Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Peter Meyer FREIE WÄHLER vom 22.02.2018 Gewährleistung des Datenschutzes bei Testfahrzeugen für autonomes Fahren Vermehrt sind auf bayerischen Straßen Testfahrzeuge für autonomes Fahren unterwegs. Sie sind mit mehreren Kameras , die in alle Richtungen ausgerichtet sind, ausgestattet und sind i. d. R. mit einem Warnhinweis versehen, der auf die Anfertigung von Videoaufzeichnungen aufmerksam macht. Vor dem Hintergrund richterlicher Entscheidungen zur Verwendung von Auto-Dashcams für Privatpersonen und den vom Landesdatenschutzbeauftragten Prof. Dr. Thomas Petri vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Videoaufzeichnungen im Rahmen der Verwendung sogenannter Bodycams durch Sicherheitsbehörden besteht für den vorliegenden Fall Klärungsbedarf aus datenschutzrechtlicher Sicht. Deshalb frage ich die Staatsregierung: 1.1 Ist aus Sicht der Staatsregierung ein Warnhinweis auf Testfahrzeugen ausreichend, um dauerhafte Videoaufzeichnungen im 360-Grad-Winkel rechtmäßig anzufertigen , denen sich andere umgebende Verkehrsteilnehmer aber in der Praxis kaum entziehen können? 1.2 Falls ja, können nach Auffassung der Staatsregierung dann auch Privatpersonen unter der Auflage, einen entsprechenden Warnhinweis an ihrem Fahrzeug anzubringen , anlasslos Videoaufzeichnungen mit Auto- Dashcams anfertigen? 1.3 Welche Voraussetzungen müssen nach Auffassung der Staatsregierung Privatpersonen erfüllen, um analog zu den betreffenden Testfahrzeugen anlasslose Videoaufzeichnungen im Fahrbetrieb mit einer Auto- Dashcam anfertigen zu können? 2. Welche datenschutzrechtlichen Auflagen – wie bspw. das automatisierte Unkenntlichmachen von Personen oder Kfz-Kennzeichen (analog zu der Methode von Google Street View) oder Vorgaben zur Speicherdauer , Datensicherheit und Beschränkung des Personenkreises mit Zugriffsrechten auf die Daten – müssen die betreffenden testenden Unternehmen bei ihren Videoaufzeichnungen erfüllen? 3.1 Wie wird von staatlichen Behörden sichergestellt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Dritter im Testbetrieb der betreffenden Fahrzeuge gewahrt bleibt? 3.2 Welche Überprüfungsmaßnahmen werden von welchen Behörden während und nach dem Testbetrieb durchgeführt, um die datenschutzrechtlich sachgemäße Behandlung der betreffenden Videoaufzeichnungen durch die testenden Unternehmen zu kontrollieren ? 3.3 Welche Genehmigungsverfahren oder sonstigen formellen und informellen Rücksprachen gibt es zwischen den testenden Unternehmen und staatlichen Behörden vor, während und nach entsprechenden Testphasen? 4. Inwieweit ändern sich die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die testenden Unternehmen durch die Umsetzung und Anwendung des neuen europäischen Datenschutzrechts? 5. Wie gewichtet die Staatsregierung im vorliegenden Fall das private und durchaus auch öffentliche Interesse an erfolgreicher Forschung und Entwicklung der testenden Unternehmen im Bereich des autonomen Fahrens im Verhältnis zu dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? Antwort des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern und für Integration vom 10.04.2018 Vorbemerkung: Die Fragestellung berührt Themen, die dem Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA) als zuständiger Datenschutzaufsichtsbehörde in völliger Unabhängigkeit obliegen. Dem BayLDA wurde unter Wahrung seiner Unabhängigkeit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die in der Stellungnahme des BayLDA übermittelten Antworten wurden bei den fachlichen Anfragen wiedergegeben und entsprechend gekennzeichnet. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 26.09.2018 Drucksache 17/21706 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21706 1.1 Ist aus Sicht der Staatsregierung ein Warnhinweis auf Testfahrzeugen ausreichend, um dauerhafte Videoaufzeichnungen im 360-Grad-Winkel rechtmäßig anzufertigen, denen sich andere umgebende Verkehrsteilnehmer aber in der Praxis kaum entziehen können? 1.2 Falls ja, können nach Auffassung der Staatsregierung dann auch Privatpersonen unter der Auflage , einen entsprechenden Warnhinweis an ihrem Fahrzeug anzubringen, anlasslos Videoaufzeichnungen mit Auto-Dashcams anfertigen? 1.3 Welche Voraussetzungen müssen nach Auffassung der Staatsregierung Privatpersonen erfüllen, um analog zu den betreffenden Testfahrzeugen anlasslose Videoaufzeichnungen im Fahrbetrieb mit einer Auto-Dashcam anfertigen zu können? Antwort BayLDA: Der Einsatz von Auto-Dashcams durch Privatpersonen einerseits und der Einsatz von Kameras an Testfahrzeugen von Kfz-Herstellern andererseits unterliegen wegen der unterschiedlichen Zwecke der Kameraaufnahmen auch unterschiedlichen datenschutzrechtlichen Regelungen. Dashcams in Privatfahrzeugen: Aufnahmen von Dashcams in Privatfahrzeugen können den Zweck haben, zur Beweissicherung bei eventuellen Unfalloder Gefährdungssituationen gezielt andere Fahrzeuge und Personen identifizierbar (personenbeziehbar im Sinne des Datenschutzrechts) aufzuzeichnen. In Gerichtsentscheidungen werden solche Dashcams in Privatfahrzeugen dann nicht beanstandet, wenn diese Kameras nicht dauernd Aufnahmen des Verkehrsgeschehens längerfristig speichern, sondern entweder ständig überschreibend nur Sekundenabschnitte vor und nach einem Problemereignis festhalten oder hierzu händisch ausgelöst werden, sonst aber außer Funktion sind. Siehe dazu z. B. den Beschluss des Landgerichts München I vom 14.10.2016 (Az. 17 S 6473/16), in dem unter anderem Folgendes ausgeführt wird: „Entscheidend für die Frage der Verwertbarkeit mittels einer Dashcam oder On-Board-Kamera gefertigter Aufnahmen ist auch, ob eine permanente oder eine anlassbezogene Aufzeichnung stattfindet, sowie, ob eine automatische Löschung oder Überschreibung der Aufzeichnungen innerhalb bestimmter Zeiträume erfolgt.“ Ein permanentes anlassloses Filmen mit Dashcams wird von verschiedenen Gerichten als schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewertet. Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlichen Raumes durch Privatbürger sei nicht zulässig, da dies in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreife, selbst zu bestimmen, wo und wann man sich aufhält, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren. Kameras an Testfahrzeugen von Kfz-Herstellern: Die Kameras an Testfahrzeugen von Kfz-Herstellern dienen dagegen der technischen Steuerung von teil- oder vollautonom fahrenden Autos, um einen für alle Verkehrsteilnehmer möglichst sicheren Verkehrsbetrieb zu gewährleisten. Eine Personenbeziehbarkeit aus den Aufnahmen über Kfz-Kennzeichen , die Gesichter von Menschen oder andere individuelle Merkmale herzustellen, ist hier keinesfalls das Ziel und wird nach unseren Erkenntnissen aus den bisherigen Kontakten mit den Automobilherstellern soweit wie möglich vermieden, z. B. durch sofortiges oder baldmöglichstes Umwandeln personenbeziehbarer Merkmale in Symbole oder mathematische Werte, teilweise bereits in der Kamera. Ein Hinweis an den Testfahrzeugen auf solche Videokameras hat wenig datenschutzrechtliche Relevanz, weil andere Personen diesen Fahrzeugen in der Schnelle der Aktion regelmäßig gar nicht mehr ausweichen können. Die datenschutzrechtliche Problematik muss folglich anderweitig gelöst werden, insbesondere durch sofortiges bzw. zeitnahes Anonymisieren der Kameradaten. 2. Welche datenschutzrechtlichen Auflagen – wie bspw. das automatisierte Unkenntlichmachen von Personen oder Kfz-Kennzeichen (analog zu der Methode von Google Street View) oder Vorgaben zur Speicherdauer, Datensicherheit und Beschränkung des Personenkreises mit Zugriffsrechten auf die Daten – müssen die betreffenden testenden Unternehmen bei ihren Videoaufzeichnungen erfüllen ? Antwort BayLDA: Eine Personenbeziehbarkeit über Kfz-Kennzeichen, die Gesichter von Menschen oder andere identifizierende Merkmale muss, soweit es technisch und im Hinblick auf die Forschungszwecke möglich ist, vermieden werden. Das kann durch sofortiges oder baldmöglichstes Umwandeln personenbeziehbarer Merkmale in Symbole oder mathematische Werte in den Kameras, Fahrzeugen oder anderen Speichermedien erfolgen. Ferner sind eine strikte Abschottung und Zweckbindung der Forschungsdaten sowie entsprechende technische Schutzmaßnahmen für diese Daten vorzusehen. 3.1 Wie wird von staatlichen Behörden sichergestellt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Dritter im Testbetrieb der betreffenden Fahrzeuge gewahrt bleibt? 3.2 Welche Überprüfungsmaßnahmen werden von welchen Behörden während und nach dem Testbetrieb durchgeführt, um die datenschutzrechtlich sachgemäße Behandlung der betreffenden Videoaufzeichnungen durch die testenden Unternehmen zu kontrollieren? 3.3 Welche Genehmigungsverfahren oder sonstigen formellen und informellen Rücksprachen gibt es zwischen den testenden Unternehmen und staatlichen Behörden vor, während und nach entsprechenden Testphasen? Antwort BayLDA: Die bayerischen Kfz-Hersteller stehen zu den datenschutzrechtlichen Anforderungen bei der Entwicklung von teil- und vollautonom fahrenden Fahrzeugen laufend in Kontakt mit Drucksache 17/21706 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 dem BayLDA, um sich für datenschutzkonforme Verfahrensweisen beraten zu lassen. Konkrete Überprüfungs- oder Genehmigungsverfahren sieht das Datenschutzrecht hierfür nicht vor. Das Datenschutzrecht stellt primär auf die eigenverantwortliche Einhaltung der Datenschutzregelungen durch die Unternehmen als dafür verantwortliche Stellen ab. 4. Inwieweit ändern sich die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die testenden Unternehmen durch die Umsetzung und Anwendung des neuen europäischen Datenschutzrechts? Durch die Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ab dem 25.05.2018 entsteht für die testenden Unternehmen keine relevant andere datenschutzrechtliche Situation. Die DSGVO enthält für wissenschaftliche Forschungszwecke in Art. 89 Abs. 1 die Anforderung, dass dabei der Grundsatz der Datenminimierung zu beachten ist, wozu speziell Maßnahmen einer Pseudonymisierung personenbezogener Daten gehören. In Erwägungsgrund 159 zur DSGVO ist dazu ausgeführt: „Die Verarbeitung personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Forschungszwecken im Sinne dieser Verordnung sollte weit ausgelegt werden und die Verarbeitung für beispielsweise die technologische Entwicklung und die Demonstration, die Grundlagenforschung , die angewandte Forschung und die privat finanzierte Forschung einschließen.“ Dieser gesetzgeberische Appell war und ist für das BayLDA bei der Beratung, Kontrolle und Prüftätigkeit im Forschungsbereich schon immer ein sehr maßgebliches Kriterium . 5. Wie gewichtet die Staatsregierung im vorliegenden Fall das private und durchaus auch öffentliche Interresse an erfolgreicher Forschung und Entwicklung der testenden Unternehmen im Bereich des autonomen Fahrens im Verhältnis zu dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? Mit automatisierten Fahrfunktionen werden eine Verbesserung der Verkehrssicherheit, eine Erhöhung der Verkehrseffizienz , eine bessere Umweltverträglichkeit und eine Erhöhung des Fahrkomforts verbunden. Gerade die Erhöhung der Verkehrssicherheit, insbesondere der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs bzw. die Leistungsfähigkeit der Verkehrswege, sind ein Kernanliegen der Staatsregierung . Das Interesse an erfolgreicher Forschung und Entwicklung im Bereich des automatisierten Fahrens ist daher von hohem Gewicht und bedarf eines rechtssicheren rechtlichen Rahmens. Dieser muss zugleich das Recht auf informa tionelle Selbstbestimmung berücksichtigen und die betroffenen Rechtsgüter zu einem schonenden Ausgleich bringen.