Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jutta Widmann FREIE WÄHLER vom 04.12.2017 Familiennachzug Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie ist die aktuelle gesetzliche Grundlage hinsichtlich des Familiennachzugs – generell? – bei Flüchtlingen? – bei Asylbewerbern? 2. Wie ist Familiennachzug definiert bzw. welche Personen dürfen überhaupt nachziehen (Kernfamilie, erwachsene Kinder, Großeltern etc.)? 3. Falls der Staatsregierung bekannt, wie ist der Familiennachzug auf europäischer Ebene bzw. bei den übrigen Mitgliedstaaten geregelt? 4. Wie viele Personen wären nach aktueller Lage vom Familiennachzug betroffen bei – anerkannten Asylbewerbern? – Personen mit subsidiärem Schutz? 5. Wie hoch liegen die Kosten für den Familiennachzug – 2017? – voraussichtlich 2018? 6.1 Wer ist für die Unterbringung der im Rahmen des Familiennachzugs in Deutschland eintreffenden Personen verantwortlich? 6.2 Wer ist für die Beschaffung des Wohnraums verantwortlich ? 6.3 Wer trägt die Kosten? 7. Wer übernimmt die Krankenversicherung? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration sowie dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 08.01.2018 1. Wie ist die aktuelle gesetzliche Grundlage hinsichtlich des Familiennachzugs – generell? – bei Flüchtlingen? – bei Asylbewerbern? Der Familiennachzug ist generell in den §§ 27 bis 36 in Abschnitt 6 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geregelt. Gemäß § 27 AufenthG besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zum Familiennachzug zu erhalten. Dabei wird nach Familiennachzug zu Deutschen und zu Ausländern unterschieden. Nach § 28 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen, dem minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen oder dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Darüber hinaus regelt § 29 AufenthG den Familiennachzug zu Ausländern. Für den Familiennachzug zu einem Ausländer muss der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis , eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt EU, eine Aufenthaltserlaubnis, eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte (ICT = Intra-Corporate Transfer) oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzen oder sich gemäß § 20 a AufenthG berechtigt im Bundesgebiet aufhalten und ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen. Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge haben innerhalb von drei Monaten nach unanfechtbarer Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bundesrechtlich einen Anspruch auf Nachzug von Familienangehörigen, ohne dass der Nachweis darüber erforderlich wäre, dass der Lebensunterhalt gesichert ist und ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht (§ 29 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AufenthG). Personen im laufenden Asylverfahren haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Familiennachzug. 2. Wie ist Familiennachzug definiert bzw. welche Personen dürfen überhaupt nachziehen (Kernfamilie, erwachsene Kinder, Großeltern etc.)? Familiennachzug wird gem. § 27 AufenthG als „Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige“ definiert. Zum Nachzug sind grundsätzlich Ehegatten, minderjährige ledige Kinder und Eltern von minderjährigen Ausländern, Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.06.2018 Drucksache 17/19807 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/19807 die einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen haben, berechtigt. Zur Vermeidung von außergewöhnlichen Härten können auch sonstige Familienmitglieder von solchen minderjährigen Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis bekommen . 3. Falls der Staatsregierung bekannt, wie ist der Familiennachzug auf europäischer Ebene bzw. bei den übrigen Mitgliedstaaten geregelt? Die geltende bundesgesetzliche Regelung für den erleichterten Familiennachzug der Kernfamilie beruht auf der Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22.09.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (sog. Familienzusammenführungsrichtlinie). Zu Regelungen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegen keine Erkenntnisse vor. 4. Wie viele Personen wären nach aktueller Lage vom Familiennachzug betroffen bei – anerkannten Asylbewerbern? – Personen mit subsidiärem Schutz? Belastbare Zahlen zum Familiennachzug liegen nicht vor. Hierfür wäre eine Prognose der zuständigen Bundesbehörden erforderlich, die bisher nicht erfolgt ist. Belastbare Prognosen sind schon deshalb kaum möglich, weil individuelle Entscheidungen zugrunde liegen und von der bestehenden Möglichkeit des Familiennachzugs nicht in jedem Fall Gebrauch gemacht wird. 5. Wie hoch liegen die Kosten für den Familiennachzug – 2017? – voraussichtlich 2018? Im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommende Personen reisen über ein reguläres Visum ein. Voraussetzung ist regelmäßig die Sicherung des Lebensunterhalts; davon sieht das Aufenthaltsgesetz in verschiedenen Fällen, vor allem wenn der Stammberechtigte eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen besitzt, Ausnahmen vor. Nachziehende Familienangehörige beziehen daher grundsätzlich keine öffentlichen Leistungen. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist für diesen Personenkreis nicht einschlägig. Für die Kosten des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Wohnung und Heizung können nachziehende Familienmitglieder, wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ebenso wie einheimische Hilfebedürftige Sozialleistungen , z. B. nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II), beziehen. Die Bedarfssätze unterscheiden sich je nach Familienkonstellation. Der Regelsatz für die Kosten des Lebensunterhalts nach dem SGB II liegt für erwerbsfähige erwachsene Leistungsberechtigte bei 374 Euro, bei Kindern durchschnittlich bei 284 Euro. Bedarfe für Unterkunft und Heizung Im Rahmen des SGB II werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Der Durchschnittsbedarf je Person für Kosten für Unterkunft und Heizung liegt in Bayern derzeit bei 255 Euro. Wie Einheimische können nachziehende Familienmitglieder zudem die Infrastruktur beispielsweise im Gesundheitswesen oder im erzieherischen und schulischen Bereich in Anspruch nehmen. Eine Quantifizierung ist nicht möglich und würde eine Prognose erfordern. Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 6.1 Wer ist für die Unterbringung der im Rahmen des Familiennachzugs in Deutschland eintreffenden Personen verantwortlich? 6.2 Wer ist für die Beschaffung des Wohnraums verantwortlich ? 6.3 Wer trägt die Kosten? Zunächst und primär ist der oder die Anerkannte selbst als „Stammperson“ in der Pflicht, sich um Wohnraum für sich und seine Familienangehörigen zu kümmern. Es besteht ein klarer Vorrang der Eigenverantwortung. Im Fall des positiven Abschlusses eines Asylverfahrens und Erhalt einer Anerkennung bzw. Bleibeberechtigung endet grundsätzlich die Berechtigung für die Stammperson, in staatlichen Asylunterkünften zu wohnen. Anerkannte Asylbewerber müssen sich – genau wie Einheimische – in den „normalen“ Wohnungsmarkt integrieren und sind gefordert, sich selbst um eine Wohnung zu kümmern. In der Folge tragen sie diese Verantwortung auch für Familienmitglieder, die sie nach Erhalt ihrer Anerkennung nachholen. Sofern im Einzelfall Wohnraum weder auf dem freien Wohnungsmarkt noch im sozialen Wohnungsbau verfügbar sein sollte und die Bemühungen zur Vermittlung einer Wohnung scheitern, gilt es, gemeinsam die drohende Obdachlosigkeit zu verhindern. Alle staatlichen und kommunalen Ebenen wirken zur Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zusammen. Der Freistaat Bayern wird seiner Verantwortung dadurch gerecht, dass er anerkannten Asylbewerbern und im Einzelfall auch – über reguläre Visa nachziehenden – Familienmitgliedern zur Vermeidung von Notsituationen den vorübergehenden Verbleib in Asylunterkünften gestattet. Dies kann aber keine Dauerlösung sein. Ein wichtiger Aspekt ist insofern auch die Schaffung von preisgünstigem Wohnraum. Die Staatsregierung hat schon 2015 den Wohnungspakt Bayern aufgelegt. Im Rahmen des staatlichen Sofortprogramms als erster Säule des Wohnungspakts plant und baut die Staatsbauverwaltung bayernweit staatliche Wohnanlagen. Sie werden in einem reduzierten Bau- und Wohnstandard errichtet und stehen anerkannten Flüchtlingen sowie zu rund 30 Prozent Einheimischen mit niedrigem Einkommen zur Verfügung. Für diese staatlichen Wohnanlagen stellt Bayern ein auf 140 Mio. Euro verdoppeltes Budget bereit. Anfang 2018 wird die Staatsbauverwaltung das 24. Projekt abschließen, weitere 21 Projekte sind in Planung oder Bau. Mit dem Kommunalen Wohnraumförderungsprogramm als zweiter Säule unterstützt die Staatsregierung speziell die Städte und Gemeinden beim Bau von Wohnungen für einkommensschwächere Personen. Mehr als 100 Projekte wurden mittlerweile bewilligt. Im Rahmen der dritten Säule des Wohnungspakts wird die staatliche Wohnraumförderung ausgebaut. 2016 war das erfolgreichste Jahr der staatlichen Wohnraumförderung seit Langem. So konnte der Neubau von 3.300 Mietwohnungen gefördert werden. Das ist eine Steigerung um rund 75 Prozent zum Vorjahr. Auch im Jahr 2017 war das Interesse der Wohnungsunternehmen an den Förderprogrammen ungebrochen hoch. Bis 2019 sollen bei einem Gesamtvolumen von rund 2,6 Mrd. Euro bis zu 28.000 neue staatliche bzw. staatlich geförderte Wohnungen für die gesamte Bevölkerung entstehen . Darüber hinaus setzt sich die Staatsregierung für möglichst günstige Rahmenbedingungen für die Ausweitung des Wohnungsbestandes im freien Wohnungsbau ein. Im Übrigen wird zu den Maßnahmen, die die Staatsregierung ergreift, um auszugsberechtigte Bewohner von Flüchtlings- Drucksache 17/19807 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 unterkünften bei der Wohnungssuche – für sich und nachziehende Familienmitglieder – zu unterstützen, auf die Antwort zu Frage 5 in dem Bericht zu massiver Erhöhung der Gebühren nach §§ 23 und 24 Asyldurchführungsverordnung vom 20.09.2017 (Drs. 17/17099) verwiesen. Auch die Kommunen engagieren sich auf vielfältige Weise . Die der Staatsregierung bekannten Beispiele zeigen, dass vielerorts bereits wertvolle Ansätze für die Integration in den Wohnungsmarkt bestehen. Im Interesse eines Zusammenwirkens aller staatlichen Ebenen sollen diese Ansätze und Kooperationen verstärkt kommuniziert werden, um Synergieeffekte in ganz Bayern zu schaffen. 7. Wer übernimmt die Krankenversicherung? Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat sich zusammen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales , Familie und Integration mit der Kostenträgerschaft der Krankenbehandlung von Asylbewerbern und Flüchtlingen befasst. Für anerkannte Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis kommen folgende Fallgestaltungen in Betracht: – Der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist eröffnet, wenn eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) oder, bei erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Personen, Arbeitslosengeld II gezahlt wird (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V). – Bei nicht erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Personen im dauerhaften Bezug von Sozialhilfe nach dem SGB XII erfolgt die Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch die gesetzlichen Krankenkassen im Wege der Auftragsverwaltung. Die entstehenden Kosten werden den Krankenkassen durch den Sozialhilfeträger erstattet . – Bei nicht erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Personen, die ausnahmsweise Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII beziehen, besteht Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII durch den Sozialhilfeträger (§ 264 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Ziehen Familienangehörige nach Deutschland zu einem anerkannten Flüchtling, der bereits Mitglied der GKV ist, hat die zuständige Krankenkasse zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine beitragsfreie Familienversicherung nach § 10 SGB V vorliegen. Zu den Familienversicherten gehören – unter bestimmten weiteren Anspruchsvoraussetzungen – Ehegatten, gleichgeschlechtliche Lebenspartner und Kinder, aber auch Stiefkinder und Enkel, wenn sie die aufnehmende Person überwiegend unterhält, oder Pflegekinder in einem familienähnlichen Verhältnis, das dem Verhältnis zwischen Kind und den leiblichen Eltern ähnlich ist. Liegen die Voraussetzungen für den Zugang zur GKV (noch) nicht vor und besteht auch kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die sogenannte Auffangversicherung in der GKV nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfüllt sind. Kommt auch diese nach Feststellung der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse nicht in Betracht, ist nach § 193 Abs. 5 Nr. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ggf. eine Krankenversicherung im System der privaten Krankenversicherung durchzuführen.