Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Rosi Steinberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 09.11.2017 Planung und Bürgerbeteiligung in bayerischen Kommunen I Oft sind Beschlüsse und Entscheidungen, die in den Stadtund Gemeinderäten getroffen werden, für die Bürgerinnen und Bürger wegen mangelnder oder fehlender Informationen weder verständlich noch nachvollziehbar. Aus diesem Grund bitte ich die Staatsregierung um Beantwortung und Klarstellung. Ich frage die Staatsregierung: 1. Müssen oder dürfen Beschlussvorlagen zu Gemeinderatssitzungen veröffentlicht werden? 2. Müssen oder dürfen Protokolle der letzten und früherer Gemeinderatssitzungen im Internet veröffentlicht werden ? 3. Welche Fristen sind – evtl. in Abhängigkeit vom Umfang der Planungsunterlagen – jeweils vorgeschrieben , um Bürgern und Trägern öffentlicher Belange Gelegenheit zu geben, die Unterlagen zu studieren und Stellungnahmen zu erarbeiten? 4. Welche Möglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger sowie Träger öffentlicher Belange, Beschlüsse des Gemeinderats, die ihre Einwände ignorieren, anzufechten ? 5. Ist es zulässig, mehrere Pläne gleichzeitig für die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung auszulegen – insbesondere auch dann, wenn es sich dabei um Parallelverfahren handelt? 6. a) Für welche Vorhaben darf das Parallelverfahren, also die gleichzeitige Aufstellung von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan, angewandt werden? b) Unter welchen Bedingungen sind Parallelverfahren auch bei größeren Bauvorhaben zulässig? 7. Müssen oder sollten die Gemeinden aktuelle Bauleitplanungen und zugehörige Dokumente wie städtebauliche Entwicklungskonzepte, Hochwasserkonzepte, relevante Gutachten usw. dauerhaft im Internet veröffentlichen ? 8. Welche Gründe gibt es, diese Unterlagen nach Ablauf der Frist der Öffentlichkeitsbeteiligung wieder von der Webseite der Gemeinde zu entfernen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 08.01.2018 Vorbemerkung: Soweit die Schriftliche Anfrage jeweils Fachplanungsrecht ausdrücklich anspricht, bezieht sie sich jeweils auf das Bauplanungsrecht . Einige Fragen sind zwar allgemeiner formuliert und könnten nach ihrem Wortlaut weiter verstanden werden. Das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr geht aber davon aus, dass auch diese Fragen wegen des Gesamtzusammenhangs der Fragekomplexe zuvörderst bauplanungsrechtliche Aspekte betreffen. Die Antwort beschränkt sich daher auf dieses Fachverfahren. 1. Müssen oder dürfen Beschlussvorlagen zu Gemeinderatssitzungen veröffentlicht werden? Nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) ist der erste Bürgermeister als Leiter der Gemeindeverwaltung verpflichtet, die Beratungsgegenstände vorzubereiten. Das Ergebnis der Vorbereitung ist dem Gemeinderat – spätestens in der Sitzung – zur Kenntnis zu bringen. Dieser soll damit sachgemäße Beschlüsse möglichst ohne weitere langwierige Beratungen fassen können. Alle Sitzungsunterlagen, wozu auch die Beschlussvorlagen zählen, sind – unabhängig von der Zuordnung zum öffentlichen bzw. nichtöffentlichen Teil einer Sitzung – interne Ausarbeitungen der Verwaltung für den Gemeinderat. Der Zweck der Sitzungsunterlagen besteht allein in der Verwendung innerhalb des Gemeinderats; jedes einzelne Gemeinderatsmitglied unterliegt grundsätzlich der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 GO). Zwar ist eine Veröffentlichung der Sitzungsunterlagen grundsätzlich denkbar, wenn in den Sitzungsunterlagen nur Tatsachen enthalten sind, die entweder offenkundig sind oder keiner Geheimhaltung bedürfen, was eine individuelle Prüfung der Veröffentlichungsfähigkeit, gegebenenfalls auch eine Abänderung durch Kürzen oder Schwärzen, erforderlich macht. Eine solche Bereinigung der Sitzungsunterlagen kann aber mit einem hohen Verwaltungsaufwand und einem nicht unerheblichen Risiko einer versehentlichen Veröffentlichung geheimhaltungsbedürftiger Daten verbunden sein. Die Entscheidung, ob eine Gemeinde in diesem Rahmen Beschlussvorlagen veröffentlicht, obliegt aber im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts ihr. 2. Müssen oder dürfen Protokolle der letzten und früherer Gemeinderatssitzungen im Internet veröffentlicht werden? Nach Art. 54 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GO steht die Einsichtnahme in die Niederschrift über öffentliche Gemeinderatssitzungen allen Gemeindebürgern frei. Die genauere Ausgestaltung der Einsichtnahme obliegt der Gemeinde im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.06.2018 Drucksache 17/19813 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/19813 Die Gemeindeordnung verpflichtet bereits nicht dazu, Niederschriften öffentlicher Sitzungen veröffentlichen zu müssen . Die Entscheidung, ob Niederschriften im Internet veröffentlicht oder den Bürgern per E-Mail zugestellt werden sollen, liegt folglich erst recht beim Gemeinderat. Eine Veröffentlichung der Niederschrift bedarf jedoch einer gesonderten Zulässigkeitsprüfung in kommunalrechtlicher, urheberrechtlicher und datenschutzrechtlicher Hinsicht. Enthält die Niederschrift nur den Mindestinhalt nach Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GO, kann der Text des entsprechenden Beschlusses durch den Gemeinderat veröffentlicht werden. Bei einer Einstellung in das Internet ist jedoch die weltweite Zugriffs- und automatische Auswertungsmöglichkeit nach verschiedenen Suchkriterien zu berücksichtigen, woraus sich ergibt, dass Personen, soweit sie nicht der Veröffentlichung im Internet zugestimmt haben, in der Regel zu anonymisieren sind. Dies wird jedoch nicht für die in die Niederschrift als Mindestdaten aufzunehmenden personenbezogenen Daten der Gemeinderatsmitglieder selbst gelten, da hier die Transparenz des politischen Beratungs- und Entscheidungsprozesses höher zu bewerten sein dürfte als die nur am Rande und in Bezug auf die Ausübung des Ehrenamtes betroffenen Persönlichkeitsrechte. Auch für eine Niederschrift, die nicht nur den Mindestinhalt , sondern auch z. B. die vollständigen Redebeiträge der Gemeinderatsmitglieder wiedergibt, bestehen datenschutzrechtliche Beschränkungen. Die Veröffentlichung ist als Datenübermittlung an nichtöffentliche Stellen i. S. d. Art. 19 Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) anzusehen, deren Voraussetzungen regelmäßig nicht erfüllt sind, da ein berechtigtes Interesse des Redners besteht, dass sein Redebeitrag nicht den technischen Möglichkeiten unterworfen ist, die das Internet bietet. Niederschriften über nichtöffentliche Sitzungen dürfen nicht veröffentlicht werden, solange die Geheimhaltungsbedürftigkeit (Art. 52 Abs. 3 GO) besteht. 3. Welche Fristen sind – evtl. in Abhängigkeit vom Umfang der Planungsunterlagen – jeweils vorgeschrieben , um Bürgern und Trägern öffentlicher Belange Gelegenheit zu geben, die Unterlagen zu studieren und Stellungnahmen zu erarbeiten? Hinsichtlich der Beteiligung der Öffentlichkeit schreibt § 3 Abs. 2 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) vor, dass die Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats, mindestens jedoch für die Dauer von 30 Tagen , oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Dauer einer angemessenen längeren Frist öffentlich auszulegen sind. Im Regelfall wird davon auszugehen sein, dass die Monatsfrist bzw. die Frist von 30 Tagen ausreichend ist. Eine Verlängerung kann z. B. bei Planungsvorhaben in Betracht kommen, bei denen die Zahl der betroffenen Belange außergewöhnlich groß ist, bei denen besonders umfängliche Unterlagen vorliegen oder die aus anderen Gründen besonders komplex sind. In § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist geregelt, dass die Gemeinde in der Bekanntmachung der Auslegung darauf hinweisen muss, dass Stellungnahmen während der Auslegungsfrist abgegeben werden und nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen bei der Beschlussfassung über den Bauleitplan unberücksichtigt bleiben können. Für die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange gilt § 4 Abs. 2 BauGB: Die Gemeinde holt die Stellungnahmen der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann, zum Planentwurf und der Begründung ein. Sie haben ihre Stellungnahmen innerhalb eines Monats abzugeben, wobei jedoch die Frist zur Abgabe von Stellungnahmen 30 Tage nicht unterschreiten darf; die Gemeinde soll diese Frist bei Vorliegen eines wichtigen Grundes angemessen verlängern. 4. Welche Möglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger sowie Träger öffentlicher Belange, Beschlüsse des Gemeinderats, die ihre Einwände ignorieren, anzufechten? Solange ein Gemeinderatsbeschluss nicht vollzogen ist, kommt ihm keine Außenwirkung zu. Es gibt keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen ein bloßes Verwaltungsinternum. Bei Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung bedeutet dies, dass erst gegen die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Bürgerinnen und Bürger sowie Träger öffentlicher Belange , die juristische Personen sind, können gegen Satzungen nach dem BauGB, also z. B. gegen Bebauungspläne, nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine Normenkontrollklage erheben (bei Satzung bayerischer Gemeinden: zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ). Voraussetzung ist, dass sie geltend machen können , durch den Bebauungsplan oder seine Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Umweltverbänden kann die Erhebung einer Normenkontrollklage nach Maßgabe des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) zustehen, auch ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen. Die Erhebung einer Normenkontrollklage steht nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ferner Behörden zu. 5. Ist es zulässig, mehrere Pläne gleichzeitig für die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung auszulegen – insbesondere auch dann, wenn es sich dabei um Parallelverfahren handelt? Im Parallelverfahren kann gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 BauGB mit der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans gleichzeitig auch der Flächennutzungsplan aufgestellt, geändert oder ergänzt werden. Wird hiervon Gebrauch gemacht, kann die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung die jeweils betroffenen Pläne gleichzeitig zum Gegenstand haben. Da die jeweiligen Planungen beim Parallelverfahren inhaltlich aufeinander bezogen sein werden , ist dies auch zweckmäßig. Auch im Übrigen ergibt sich aus der Regelung zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB keine Beschränkung hinsichtlich der Anzahl von Plänen, die gleichzeitig zum Gegenstand einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung gemacht werden könnten. 6. a) Für welche Vorhaben darf das Parallelverfahren, also die gleichzeitige Aufstellung von Flächennutzungsplan und Bebauungsplan, angewandt werden ? b) Unter welchen Bedingungen sind Parallelverfahren auch bei größeren Bauvorhaben zulässig? Die Regelung des § 8 Abs. 3 BauGB enthält keine Einschränkung hinsichtlich bestimmter Vorhaben oder ihrer Größe, die Drucksache 17/19813 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 durch eine Bauleitplanung ermöglicht werden sollten. Das Parallelverfahren kann insofern auf alle Arten und Inhalte von Bebauungsplänen und Flächennutzungsplänen angewendet werden. Das Parallelverfahren ist dementsprechend auch dann zulässig, wenn die betreffende Planung die planungsrechtliche Zulässigkeit eines größeren Bauvorhabens begründen soll. 7. Müssen oder sollten die Gemeinden aktuelle Bauleitplanungen und zugehörige Dokumente wie städtebauliche Entwicklungskonzepte, Hochwasserkonzepte , relevante Gutachten usw. dauerhaft im Internet veröffentlichen? Soweit es laufende Planungsverfahren betrifft, regelt § 4a Abs. 4 Satz 1 BauGB hinsichtlich der Bauleitpläne, dass der Inhalt der ortsüblichen Bekanntmachung sowie die im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB auszulegenden Unterlagen zusätzlich in das Internet einzustellen und über ein zentrales Internetportal des Landes zugänglich zu machen sind. Diese Pflicht richtet sich jedoch nicht auf eine dauerhafte Veröffentlichung, sondern lediglich auf die Veröffentlichung während der Auslegungsfrist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB (siehe hierzu die Antwort zu Frage 3). Eine gesetzliche Regelung enthält das BauGB ferner hinsichtlich wirksamer Flächennutzungspläne und in Kraft getretener Bebauungspläne: Gemäß § 6a Abs. 2 BauGB soll der wirksame Flächennutzungsplan mit der Begründung und der zusammenfassenden Erklärung ergänzend auch in das Internet eingestellt und über ein zentrales Internetportal des Landes zugänglich gemacht werden. Gleiches gilt gemäß § 10a Abs. 2 BauGB für den in Kraft getretenen Bebauungsplan . Bei beiden Regelungen handelt es sich indes um Soll-Vorschriften, eine zwingende gesetzliche Pflicht zur Einstellung gültiger Bauleitpläne in das Internet besteht für die Gemeinden nicht. Im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltungspraxis ist es den Gemeinden aus Sicht der Staatsregierung aber nahezulegen, diese Vorschriften ungeachtet ihres fehlenden zwingenden Charakters umzusetzen. 8. Welche Gründe gibt es, diese Unterlagen nach Ablauf der Frist der Öffentlichkeitsbeteiligung wieder von der Webseite der Gemeinde zu entfernen? Ob eine Gemeinde ihr Informationsangebot im Internet über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus erweitert bzw. aus welchen Gründen sie ggf. davon absieht, muss die jeweilige Gemeinde selbst entscheiden, dies liegt in ihrer Organisationshoheit. Die Frage kann durch die Staatsregierung folglich nicht beantwortet werden.