck der Prävention stationärer Aufenthalte zu erreichen? c) Welche Maßnahmen hält die Staatsregierung für angemessen , um eine flächen- und bedarfsdeckende Versorgung mit ambulanter Soziotherapie in Bayern zu gewährleisten? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 13.11.2017 Vorbemerkung: Die Versorgung gesetzlich Versicherter mit Soziotherapie ist durch die Krankenkassen als Sachleistung zu gewähren. Zur Beantwortung der Schriftlichen Anfrage wurden daher die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern (ARGE) sowie die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) eingeschaltet. Die bundesunmittelbaren Krankenkassen stellen Daten aufgrund ihrer Organisationsstruktur meist nur bundesweit und nicht auf einzelne Bundesländer bezogen dar. Gesetzlich sind sie hierzu auch nicht verpflichtet . Deshalb kann im Regelfall keine auf Bayern bezogene vollständige Datenbasis zur Verfügung gestellt werden. Teilweise können Daten einzelner Krankenkassen aus Gründen des Sozialdatenschutzes nicht widergegeben werden, z. B. wenn aufgrund der geringen Fallzahl trotz Anonymisierung ein Rückschluss auf einzelne Leistungsbezieher möglich wäre. 17. Wahlperiode 13.06.2018 Drucksache 17/19088 Bayerischer Landtag Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/19088 1. a) Wie oft wurde in den vergangenen fünf Jahren in Bayern von entsprechend befugten Ärztinnen und Ärzten Soziotherapie verordnet? Aus den Abrechnungen nach der Gebührenordnung (EBM) ergeben sich nach Mitteilung der KVB folgende von den vertragsärztlich tätigen Ärzten im Zusammenhang mit Soziotherapie erbrachte Leistungen: Hinweis: Soziotherapie kann gemäß der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Durchführung von Soziotherapie nur von berechtigten Ärzten (qualifizierte Berufsgruppen oder Einrichtungen mit Genehmigung) verordnet werden. Andere Vertragsärzte können Patienten zum Zwecke der Soziotherapieverordnung an berechtigte Ärzte überweisen. Kommt der überweisende Arzt aufgrund seiner Kenntnis des Einzelfalles zu der Auffassung, dass der Versicherte nicht in der Lage ist, diese Überweisung selbstständig in Anspruch zu nehmen, kann ein soziotherapeutischer Leistungserbringer hinzugezogen werden, um den Patienten entsprechend zu motivieren. Hierfür stehen dem soziotherapeutischen Leistungserbringer maximal fünf Therapieeinheiten zur Verfügung. b) Wie viele der Patientinnen und Patienten, für die Soziotherapie verordnet wurde, haben auch tatsächlich Leistungen der Soziotherapie in Anspruch genommen? Die AOK Bayern teilte mit, nach ihrem Kenntnisstand werde die Soziotherapie bei Vorliegen einer Verordnung von ihren Versicherten auch in Anspruch genommen. Aufgrund der Genehmigung in Intervallen lasse sich aber nicht abschließend beurteilen, ob der Versicherte die Behandlung abbricht oder ob medizinisch keine Verlängerung erforderlich ist. c) Was waren die hauptsächlichen Gründe für eine Nichtinanspruchnahme von verordneten Leistungen ? Auf die Antwort zu Frage 1 b wird verwiesen. 2. a) Wie viele der im Anhang zum Soziotherapie-Rahmenvertrag zwischen Landesverbänden der Krankenkassen und der Wohlfahrtsverbände gelisteten Leistungserbringer haben in den Jahren 2015 und 2016 auch tatsächlich soziotherapeutische Leistungen erbracht? Nach Mitteilung der AOK Bayern haben in dem Zeitraum 15 Leistungserbringer aus Bayern und drei Leistungserbringer aus angrenzenden Bundesländern Leistungen der ambulanten Soziotherapie erbracht und mit der AOK abgerechnet. Derzeit sind in Bayern 13 Leistungserbringer zugelassen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der zur Abrechnung berechtigten Leistungserbringer wieder ansteigt. Die AOK Bayern weist darauf hin, dass die Vorgaben zur Qualifikation der Leistungserbringer von Soziotherapie von den Vertragspartnern auf Landesebene festgelegt werden, weil bundesweite Rahmenempfehlungen über einheitliche Voraussetzungen für die Zulassung der Leistungserbringer fehlen. Mit den maßgeblichen Verbänden der Leistungserbringer hat die ARGE bereits 2016 über eine Aktualisierung der Zulassungsbedingungen beraten und die Regelungen zu der für die Zulassung notwendigen Praxiserfahrung gelockert. Eine weitere Hürde die hauptberufliche Selbstständigkeit der Soziotherapeuten betreffend wurde gestrichen . Die ARGE hat parallel dazu mit Vertretern des Berufsverbandes Kontakt zur weiteren Verbesserung der Versorgung mit Soziotherapie aufgenommen. Als erste positive Ergebnisse sind seit Oktober 2016 drei Therapeuten neu zugelassen worden, sechs weitere Anträge sind in Überprüfung . Die AOK geht von weiter steigenden Antragszahlen aus, weil entsprechende Nachfragen der Sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) zu verzeichnen sind. b) Wie viele soziotherapeutische Behandlungseinheiten wurden in den vergangenen fünf Jahren an wie vielen Patientinnen und Patienten in Bayern erbracht? Hierzu liegen der Staatsregierung keine Angaben der Krankenkassen vor. Allerdings können Versicherte insgesamt höchstens bis zu 120 Stunden Soziotherapie je Krankheitsfall innerhalb eines Zeitraums von höchstens drei Jahren in Anspruch nehmen. Ergänzend wird auf die Vorbemerkung und die Antworten zu Frage 1 hingewiesen. c) Wie hoch war in den vergangenen fünf Jahren die durchschnittliche Vergütung für Soziotherapie je Patientin bzw. Patient pro Stunde? Die Vergütung für Soziotherapie bemisst sich für alle gesetzlichen Krankenkassen in Bayern nach der bayerischen Rahmenvereinbarung (Anlage 7 zum Rahmenvertrag gemäß § 132b SGB V). Nach Angaben der AOK Bayern wurden folgende Vergütungen vereinbart: Jahr Vergütung/Std. 2017 46,34 € 2016 46,34 € 2015 44,13 € 2014 42,51 € 2013 42,51 € 2012 2013 2014 2015 2016 Erstverordnung Soziotherapie (EBM Ziffer 30810) 38 37 31 28 37 Folgeverordnung Soziotherapie (EBM Ziffer 30811) 231 223 214 215 232 Hinzuziehung soziotherapeutischer Leistungserbringer (EBM Ziffer 30800) 21.370 15.689 15.804 16.083 19.174 Drucksache 17/19088 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Die aktuelle Vergütungsvereinbarung endet frühestens zum 30.06.2018. Die AOK Bayern weist ergänzend darauf hin, dass in Bayern die derzeit höchste Vergütung für Soziotherapie im Bundesgebiet gezahlt wird. 3. a) Wie hoch waren in den vergangenen fünf Jahren die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für ambulante Soziotherapie insgesamt und je Mitglied? Nach den Rechnungsergebnissen der GKV in der bundesweiten Statistik KJ1 haben die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland für Soziotherapie folgende Ausgaben getätigt : Jahr Ausgaben in € insgesamt Ausgaben in € pro Versicherten 2012 3.423.896 0,05 2013 3.605.376 0,05 2014 3.709.279 0,05 2015 4.043.135 0,06 2016 5.128.092 0,07 Datenquellen: KJ 1 Endgültige Rechnungsergebnisse 2012–2016 Angaben zu auf Bayern bezogenen Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen liegen nicht vor. Auf die Vorbemerkung wird in diesem Zusammenhang hingewiesen. b) Waren nach Auffassung der Staatsregierung die von den gesetzlichen Krankenversicherungen für ambulante Soziotherapie verwendeten finanziellen Mittel ausreichend, um den Zweck der Prävention stationärer Aufenthalte zu erreichen? Leistungen der Soziotherapie darf der berechtigte Arzt nur verordnen, wenn dadurch Krankenhausbehandlungen vermieden oder verkürzt werden oder sie nicht ausführbar sind. Medizinisch notwendige soziotherapeutische Leistungen haben die Krankenkassen zu übernehmen. Da die Inanspruchnahme von Soziotherapie nicht durch ein Budget beschränkt ist, ist von ausreichenden finanziellen Mittel auszugehen. Die Staatsregierung kann nicht bewerten, ob eine Ausweitung von Leistungen der Soziotherapie weitere Einsparungen im stationären Bereich bewirken würde. Denn auf die Zahl der stationären Behandlungen wirken sich auch andere Faktoren aus, wie beispielsweise vom Patienten in Anspruch genommene ambulante psychiatrische Leistungsangebote . Die AOK Bayern teilte hierzu mit, es könne nicht eingeschätzt werden, ob die im Rahmen der Soziotherapie zur Verfügung gestellten Mittel stationäre Aufenthalte messbar verhindern. Durch den vermehrten Einsatz ambulanter Soziotherapeuten sei aber grundsätzlich ein Einspareffekt im stationären Bereich denkbar und möglich. Dies könne jedoch nicht mit wissenschaftlich fundierten Studien und Erhebungen belegt werden. c) Welche Maßnahmen hält die Staatsregierung für angemessen, um eine flächen- und bedarfsdeckende Versorgung mit ambulanter Soziotherapie in Bayern zu gewährleisten? Eine Bedarfsplanung gibt es für den Bereich der Soziotherapie nicht, insofern ist eine bedarfsdeckende Versorgung hier nicht abstrakt beurteilbar. Jedoch ist die Versorgung gesetzlich Versicherter mit Soziotherapie durch die Krankenkassen als Sachleistung zu gewähren. Die ARGE hat mit den Leistungserbringern bereits Regelungen zur Steigerung der Zahl der Leistungserbringer vereinbart. Hierzu wird ergänzend auf die Antwort zu Frage 2 a hingewiesen. Auf die Versorgung mit Soziotherapie könnte die Staatsregierung dagegen mangels bundesrechtlicher Grundlagen keinen direkten Einfluss nehmen.