Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Sonnenholzner, Kathi Petersen SPD vom 01.02.2018 Wahlpflichtfach „Pflege“ in der 9. und 10. Klasse In Sachsen-Anhalt wird bei der Hilfe zur beruflichen Orientierung ein neuer Ansatz verfolgt. Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 9 und 10 können einen Wahlpflichtkurs „Pflege“ anstatt einer zweiten Fremdsprache belegen. Neben der Vermittlung theoretischer Kenntnisse in der Pflege und einem zweiwöchigem Praktikum beinhaltet der Kurs auch ein Bewerbungstraining. Wir fragen die Staatsregierung: 1. Wie bewertet die Staatsregierung das Kooperationsprojekt zwischen dem Landesverband der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt, der Gesamtschule „Regine Hildebrandt“ und dem Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege? 2. Inwieweit hält die Staatsregierung das Kooperationsprojekt für einen neuen Ansatz und zielführend bei der beruflichen Orientierung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse? 3. Welche Möglichkeiten sieht die Staatsregierung zur Umsetzung eines ähnlichen Projektes in Bayern? 4. Inwieweit hält die Staatsregierung das Kooperationsprojekt für geeignet, um mehr junge Menschen für eine Ausbildung im Pflegebereich zu gewinnen? Antwort des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 05.04.2018 1. Wie bewertet die Staatsregierung das Kooperationsprojekt zwischen dem Landesverband der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt, der Gesamtschule „Regine Hildebrandt“ und dem Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege? Dem Thema Pflege messen die Staatsregierung im Allgemeinen und das Staatsministerium für Unterricht und Kultus im Besonderen einen hohen Stellenwert bei. Das Kooperationsprojekt zwischen dem Landesverband der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt, der Gesamtschule „Regine Hildebrandt “ in Magdeburg und dem Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege dient der Berufsorientierung im Pflegebereich. In einem Wahlpflichtkurs Pflege, den die Schülerinnen und Schüler statt einer zweiten Fremdsprache belegen, werden theoretische Kenntnisse zur Pflege vermittelt sowie ein Bewerbungstraining durchgeführt. Weiterer Bestandteil ist ein zweiwöchiges Praktikum. Inwiefern dieses Projekt vor dem Hintergrund des Bildungssystems von Sachsen-Anhalt sinnvoll ist, kann nicht abschließend eingeschätzt werden, zumal auch keine Evaluationsergebnisse vorliegen. 2. Inwieweit hält die Staatsregierung das Kooperationsprojekt für einen neuen Ansatz und zielführend bei der beruflichen Orientierung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse? Für die Schulen in Bayern gibt es ein kohärentes Konzept für die Berufsorientierung, das den Anforderungen des differenzierten Bildungssystems entspricht, am Bildungsprofil der jeweiligen Schulart ausgerichtet ist und eine Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten vor Ort ermöglicht. Die Berufsorientierung ist als verbindliche fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgabe in den derzeitig gültigen Lehrplänen und dem neu einzuführenden LehrplanPLUS sowie den Stundentafeln verankert. Abhängig von den Bildungszielen der jeweiligen Schulart setzt die Berufsorientierung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ein. Ziel ist die Vermittlung von Berufswahlkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, sich über ein möglichst breites Spektrum an Ausbildungsmöglichkeiten und beruflichen Tätigkeitsfeldern – selbstverständlich auch im Pflegebereich – zu informieren, um sich reflektiert für eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden zu können. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass wesentliche inhaltliche Bestandteile des Kooperationsprojekts in Bayern im Rahmen der Berufsorientierung bereits umgesetzt werden : Die Kooperation von Schulen mit externen Partnern ist übliche Praxis, auch mit Partnern im Pflegebereich. Das Thema Bewerbung ist in allen Schularten verbindlicher Bestandteil des Fachunterrichts. Viele Schulen bieten insbe- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.06.2018 Drucksache 17/21550 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21550 sondere in den Jahrgangsstufen 9 und 10 zusätzlich Bewerbungstrainings an, oft in Verbindung mit externen Partnern. Betriebspraktika sind in der Mittelschule verpflichtend vorgesehen; zudem wird den Schülerinnen und Schülern empfohlen, weitere Praktika in den Ferien zu absolvieren. Die meisten Realschulen und Gymnasien bieten Praktika als verpflichtende Schulveranstaltung während der Schulzeit oder als freiwillige Maßnahme in den Ferien an. Darüber hinaus absolvieren die Schülerinnen und Schüler des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums mit sozialwissenschaftlichem Profil (WSG-S) verpflichtend bis zum Abschluss der Jahrgangsstufe 10 ein Sozialpraktikum im Umfang von 15 Arbeitstagen. Es ist profilspezifisches Ziel dieser gymnasialen Ausbildungsrichtung bzw. des Sozialpraktikums , den Schülerinnen und Schülern eine vertiefte Begegnung mit der sozialen Wirklichkeit zu vermitteln und ihnen Formen sozialer Tätigkeit sowie die Notwendigkeit sozialen Engagements näherzubringen. Ebenso ist an den Realschulen in der Wahlpflichtfächergruppe Sozialwesen in der 8. und 9. Jgst. jeweils ein einwöchiges Pflichtpraktikum vorgeschrieben. Neue Akzente setzen im Projektbeirat in Sachsen-Anhalt die Vermittlung theoretischer Kenntnisse zur Pflege und die Konzeption als Wahlpflichtfach. Beides wird für Bayern als nicht sachgerecht und zielführend erachtet. Die Vermittlung umfassender theoretischer Kenntnisse widerspricht dem Ziel der beruflichen Orientierung, möglichst viele unterschiedliche Berufsfelder zu beleuchten. Zudem ist der Nutzen letztlich doch nur begrenzter Kenntnisse fraglich, zumal offen bleibt, wie viele Schülerinnen und Schüler darauf in einer Ausbildung aufbauen würden. Die Konzeption als Wahlpflichtkurs, der den Unterricht in der zweiten Fremdsprache ersetzt, ist abzulehnen. Dies verkennt die Bedeutung fremdsprachlicher Kompetenz in einer globalen Welt. 3. Welche Möglichkeiten sieht die Staatsregierung zur Umsetzung eines ähnlichen Projektes in Bayern ? Die bayerischen Schulen verfügen über ausreichende Möglichkeiten , eigenverantwortlich Pflegeberufe gezielt in die Berufsorientierung einzubeziehen und auch entsprechende Kooperationen mit Pflegeeinrichtungen aufzubauen. Dies erfolgt nicht nur an Schulen mit einem verwandten Profil (Mittelschule: berufsorientierender Zweig „Soziales“; Realschule : Profilfach Sozialwesen ab Jahrgangsstufe 7; Gymnasium : Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Gymnasium mit sozialwissenschaftlichem Profil). Dabei bleibt die Verantwortung für die Maßnahmen (ob Wahlunterricht, Praktikum oder Betriebsbesichtigung) immer bei der Schule und liegt nicht beim Kooperationspartner. Die Verankerung eines Wahlpflichtfachs „Pflege“ in den Stundentafeln samt Substitution einer zweiten Fremdsprache , die nur am Gymnasium und in einem Zweig der Realschule angeboten wird, widerspräche dem Bildungsauftrag dieser allgemeinbildenden Schularten. Den Schülerinnen und Schülern würde ein erheblicher Nachteil erwachsen, ist doch die zweite Fremdsprache eine Grundvoraussetzung für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. Zudem gibt es keine Lehrkräfte mit Fakultas, die ein solches Fach „Pflege “ unterrichten könnten. 4. Inwieweit hält die Staatsregierung das Kooperationsprojekt für geeignet, um mehr junge Menschen für eine Ausbildung im Pflegebereich zu gewinnen? Seitens der Staatsregierung werden alle Ansätze, die den Zielen einer breiten und qualitativ guten beruflichen Orientierung dienen, unterstützt. Dabei sind auch die Pflegeberufe einbezogen. Abgesehen von der Problematik, die mit der Konstruktion des Kooperationsprojekts als Wahlpflichtfach verbunden ist, muss bedacht werden, dass ein solches Fach erwartungsgemäß nur von einem kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler gewählt würde. Ob bei der Wahl immer das Interesse an einem Pflegeberuf oder eher die Vermeidung der Anforderungen einer zweiten Fremdsprache dominieren würde, lässt sich nicht vorhersagen. Generell würde ein Angebot analog zum Kooperationsprojekt nur einen sehr kleinen Beitrag zur Gewinnung von Auszubildenden für den Pflegebereich leisten, zumal es nicht in allen Schularten und nur in einigen Ausbildungsrichtungen umsetzbar wäre. Zu bedenken ist weiterhin, dass die Wahl eines Berufs nicht vorrangig davon abhängt, ob ein verwandtes Fach an der Schule unterrichtet wurde. Angesichts des großen Bedarfs an qualifiziertem Pflegepersonal setzt die Staatsregierung anstelle solcher Konzepte darauf, dass in möglichst allen Schulen interessierten Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Berufsorientierung auch der Pflegebereich als Berufsfeld mit Zukunftsperspektiven vorgestellt wird.