Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kerstin Celina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28.03.2014 Zwangsunterbringung eines lernbehinderten Mädchens in einer stationären Einrichtung für geistig behinderte Menschen Laut Presseberichten (u. a. Augsburger Allgemeine) wird das lernbehinderte 14-jährige Mädchen „Sandra“ (Name aus Schutzgründen geändert) seit anderthalb Jahren gegen ihren Willen und gegen den Willen der ehemaligen Pflegeeltern in einer stationären Einrichtung für geistig behinderte Menschen untergebracht. Die Unterbringung im RegensWagner -Heim in Holzhausen geschah demnach ohne richterlichen Beschluss auf Anweisung der für das Mädchen bestellten Sorgeberechtigten. Aufgrund von Schulproblemen in einer Förderschule für lernbehinderte Kinder sollte Sandra auf Empfehlung des Förderzentrums in die Heimschule nach Holzhausen wechseln. Den Pflegeeltern war dabei anscheinend nicht klar, dass mit dem Schulwechsel auch eine stationäre Unterbringung verbunden ist, die automatisch zum Entzug des Status als Pflegefamilie führt. Sie gingen deshalb fälschlicherweise davon aus, dass die Beschulung in einem Internat erfolgen würde. Zudem wurden sie den Berichten nach weder vom Jugendamt noch von der Förderschule über alternative Möglichkeiten der Beschulung informiert. Sandra möchte, soweit bekannt ist, zu ihrer ehemaligen Pflegefamilie, in der auch ihre Schwester betreut wird, zurück . Aufgrund der erzwungenen Trennung von ihrer Familie kam es bei ihr anscheinend zu schweren psychischen Störungen. Sandras Pflegeeltern wehren sich gegen den Entzug des Kindes vor den Familiengerichten, bisher erfolglos . Auch Bayerns Sozialministerin Emilia Müller sagte nach einem Gesprächsterim mit den Eltern eine Überprüfung des Falles zu. Der Bayerische Elternverband und die LAG „Gemeinsam Leben – gemeinsam lernen“ haben nun Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung gegen die Leitung des RegensWagner -Heims, das Amt für Jugend und Familie der Stadt Augsburg und die gerichtlich bestellte Sorgeberechtigte des Mädchens gestellt. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Wurden die Pflegeeltern des Kindes über alternative Möglichkeiten der Beschulung, wie die Inklusion an einer allgemeinen Schule oder der Besuch eines wohnortnahen Förderzentrums mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, informiert und wurde dies dokumentiert ? a) Welche Rolle spielte die Lernortempfehlung der von dem Mädchen vorher besuchten Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen bei der Heimunterbringung ? 2. Warum wurde dem Anliegen der Pflegeeltern, die Unterbringung rückgängig zu machen, nachdem sie bemerkten , dass es sich bei dem vermeintlichen Internat um ein Heim handelte, nicht entsprochen? a) Warum wurde gegen die Pflegeeltern zeitweise ein vollständiges Kontaktverbot verhängt? b) In welcher Form wurden die Pflegeeltern darüber aufgeklärt , dass eine Heimunterbringung den Verlust ihres Status als Pflegeeltern mit sich bringt, und wurde dies dokumentiert? 3. Warum halten die zuständigen Jugendämter in Aichach und Augsburg eine vollstationäre Heimunterbringung für angemessener als die Betreuung im Rahmen der Familienpflege? a) Warum fand der Grundsatz „ambulant vor stationär“ in diesem Fall keine Anwendung? b) Wie ist das zuständige Jugendamt Augsburg mit dem in zahlreichen Briefen und einem Video geäußerten Wunsch des Mädchens nach Rückkehr zur Pflegefamilie umgegangen und ist eine Rückmeldung an die Pflegefamilie oder das Mädchen erfolgt? 4. Warum begründet das zuständige Jugendamt Augs- burg seine Entscheidung für die Heimunterbringung in einer Einrichtung der Behindertenhilfe als Maßnahme der Erziehungshilfe nach § 34 SGB VIII? a) Inwieweit wurde die Behinderung des Mädchens bei der Entscheidung über Maßnahmen und Unterbringung berücksichtigt? b) Warum wurde bei der Entscheidung des Jugendamtes der Anspruch auf Leistungen nach § 54 Abs. 3 SGB XII nicht beachtet, wonach Leistungen der Eingliederungshilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie gewährleistet werden, um dadurch den Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe zu vermeiden oder zu beenden? 5. Wie verträgt sich die vollstationäre Unterbringung des betroffenen Kindes mit dem Recht auf Teilhabe gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention, zu dem natürlich auch der Kontakt mit der Familie gehört? a) Inwieweit war die Trennung von den Pflegeeltern ursächlich für die berichteten schweren psychischen Störungen? b) Wurde das zuständige Amt bei der Behandlung in einer psychiatrischen Klinik über die Ursachen aufgeklärt und welcher Handlungsbedarf ergab sich daraus? 6. Wie begründet das Jugendamt sein Vorgehen im Hinblick auf das Kindeswohl? a) Welche Bedeutung wird dem Willen des betroffenen Kindes und dem Angebot seiner ehemaligen Pflegeel- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 18.07.2014 17/2168 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2168 tern im Rahmen von Hilfemaßnahmen zugestanden? b) Spielt die Diagnose der Lernbehinderung im vorliegen- den Fall eine Rolle? 7. Warum erfolgte die stationäre Unterbringung des Kin- des in Holzhausen trotz der damit verbundenen Freiheitsentziehung ohne einen richterlichen Beschluss? a) Wie bewertet die Bayerische Staatsregierung die vom Bayerischen Elternverband und der LAG „Gemeinsam lernen – gemeinsam leben“ erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe der Freiheitsberaubung, der Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung? b) Was ist das Ergebnis der von Ministerin Müller zugesagten Überprüfung des Falles? 8. Warum gestattet die Heimaufsicht dem Regens-Wag- ner-Heim in Holzhausen, die Türen zu den Wohngruppen der Kinder abzusperren, ohne dass hierfür ein richterlicher Beschluss vorliegt oder überhaupt beantragt wurde? a) Wurden die Pflegeeltern von der Heimaufsicht und dem Jugendamt darauf hingewiesen, dass für die stationäre Unterbringung des Kindes in Holzhausen ein richterlicher Beschluss erforderlich ist, und wurde dies ggfls. dokumentiert? b) Werden die Freiheitsrechte von Kindern mit Behinderung von den Trägern der Einrichtungen nach Erkenntnis der Heimaufsicht anders bewertet als die Rechte von erwachsenen Menschen mit Behinderung? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 20.05.2014 1. Wurden die Pflegeeltern des Kindes über alternative Möglichkeiten der Beschulung, wie die Inklusion an einer allgemeinen Schule oder der Besuch eines wohnortnahen Förderzentrums mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, informiert und wurde dies dokumentiert? Die Pflegeeltern wurden von den Lehrkräften des Förderzentrums Aichach (Edith-Stein-Schule) mehrfach über alternative Beschulungsmöglichkeiten ihrer Pflegetochter aufgeklärt . Neben dem privaten Förderzentrum in Holzhausen wurde das Förderzentrum für geistige Entwicklung (Elisabethschule Aichach) genannt, aber auch ein Verbleib an der Edith-Stein-Schule angeboten. Die inklusive Beschulung des Mädchens an einer allgemeinen Schule wurde angesichts der negativen Erfahrungen in der Vergangenheit an der örtlichen Grundschule nicht mehr näher erörtert. Über die geführten Gespräche existieren persönliche Aufzeichnungen der Lehrkräfte. a) Welche Rolle spielte die Lernortempfehlung der von dem Mädchen vorher besuchten Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen bei der Heimunterbringung ? Seitens der Schule wurde keine konkrete Lernortempfehlung ausgesprochen, sondern ergebnisoffen beraten. Die Pflegeeltern formulierten gegenüber der Ergänzungspflegerin und dem Kreisjugendamt Aichach-Friedberg den ausdrücklichen Wunsch, dass das Mädchen künftig die Förderschule „G“ in Holzhausen besuchen und in der daran angeschlossenen stationären Einrichtung leben solle. Zum einen wurden schulische Gründe, aber auch eine zunehmende erzieherische Überforderung der Familie angeführt. 2. Warum wurde dem Anliegen der Pflegeeltern, die Unterbringung rückgängig zu machen, nachdem sie bemerkten, dass es sich bei dem vermeintlichen Internat um ein Heim handelte, nicht entsprochen ? Die Ergänzungspflegerin, der u. a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) obliegt, wünschte die Fortsetzung der stationären Unterbringung in Holzhausen, da sie den Empfehlungen der eingeholten fachärztlich-psychologischen Stellungnahme entsprach und auch aus Sicht des Jugendamtes die geeignete und erforderliche Eingliederungshilfe zur Deckung des bestehenden Förderbedarfs darstellte. a) Warum wurde gegen die Pflegeeltern zeitweise ein vollständiges Kontaktverbot verhängt? Im Juni 2013 wurde von der Ergänzungspflegerin ein vollständiges Kontaktverbot ausgesprochen, nachdem die Einrichtung berichtet hatte, dass sich die psychische Verfassung des Mädchens nach jedem Umgang mit den Pflegeltern stark verschlechtere und sie zunehmend größere Verhaltensauffälligkeiten zeige. Die Pflegeeltern würden sie massiv gegen das Heim beeinflussen und sie in Loyalitätskonflikte in Bezug auf die Kontakte zu ihren leiblichen Eltern bringen. Darüber hinaus wurde anhand von Bluttests nachgewiesen , dass die Pflegefamilie bei Umgängen ärztlich verordnete Medikamente nicht verabreichte, was ebenfalls zu einer Verschlechterung des Gesamtzustands beitrug. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht Landsberg am Lech vom 13. August 2013 wurde der Umgang zwischen Pflegeeltern und ihrer ehemaligen Pflegetochter weiterhin ausgeschlossen und erst am 14. November 2013 entsprechend der Umgangsempfehlungen der St.-Lukas-Klinik Meckenbeuren abgeändert. b) In welcher Form wurden die Pflegeeltern darüber aufgeklärt, dass eine Heimunterbringung den Verlust ihres Status als Pflegeeltern mit sich bringt und wurde dies dokumentiert? Bei dem Hilfeplangespräch am 3. Februar 2012, in dem die Pflegemutter erstmals den Wunsch nach einer Unterbringung des Mädchens in Holzhausen äußerte, wurde sie von der Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Aichach-Friedberg in Anwesenheit der Ergänzungspflegerin und zwei Mitarbeitern der von dem Mädchen besuchten Heilpädagogischen Tagesstätte darüber aufgeklärt, dass es sich dabei um eine andere stationäre Jugendhilfemaßnahme handle, die mit einem Zuständigkeitswechsel verbunden wäre und für die ein entsprechender pädagogischer Bedarf vorliegen müsse. Alternativ wurde deshalb ein Besuch der Einrichtung Lebenshilfe Aichach (Schule und Tagesstätte) vorgeschlagen, damit das Mädchen weiterhin in der Pflegefamilie leben könne, was aber von der Pflegemutter abgelehnt wurde. Die ableh- Drucksache 17/2168 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 nende Haltung der Pflegemutter gegenüber einer Fortsetzung der Vollzeitpflege ist im Hilfeplan des Landratsamtes Aichach-Friedberg vom 27. März 2012 dokumentiert. Während der Hilfeplanung fanden mehrfach Gespräche zwischen Ergänzungspflegerin, Jugendamt und Pflegeeltern statt, die aber nicht gesondert dokumentiert wurden. Darin wurde klargestellt, dass der Pflegeelternstatus mit Beginn der neuen Maßnahme enden, den ehemaligen Pflegeeltern aber eine großzügige Umgangsregelung zum Wohle des Mädchens zugestanden werde. Die Pflegeeltern stellten daraufhin auch beim Amtsgericht Aichach einen Antrag auf Übertragung der Ergänzungspflegschaft, der aber abgelehnt wurde. 3. Warum halten die zuständigen Jugendämter in Aichach und Augsburg eine vollstationäre Heimunterbringung für angemessener als die Betreuung im Rahmen der Familienpflege? Bei dem Mädchen besteht aus fachärztlicher und fachpädagogischer Sicht ein hoher erzieherischer und therapeutischer Hilfebedarf, der Ausdruck des ärztlich diagnostizierten Störungsbilds ist und auf Dauer nur in einer heilpädagogischen Einrichtung gedeckt werden kann. Die Pflegeeltern haben gegenüber dem Kreisjugendamt Aichach-Friedberg erklärt, mit der Erziehung und Versorgung des Mädchens überfordert zu sein. Deswegen haben sie sich ursprünglich auch für eine stationäre Unterbringung in Holzhausen und gegen den alternativ vorgeschlagenen Besuch des Förderzentrums Aichach mit Verbleib in der Pflegefamilie ausgesprochen . Das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Augsburg bezieht sich bei der Beurteilung der fortgesetzten Geeignetheit der stationären Unterbringung vor allem auf die aktuellen fachärztlichen Empfehlungen der St.-Lukas-Klinik Meckenbeuren. Diese favorisieren ebenfalls eine Unterbringung in einer betreuten Wohngruppe der stationären Jugendhilfe , damit das Mädchen dort die notwendige Ruhe und Stabilität mit Einverständnis aller Beteiligten erreichen kann. a) Warum fand der Grundsatz „ambulant vor stationär “ in diesem Fall keine Anwendung? Vor der Unterbringung des Mädchens in Holzhausen wurden neben der Vollzeitpflege bereits mehrere unterschiedliche ambulante Maßnahmen installiert (Frühförderung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Heilpädagogische Tagesstätte), die sich in der Vergangenheit nicht als ausreichend erwiesen haben und den derzeitigen erhöhten Förderbedarf des Mädchens erst recht nicht decken könnten. b) Wie ist das zuständige Jugendamt Augsburg mit dem in zahlreichen Briefen und einem Video geäußerten Wunsch des Mädchens nach Rückkehr zur Pflegefamilie umgegangen und ist eine Rückmeldung an die Pflegefamilie oder das Mädchen erfolgt? Die Briefe der Pflegefamilie wurden schriftlich beantwortet. Sie wurde darin darüber aufgeklärt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Ergänzungspflegerin liege und schon bereits deswegen keine Rückführung des Mädchens durch das Jugendamt in die Pflegefamilie erfolgen kann. Hinsichtlich der Beschulung seien allein die leiblichen Eltern entscheidungsbefugt. Zwischen dem Mädchen selbst und dem Jugendamt fanden persönliche Gespräche, aber kein Schriftwechsel statt. 4. Warum begründet das zuständige Jugendamt Augsburg seine Entscheidung für die Heimunterbringung in einer Einrichtung der Behindertenhilfe als Maßnahme der Erziehungshilfe nach § 34 SGB VIII? Die Stadt Augsburg hat keine Hilfe zur Erziehung i. S. des § 27 SGB VIII, sondern eine Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35 a SGB VIII gewährt . Beide Hilfen können in Form einer stationären Unterbringung nach § 34 SGB VIII geleistet werden. a) Inwieweit wurde die Behinderung des Mädchens bei der Entscheidung über Maßnahmen und Unterbringung berücksichtigt? Das Vorliegen einer seelischen Behinderung gem. § 35 a SGB VIII ist Grundlage für die vom Jugendamt zu treffende Entscheidung über die im Einzelfall notwendige und geeignete Hilfeart (§ 35 a Abs. 2 SGB VIII). b) Warum wurde bei der Entscheidung des Jugendamtes der Anspruch auf Leistungen nach § 54 Abs. 3 SGB XII nicht beachtet, wonach Leistungen der Eingliederungshilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie gewährleistet werden, um dadurch den Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe zu vermeiden oder zu beenden? Die Bestimmung des § 54 Abs. 3 SGB XII ist auf seelisch behinderte junge Menschen nicht anwendbar, da für diesen Personenkreis eine eigene spezialgesetzliche Regelung in § 35 a Abs. 2 Nrn. 2 und 3 SGB VIII besteht (vgl. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., RdNr. 105 zu § 35 a). 5. Wie verträgt sich die vollstationäre Unterbringung des betroffenen Kindes mit dem Recht auf Teilhabe gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention, zu dem natürlich auch der Kontakt mit der Familie gehört? Eine stationäre Betreuung wird nur dann favorisiert, wenn ambulante und teilstationäre Hilfen nicht mehr ausreichen und die familiären Strukturen die Betreuung des Kindes oder Jugendlichen nicht mehr gewährleisten oder dem Kindeswohl widersprechen. Für stationäre Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung ist eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII erforderlich. Darin wird die Einrichtung verpflichtet, das Kindeswohl und dessen gesellschaftliche Integration, also die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft zu sichern. Stationäre Hilfen für Kinder mit Behinderung stehen nicht im Widerspruch zu ihrem Recht auf Teilhabe. Der Kontakt zu Angehörigen ist zu fördern, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Deshalb hat das Mädchen regelmäßige Umgänge mit den leiblichen Eltern und der weiterhin bei der Pflegefamilie lebenden Halbschwester. Auch mit den ehemaligen Pflegeeltern hat sie derzeit über regelmäßige begleitete Telefongespräche Kontakt. Bei der kurzzeitig verhängten Kontaktsperre bzw. der Beschränkung der ursprünglich großzügig gewährten Umgangsregelung handelte es sich um Entscheidungen der Pflegerin bzw. des Amtsgerichts Aichach, deren Rechtmäßigkeit vom Oberlandesgericht München bestätigt wurde. a) Inwieweit war die Trennung von den Pflegeeltern ursächlich für die berichteten schweren psychischen Störungen? Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2168 Als ursächlich für die psychischen Störungen werden seitens der Einrichtung, der Pflegerin und des Jugendamtes übereinstimmend die Umgänge mit den ehemaligen Pflegeeltern gesehen, die das Mädchen gegen die Einrichtung und die leiblichen Eltern beeinflussten und dadurch das Mädchen nicht zur Ruhe kommen ließen. In den Akten ist dokumentiert , dass das Mädchen dem Umzug nach Holzhausen positiv gegenüberstand, bis die Pflegeltern begannen, die stationäre Unterbringung infrage zu stellen. b) Wurde das zuständige Amt bei der Behandlung in einer psychiatrischen Klinik über die Ursachen aufgeklärt und welcher Handlungsbedarf ergab sich daraus? Das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Augsburg wurde in einem persönlichen Gespräch am 17. Oktober 2013 zusammen mit der Pflegerin und den leiblichen Eltern von zwei Ärztinnen der behandelnden Klinik über die Untersuchungsergebnisse informiert. Nach Auffassung der Klinik ist für die Verhaltensauffälligkeiten des Mädchens das aktuell extrem belastende Umfeld ursächlich. Es wurde weiterhin eine stationäre Unterbringung empfohlen, damit das Mädchen dort die notwendige Ruhe und Stabilität wiederfinden könne. Daneben sollten aber in beschränktem Rahmen wieder Umgänge mit den ehemaligen Pflegeeltern ermöglicht werden, damit es die Möglichkeit bekomme, ein realistisches Bild der Gesamtsituation aus eigener Einschätzung aufzubauen. Die Pflegerin beantragte daraufhin beim Amtsgericht Landsberg a. Lech, das Kontaktverbot aufzuheben und den Pflegeeltern im ärztlich empfohlenen Umfang wieder Umgänge (14-tägige begleitete Telefonkontakte von 15 Minuten ) zu gewähren. Dieser Antrag wurde von der Stadt Augsburg unterstützt. Für das Mädchen wurde von der Pflegerin eine neue geeignete Einrichtung gesucht und in der Behinderteneinrichtung in Ursberg gefunden. 6. Wie begründet das Jugendamt sein Vorgehen im Hinblick auf das Kindeswohl? Im Rahmen des ihm obliegenden gesetzlichen Schutzauftrags nach § 8 a SGB VIII richtet das Jugendamt seine Hilfsangebote ausschließlich danach aus, ob eine Hilfe notwendig und geeignet ist, eine mögliche Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Welche Hilfe notwendig und geeignet ist, entscheidet allein das Jugendamt unter Einbeziehung der Personensorgeberechtigten, des Kindes und ggf. unter Einholung eines fachärztlichen Gutachtens. Die stationäre Unterbringung des Mädchens wurde von allen beteiligten Fachstellen, der Pflegerin und den leiblichen Eltern übereinstimmend als die geeignete Maßnahme angesehen, um die bei dem Mädchen bestehende Belastungssituation zu beheben bzw. abzumildern, und ist damit als die dem Kindeswohl entsprechende Hilfeart anzusehen. a) Welche Bedeutung wird dem Willen des betroffenen Kindes und dem Angebot seiner ehemaligen Pflegeeltern im Rahmen von Hilfemaßnahmen zugestanden ? Bei der Wahl der geeigneten Hilfe hat das Jugendamt nicht allein auf den subjektiven Willen des Kindes abzustellen, sondern objektiv darauf, was dem Wohl des Kindes bzw. Jugendlichen entspricht. Festzuhalten ist, dass das Mädchen zu Beginn der Maßnahme bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Pflegeeltern die von ihnen initiierte Heimunterbringung ab- lehnten, dieser positiv gegenüberstand. Nach Auskunft der Stadt Augsburg hat sich das Mädchen in der neuen Einrichtung , seit der Umgang mit der Pflegefamilie eingeschränkt wurde, sehr gut auf die Maßnahme eingelassen. Sie nimmt die dortigen Angebote wahr und fühlt sich dort wohl. b) Spielt die Diagnose der Lernbehinderung im vorliegenden Fall eine Rolle? Die diagnostizierte Lernbehinderung wurde bei der Hilfeplanung berücksichtigt. 7. Warum erfolgte die stationäre Unterbringung des Kindes in Holzhausen trotz der damit verbundenen Freiheitsentziehung ohne einen richterlichen Beschluss? Sowohl bei der Einrichtung in Holzhausen als auch in Ursberg handelt es sich nicht um geschlossene Einrichtungen mit Freiheitsentzug, sondern um betreute Wohnformen über Tag und Nacht, die den dort lebenden Kindern und Jugendlichen ein Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten zur Entwicklungsförderung ermöglichen. Die dort geltenden altersüblichen Freiheitsbeschränkungen stellen keine Freiheitsentziehungen dar, die einer vorherigen familiengerichtlichen Entscheidung bedürfen (vgl. Röchtling in LPK-SGB VIII, 4. Aufl., RdNr. 117 zu § 42 SGB VIII; Wiesner , a. a. O., RdNr. 22 zu § 34). a) Wie bewertet die Bayerische Staatsregierung die vom Bayerischen Elternverband und der LAG „Gemeinsam lernen – gemeinsam leben“ erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe der Freiheitsberaubung, der Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung ? Den Verantwortlichen des Jugendamtes der Stadt Augsburg , der Aufenthaltsbestimmungspflegerin des Kindes und den Verantwortlichen der Heimunterbringung in Holzhausen wird durch die Anzeigeerstatter Freiheitsberaubung, Körperverletzung , Nötigung, Betrug und unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg führt hierzu Ermittlungen durch, die am Beginn stehen. Ob die in der Anzeige erhobenen Vorwürfe zutreffen und gegebenenfalls strafbare Handlungen vorliegen, kann erst nach der eingeleiteten Überprüfung beurteilt werden. b) Was ist das Ergebnis der von Ministerin Müller zugesagten Überprüfung des Falles? Die vom Staatsministerium beauftragte zuständige Aufsichtsbehörde über das Jugendamt der Stadt Augsburg und das Kreisjugendamt Aichach-Friedberg, die Regierung von Schwaben, konnte im Rahmen der rechtsaufsichtlichen Prüfung des Handelns der jeweiligen Jugendämter keine Amtspflichtverletzung erkennen. Die Pflegefamilie wurde mit Schreiben des Staatsministeriums vom 7. Februar 2014 über dieses Überprüfungsergebnis informiert. 8. Warum gestattet die Heimaufsicht dem RegensWagner -Heim in Holzhausen, die Türen zu den Wohngruppen der Kinder abzusperren, ohne dass hierfür ein richterlicher Beschluss vorliegt oder überhaupt beantragt wurde? Die Heimaufsicht bei der Regierung von Oberbayern hat keine Kenntnis, dass die Türen der Wohngruppen der Einrichtung abgesperrt würden. Seitens der Heimaufsicht wurde dem Träger auch zu keiner Zeit das Versperren der Gruppentüren gestattet. Drucksache 17/2168 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Der Träger teilte auf Anfrage am 17. April 2014 schriftlich Folgendes mit: „Regens Wagner Holzhausen ist keine beschützende Einrichtung und hat auch keine beschützenden Gruppen. (….), dass Regens Wagner Holzhausen im Kinder- und Jugendbereich keine Zimmertüren der Kinder und Jugendlichen verschließt bzw. verschlossen hat. Die Gruppeneingangstüre sowie die Türen zum hinteren Treppenhaus des Heimgebäudes sind mit Panikschlössern versehen (Vorschrift!). Dies bedeutet, dass die Türen, wenn sie abgeschlossen sein sollten (nachts), jederzeit von innen geöffnet werden können.“ a) Wurden die Pflegeeltern von der Heimaufsicht und dem Jugendamt darauf hingewiesen, dass für die stationäre Unterbringung des Kindes in Holzhausen ein richterlicher Beschluss erforderlich ist, und wurde dies ggfls. dokumentiert? Wegen fehlender freiheitsentziehender Maßnahmen in der Einrichtung war kein familiengerichtlicher Beschluss erforderlich . Daneben bestand weder seitens des Jugendamtes noch seitens der Heimaufsicht eine Informationsverpflichtung gegenüber den Pflegeeltern, da diese nicht Beteiligte des Hilfeplanverfahrens i. S. von § 36 SGB VIII waren. b) Werden die Freiheitsrechte von Kindern mit Behinderung von den Trägern der Einrichtungen nach Erkenntnis der Heimaufsicht anders bewertet als die Rechte von erwachsenen Menschen mit Behinderung ? Nach Erkenntnis der Heimaufsicht der Regierung von Schwaben gibt es unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. August 2013, Az. XII ZB 559/11, keine Unterschiede in der Bewertung.