Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joachim Unterländer CSU vom 01.03.2018 Tarifbindung bei der öffentlichen Auftragsvergabe Die Tarifbindung hat für die Umsetzung der sozialen Markt wirtschaft im Freistaat Bayern eine ganz wesentliche Be deutung. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Ich stelle in diesem Zusammenhang folgende Anfragen an die Staatsregierung: 1. Welche Bedeutung misst die Staatsregierung der Tarif bindung im Freistaat Bayern bei? 2. Wie werden gegenwärtig bei der Vergabe öffentlicher Aufträge insbesondere Mindestlohnbestimmungen und Tarifverträge berücksichtigt? 3. Welche Erfahrungen bei der Umsetzung von Tarif treuegesetzen in anderen Bundesländern sind be kannt? 4. Wie würden sich branchenspezifische Vorgaben unab hängig von der Festlegung des allgemeinen Mindest lohns bei der öffentlichen Auftragsvergabe auswirken? 5. Welche Möglichkeiten bestehen beim Verstoß der Auf tragnehmer gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen hinsichtlich der öffentlichen Aufträge? 6. Wie hat sich in den Ländern mit Schaffung eines Tarif treuegesetzes die Zahl der Bieter öffentlicher Aufträge entwickelt? Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft, Energie und Technologie im Einvernehmen mit dem Staatsministeri um für Familie, Arbeit und Soziales und dem Staatsmi nisterium des Innern und für Integration vom 09.04.2018 1. Welche Bedeutung misst die Staatsregierung der Tarifbindung im Freistaat Bayern bei? Die Tarifbindung hat in Bayern eine große Bedeutung. Et was mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Bayern unter liegt direkt einem Flächen oder Firmentarifvertrag. Darüber hinaus arbeitet ein knappes Viertel der Beschäftigten in Bay ern in einem Betrieb mit Orientierung an einem Tarifvertrag. Aus Sicht der Staatsregierung sind Flächentarifverträge mit möglichst hoher Tarifbindung grundsätzlich wünschens wert. Sie bieten in der Regel die Gewähr für angemessene Löhne, die die Leistungsfähigkeit der Betriebe nicht überfor dern, sowie für faire Arbeitsbedingungen. Die Tarifautonomie steht unter dem Schutz des Grund rechts der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Die Staatsregierung achtet und wahrt diese durch das Grundgesetz geschützten Freiräume und lehnt staatliche Eingriffe in die Tarifautonomie ab. Es ist deshalb originäre Aufgabe der Tarifvertragsparteien selbst, ihre Attraktivität und Funktionsfähigkeit – insbesondere durch interessens gerechte und ausgewogene Tarifabschlüsse für Arbeitgeber und Arbeitnehmer – zu steigern und auf eine Erhöhung des Organisationsgrads hinzuwirken. Für Unternehmen, die außerhalb des Flächentarifs bes sere Wettbewerbschancen sehen, muss dieser Weg grund sätzlich auch offenstehen. Aus wirtschaftspolitischer Sicht dürfen deshalb nicht tarifgebundene Unternehmen gegen über tarifgebundenen Unternehmen nicht grundsätzlich benachteiligt werden. Gesetzliche Öffnungsklauseln sollten daher nicht ausschließlich tarifgebundenen Unternehmen, sondern mit Blick auf die negative Koalitionsfreiheit auch nicht tarifgebundenen Unternehmen gewährt werden. 2. Wie werden gegenwärtig bei der Vergabe öffentli cher Aufträge insbesondere Mindestlohnbestim mungen und Tarifverträge berücksichtigt? 5. Welche Möglichkeiten bestehen beim Verstoß der Auftragnehmer gegen arbeitsrechtliche Bestim mungen hinsichtlich der öffentlichen Aufträge? Öffentliche Aufträge dürfen bereits nach geltender Rechtsla ge nur an Unternehmen vergeben werden, bei denen keine Ausschlussgründe, z. B. Verstöße gegen arbeitsrechtliche Regelungen, vorliegen. Im Mindestlohngesetz ist ausdrücklich geregelt, dass ein Unternehmen, gegen das wegen eines Verstoßes gegen Mindestlohnbestimmungen eine Geldbuße von mindestens 2.500 Euro verhängt wurde, für eine angemessene Zeit bis zur nachgewiesenen Wiederherstellung seiner Zuverläs sigkeit von öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.06.2018 Drucksache 17/21567 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21567 werden soll. Dasselbe gilt im Falle eines Verstoßes gegen die Mindestarbeitsbedingungen des Arbeitnehmerentsen degesetzes bei Leistungen, die in dessen Anwendungsbe reich fallen (z. B. Baubranche, Gebäudereinigung, Brief, Wäscherei und Sicherheitsdienstleistungen und Abfallwirt schaft). Unterliegt ein Bieter der Tarifbindung, so können auch Verstöße gegen die tarifvertraglichen Regelungen zum Aus schluss aus dem Vergabeverfahren führen. Öffentliche Auftraggeber können etwaige Verstöße durch Einholung eines Gewerbezentralregisterauszugs oder eine Eigenerklärung des Bieters prüfen. Ab einem Auftragswert von 30.000 Euro (netto) ist der öffentliche Auftraggeber zur Einholung einer Auskunft aus dem Gewerbezentralregister von dem Bieter, der den Zuschlag erhalten soll, verpflichtet. Ein öffentlicher Auftraggeber ist zudem verpflichtet, im Falle eines ungewöhnlich niedrigen Angebots vom Bieter Aufklärung zu verlangen. Ergibt die Prüfung, dass das An gebot so niedrig ist, weil das Unternehmen die geltenden sozial und arbeitsrechtlichen Vorschriften (z. B. Mindest lohnbestimmungen oder Bestimmungen eines Tarifvertrags, an den der Bieter gebunden ist) nicht einhält, darf der öffent liche Auftraggeber das Angebot nicht annehmen. Auch im Stadium der Auftragsdurchführung ist das Un ternehmen, das den Zuschlag erhalten hat, verpflichtet, die geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen wie Mindestlohn gesetz, Arbeitnehmerentsendegesetz und geltende Tarifver träge einzuhalten. Verstöße während der Auftragsdurchfüh rung können daher zu einer außerordentlichen Kündigung des Vertrages berechtigen. 3. Welche Erfahrungen bei der Umsetzung von Tarif treuegesetzen in anderen Bundesländern sind be kannt? 6. Wie hat sich in den Ländern mit Schaffung eines Tariftreuegesetzes die Zahl der Bieter öffentlicher Aufträge entwickelt? Der Staatsregierung liegen hierzu Erkenntnisse aus drei Bundesländern vor. In NordrheinWestfalen wurde durch die Unternehmens beratung Kienbaum eine Evaluation des dortigen Tarif treue und Vergabegesetzes (Fassung 2012) durchgeführt. Vergabestellen schilderten hier konkrete Schwierigkeiten aufgrund einer Überforderung der Unternehmen, sodass es schwieriger geworden sei, geeignete Bieter zu finden. Teilweise wird von Verkleinerungen des Bieterkreises und von Verteuerungen berichtet. Ein weiterer, häufig genannter Kritikpunkt war der generelle (bürokratische) Aufwand. Die Umsetzung des Tariftreue und Vergabegesetzes habe zu internen Mehraufwänden bei den Vergabestellen geführt. Auch Unternehmen gaben an, dass die bürokratischen Auf wände gestiegen seien. Einige Unternehmen beteiligten sich nicht mehr an Ausschreibungen. In einer Evaluation des Niedersächsischen Tariftreue und Vergabegesetzes (Fassung 2014) aus dem Jahr 2016 berichtet die dortige Landesregierung, dass ein Viertel der befragten Vergabestellen einen Rückgang der Angebotsein gänge feststellte. 23 Prozent der Vergabestellen berichte ten über einen Anstieg der Zahl fehlerhafter Angebote. 30 Prozent der Vergabestellen stellten einen Preisanstieg bei öffentlichen Auftragsvergaben fest. In SchleswigHolstein kam die dortige Landesregierung im Jahr 2016 zum Ergebnis, dass das Tariftreue und Ver gabegesetz (Fassung 2013) negative Auswirkungen auf die KIeinst und Kleinunternehmen hatte. Die Zahl dieser Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bemüh ten, sei abnehmend bzw. stark abnehmend gewesen, be richteten 20 Prozent der Vergabestellen. Die Mehrheit der Vergabestellen gab zudem an, dass das Tariftreue und Vergabegesetz kleine und mittlere Unternehmen insge samt benachteilige. Unternehmen, die sich nicht mehr um öffentliche Aufträge bemühten, klagten u. a. über einen zu hohen Aufwand für die Angebotserstellung, die Erbringung der Nachweise und geringe Erfolgsaussichten. 20 Prozent der Vergabestellen gaben an, dass sich die Angebotspreise erhöht hätten. 4. Wie würden sich branchenspezifische Vorgaben unabhängig von der Festlegung des allgemeinen Mindestlohns bei der öffentlichen Auftragsverga be auswirken? Es ist zu befürchten, dass branchenspezifische Vorgaben zu mehr Bürokratie und höheren Kosten bei Vergabestel len und Unternehmen führen. Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben möchten, müssten ggf. ein zusätzliches Lohnsystem einführen, um etwaige zusätzlich geforderte Mindestarbeitsbedingungen (z. B. Tarifverträge), denen sie an sich nicht unterliegen, im Rahmen der Auftrags durchführung zu erfüllen. Es könnte zu einem Rückgang der Angebote vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen und damit zu einer Einschränkung des Wettbewerbs kom men. Die zusätzlichen internen Aufwände und vor allem die aufgrund einer Vorgabe eines bestimmten Tarifvertrags höheren Lohnkosten könnten zu höheren Angebotspreisen führen. Insbesondere kleinere Gemeinden könnten dadurch finanziell überfordert werden.