Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Michael Piazolo FREIE WÄHLER vom 13.10.2017 Zukunft des Erasmusprogramms im Kontext der Brexit- Verhandlungen Das Erasmusprogramm ist eine der größten Erfolgsgeschichten der Europäischen Union. Pro Jahr nutzen etwa 27.500 europäische, davon etwa 4.000 deutsche Studenten, das Programm, um Studienerfahrung in Großbritannien zu sammeln. Großbritannien wird die EU jedoch aufgrund des Brexit-Votums verlassen. Damit verliert das Erasmusprogramm eine wichtige Stütze und für viele Studierende – auch in Bayern – bedeutet diese Entwicklung große Unsicherheit. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1.1 Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über Pläne der Europäischen Union, die den für die universitäre Forschung enorm wichtigen Austausch von Studenten zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auch nach dem Brexit im gleichen Maße wie bisher sicherstellen sollen? 1.2 Gibt es vonseiten der Europäischen Union bereits Verhandlungen mit Großbritannien zu diesem Thema? 1.3 Wie weit sind diese Verhandlungen fortgeschritten? 2. Wie schätzt die Staatsregierung die Zukunft des Erasmusprogramms oder eines vergleichbaren Austauschprogramms in Großbritannien gerade mit Blick auf den Wissenschaftsstandort Bayern ein? 3. Welche Mittel sieht die Staatsregierung, um bayerischen Studierenden auch in Zukunft einen Studienaufenthalt im Rahmen eines partnerschaftlichen Austauschverhältnisses zu ermöglichen, sollte der Brexit negative Konsequenzen auf die aktuellen Abkommen zwischen Hochschulen in Bayern und Hochschulen in Großbritannien haben? 4.1 Hat die Staatsregierung darüber Kenntnis, ob Studienabschlüsse aus Großbritannien auch in Zukunft im gesamten EU-Gebiet Anerkennung finden werden und umgekehrt? 4.2 Wenn ja, wie lauten diese? 4.3 Wenn nein, warum liegen hierzu keine Kenntnisse vor? 5.1 Gibt es Pläne der Staatsregierung, gemeinsam mit bayerischen Hochschulen separate Abkommen zwischen beiden Ländern zu schließen? 5.2 Wenn ja, wie lauten diese (bitte unter Nennung von Planungs- und Verhandlungsstand, beteiligten Hochschulen und Partnerhochschulen in Großbritannien, neuesten Entwicklungen)? 6.1 Sind in diesem Kontext auch Dependancen von britischen Hochschulen in Bayern geplant? 6.2 Wenn ja, durch wen werden diese geprüft? 6.3 Unter welchen Bedingungen (insb. rechtlicher Art) können diese eingerichtet werden? Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 15.11.2017 Vorbemerkung: Bei der Beantwortung der einzelnen Fragen ist zu berücksichtigen , dass Fragen, die das künftige Verhältnis zum Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zum Gegenstand haben, derzeit noch nicht beantwortet werden können. Die Verhandlungen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland mit der Europäischen Union werden nach Maßgabe der Leitlinien des Europäischen Rates (vom 29.04.2017, EUCO XT 20004/17) und im Einklang mit den darauf basierenden Verhandlungsrichtlinien geführt. Sie umfassen zwei Phasen: In Phase 1 wird das „Austrittsabkommen “ verhandelt. Das Austrittsverfahren nach Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) wurde mit der Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland vom 29.03.2017 formell eingeleitet und dauert grundsätzlich zwei Jahre. Das Austrittsabkommen muss also spätestens am 30.03.2019 in Kraft treten, es sei denn, der Europäische Rat würde diese Frist im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland einstimmig verlängern. In Phase 1 handelt die Europäische Union mit dem austrittswilligen Staat auf der Grundlage der o. g. Leitlinien des Europäischen Rates ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus. Erst wenn diese Phase 1 erfolgreich zu einem Abkommen geführt hat (bzw. zumindest, wenn es zu hinreichenden Fortschritten in dieser ersten Verhandlungsphase gekommen ist), werden die Fragen nach den künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland und der Europäischen Union in Phase 2 verhandelt . Ab dem Austrittstermin ist das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland ein Drittstaat. Unter Berücksichtigung des Fortgangs der Verhandlungen in Phase 1 ist ein Eintritt in Phase 2 derzeit noch nicht absehbar. Dies hat Auswirkungen auf die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung und infolgedessen auch bei der Beantwortung der nachfolgenden Einzelfragen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 28.05.2018 Drucksache 17/19111 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/19111 Ferner geht die Staatsregierung – insbesondere mit Blick auf den Vorspruch der Schriftlichen Anfrage – davon aus, dass mit „Erasmusprogramm“ in der Anfrage der Programmbereich „Erasmus“ des EU-Programms für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport „Erasmus+“ gemeint ist, zumal in erster Linie nach den Auswirkungen des „Brexit “ auf Studierende gefragt ist. Dies ist in den Antworten berücksichtigt. 1.1 Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über Pläne der Europäischen Union, die den für die universitäre Forschung enorm wichtigen Austausch von Studenten zwischen Großbritannien und der Europäischen Union auch nach dem Brexit im gleichen Maße wie bisher sicherstellen sollen? Der Staatsregierung sind keine konkreten Pläne der Europäischen Union in diesem Zusammenhang bekannt. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass der Austausch von Studierenden zwischen dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland und der Europäischen Union aus Sicht der Staatsregierung nicht nur für die universitäre Forschung bedeutsam ist, sondern auch einen enormen Mehrwert für die Studierenden mit sich bringt, da diese neben der Vertiefung ihrer Fach- und Sprachkenntnisse auch interkulturelle Kompetenz erwerben. Die Staatsregierung würde es daher begrüßen, wenn die Europäische Union im Zuge der Austrittsverhandlungen entsprechende Vereinbarungen mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland treffen würde. 1.2 Gibt es vonseiten der Europäischen Union bereits Verhandlungen mit Großbritannien zu diesem Thema ? Im Rahmen der offiziellen Austrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, die am 19.06.2017 begonnen haben, wurde dieses Thema bisher nicht behandelt. Die Verhandlungen sind in verschiedene Phasen untergliedert (siehe Vorbemerkung); zudem gibt es mehrere Arbeitsgruppen , von denen sich eine mit dem Thema „Bürgerrechte“ beschäftigt . Da bisher allerdings noch keine Einigung in grundlegenden Angelegenheiten (insbesondere im Hinblick auf finanzielle Fragen) gefunden werden konnte, kam es bisher noch nicht zu Verhandlungen über das Thema „Studierendenaustausch “. 1.3 Wie weit sind diese Verhandlungen fortgeschritten ? Siehe Antwort zu Frage 1.2 2. Wie schätzt die Staatsregierung die Zukunft des Erasmusprogramms oder eines vergleichbaren Austauschprogramms in Großbritannien gerade mit Blick auf den Wissenschaftsstandort Bayern ein? Das Programm „Erasmus+“ läuft in seiner jetzigen Form noch bis zum 31.12.2020. Über die Ausgestaltung des Nachfolgeprogramms wird derzeit diskutiert. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist nicht Voraussetzung dafür, dass ein Staat Programmland von „Erasmus+“ werden kann. Derzeit gibt es 33 Programmländer , darunter Deutschland und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, aber beispielsweise auch die Nicht-EU-Staaten Norwegen, Island und die Türkei. Gemäß Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2013 zur Einrichtung von „Erasmus+“, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und zur Aufhebung der Beschlüsse Nr. 1719/2006/EG, Nr. 1720/2006/EG und Nr. 1298/2008/EG (im Folgenden: „Erasmus+“-Verordnung) können folgende Länder als Programmländer an „Erasmus+“ teilnehmen: – die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, – die Beitrittsländer, Kandidatenländer und potenziellen Kandidatenländer, die im Rahmen einer Heranführungsstrategie unterstützt werden, gemäß den allgemeinen Grundsätzen und den allgemeinen Bedingungen und Bestimmungen , die in den jeweiligen Rahmenabkommen, Assoziationsratsbeschlüssen oder ähnlichen Übereinkünften über ihre Teilnahme an Programmen der Union festgelegt sind; – die EFTA-Länder (EFTA = European Free Trade Association ), die Mitglieder des EWR-Abkommens sind (EWR = Europäischer Wirtschaftsraum), gemäß den Bestimmungen des EWR-Abkommens; – die Schweizerische Eidgenossenschaft auf der Grundlage eines mit diesem Land zu schließenden bilateralen Übereinkommens; – die Länder, die in die Europäische Nachbarschaftspolitik einbezogen sind und Abkommen mit der Union geschlossen haben, wonach sie an Programmen der Union teilnehmen können, sofern sie ein bilaterales Abkommen mit der Union über die Bedingungen für ihre Teilnahme an diesem Programm abschließen. Zudem sieht Art. 24 Abs. 3 der „Erasmus+“-Verordnung eine Zusammenarbeit mit Partnerländern, insbesondere Nachbarschaftsländern , in bestimmten Maßnahmen und Aktivitäten vor. Hierzu zählt auch die Lernmobilität von Einzelpersonen . Inwieweit das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland auch nach dem Ausscheiden aus der Europäischen Union am Programm „Erasmus+“ oder einem entsprechenden Nachfolgeprogramm beteiligt sein wird, kann die Staatsregierung nicht abschätzen. Aussagen hierzu wären rein spekulativer Natur. Eine weitere Beteiligung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland wäre jedoch nach der aktuell geltenden „Erasmus+“-Verordnung sowohl in Gestalt eines Programmlands als auch in Gestalt eines Partnerlands möglich, falls das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hierzu ein Abkommen mit der Europäischen Union schließt. Inwiefern eine dem Art. 24 der „Erasmus+“-Verordnung entsprechende Regelung auch für das Nachfolgeprogramm gelten wird, ist derzeit noch offen. Da auch unklar ist, ob und evtl. welchen Status das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland künftig einnehmen wird, kann auch keine Aussage zu den künftigen Auswirkungen auf den Wissenschaftsstandort Bayern getroffen werden. 3. Welche Mittel sieht die Staatsregierung, um bayerischen Studierenden auch in Zukunft einen Studienaufenthalt im Rahmen eines partnerschaftlichen Austauschverhältnisses zu ermöglichen, sollte der Brexit negative Konsequenzen auf die aktuellen Abkommen zwischen Hochschulen in Bayern und Hochschulen in Großbritannien haben? Welche Mittel zur Überwindung möglicher negativer Konsequenzen der Neuausgestaltung der Beziehungen der Euro- Drucksache 17/19111 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 päischen Union zum Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland geeignet und erforderlich sind, lässt sich erst beantworten, wenn die Konditionen der Neuausgestaltung und die aus ihr folgenden Konsequenzen bekannt sind. Dies ist gegenwärtig noch nicht der Fall; zum Verfahrensstand wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 4.1 Hat die Staatsregierung darüber Kenntnis, ob Studienabschlüsse aus Großbritannien auch in Zukunft im gesamten EU-Gebiet Anerkennung finden werden und umgekehrt? 4.2 Wenn ja, wie lauten diese? 4.3 Wenn nein, warum liegen hierzu keine Kenntnisse vor? Die Beantwortung beschränkt sich auf die Anerkennung britischer Studienabschlüsse im Freistaat Bayern, da eine Prüfung anhand des Hochschulrechts der anderen Länder sowie der Mitgliedstaaten der EU mit vertretbarem Arbeitsaufwand nicht möglich ist. Die Anerkennung von im Ausland an Hochschulen erworbenen Kompetenzen richtet sich nach Art. 63 Abs. 1 des Bayerischen Hochschulgesetzes (BayHSchG). Diese Regelung findet unabhängig davon Anwendung, ob diese in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Staat erworben wurden. Daher hätte ein EU-Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland in diesem Bereich keine Auswirkungen. Gleiches gilt auch für Studierende aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, da dieses das Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (sog. Lissabon-Übereinkommen oder Lissabon-Konvention) ratifiziert hat, dessen Anwendung von einem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland nicht berührt wird. 5.1 Gibt es Pläne der Staatsregierung, gemeinsam mit bayerischen Hochschulen separate Abkommen zwischen beiden Ländern zu schließen? Es gibt mit Blick auf den in der Vorbemerkung beschriebenen Verfahrensstand derzeit keine Pläne der Staatsregierung über den Abschluss von separaten Kooperationsabkommen mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. 5.2 Wenn ja, wie lauten diese (bitte unter Nennung von Planungs- und Verhandlungsstand, beteiligten Hochschulen und Partnerhochschulen in Großbritannien , neuesten Entwicklungen)? Siehe Antwort zu Frage 5.1: es gibt derzeit keine solchen Pläne. 6.1 Sind in diesem Kontext auch Dependancen von britischen Hochschulen in Bayern geplant? Ob in diesem Kontext (weitere) Dependancen von britischen Hochschulen in Bayern geplant sind, ist der Staatsregierung nicht bekannt. Derzeit gibt es sechs britische Hochschulen, die gem. Art. 86 Abs. 1 BayHSchG in Bayern Hochschulstudiengänge durchführen. 6.2 Wenn ja, durch wen werden diese geprüft? Anträge auf Feststellung gem. Art. 86 Abs. 1 BayHSchG werden durch das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (StMBW) geprüft. 6.3 Unter welchen Bedingungen (insbes. rechtlicher Art) können diese eingerichtet werden? Ob eine britische Universität nach dem Brexit noch unter die Regelung des Art. 86 Abs. 1 BayHSchG fällt, kann derzeit nicht beantwortet werden. Hier müssen die Verhandlungen der EU mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland abgewartet werden. Nach derzeit gültiger Rechtslage kann das StMBW gem. Art. 86 Abs. 1 und 3 BayHchG die Berechtigung zur Durchführung von Hochschulstudiengängen und die Abnahme von Hochschulprüfungen unter der Verantwortung einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums feststellen. Sind die im Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen (Art. 86 Abs. 1 und 3 BayHSchG) erfüllt, hat die antragstellende Hochschule einen Anspruch auf den Feststellungsbescheid. Im Rahmen des Feststellungsverfahrens findet ausschließlich eine formale Prüfung der im Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen statt. Bei diesen Studiengängen liegt die Verantwortung für die Durchführung der Hochschulstudiengänge nicht beim Bayerischen StMBW, sondern beim jeweiligen Sitzland. Die Durchführung der Studiengänge erfolgt nach dem Recht des Sitzlandes der Hochschule, die den akademischen Grad verleiht. Die Aufsicht obliegt dem Sitzland, das die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung der Studiengänge und die Erfüllung von Qualitätsstandards trägt. Bei ausländischen Hochschulen wird bei erfolgreichem Abschluss des Studiums ein ausländischer akademischer Grad verliehen.