Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Stamm (fraktionslos) vom 09.01.2018 Diganose, Therapie und Nachsorge der Endometriose in Bayern Bei etwa 40.000 Frauen in Deutschland wird jährlich eine Endometriose diagnostiziert. Bei etwa 20.000 Frauen wird sie klinisch behandelt. Nach Schätzungen sind zwischen 10 und 15 Prozent der Frauen in Deutschland betroffen. Im Schnitt haben die Betroffenen bis dahin einen Leidensweg von ca. sechs Jahren, in einigen Fällen bis zu zehn Jahren mit falschen oder gar keiner Diagnose hinter sich, bei zum Teil erheblichen Beeinträchtigungen. Neben dem Leitsymp tom des Unterbauchschmerzes besteht häufig auch Sterili tät als Folge der Erkrankung. Die Ursachen des Wachstums endometriumartiger Zellverbände sind bis heute ungeklärt. Obwohl die Endometriose als gutartig gilt, kann sich als seltene Folge ein bösartiger Tumor entwickeln. Bei einem chronischen Verlauf der Endometriose können wiederholte Eingriffe mit den entsprechenden Belastungen für die Pa tientinnen notwendig werden. Über die Endometriose wer den trotz der hohen Betroffenenzahl, der oft chronischen Verläufe und assoziierten malignen Erkrankungen sowie häufiger Sterilität der betroffenen Frauen weder Ärzte noch Patientinnen ausreichend aufgeklärt. Aufgrund fehlender Forschungsanstrengungen sind Ursache und kausale The rapie bis heute ungeklärt. Damit reiht sich die Endometriose in eine Reihe mit anderen „Frauenleiden“ ein, die kaum wis senschaftlich erforscht und im medizinischen Alltag falsch bewertet werden. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Wie erklärt sich die Staatsregierung, dass die Krank heit Endometriose immer noch so unbekannt ist, ob wohl so viele Frauen betroffen sind? b) Welche Maßnahmen plant die Staatsregierung, um Mediziner und Patientinnen besser über die Endome triose aufzuklären? c) Welche Rolle spielt die Endometriose in der Ausbil dung von Gynäkologinnen und Gynäkologen, Visze ralchirurginnen und chirurgen sowie Urologinnen und Urologen? 2. a) Welche epidemiologischen Erkenntnisse liegen der Staatregierung zur Endometriose vor? b) Ist ein Trend zu erkennen? c) Wie erklärt die Staatsregierung diesen Trend? 3. a) Wie viele auf die Diagnose und Therapie der Endome triose spezialisierte Facheinrichtungen (Endometrio sezentren) gibt es in Bayern? b) Wie viele und welche Einrichtungen bieten eine Endo metriosesprechstunde an? c) Sieht die Staatsregierung Lücken in der flächende ckenden Beratung und Versorgung betroffener Frauen in Bayern? 4. a) Welche Anforderungen stellt die Staatsregierung an ein Endometriosezentrum in Bayern, insbesondere an die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynä kologen, Viszeralchirurgen oder Urologen? b) Welche Klassifikationen zur Diagnose der Endometrio se werden in Bayern verwendet? 5. a) Welche Einrichtungen bieten in Bayern eine An schlussheilbehandlung für Endometriosepatientinnen an? b) Sieht die Staatsregierung Bedarf für ein Angebot zur Anschlussbehandlung in Bayern? c) Welche psychologischen Unterstützungsangebote werden Betroffenen in Bayern gemacht? 6. a) Welche Komplikationen sind der Staatsregierung im Zusammenhang mit der Therapie der Endometriose bekannt? b) Wie viele Todesfälle wurden in Bayern als Folge einer operativen Therapie der Endometriose in den letzten fünf Jahren registriert (bitte nach Jahren aufgliedern)? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 03.09.2018 Drucksache 17/21709 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21709 Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales sowie dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vom 11.04.2018 1. a) Wie erklärt sich die Staatsregierung, dass die Krankheit Endometriose immer noch so unbekannt ist, obwohl so viele Frauen betroffen sind? Der Staatsregierung liegen keine Kenntnisse über den Be kanntheitsgrad der Endometriose vor. Die Bayerische Lan desärztekammer (BLÄK) hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Krankheit im ärztlichen Bereich unbekannt sei. b) Welche Maßnahmen plant die Staatsregierung, um Mediziner und Patientinnen besser über die Endometriose aufzuklären? Zur Aufklärung von Medizinern und Patientinnen über En dometriose sind keine Maßnahmen der Staatsregierung ge plant. c) Welche Rolle spielt die Endometriose in der Ausbildung von Gynäkologinnen und Gynäkologen, Viszeralchirurginnen und -chirurgen sowie Urologinnen und Urologen? Das Krankheitsbild der Endometriose wird in der Aus, Wei ter und Fortbildung für Ärzte in Bayern umfassend berück sichtigt. An allen bayerischen Universitäten, an denen der Studi engang Humanmedizin eingerichtet ist, ist die Endometriose im klinischen Abschnitt Bestandteil der Ausbildung von Me dizinstudierenden. Im Folgenden werden die Weiterbildungsinhalte der Wei terbildungsordnung für die Ärzte Bayerns genannt, unter de nen auch die Erkennung und Behandlung der Endometriose zu verstehen sind. Die Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 24.04.2004 in der Fassung der Beschlüsse vom 21.10.2017 im Gebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe sieht zusätz lich zu den in § 4 Abs. 3 aufgeführten allgemeinen Anfor derungen an eine Weiterbildung den Erwerb von Kenntnis sen, Erfahrungen und Fertigkeiten in „der konservativen und operativen Behandlung der weiblichen Geschlechtsorgane einschließlich der Brust, der Erkennung und Behandlung von Komplikationen und der Rehabilitation“ sowie in „der hormonellen Regulation des weiblichen Zyklus und der ova riellen Fehlfunktionen einschließlich der Erkennung und Ba sistherapie der weiblichen Sterilität“ vor. Im Schwerpunkt Gynäkologische Endokrinologie und Re produktionsmedizin gehört „die Erkennung und Behandlung geschlechtsspezifischer endokriner, neuroendokriner und fertilitätsbezogener Funktionen, Dysfunktionen und Erkran kungen“ zum Weiterbildungsinhalt. Zudem wird die Mitwir kung bei größeren fertilitätschirurgischen Eingriffen zur Er langung des Schwerpunktes gefordert. Der Facharzt für Viszeralchirurgie hat in seinem Weiter bildungsgang zusätzlich zu den in § 4 Abs. 3 aufgeführten Anforderungen den Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten u. a. in „der Vorbeugung, Erkennung, Be handlung, Nachbehandlung und Rehabilitation von Erkran kungen, Verletzungen, Infektionen, Fehlbildungen innerer Organe insbesondere der gastroenterologischen, endokri nen und onkologischen Chirurgie der Organe und Weichtei le“, in „der operativen und nichtoperativen Grund und Not fallversorgung bei viszeralchirurgischen einschließlich der koloproktologischen Erkrankungen, Verletzungen, Fehlbil dungen und Infektionen“, in „der Indikationsstellung zur ope rativen und konservativen Behandlung einschließlich der Risikoeinschätzung und prognostischen Beurteilung“ und in „endoskopischen, laparoskopischen und minimalinvasiven Operationsverfahren“ nachzuweisen. Der Facharzt für Urologie hat in seinem Weiterbildungs gang zusätzlich zu den in § 4 Abs. 3 aufgeführten Anfor derungen den Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten u. a. in „der Vorbeugung, Erkennung, Behand lung, Nachsorge und Rehabilitation von Erkrankungen, In fektionen, Verletzungen und Fehlbildungen des männlichen Urogenitalsystems und der weiblichen Harnorgane sowie Notfallversorgung“ nachzuweisen. Auch in der ärztlichen Fortbildung finden sich zahlreiche Veranstaltungen zur Endometriose. Im Zeitraum von Anfang 2013 bis 2017 wurden der BLÄK 76 Fortbildungsveranstal tungen zum Thema „Endometriose“ für die Zuerkennung von Fortbildungspunkten zur Kenntnis gebracht. Die Anzahl der Veranstaltungen zum Thema „Endometriose“ liegt wahr scheinlich noch höher, da der BLÄK nicht alle ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen zur Kenntnis gebracht werden. 2. a) Welche epidemiologischen Erkenntnisse liegen der Staatregierung zur Endometriose vor? Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege verfügt über keine epidemiologischen Daten zur Endometriose. Nach Angaben des Instituts für Qualität und Wirtschaftlich keit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben zwischen 2 Pro zent und etwa 50 Prozent aller Frauen „stille“ Endometriose Herde. 40 bis 60 Prozent der Frauen mit stark schmerzender Regelblutung und 20 bis 30 Prozent der ungewollt kinder losen Frauen haben vermutlich eine Endometriose. In der ambulanten Versorgung gab es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) im Jahr 2016 ca. 39.000 gesicherte Endometriosediagnosen bei Versi cherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Geht man davon aus, dass Versicherte der privaten Krankenver sicherung (PKV) ähnlich häufig betroffen sind, ist für Bayern insgesamt mit derzeit ca. 43.000 ambulanten Diagnosen zu rechnen. Die stationär behandelten Fälle werden in der Kran kenhausstatistik erfasst. Im Jahr 2016 gab es in Bayern 4.482 stationäre Behandlungsfälle. b) Ist ein Trend zu erkennen? Endometriose, ICD N80, ambulante Fälle, GKV- Versicherte Krankenhausfälle infolge einer Endometriose, Bayern 2010 30.950 3.546 2011 32.841 3.750 2012 33.299 3.902 Drucksache 17/21709 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Endometriose, ICD N80, ambulante Fälle, GKV- Versicherte Krankenhausfälle infolge einer Endometriose, Bayern 2013 34.821 3.815 2014 36.229 4.253 2015 37.601 4.299 2016 38.987 4.482 Datenquelle: KVB Datenquelle: Statistisches Bundesamt Sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich stei gen die Fallzahlen. Bei den stationären Fällen ist einschrän kend darauf hinzuweisen, dass die Krankenhausstatistik keine Personenstatistik ist, d. h. eine Frau kann mehrere Behandlungsfälle verursachen. c) Wie erklärt die Staatsregierung diesen Trend? Es liegen keine Informationen zur Ursache der steigenden Fallzahlen vor. Die Zunahme könnte durch eine erhöhte Auf merksamkeit für diese Erkrankung, bessere Diagnostik oder eine gestiegene Erkrankungshäufigkeit zustande kommen. 3. a) Wie viele auf die Diagnose und Therapie der Endometriose spezialisierte Facheinrichtungen (Endometriosezentren ) gibt es in Bayern Im Freistaat gibt es 134 Krankenhäuser, an denen Frauen mit Endometriose innerhalb der Fachrichtungen Gynäkolo gie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe behandelt werden. Es gibt in Bayern u. a. an der Frauenklinik des Univer sitätsklinikums Erlangen, der Klinik und Poliklinik für Frau enheilkunde der Technischen Universität München am Klinikum rechts der Isar, der zum Klinikum der Universität München gehörenden Klinik und Poliklinik für Frauenheil kunde und Geburtshilfe am Campus Großhadern, der Uni versitätsfrauenklinik Würzburg und am Klinikum Nürnberg Endometriosezentren, die entsprechende Sprechstunden anbieten. Im Bereich der ambulanten Versorgung ist die KVB im Rahmen der ihr vom Bundesgesetzgeber übertragenen Selbstverwaltungseigenschaft zuständig für die Sicherstel lung der vertragsärztlichen Versorgung. Die KVB verfügt jedoch über keine Auflistung von sogenannten Endometri osezentren. b) Wie viele und welche Einrichtungen bieten eine Endometriosesprechstunde an? Der Staatsregierung stehen hierzu grundsätzlich keine An gaben zur Verfügung. Positive Kenntnis besteht allerdings hinsichtlich der in der Antwort auf Frage 3 a genannten Ein richtungen. c) Sieht die Staatsregierung Lücken in der flächendeckenden Beratung und Versorgung betroffener Frauen in Bayern? Die akutstationäre Behandlung von Frauen mit Endometri ose ist in Bayern flächendeckend gesichert. Die ambulante Behandlung von Endometriose wird durch rund 8.300 nie dergelassene Vertragsärzte und psychotherapeuten in Bay ern flächendeckend sichergestellt. 4. a) Welche Anforderungen stellt die Staatsregierung an ein Endometriosezentrum in Bayern, insbesondere an die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen, Viszeralchirurgen oder Urologen ? In Bayern erfolgt die Planung der akutstationären Versor gung als Rahmenplanung nach Standort, Zahl der Betten und teilstationären Plätzen, Fachrichtungen sowie Versor gungsstufen. Zentren für Endometriose werden daher nicht eigens beplant. Ein Fachprogramm wie beispielweise für die Akutgeriatrie gibt es nicht. Deshalb werden seitens der Krankenhausplanung an Endometriosezentren keine ge sonderten staatlichen Anforderungen gestellt. Eine Zertifizierung von Endometriosezentren erfolgt seit 2005 durch die Europäische Endometriose Liga (EEL), die EndometrioseVereinigung Deutschland e. V. sowie die Stif tung EndometrioseForschung (SEF); sie liegt im Verant wortungsbereich der ärztlichen Selbstverwaltung. b) Welche Klassifikationen zur Diagnose der Endometriose werden in Bayern verwendet? Laut Bayerischer Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauen heilkunde e. V. ist die am häufigsten verwendete Klassifika tion die der American Society of Reproductive Medicine der American Fertility Society in ihrer revidierten Form (rASRM). Diese ist auch die international etablierte und in wissen schaftlichen Arbeiten üblicherweise angewendete Klassifi kation. Je nach den intraoperativ erhobenen Befunden wer den Punkte vergeben und die Gesamtpunktzahl entscheidet über die Einteilung in einen der vier Grade (I° minimal, II° mild, III° moderat, IV° schwer). Die klinische Symptomatik spielt dabei keine Rolle. Außerdem wird die durch die Stif tung Endometrioseforschung etablierte ENZIANKlassifika tion zur Einteilung der sogenannten tief infiltrierenden En dometriose benutzt. Sie beinhaltet die Lokalisation sowie die Größe vorhandener Endometrioseherde z. B. am Darm, Harnleiter oder in der Gebärmutterwand. Die Verwendung dieser beiden Klassifikationen wird auch in der aktuellen S2kLeitlinie zur Diagnostik und Therapie der Endometriose empfohlen. Gelegentlich wird noch die WHOKlassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet, die sich auf die Beschreibung der Lokalisation beschränkt. 5. a) Welche Einrichtungen bieten in Bayern eine Anschlussheilbehandlung für Endometriosepatientinnen an? Die bayerischen Regionalträger belegen für die Behandlung von Endometriosepatientinnen in der Regel die Sinntalklinik der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern in Bad Brü ckenau. Im Rahmen des Wunsch und Wahlrechts wurden darüber hinaus außerhalb Bayerns auch das Rehazentrum bei der Therme Bad Waldsee, eine zertifizierte Endometri oseklinik in BadenWürttemberg sowie die Klinik Eisenmoor bad in Bad Schmiedeberg (SachsenAnhalt) belegt. b) Sieht die Staatsregierung Bedarf für ein Angebot zur Anschlussbehandlung in Bayern? Aufgrund der geringen Fallzahlen in den letzten fünf Jahren (von 2013 bis 2017 insgesamt 88 Rehabilitationsleistungen) sehen die bayerischen Regionalträger keinen Bedarf, das Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21709 bisher bereits bestehende Angebot zu erweitern. Dieser Auf fassung kann sich die Staatsregierung anschließen. c) Welche psychologischen Unterstützungsangebote werden Betroffenen in Bayern gemacht? Jedes der in der Antwort zu Frage 3 a genannten Endome triosezentren hat eine psychosomatische Abteilung und ein Schmerzzentrum als Kooperationspartner. Dort können alle Patientinnen mit entsprechendem Bedarf zur Mitbetreuung vorgestellt werden. Außerdem bestehen Kontakte zu En dometrioseSelbsthilfegruppen, die durch Erfahrungsaus tausch Hilfe anbieten können. 6. a) Welche Komplikationen sind der Staatsregierung im Zusammenhang mit der Therapie der Endometriose bekannt? Da Komplikationen im Zusammenhang mit der Therapie der Endometriose von staatlicher Seite nicht erfasst werden, kann hierzu keine Aussage getroffen werden. b) Wie viele Todesfälle wurden in Bayern als Folge einer operativen Therapie der Endometriose in den letzten fünf Jahren registriert (bitte nach Jahren aufgliedern)? Sterbefälle durch Endometriose in Bayern 2015 2014 2013 2012 2011 2010 N80 Endometriose 1 Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt In der Todesursachenstatistik wird für die Jahre 2010–2015 ein Sterbefall durch Endometriose in Bayern ausgewiesen.