Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kathi Petersen SPD vom 11.04.2014 Schulische und berufliche Ausbildung von Häftlingen Im Bayerischen Strafvollzugsgesetz (BayStVollZg) heißt es in Art. 2: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Er soll die Gefangenen befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Behandlungsauftrag).“ Um dies zu ermöglichen, ist es in vielen Fällen wichtig, dass – v. a. jugendliche – Häftlinge während ihrer Haftzeit einen Schulabschluss, eine Berufsausbildung oder sogar ein Studium absolvieren können. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie viele Häftlinge haben in bayerischen Gefängnissen in den Jahren 2008–2013 einen Mittelschul- bzw. einen Realschulabschluss nachgeholt? Wie viele Häftlinge haben im selben Zeitraum die allgemeine Hochschulreife erlangt (Antworten bitte aufgeteilt nach Regierungsbezirken )? 2. Wie viele Tutoren/Lehrer stehen den Häftlingen dabei zur Verfügung (Antwort bitte aufgeteilt nach Regierungsbezirken )? 3. Wie viele Häftlinge haben in den Jahren 2008–2013 eine berufliche Ausbildung absolviert (Antwort bitte aufgeteilt nach Regierungsbezirken)? 4. Wie viele Häftlinge haben in den Jahren von 2008–2013 ein Fernstudium an der Fernuniversität Hagen oder ähnlichen Einrichtungen aufgenommen? 5. Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung darüber vor, ob Häftlinge, die in ihrer Haftzeit einen Berufs- oder Schulabschluss nachgeholt haben, nach ihrer Entlassung wieder straffällig geworden sind? 6. Wie bewertet die Staatsregierung das Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“, das seit 1999 in Hamburg Jugendliche , die bereits auffällig geworden sind, für einen Tag in Justizvollzugsanstalten steckt und dort mit Häftlingen zusammenbringt? Wird sich die Staatsregierung dafür einsetzen, dass es dieses Projekt – oder ein ähnliches – auch im Freistaat Bayern geben wird? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 08.05.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Häftlinge haben in bayerischen Gefängnissen in den Jahren 2008–2013 einen Mittelschul- bzw. einen Realschulabschluss nachgeholt? Wie viele Häftlinge haben im selben Zeitraum die allgemeine Hochschulreife erlangt (Antworten bitte aufgeteilt nach Regierungsbezirken)? In den bayerischen Justizvollzugsanstalten haben Gefangene in den Jahren 2008–2013 mit Erfolg folgende Schulabschlüsse erreicht: Jahr Erfolgreicher Hauptschulabschluss bzw. Erfolgreicher Abschluss der Mittelschule Gefangene Qualifizierender Haupt- schulabschluss bzw. Qualifizierender Abschluss der Mittelschule Gefangene Realschulabschluss bzw. Mittlerer Schulabschluss an der Mittel- schule Gefangene 2008 73 81 17 2009 91 101 12 2010 77 107 12 2011 71 83 11 2012 73 88 16 2013 83 116 8 Die Zahlen zur schulischen und beruflichen Bildung der Gefangenen werden nicht nach Regierungsbezirken erhoben und entsprechend aufbereitet. Eine nachträgliche entsprechende Ausweisung der Schulabschlüsse wäre mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Zudem dürfte eine entsprechende statistische Auswertung wenig aussagekräftig sein, da sich die Zuständigkeitsbereiche der Justizvollzugsanstalten nicht mit denen der Regierungsbezirke decken. Im bayerischen Justizvollzug sind keine Lehrgänge zur Vorbereitung auf den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife eingerichtet. Die Auswahl des im Justizvollzug eingesetzten qualifizierten Lehrpersonals orientiert sich an dem meist niedrigen schulischen Bildungsniveau der Gefangenen (rd. 30 % der Gefangenen haben bei der Inhaftierung überhaupt keinen Schulabschluss). Die Lehrkräfte verfügen im Wesentlichen über die Befähigung zum Unterricht an Hauptschulen bzw. Mittelschulen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 27.06.2014 17/2017 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2017 Als Alternativen können Gefangene im Wege des Freigangs am Unterricht eines öffentlichen Gymnasiums teilnehmen, wenn nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder neue Straftaten begehen. Für Gefangene, denen wegen bestehender Missbrauchsbefürchtungen kein Freigang gewährt werden kann, besteht stattdessen die Möglichkeit, die allgemeine Hochschulreife im Wege der Teilnahme an entsprechenden Fernlehrgängen überregionaler Bildungsinstitute zu erwerben. Die Teilnehmer an Fernlehrgängen werden soweit wie möglich von den Anstaltslehrern und Anstaltslehrerinnen unterstützt. Auf diese Weise haben in den vergangenen Jahren mehrere Gefangene erfolgreich die allgemeine Hochschulreife erworben . Entsprechende statistische Erhebungen liegen jedoch nicht vor. 2. Wie viele Tutoren/ Lehrer stehen den Häftlingen dabei zur Verfügung (Antwort bitte aufgeteilt nach Regierungsbezirken )? Für die Beschäftigung von Lehrkräften in den bayerischen Justizvollzugsanstalten stehen insgesamt 52 Planstellen zur Verfügung. Weitere Lehrkräfte sind in den Anstalten nebenamtlich tätig oder werden von staatlichen Schulen teilabgeordnet . Entsprechende Zahlen liegen nicht vor und können nur mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand ermittelt werden. Über die Anzahl der bei überregionalen Bildungsinstituten beschäftigten Dozenten liegen keine Erkenntnisse vor. Die Abordnung von Berufsschullehrern und Berufsschullehrerinnen zur Erteilung von Berufsschulunterricht in den Justizvollzugsanstalten wurde mit dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst in einer Vereinbarung im Jahre 1980 geregelt. Die Lehrkräfte in den bayerischen Justizvollzugsanstalten arbeiten bei der Erteilung von Unterricht für Gefangene eng mit den jeweils örtlichen Sprengelschulen zusammen. Von diesen werden auch die jeweiligen Prüfungen abgenommen und die Zeugnisse ausgestellt. Hinsichtlich der Aufteilung der in den Anstalten tätigen Lehrkräfte nach Regierungsbezirken wird auf die entsprechenden Ausführungen in der Antwort zu Frage 1 Bezug genommen. 3. Wie viele Häftlinge haben in den Jahren 2008–2013 eine berufliche Ausbildung absolviert (Antwort bitte aufgeteilt nach Regierungsbezirken)? In den Jahren 2008 bis 2013 haben Gefangene in den bayerischen Justizvollzugsanstalten in folgendem Umfang an beruflichen Ausbildungsmaßnahmen teilgenommen: Jahr Anerkannte Ausbildungsbe- rufe Gefangene Sonstige berufliche Ausbildungs- maßnahmen Gefangene 2008 466 1.479 2009 467 1.548 2010 455 1.803 2011 459 1.742 2012 475 1.751 2013 481 1.694 Die Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen (z. B. die Ausbildung zum Bürokaufmann, Elektroniker, Kfz-Mechatroniker , Mediengestalter, Schreiner oder Zerspanungsmechaniker ) erfolgt in Lehrwerkstätten oder in den Arbeits- und Wirtschaftsbetrieben der Justizvollzugsanstalten. Den Gefangenen, die nicht an einer klassischen Lehrausbildung teilnehmen können, z. B. aufgrund der kurzen Haftdauer, werden alternativ andere qualifizierte berufliche Ausbildungsmaßnahmen angeboten. Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen wird für ein breites Berufsfeld ermöglicht . Gefangene können z. B. an Schweißlehrgängen teilnehmen, den Gabelstaplerführerschein erwerben, sich in den Bereichen Gebäudereinigung, Bau-, Farb- und Drucktechnik aus- und weiterbilden oder in verschiedenen Grundlehrgängen (z. B. Agrarwirtschaft, Konstruktionsmechanik, Landschaftspflege, Metallbearbeitung) berufliches Können aneignen. Hinsichtlich der Aufteilung der in den Justizvollzugsanstalten durchgeführten beruflichen Ausbildungsmaßnahmen nach Regierungsbezirken wird auf die entsprechenden Ausführungen in der Antwort zu Frage 1 Bezug genommen. 4. Wie viele Häftlinge haben in den Jahren von 2008–2013 ein Fernstudium an der Fernuniversität Hagen oder ähnlichen Einrichtungen aufgenommen? Den Gefangenen in den bayerischen Justizvollzugsanstalten kann gestattet werden, an einem Fernstudium teilzunehmen , um ihre Aussichten auf eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nach der Haftentlassung zu steigern. Bisher haben Gefangene in den Anstalten diese Möglichkeit wahrgenommen und ein Fernstudium an der Fernuniversität Hagen oder an ähnlichen Einrichtungen aufgenommen. Nachdem ein Fernstudium an der Fernuniversität Hagen ohne Zugang zum dortigen Internet nicht mehr möglich ist, wurden zum Sommersemester 2011 in der Justizvollzugsanstalt Würzburg 16 Haftplätze für ein Online-Fernstudium an der Fernuniversität Hagen eingerichtet. Verlegungen von Gefangenen zur Aufnahme eines Online-Fernstudiums erfolgen befristet für die Dauer des Studiums und etwaiger Abschlussprüfungen. Seit Einrichtung der Studienplätze in der Justizvollzugsanstalt Würzburg haben dort Gefangene an einem Fernstudium wie folgt teilgenommen: Semester Anzahl der studierenden Gefangenen Sommersemester 2011 6 Wintersemester 2011 10 Sommersemester 2012 8 Wintersemester 2012 10 Sommersemester 2013 9 Wintersemester 2013 7 Sommersemester 2014 7 Zahlen darüber, wie viele Gefangene in der Zeit von 2008 bis zur Einrichtung der Studienplätze in der Justizvollzugsanstalt Würzburg ein Fernstudium an der Universität Hagen aufgenommen haben und wie viele Gefangene Fernstudiengänge an anderen Einrichtungen, die keinen Internetzugang voraussetzen, belegt haben, liegen nicht vor. Drucksache 17/2017 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 5. Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung darüber vor, ob Häftlinge, die in ihrer Haftzeit einen Berufs - oder Schulabschluss nachgeholt haben, nach ihrer Entlassung wieder straffällig geworden sind? Erkenntnisse und Zahlen darüber, wie häufig Gefangene, die während der Zeit ihrer Inhaftierung einen Berufs- oder Schulabschluss erreicht haben, nach ihrer Entlassung erneut straffällig werden, liegen nicht vor. Entsprechende Angaben können auch durch die Länder nicht erhoben werden, weil der Umstand einer erneuten Straffälligkeit – und auch nur beschränkt auf Deutschland – nur aus dem Bundeszentralregister zu ermitteln ist, welches beim Generalbundesanwalt und nicht bei den Ländern geführt wird. Zudem ergibt sich aus dem Bundeszentralregister nur, in welchem Land (durch welches Gericht) eine Verurteilung erfolgte, nicht jedoch , ob und ggf. wo eine Freiheitsstrafe vollstreckt wurde. Aus dem Register ist zudem nicht ersichtlich, welche Maßnahmen zur Resozialisierung ergriffen wurden. Da die Berufs - und/oder Schulbildung regelmäßig nur eine Maßnahme eines ganzen Bündels von Unterstützungsangeboten für einen betroffenen Gefangenen darstellt, kann man auch nicht den Maßstab für den Erfolg einer Resozialisierung insgesamt auf einzelne Maßnahmen beschränken; es spricht vieles dafür, dass regelmäßig gerade die Kombination der Bemühungen zum Erfolg führt. 6. Wie bewertet die Staatsregierung das Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“, das seit 1999 in Hamburg Jugendliche, die bereits auffällig geworden sind, für einen Tag in Justizvollzugsanstalten steckt und dort mit Häftlingen zusammenbringt? Wird sich die Staatsregierung dafür einsetzen, dass es dieses Projekt – oder ein ähnliches – auch im Freistaat Bayern geben wird? Gewalt- und Kriminalitätsprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ziel des Bayerischen Handlungskon- zepts zur Bekämpfung von Delinquenz von Kindern und Jugendlichen ist es, Risikogruppen frühzeitig zu erreichen und sie bei der Entwicklung von realistischen Lebensperspektiven zu unterstützen. Hierzu dienen insbesondere die Angebote der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Jugendschutzes, die bundesweit Vorbildcharakter haben. Die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe tragen die Verantwortung, ein bedarfsgerechtes Angebot an ambulanten sozialpädagogischen Maßnahmen als Reaktion auf delinquentes Verhalten zu schaffen. Mit dem bewährten Förderprogramm des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration zur „Förderung von Maßnahmen der Erziehungshilfe gegen Straffälligkeit (Jugendgerichtshilfe) und Gewalt“ werden im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel gezielt Maßnahmen vor Ort gegen Straffälligkeit und Gewalt unterstützt . Ein Projekt wie „Gefangene helfen Jugendlichen“ setzt voraus, dass zunächst verschiedene organisatorische Fragen geklärt werden. Grundsätzlich wäre ein solches Projekt im Rahmen der vorgenannten Richtlinie allerdings förderfähig . Ein Antrag auf Unterstützung eines vergleichbaren Projekts liegt jedoch bislang nicht vor. Ein solches Projekt erscheint aus fachlicher Sicht geeignet, einen Beitrag zur Prävention von Jugenddelinquenz zu leisten. Schließlich wird den Teilnehmern die Realität des Strafvollzugs insbesondere in den Gesprächen mit Häftlingen sehr eindringlich vor Augen geführt. Sie erhalten Einblicke in eine Lebenswelt , der sie sich aufgrund ihrer eigenen Fehlentwicklung bereits ein Stück weit genähert haben. Diese Konfrontation bietet delinquenten Jugendlichen Gelegenheit, ihre eigene Entwicklung und Konsequenzen des eigenen Verhaltens zu reflektieren.