Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Peter Paul Gantzer SPD vom 31.01.2018 Gefährliche Islamistinnen Unter den 720 Gefährdern in Deutschland sind Sicherheitskreisen zufolge nicht nur Männer. Die deutschen Behörden haben auch mehrere Dutzend Frauen und Jugendliche als islamistische Gefährder eingestuft. Laut Medienberichten hat sich in Nordrhein-Westfalen ein „Schwesternnetzwerk“ mit 40 Mitgliedern gebildet. Ich frage die Staatsregierung: 1. Ist den bayerischen Behörden ein vergleichbares Netzwerk im Freistaat Bayern bekannt? 2. a) Wie viele gefährliche Islamistinnen gibt es in Bayern? b) Welches Alter haben sie? 3. Auf welche Weise werden diese überwacht? 4. Gibt es auch in Bayern Anhaltspunkte für eine Verjüngung der islamistischen Szene, insbesondere durch weibliche Mitglieder? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 28.02.2018 Vorbemerkung: Der Begriff „gefährliche Islamistinnen“ ist nicht deckungsgleich mit dem bundesweit einheitlich festgelegten Begriff „Gefährder aus dem Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität “. Entsprechend sind im Rahmen der Beantwortung aufgeführte Informationen zu „gefährlichen Islamistinnen“ nicht gleichzusetzen mit Gefährdern aus dem Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – religiöse Ideologie. 1. Ist den bayerischen Behörden ein vergleichbares Netzwerk im Freistaat Bayern bekannt? Die Fragestellung wird im Kontext der zitierten Medienberichterstattung aus Dezember 2017 beantwortet. Demnach habe sich in Nordrhein-Westfalen ein sog. salafistisches „Schwesternnetzwerk“ mit 40 Frauen gebildet. Dieses Netzwerk habe ein komplettes salafistisches Programm im Angebot – von der Kindererziehung über die Interpretation von Religionsvorschriften bis hin zur Hetze gegen „Nichtgläubige “. Das Salafistinnennetzwerk werbe und missioniere aggressiv im Netz. Ein in diesem Sinne vergleichbares „Schwesternnetzwerk“ ist den bayerischen Sicherheitsbehörden nicht bekannt. Allgemein ist hierzu anzuführen, dass sich die Rolle der Frau in der salafistischen Szene in den letzten Jahren gewandelt hat. In salafistisch ausgerichteten Moscheen agieren Frauen zwar nach wie vor getrennt von den Männern, für sie werden spezielle Frauenunterrichte und Frauenseminare angeboten. Während jedoch früher vor allem die Rolle der Frau als Mutter, Ehefrau und Unterstützerin des Ehemanns betont wurde, leisten Frauen mittlerweile auch logistische Unterstützung, bis hin zur ideologischen Indoktrination untereinander . Insbesondere im Internet sind Frauen sowohl in der salafistischen wie auch in der dschihadistischen Szene bereits seit Langem aktiv. Für die Vermittlung von Ehepartnern wird viel Energie aufgebracht und damit ein entscheidender Beitrag zur Festigung der salafistischen Ideologie und Gemeinschaft geleistet. Weitere Themen sind die auch von NRW angesprochenen Themen wie Kindererziehung, Interpretation von Religionsvorschriften bis hin zur Hetze gegen „Nichtgläubige“. Dementsprechend sind diese Frauen in Netzwerken aktiv, welche jedoch nicht isoliert und als abgeschottete Organisationsstrukturen, sondern vielmehr als dynamische und komplexe virtuelle Kommunikationswege betrachtet werden müssen. Frauen sind auch in gewaltorientierten dschihadistischen Szenen aktiv. Dschihadistinnen werben und radikalisieren vor allem im Internet. Sie halten den männlichen Dschihadisten den Rücken frei. Innerhalb dschihadistischer Gruppen – insbesondere des IS – spielen sie im Vergleich zu ih- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 08.06.2018 Drucksache 17/21098 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21098 rer früheren Beschränkung auf die Funktion als Ehefrau und Mutter inzwischen eine größere Rolle. Zu ihren Aktivitäten zählen Missionierungsarbeit und Rekrutierung, logistische Unterstützung oder Spendensammlungen. In den letzten Jahren wurden zudem auch einzelne Frauen festgestellt, die selbst durch dschihadistische Aktivitäten auffällig wurden. 2. a) Wie viele gefährliche Islamistinnen gibt es in Bayern ? In Bayern liegt das salafistische Personenpotenzial bei 730 Personen. Hiervon sind rund 10 Prozent weiblich. Knapp 25 Prozent des salafistischen Personenpotenzials in Bayern können dem gewaltorientierten (= gewalttätig , gewaltbereit, gewaltunterstützend, gewaltbefürwortend) Spektrum zugerechnet werden. Auch bei diesem gewaltorientierten Personenkreis beträgt der Anteil der Frauen etwa 10 Prozent. b) Welches Alter haben sie? Das Durchschnittsalter gewaltorientierter Frauen des bayerischen salafistischen Spektrums beträgt aktuell 28. Unter den gewaltorientierten Frauen befinden sich derzeit keine Minderjährigen. Rund ein Drittel kann der Altersspanne 18– 25 zugerechnet werden. Die Hälfte der gewaltorientierten Frauen ist zwischen 25–35 Jahre alt. Nur wenige sind älter. 3. Auf welche Weise werden diese überwacht? Die bayerischen Sicherheitsbehörden nutzen konsequent die rechtlichen Möglichkeiten, um diese Personen engmaschig zu überwachen. Die Überwachungsmaßnahmen bedürfen in jedem Einzelfall einer Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen und taktischen Zweckmäßigkeit. Dabei arbeiten Polizei und Landesamt für Verfassungsschutz sowie im Bereich des Ausländerrechts die AG BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus bzw. Extremismus ) auf bewährte Weise abgestimmt zusammen. Darüber hinaus sind die bayerischen Sicherheitsbehörden über das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin an die Bundessicherheitsbehörden und die sonstigen dort vertretenen Sicherheitsbehörden kontinuierlich angebunden. Beispielhaft können folgende Maßnahmen benannt werden : – Ausschreibung zur polizeilichen/nachrichtendienstlichen Beobachtung, – Meldeauflagen, – Ausreisebeschränkungen, – Verbleibskontrollen, – Informationsaustausch mit Sicherheitsbehörden, – Observation, – Einsatz technischer Mittel, – Überwachung des Fernmeldeverkehrs, – Auswertung des Internets und sonstiger Open Sources, – Einsatz von V-Personen. Zudem können nach Einzelfallprüfung weitere optionale Maßnahmen durchgeführt werden. 4. Gibt es auch in Bayern Anhaltspunkte für eine Verjüngung der islamistischen Szene, insbesondere durch weibliche Mitglieder? Vorab muss festgestellt werden, dass es sich beim Alter im Gegensatz zum Geschlecht um einen dynamischen Wert handelt, der immer nur zum jeweiligen Zeitpunkt aktuell erhoben werden kann. Aktuell sind knapp 5 Prozent des gesamten salafistischen Personenpotenzials in Bayern minderjährig . Von einer Verjüngung der salafistischen Szene in Bayern kann allerdings nicht die Rede sein. Jugendliche Salafisten und junge Erwachsene spielen schon immer eine nicht zu unterschätzende Rolle innerhalb der salafistischen Szene. So sind rund 30 Prozent der Salafisten in Bayern zwischen 18 und 25 Jahre alt. Gerade für junge Menschen in der Identitätsfindungsphase ist der Salafismus attraktiv, weil er ihnen eine vermeintlich klare Orientierung bietet. Bei vielen orientierungslosen jungen Anhängern stiftet der Salafismus eine neue und grenzüberschreitende Identität. Die Jugendlichen fühlen sich anerkannt und als fester Bestandteil einer weltweiten Solidargemeinschaft wahrgenommen.