Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gabi Schmidt, Dr. Hans Jürgen Fahn FREIE WÄHLER vom 19.12.2017 Das Bayerische Teilhabegesetz I (BayTHG I) und seine Folgen Wir fragen die Staatsregierung: 1. Wie genau soll eine lückenlose Weiterzahlung der Assistenzkosten (im Rahmen der Hilfe zur Pflege) im Hinblick auf eine nicht mögliche Lohnvorauszahlung als behinderte Arbeitgeber gewährleistet werden? 2.1 Gibt es Ansprechpartner in den jeweiligen Regierungsbezirken ? 2.2 Wenn nein, wann werden diese bestellt bzw. ernannt? 3. Wie soll trotz der überschaubaren Miteinbeziehung der LAG SELBSTHILFE Bayern e. V. im BayTHG I eine wirkliche Mitbestimmung der Menschen mit Behinderung möglich gemacht werden? 4. Wie bewertet die Staatsregierung die im Zuge der Umbenennung des Integrationsamtes entstehenden Kosten im Hinblick auf weitere notwendige Umstrukturierungen ? 5.1 Welche Stelle bzw. Ebene ist zukünftig für die Arbeitsassistenz und die Wegeassistenz zuständig? 5.2 Müssen Arbeitsassistenz und Wegeassistenz zukünftig nicht mehr separat beantragt werden? 6.1 Können sich die Menschen mit Behinderung auf Art. 82 Abs. 3 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG-neu), d. h. auf die Heranziehung örtlicher Träger der Sozialhilfe zur Durchführung und Entscheidung bezüglich der Hilfe zur Pflege durch die Bezirke, im Einzelfall berufen? 6.2 Wenn ja, wie erfolgt dies? 6.3 Wenn nein, wie sollen diese Menschen dann vorgehen ? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 22.01.2018 1. Wie genau soll eine lückenlose Weiterzahlung der Assistenzkosten (im Rahmen der Hilfe zur Pflege) im Hinblick auf eine nicht mögliche Lohnvorauszahlung als behinderte Arbeitgeber gewährleistet werden? Aktuell sind die Bezirke als überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Leistungen der Hilfe zur Pflege in stationären und teilstationären Einrichtungen zuständig. Für die Leistungen der Hilfe zur Pflege im ambulanten Bereich hingegen sind grundsätzlich die Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig. Mit dem Bayerischen Teilhabegesetz I (BayTHG I) wird der Grundsatz „Leistungen wie aus einer Hand“ verfolgt, weshalb die Bezirke ab dem 01.03.2018 neben den Leistungen der Eingliederungshilfe künftig auch für alle Leistungen der Hilfe zur Pflege und grundsätzlich die diese ergänzenden existenzsichernden Leistungen zuständig sein werden. Um den damit verbundenen Zuständigkeitswechsel reibungslos zu gestalten, ermöglicht das BayTHG I den Bezirken , die Leistungen der Hilfe zur Pflege im „ambulanten Bereich“ übergangsweise bis zum 31.12.2018 auf die bisher dafür zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe zu „delegieren “. Dadurch verbleibt den Bezirken ausreichend Zeit, um die entsprechenden Vorkehrungen für einen reibungslosen Wechsel der Zuständigkeit zu treffen und damit Verzögerungen bei der Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege im „ambulanten“ Bereich zu vermeiden. 2.1 Gibt es Ansprechpartner in den jeweiligen Regierungsbezirken ? 2.2 Wenn nein, wann werden diese bestellt bzw. ernannt ? Es gibt bei den jeweiligen Regierungsbezirken Ansprechpartner , an die sich Personen mit Fragen zu sozialhilferechtlichen Angelegenheiten wenden können. Diese sind auf der Website des jeweiligen Regierungsbezirks auffindbar. 3. Wie soll trotz der überschaubaren Miteinbeziehung der LAG SELBSTHILFE Bayern e. V. im BayTHG I eine wirkliche Mitbestimmung der Menschen mit Behinderung möglich gemacht werden? Mit dem BayTHG I werden die Beteiligungsrechte der Menschen mit Behinderung wesentlich gestärkt: Menschen mit Behinderung werden ab dem 17.01.2018 eine starke Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 7. Wahlperiode 15.06.2018 Drucksache 17/20225 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/20225 Stimme im Bereich der Eingliederungshilfe erhalten. In den Rahmenvertragsverhandlungen werden die Menschen mit Behinderung zukünftig genauso vertreten sein wie bei den Schiedsverfahren im Bereich der Eingliederungshilfe. Darüber hinaus wird ihre angemessene Vertretung in der Arbeitsgruppe zur Entwicklung des Instruments zur Bedarfsermittlung durch das BayTHG I gesetzlich sichergestellt. Mit dem Bayerischen Teilhabegesetz II (BayTHG II) beabsichtigt die Staatsregierung darüber hinaus, ab dem Jahr 2020 die Beteiligungsrechte der Menschen mit Behinderung noch weiter zu stärken: – Im Jahr 2020 tritt die bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage im Bundesteilhabegesetz in Kraft, die es ermöglicht , landesrechtlich zu regeln, dass die Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung auch bei der Erarbeitung und Beschlussfassung der Rahmenverträge im Bereich der Sozialhilfe zu beteiligen ist. – Zudem sieht das Bundesteilhabegesetz ab dem Jahr 2020 die Einsetzung einer landesrechtlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung und Weiterentwicklung der Strukturen der Eingliederungshilfe vor. Die Staatsregierung beabsichtigt, diese Arbeitsgemeinschaft paritätisch zu besetzen, sodass auch hier eine effektive Mitwirkung der Menschen mit Behinderung möglich ist. Der Grundsatz „Nicht ohne uns über uns“ wird von der Staatsregierung damit auch nach dem BayTHG I künftig konsequent weiterverfolgt. Allerdings hat sich die landesrechtliche Ausgestaltung von Beteiligungsrechten für Menschen mit Behinderung im Bereich der Eingliederungshilfe bzw. Sozialhilfe am Bundesrecht zu orientieren. Das Bundesteilhabegesetz enthält beispielsweise – anders als im Bereich der Eingliederungshilfe – keine Ermächtigung der Länder, Menschen mit Behinderung auch an den Schiedsverfahren im Bereich der Sozialhilfe zu beteiligen. 4. Wie bewertet die Staatsregierung die im Zuge der Umbenennung des Integrationsamts entstehenden Kosten im Hinblick auf weitere notwendige Umstrukturierungen? Mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) geht ein Paradigmenwechsel von der Integration hin zur Inklusion von Menschen mit Behinderung einher. Um an diesem Bekenntnis und der daraus resultierenden Verpflichtung, an der selbstverständlichen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in allen gesellschaftlichen Bereichen beständig zu arbeiten und das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu tragen, wird in Bayern das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) die Aufgaben des Integrationsamts mit dem Inkrafttreten des BayTHG I zum 17.01.2018 künftig als „Inklusionsamt“ wahrnehmen und das Integrationsamt in „Inklusionsamt “ umbenannt. Die Kosten für die Umbenennung des Integrationsamts werden einmalig mit rund 15.000 Euro beziffert. Derzeit ist nicht geplant, über die Umbenennung hinaus Umstrukturierungen beim Integrationsamt vorzunehmen , die weitere Kosten verursachen. 5.1 Welche Stelle bzw. Ebene ist zukünftig für die Arbeitsassistenz und die Wegeassistenz zuständig? 5.2 Müssen Arbeitsassistenz und Wegeassistenz zukünftig nicht mehr separat beantragt werden? Durch die Novellierung des Sozialgesetzbuchs (SGB), Neuntes Buch (IX) hat sich keine Änderung im Verhältnis der Rehabilitationsträger zum Inklusionsamt ergeben. Es ist deshalb weiterhin zu prüfen, ob für die Leistungen Rehabilitationsträger zuständig und mit festgestelltem Bedarf vorrangige Leistungsträger sind (§ 185 Abs. 6 SGB IX). Ist die Bundesagentur für Arbeit zuständiger Träger und ist der Rehabilitationsbedarf festgestellt (§ 14 SGB IX i. V. m. § 19 SGB III), so gelten zur Abgrenzung von Leistungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen (SGB IX, Teil 1) zu den besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (SGB IX, Teil 3) weiterhin die Regelungen der „Verwaltungsabsprache mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)“ (Stand 01.03.2015): Die Bundesagentur für Arbeit leistet zur Erlangung eines Arbeitsplatzes bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Arbeitsassistenz (§ 49 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX) und für eine Wegeassistenz (§ 49 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX i. V. m. § 9 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung – KfzHV). Die Leistung der Arbeitsassistenz wird gegen Erstattung durch das Inklusionsamt für maximal drei Jahre erbracht. Beide Leistungen können im Sinne der durch das Bundesteilhabegesetz gewünschten umfassenden Bedarfsermittlung und des Prinzips „Leistungen wie aus einer Hand“ gemeinsam beantragt werden. Für die genannten Leistungen der Arbeits- und Wegeassistenz ist/bleibt das Inklusionsamt nachrangig zuständig, wenn der Arbeitsplatz erhalten/gesichert werden soll. 6.1 Können sich die Menschen mit Behinderung auf Art. 82 Abs. 3 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG-neu), d. h. auf die Heranziehung örtlicher Träger der Sozialhilfe zur Durchführung und Entscheidung bezüglich der Hilfe zur Pflege durch die Bezirke, im Einzelfall berufen? 6.2 Wenn ja, wie erfolgt dies? 6.3 Wenn nein, wie sollen diese Menschen dann vorgehen ? Bei Art. 83 Abs. 3 AGSG-neu handelt es sich um eine Ermächtigungsgrundlage für die überörtlichen Träger der Sozialhilfe , die es ihnen ermöglicht, für bestimmte Aufgaben die örtlichen Träger der Sozialhilfe heranziehen zu können. Art. 83 Abs. 3 AGSG-neu begründet aber keinen Anspruch für den Einzelnen gegenüber den Bezirken als überörtlichen Trägern der Sozialhilfe, die Landkreise bzw. kreisfreien Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe bei den in Art. 83 Abs. 3 AGSG-neu genannten Leistungen heranzuziehen. Nutzt der Bezirk die übergangsweise Ermächtigung zur Heranziehung der örtlichen Träger der Sozialhilfe nicht, so ist ab dem 01.03.2018 der jeweils zuständige Bezirk für den Betroffenen der Ansprechpartner auch für die Leistungen der Hilfe zur Pflege im „ambulanten Bereich“.