Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Eva Gottstein FREIE WÄHLER vom26.10.2017 Stalking/Nachstellung: Aktuelle Situation und Gegenmaßnahmen Wir fragen die Staatsregierung: 1. Wie viele Aburteilungen wegen Stalking/Nachstellung gemäß § 238 des Bürgerlichen Gesetzbuches (StGB) gab es in den Jahren 2011–2016 in Bayern (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren, Geschlecht der Opfer und Täter sowie Beziehung zwischen Opfer und Täter)? 2. Wie viele Fälle von Nachstellung gemäß § 238 des StGB wurden in den Jahren 2011–2016 abschließend polizeilich bearbeitet und zur Polizeilichen Kriminalstatistik gemeldet (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren)? 3. Wie viele Verurteilungen gemäß § 238 StGB gab es in den Jahren 2011–2016 (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren , Geschlecht der Verurteilten und Beziehung zum Opfer )? 4. Wie viele Fälle von Stalking/Nachstellung wurden 2016 bei den Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen , den Frauennotrufen sowie beim Bundeshilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ registriert und bearbeitet? 5. Welche Anstrengungen unternimmt der Freistaat Bayern, um die Vernetzung der bei Stalking zuständigen Stellen (Gerichte, Jugendämter, Polizei, Frauenhäuser, Beratungsstellen etc.) zu verbessern und eine rasche und zufriedenstellende Bearbeitung von Stalkingfällen und einen guten Opferschutz zu gewährleisten? 6. Welche Anstrengungen hat die Staatsregierung unternommen , um Geschädigte und Zeuginnen und Zeugen effektiver auf die Zeugenberatungsstellen bei den Gerichten hinzuweisen, so dass eine bessere Betreuung der Zeuginnen und Zeugen während der Gerichtsverfahren gewährleistet wird? 7. Welche Maßnahmen der Prävention und Aufklärung unternimmt die Staatsregierung, um die Gefahr der Nachstellung zu minimieren und potenzielle Opfer noch besser zu schützen? Antwort des Staatsministeriums der Justiz im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr und zu den Fragen 4, 5 und 7 im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 24.11.2017 1. Wie viele Aburteilungen wegen Stalking/Nachstellung gemäß § 238 des Bürgerlichen Gesetzbuches (StGB) gab es in den Jahren 2011–2016 in Bayern (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren, Geschlecht der Opfer und Täter sowie Beziehung zwischen Opfer und Täter)? Die bayerische Strafverfolgungsstatistik unterscheidet zwischen Angaben über rechtskräftig abgeurteilte und verurteilte Personen. – Abgeurteilte im Sinne der Strafverfolgungsstatistik sind dabei Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder bei denen das Strafverfahren nach Eröffnung der Hauptverhandlung durch Urteil oder Einstellungsbeschluss endgültig und rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Ihre Zahl setzt sich zusammen aus den Verurteilten und aus Personen, gegen die andere Entscheidungen (z. B. Freispruch, gerichtliche Einstellung des Strafverfahrens) getroffen wurden. – Verurteilte sind straffällig gewordene Personen, gegen die nach allgemeinem Strafrecht Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Geldstrafe verhängt wurde, oder deren Straftat nach Jugendstrafrecht mit Jugendstrafe, Zuchtmitteln oder Erziehungsmaßregeln geahndet worden ist. Bei der Verurteilung mehrerer Straftaten, die in Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) begangen wurden, wird in der Strafverfolgungsstatistik nur die Straftat statistisch erfasst , die nach dem Gesetz mit der schwersten Strafe bedroht ist. Werden mehrere Straftaten der gleichen Person hingegen in mehreren Verfahren verurteilt, so wird diese Person für jedes Strafverfahren gesondert gezählt. Im Rahmen der Strafverfolgungsstatistik wird im Zusammenhang mit Straftaten nach § 238 StGB weder das Geschlecht des oder der Opfer, noch dessen Beziehung zum Abgeurteilten oder Verurteilten erfasst. Ausgehend hiervon sind der Bayerischen Strafverfolgungsstatistik für die Jahre 2011 bis 2016 folgende Angaben im Hinblick auf Abgeurteilte wegen Straftaten nach § 238 StGB zu entnehmen: Jahr Abgeurteilte wegen Straftaten nach § 238 StGB insgesamt Davon männlich Davon weiblich 2011 75 66 9 2012 70 62 8 2013 38 33 5 2014 45 41 4 2015 46 42 4 2016 34 29 5 Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 12.02.2018 Drucksache 17/19223 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/19223 2. Wie viele Fälle von Nachstellung gemäß § 238 StGB wurden in den Jahren 2011–2016 abschließend polizeilich bearbeitet und zur Polizeilichen Kriminalstatistik gemeldet (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren)? Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Nachstellung gemäß § 238 StGB in Bayern sind aus nachstehender Tabelle zu entnehmen: Jahr Schlüssel der Tat Straftat erfasste Fälle Anzahl 2016 232400 Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB 1.260 2015 232400 Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB 1.326 2014 232400 Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB 1.545 2013 232400 Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB 1.609 2012 232400 Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB 1.801 2011 232400 Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB 1.760 3. Wie viele Verurteilungen gemäß § 238 StGB gab es in den Jahren 2011–2016 (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren, Geschlecht der Verurteilten und Beziehung zum Opfer)? Auf die erläuternden Hinweise zu Frage 1 wird zunächst Bezug genommen. Ausgehend hiervon sind der bayerischen Strafverfolgungsstatistik für die Jahre 2011 bis 2016 folgende Angaben im Hinblick auf Verurteilte wegen Straftaten nach § 238 StGB zu entnehmen: Jahr Verurteilte wegen Straftaten nach § 238 StGB insgesamt Davon männlich Davon weiblich 2011 53 46 7 2012 45 40 5 2013 25 22 3 2014 33 30 3 2015 35 34 1 2016 25 23 2 4. Wie viele Fälle von Stalking/Nachstellung wurden 2016 bei den Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen, den Frauennotrufen sowie beim Bundeshilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ registriert und bearbeitet? Bei den staatlich geförderten 32 bayerischen Frauennotrufen /Fachberatungsstellen für von sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt betroffene Frauen wurden im Jahr 2016 410 Fälle mit Beratungsanlass „Stalking“ erfasst. Von den beim Bundeshilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (0800 116 106 )im Jahr 2016 erfassten 23.978 Beratungskontakten mit erweiterter Dokumentation war in 4,05 Prozent der Fälle Beratungsanlass „Stalking“. 5. Welche Anstrengungen unternimmt der Freistaat Bayern, um die Vernetzung der bei Stalking zuständigen Stellen (Gerichte, Jugendämter, Polizei, Frauenhäuser , Beratungsstellen etc.) zu verbessern und eine rasche und zufriedenstellende Bearbeitung von Stalkingfällen und einen guten Opferschutz zu gewährleisten ? Zunächst ist hervorzuheben, dass bei sämtlichen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften entweder Sonderdezernate für „Gewalt im sozialen Nahraum, Stalking und Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz“ eingerichtet oder besondere Ansprechpartner für die Behandlung solcher Fälle bestellt wurden. Das erleichtert gleichermaßen die Vernetzung mit anderen bei Stalking zuständigen Stellen als auch eine fachkundige und rasche justizseitige Bearbeitung entsprechender Fälle. Zugleich leistet die Spezialisierung der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter einen wichtigen Beitrag zum Opferschutz, u. a. auch weil aufgrund des entsprechenden Erfahrungsschatzes Betroffenen mit dem nötigen Einfühlungsvermögen begegnet werden kann. Auch darüber hinaus sind die Anstrengungen des Freistaates Bayern zur Gewährleistung eines guten Opferschutzes auch und gerade im Zusammenhang mit Fällen von Stalking vielfältig. Exemplarisch zu nennen ist das vor kurzem grundlegend überarbeitete „Merkblatt über Rechte von Verletzten und Geschädigten in Strafverfahren“, das allen Opfern von Straftaten zur Verfügung gestellt wird und in 23 Sprachen auf der Homepage des Staatsministeriums der Justiz abrufbar ist. Komprimiert werden darin u. a. die Rechte der Betroffenen im Strafverfahren (einschließlich Unterstützungsmöglichkeiten wie beispielsweise Nebenklagevertretung, Zeugenbeistand und psychosoziale Prozessbegleitung) behandelt sowie auf Opferhilfeeinrichtungen, Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, ein mögliches Vorgehen nach dem Gewaltschutzgesetz sowie weiterführende Informationsquellen hingewiesen. Das Merkblatt wird Opfern zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, im Idealfall bereits bei der ersten Zeugenvernehmung, ausgehändigt. Speziell für Opfer von Stalking, häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung und Menschenhandel wurde im April 2017 die Broschüre „Wie sich Opfer wehren können“ aufgelegt, die Betroffene kostenlos beziehen können und deren Inhalt zudem im Internet frei abrufbar ist. Hierin finden sich weiterführende Hinweise für Opfer der entsprechenden Fallgruppen. Neben den besonderen Ansprechpartnern bei den Staatsanwaltschaften stehen darüber hinaus auch die Rechtsantrags - und Zeugenbetreuungsstellen bei den Gerichten Opfern von Stalking zur Verfügung. Zur Vermeidung unnötiger Belastungen von Zeugen durch Gerichtsverfahren, um den Zeugen die Unsicherheiten und Ängste vor der Aussage zu nehmen und sie dadurch in ihrer Zeugenrolle zu stärken , wurden an allen Amts- und Landgerichten Zeugenberatungsstellen eingerichtet. Die Zeugenbetreuerinnen und Zeugenbetreuer stehen als Ansprechpartner zur Verfügung, um in verständlicher Form allgemeine Fragen zum Verfahrensablauf und zur Zeugenvernehmung zu beantworten. Vielfach existieren auch besondere Warteräume für Zeugen , in denen die Zeugen den Zeitraum bis zu ihrer Aussage überbrücken können, damit sie nicht gegen ihren Willen außerhalb des Gerichtssaales mit dem Angeklagten oder dessen Verteidiger zusammentreffen. Bei Bedarf übernehmen die Zeugenbetreuerinnen und Zeugenbetreuer auch die Begleitung der Zeugin oder des Zeugen zur Vernehmung in den Sitzungssaal. Die eingesetzten Zeugenbetreuerinnen und Zeugenbetreuer werden jährlich geschult, wobei auch ein reger Erfahrungsaustausch untereinander stattfindet. Hinzu kommt eine Ausschöpfung des strafprozessualen Repertoires zugunsten der Betroffenen: Opfer werden zu einem frühen Zeitpunkt, regelmäßig bereits bei der ersten Zeugenvernehmung, auf ihre Befugnisse im Ermittlungs- und Strafverfahren und auf außerjustizielle Hilfeangebote hingewiesen (§§ 406i, j der Strafprozeßordnung – StPO). Insbesondere wird ihnen auch das bereits erwähnte Merkblatt über Rechte von Verletzten und Geschä- Drucksache 17/19223 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 digten im Strafverfahren ausgehändigt. Bei der Vernehmung der Zeugen sind die Staatsanwälte gehalten, besondere Rücksichtnahme zu üben, wenn erkennbar ist, dass mit der Vernehmung für den Verletzten eine erhebliche psychische Belastung verbunden ist, was bei Stalking häufig der Fall ist. Droht einem Zeugen im Einzelfall Gefahr, so kann ihm gestattet werden, seine Personalien, insbesondere seine Anschrift bei der Vernehmung nur eingeschränkt oder gar nicht anzugeben (§ 68 Abs. 2 und 3 StPO). Im Einzelfall kann sich außerdem eine Videovernehmung anbieten, die im Rahmen der §§ 58a, 168e, 247a, 255a StPO zulässig ist. Zeugnisverweigerungsberechtigte, aber (zunächst) aussagebereite Zeugen werden vielfach baldmöglichst ermittlungsrichterlich vernommen, um die Aussage im Wege der Vernehmung des Richters auch dann in ein Verfahren einführen zu können, wenn der Zeuge später von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Zeugen, die über kein Zeugnisverweigerungsrecht verfügen, wird deutlich gemacht, dass sie zur Aussage verpflichtet sind. Etwaige Verletzungen werden soweit möglich ärztlich dokumentiert. Auch sonstige objektive Beweise werden umfassend gesichert. Nicht zuletzt auf bayerisches Betreiben hin wurde schließlich der Straftatbestand der Nachstellung in diesem Jahr aus dem bundesgesetzlichen Katalog der Privatklagedelikte gestrichen . Die bisherige Rechtslage ermöglichte den Staatsanwaltschaften , ein Verfahren wegen Nachstellung unter Verweis auf den Privatklageweg einzustellen. Für Opfer hatte dies zur Folge, dass sie gegebenenfalls selbst ein Verfahren gegen den Betroffenen anstrengen mussten, wenn sie weiterhin an dessen Verfolgung interessiert waren. Von einer Verweisung auf den Privatklageweg wurde in Bayern allerdings schon zuvor nur ausgesprochen zurückhaltend Gebrauch gemacht. Der Gewährleistung eines verbesserten Opferschutzes bei der Bekämpfung der Nachstellung dient auch das mit Wirkung vom 10.03.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom 01.03.2017 (BGBl I S. 386). Das Gesetz sieht hierzu u. a. die Umwandlung des Tatbestandes der Nachstellung gemäß § 238 StGB von einem Erfolgs- in ein Eignungsdelikt vor. Entscheidend ist nicht länger, ob die Tat eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursacht hat, sondern ob sie geeignet ist, eine solche Beeinträchtigung herbeizuführen. Durch diese Umgestaltung des Tatbestandes wird zum einen erreicht, dass auch Fallkonstellationen strafrechtlich erfasst werden, in denen Opfer trotz gravierender, psychisch stark belastender Nachstellungen ihre äußeren Lebensumstände – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nur unerheblich verändern . Zum anderen setzt die Strafbarkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein, was im Einzelfall ein frühzeitigeres staatliches Einschreiten ermöglicht. Die Gesetzesänderung ist das Ergebnis langjähriger rechtspolitischer Bemühungen der Staatsregierung (s. nur die bayerischen Gesetzesanträge in BR-Drs. 193/14; BR-Drs. 193/1/14). Die besondere Problematik des Stalkings ist zudem regelmäßig Gegenstand einer Reihe von Tagungen des Fortbildungsprogramms der bayerischen Justiz. Insbesondere zu nennen sind hier spezielle Tagungen der Deutschen Richterakademie, die auch Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten aus Bayern offen stehen. So fand von 2015 bis 2017 die Tagung „Gewalt in der Familie – familien- und strafrechtliche Aspekte“ jährlich statt und wird auch wieder im Jahr 2018 angeboten. Im Jahr 2016 wurden Tagungen mit dem Titel „Strafzumessung, Opferschutz und Adhäsion“ und „Aktuelle Entwicklungen im Opferschutz: Psychosoziale Prozessbegleitung und weitere Maßnahmen nach dem 3. ORRG“ abgehalten. Im Jahr 2017 wurde die Veranstaltung „Strafzumessung, Opferschutz und Adhäsion“, die auch in den Vorjahren angeboten worden war, wiederholt. Für das Jahr 2018 ist neben der Tagung zum Umgang mit innerfamiliärer Gewalt eine neue DRA-Tagung zu „Aktuelle[n] Entwicklungen im Opferschutz“ geplant. Die Programmkonferenz der Deutschen Richterakademie wird bemüht sein, die Thematik auch weiterhin im Rahmen des Tagungsprogramms zu behandeln. Ferner war die Problematik häuslicher Gewalt und Stalkings Gegenstand spezieller Tagungen, die in den letzten Jahren durch das Fortbildungsreferat des Staatsministeriums der Justiz veranstaltet wurden. So findet regelmäßig eine Fortbildungsveranstaltung zum sog. Adhäsionsverfahren im Strafprozess statt, mit dem Betroffene ihre Rechtsansprüche in das Strafverfahren einbringen und dieses mitgestalten können. Im November 2016 wurde zudem eine Informationsveranstaltung zur Einführung der psychosozialen Prozessbegleitung im Strafverfahren in Bayern, die Stalkingopfer professionell durch die belastende Situation eines Strafverfahrens begleiten soll, ausgerichtet. Speziell mit dem Umgang mit haftentlassenen Sexualtätern befasste sich weiterhin eine Tagung im Juli 2017 (rechtliche Grundlagen für die Arbeit mit Risikoprobanden, Ausgestaltung gerichtlicher Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht). Für neu bestellte Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte werden zudem in Bayern Einführungslehrgänge veranstaltet. Im Rahmen dieser Lehrgänge wird auch der sensible und respektvolle Umgang mit Zeugen thematisiert. Als Kontaktstelle zu den Opfern von häuslicher Gewalt und Stalking wurden bereits 1987 bei den Polizeipräsidien die „Beauftragten der Polizie für Frauen und Kinder“ (BPFK) flächendeckend eingerichtet. Sie werden seither von Betroffenen wie auch in der Öffentlichkeit als kompetente Anlaufstelle für Kriminalitätsopfer geschätzt und wurden folgerichtig mittlerweile in „Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer (BPfK) umbenannt. Das Beratungs- und Unterstützungsangebot der BPfK richtet sich aufgrund der tatsächlichen gesellschaftlichen Anforderungen geschlechtsneutral an alle Betroffenen, die Opfer von sexueller Gewalt, von Gewalt im sozialen Nahraum oder Stalking wurden, oder Fragen zu diesem Themenbereich haben. Bei den Kriminalpolizeiinspektionen übernehmen die regionalen Ansprechpartner(innen) den Aufgabenbereich der BPfK. Um der qualitativen Bearbeitung von Delikten u. a. im Bereich von Stalking gerecht zu werden, werden bei den Basisdienststellen der Flächenpräsidien speziell geschulte Schwer punktsachbearbeiter(innen) eingesetzt. Der Vernetzung des proaktiven Beratungsansatzes wird bei der Bearbeitung von Stalkingfällen eine große Bedeutung beigemessen. Ziel ist es, einen möglichst hohen Erreichungsgrad aufseiten der Geschädigten zu gewährleisten und die Bündelung und Intensivierung von Opferhilfe/ -schutzmaßnahmen zu forcieren. Die Polizei leitet daher nach vorheriger schriftlicher Einwilligung des Opfers einen Bericht über den Vorfall einer Beratungs- bzw. Hilfeeinrichtung zu. Diese nimmt daraufhin innerhalb weniger Tage mit den Betroffenen Verbindung auf, unterbreitet ein weiterführendes Beratungsangebot und bietet Hilfe bei der Planung der weiteren Schritte an. Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/19223 Im Rahmen der zur Erstellung des bayerischen Gesamtkonzepts zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unter Federführung des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales , Familie und Integration eingesetzten Arbeitsgruppe wird mit den anderen betroffenen Ressorts, dem Bayerischen Landkreistag, dem Bayerischen Städtetag und der Freien Wohlfahrtspflege Bayern auch ausgelotet, ob und ggf. welcher Bedarf an Verbesserung der Vernetzung relevanter Akteure im Bereich häuslicher/sexualisierter Gewalt gegen Frauen besteht. Auf regionaler Ebene bestehen zahlreiche Runde Tische gegen häusliche Gewalt, die zumeist bei den Gleichstellungsbeauftragten der Landkreise und kreisfreien Städte angesiedelt sind. Ziel der Runden Tische sind die Vernetzung und der Informationsaustausch aller mit der Thematik befassten Akteure wie insbesondere der Jugendämter, Polizei , Justiz, Frauenhäuser und Notrufe. Es ist davon auszugehen , dass dort bei bestehendem regionalem Bedarf das Thema Stalking behandelt wird. 6. Welche Anstrengungen hat die Staatsregierung unternommen , um Geschädigte und Zeuginnen und Zeugen effektiver auf die Zeugenberatungsstellen bei den Gerichten hinzuweisen, so dass eine bessere Betreuung der Zeuginnen und Zeugen während der Gerichtsverfahren gewährleistet wird? Im Hinblick auf die Aufgaben der Zeugenbetreuerinnen und Zeugenbetreuer sowie die vielfach existierenden besonderen Warteräume für Zeugen wird auf die Antwort zu Frage 5 Bezug genommen. Informationen zum Angebot der bei allen Amts- und Landgerichten in Bayern eingerichteten Zeugenbetreuungsstellen , die auf ein bereits 1994 vom Staatsministerium der Justiz gestartetes Modellprojekt zurückgehen, erhalten Hilfesuchende online unter http://www.justiz.bayern.de/service /zeugenbetreuung/. Dort ist auch die im Dezember 2016 aktualisierte Broschüre „Als Zeuge im Gericht“ kostenlos abrufbar. Zugeschnitten auf den Informationsbedarf von Geschädigten im Strafverfahren bietet der Internetauftritt des Staatsministeriums der Justiz unter https://www.justiz.bayern .de/service/opferschutz/ Hilfesuchenden rund um die Uhr ein umfassendes, übersichtliches und kostenloses Informationsangebot zu den Rechten Geschädigter im Strafverfahren. Dort ist auch das bereits in der Antwort zu Frage 5 angesprochene „Merkblatt über Rechte von Verletzten und Geschädigten in Strafverfahren“ in 23 Sprachen abrufbar. Im Hinblick auf die im April 2017 speziell für Opfer von Stalking, häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung und Menschenhandel aufgelegte Broschüre „Wie sich Opfer wehren können“ wird auf die Antwort zu Frage 5 Bezug genommen. 7. Welche Maßnahmen der Prävention und Aufklärung unternimmt die Staatsregierung, um die Gefahr der Nachstellung zu minimieren und potenzielle Opfer noch besser zu schützen? Bereits im Jahr 2014 wurde das Landeskriminalamt durch das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr mit der Fortschreibung der „Rahmenvorgabe zur Bekämpfung der Häuslichen Gewalt und damit im Zusammenhang stehender Stalkingfälle“ beauftragt. Hierbei sollten auch die Ergebnisse der sog. AG Stalking sowie aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung sowie Best-practice-Ansätze berücksichtigt werden. Nach umfassenden Abstimmungsprozessen mit den Verbänden der Bayerischen Polizei und mit dem Sozialund Justizressort trat die Fortschreibung der Rahmenvorgabe mit innenministeriellem Schreiben (IMS) vom 16.05.2017 in Kraft. Die wesentlichen Elemente dieser Fortschreibung sind: – Optimierung der polizeilichen Gefährdungsanalyse durch entsprechende Empfehlung professionalisierter Analyseinstrumente und modularen Aufbaus der Durchführung dieser Gefährdungsanalysen (polizeilicher Erstzugriff – polizeiliche Endsachbearbeitung – ggf. Fallkonferenzen) einschl. einer verbesserten Dokumentation – Ausbau der Handreichungen zur Gefährder- und Gefährdetenansprache – Empfehlungen zur Ausgestaltung von Einzelfallbesprechungen – Vernehmungsspiegel „Stalking“ und „Cyber-Stalking“ – Stärkere Bezugnahme auf das proaktive Beratungsangebot und die Empfehlung zur Initiierung entsprechender Vereinbarungen mit geeigneten Einrichtungen, insbesondere auch mit den Interventionsstellen (IST) in Bayern, welche ein zugehendes psychosoziales Beratungsangebot für gewaltbetroffene Frauen bieten, die von häuslicher Gewalt, sexualisierter Partnergewalt sowie Stalking durch den (Ex-)Partner betroffen sind und bei denen deshalb ein polizeilicher Einsatz stattgefunden hat. Das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat zudem im Zuge einer umfassenden Ergänzung und Überarbeitung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) die Normierung einiger besonders wichtiger Befugnisse und Regelungen zeitlich vorgezogen; diese Änderungen wurden bereits zum 01.08.2017 in Kraft gesetzt. Hierzu zählen insbesondere auch die Einführung einer – präventivpolizeilichen – (offenen) elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ bzw. „elektronischen Fußfessel“) und flankierender Bestimmungen. Durch eine präventivpolizeiliche elektronische Fußfessel wird ein Instrument geschaffen, das bei entsprechender Gefahrenlage (beispielsweise auch Stalking) im Einzelfall die umfassende Überwachung des Täters deutlich erleichtern kann, da sie im Einzelfall personalintensive Rund-um-die- Uhr-Überwachungen verringern helfen kann, zugleich aber auch eine Mindermaßnahme zu einem Präventivgewahrsam darstellt. Daneben wurden zum 01.08.2017 insbesondere folgende Ergänzungen im PAG aufgenommen, die auch für Opfer von Stalking bessere Schutzmöglichkeiten bieten: – Einführung der sog. drohenden Gefahr als zusätzliche Gefahrbegriffskategorie nach den Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) vom 16.04.2016 (BvR 966/09) zur besseren Erfassung vor allem von Vorbereitungshandlungen . Über die bisherigen Regelungen in der allgemeinen Befugnisnorm hinaus wird der Polizei dann, wenn eine aus zu erwartenden Gewalttaten von erheblicher Intensität oder Auswirkung resultierende Gefahr für bestimmte bedeutende Rechtsgüter zu besorgen ist, neben Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung erforderlichenfalls auch gestattet, Maßnahmen zur Abwehr der (weiteren) Entstehung der Gefahr zu treffen und hierzu auch bereits in den Kausalverlauf einzugreifen. Zudem werden im Vorgriff auf die o. a. umfassende Novellierung auch bestimmte Standardbefugnisse entsprechend er- Drucksache 17/19223 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 gänzt, beginnend mit der Identitätsfeststellung. – Erstreckung der bestehenden Befugnisse zur Durchsuchung von Personen auf Situationen drohender Gefahr. – Schaffung einer speziellen Befugnis zu orts- und gebietsbezogenen Aufenthaltsge- und verboten sowie Kontaktverboten , zu deren Überwachung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ggf. auch die EAÜ angeordnet werden kann. – Ergänzung des Gewahrsams um die Einfügung einer zusätzlichen Alternative der Abwehr einer Gefahr für bestimmte hochrangige Rechtsgüter sowie um den weiteren möglichen Gewahrsamsgrund des Nichtbefolgens einer angeordneten EAÜ-Maßnahme. – Aufhebung der bisherigen gesetzlich absoluten Befristung der ohnehin richterlicher Entscheidung unterliegenden (Höchst)-Dauer des Präventivgewahrsams von 14 Tagen; zugleich Schaffung einer flankierenden Verfahrensregelung , aufgrund derer eine hinreichende gerichtliche Überprüfung der Gewahrsamsvoraussetzungen gewährleistet ist. In dem Bereich des Strafrechts fordert Bayern zudem rechtspolitisch auf Bundesebene, den Anwendungsbereich der Führungsaufsicht und insbesondere der elektronischen Aufenthaltsüberwachung auf Nachstellungstäter, von denen nach einer Verurteilung wegen Nachstellung oder wiederholten und schwerwiegenden Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz weiterhin die Gefahr von Stalkinghandlungen ausgeht, zu erweitern. Maßgeblich auf Betreiben Bayerns wurde der strafrechtliche Schutz vor Stalkingdelikten durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom 01.03.2017 erheblich ausgeweitet. Insoweit wird auf die Antwort zu Frage 5 Bezug genommen. Die Bemühungen um einen besseren Schutz von Stalkingopfern dürfen aber nicht bei der Verurteilung aufhören. Charakteristisch für das Verhalten besonders gefährlicher, obsessiver Stalker ist die triebhafte Suche der Nähe zum Opfer, die sich trotz offener Zurückweisung und oftmals trotz staatlicher Gegenmaßnahmen stetig wiederholt und intensiviert . Unter Umständen ist eine Freiheitsstrafe nicht ausreichend , um den Täter dauerhaft von Versuchen der Kontaktaufnahme abzuhalten und die Bedrohungsspirale dauerhaft zu durchbrechen. Die Möglichkeiten des Rechtsstaats, effektiv und angemessen auf diese Bedrohung zu reagieren, sind derzeit lückenhaft: Das mittlerweile geschaffene Institut der Sicherungshaft zur Abwendung weiterer Nachstellungstaten (§ 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO) steht erst bei der konkreten Gefahr des Todes oder einer schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung des Opfers oder einer ihm nahestehenden Person zur Verfügung. Führungsaufsicht und elektronische Aufenthaltsüberwachung wären ein erheblich milderes und zugleich deutlich effektiveres Mittel, um die Gefahr einer Wiederholungstat zu minimieren. Durch aufenthaltsbezogene Weisungen könnte dem Täter die erneute Annäherung an den Wohnort des Opfers strafbewehrt verboten werden. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung würde praktisch ausschließen, dass der Täter sich unbemerkt dem Wohnort des Opfers nähert. Die Hemmschwelle würde erheblich erhöht und polizeiliche Präventivmaßnahmen ermöglicht. Außerdem würde die vom Opfer subjektiv empfundene Bedrohungslage erheblich gesenkt. Soweit eine elektronische Aufenthaltsüberwachung des Verurteilten nicht (mehr) erforderlich wäre, böten die sonst im Rahmen der Führungsaufsicht mögliche Aufsicht und Betreuung durch einen Bewährungshelfer und die Möglichkeit von Auflagen und Weisungen für die Lebensführung des Verurteilten zahlreiche Möglichkeiten, um einer erneuten Straffälligkeit entgegenzuwirken.