Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Herbert Woerlein SPD vom 22.02.2018 Verkehrsunfälle mit Tieren Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Für welche Tierarten, die Opfer eines Verkehrsunfalls werden, besteht in Bayern eine Meldepflicht des Unfallverursachers bei der Polizei? b) Welche anderen Behörden oder Personen müssen bei einem Verkehrsunfall mit Tieren, z. B. Nutztieren, vom Unfallverursacher oder der Polizei informiert werden (bitte aufschlüsseln nach Tierart bzw. Tiergruppen)? c) Welche besonderen Regelungen bestehen bei Verkehrsunfällen mit streng geschützten Tierarten, insbesondere solchen, die nicht dem Jagdrecht unterliegen wie dem Wolf oder streng geschützten Vogelarten? 2. a) Wie oft wurde in den letzten zehn Jahren ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz im Rahmen eines Verkehrsunfalls mit Tieren festgestellt (bitte aufschlüsseln nach Jahren und nach beteiligter Tierart)? b) In welchen der unter der Frage 2 a genannten Fälle wurde der Unfallverursacher sanktioniert? c) Welcher Art waren die Sanktionen in den unter der Frage 2 b genannten Fällen? 3. a) Warum liegt bei einem Verkehrsunfall mit Tieren keine Fahrerflucht vor, wenn der Unfallverursacher nach dem Unfall einfach weiterfährt? b) Wie wird Fahrerflucht im Allgemeinen sanktioniert? c) Welche Möglichkeiten sieht die Staatsregierung, den Straftatbestand „Fahrerflucht“ auch bei Verkehrsunfällen mit Tieren, wie es beispielsweise schon in der Schweiz gehandhabt wird, einzuführen? 4. a) Welche Tierarten, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen, werden statistisch erfasst? b) Welche Rückschlüsse können aus diesen Statistiken gezogen werden? 5. a) Stellen Verkehrsunfälle als Todesursache streng geschützter Arten eine Bedrohung für deren (langfristigen ) Arterhalt dar? b) Wenn ja, für welche Tierarten trifft dies zu? Antwort des Staatsministeriums des Innern und für Integration im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Ernährung , Landwirtschaft und Forsten, dem Staatsministerium der Justiz und dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz vom 11.04.2018 1. a) Für welche Tierarten, die Opfer eines Verkehrsunfalls werden, besteht in Bayern eine Meldepflicht des Unfallverursachers bei der Polizei? Nach den Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsunfallaufnahme in Bayern vom 07.11.2017, Az. IC4-3607.21-1, ist ein Verkehrsunfall ein plötzliches, zumindest für einen der Beteiligten ungewolltes Ereignis im öffentlichen Verkehrsraum , welches im ursächlichen Zusammenhang mit dem Straßenverkehr und seinen typischen Gefahren steht und zu Personen- oder einem nicht gänzlich belanglosen Sachschaden (Eigen- oder Fremdschaden) geführt hat. Auf Tiere sind gemäß §§ 90, 90a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Vorschriften für Sachen entsprechend anzuwenden . Verkehrsunfälle mit Haus- und Nutztieren, bei denen der entstandene Sachschaden über der Grenze des gänzlich belanglosen Sachschadens liegt (die Rechtsprechung geht derzeit von 50 Euro aus), sind gemäß § 34 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) unverzüglich der Polizei zu melden, sofern man trotz Erfüllung der Wartepflicht am Unfallort den Verkehrsunfall dem Tiereigentümer nicht anzeigen kann. Dagegen besteht bei einem Unfall mit Wildtieren grundsätzlich keine polizeiliche Meldepflicht, da wilde Tiere herrenlos sind, solange sie sich in Freiheit befinden (§ 960 BGB). Ein Schadensersatzanspruch wird nicht ausgelöst (vgl. MüKo-StGB, § 142, Rn. 31; zitiert nach beck-online). Allerdings begeht der Fahrzeugführer nach Art. 56 Bayerisches Jagdgesetz (BayJG) eine Ordnungswidrigkeit, wenn er Schalenwild (Wisente, Elche, Rot-, Dam-, Sika-, Reh-, Gams-, Stein-, Muffel- und Schwarzwild) durch An- oder Überfahren verletzt oder tötet und dies nicht unverzüglich entweder dem Revierinhaber oder der nächsterreichbaren Polizeidienststelle anzeigt. b) Welche anderen Behörden oder Personen müssen bei einem Verkehrsunfall mit Tieren, z. B. Nutztieren , vom Unfallverursacher oder der Polizei informiert werden (bitte aufschlüsseln nach Tierart bzw. Tiergruppen)? Bei polizeilich aufgenommenen Verkehrsunfällen mit Nutztieren wird der Eigentümer des unfallbeteiligten Tieres durch die Polizei verständigt. Wurde ein Wildtier bei einem Verkehrsunfall getötet oder verletzt, so ist der Jagdausübungsberechtigte unverzüglich zu benachrichtigen. Ferner ist das Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 03.09.2018 Drucksache 17/21848 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21848 „Handlungskonzept zur polizeilichen Aufgabenwahrnehmung im Zusammenhang mit dem Luchs“ zu beachten. c) Welche besonderen Regelungen bestehen bei Verkehrsunfällen mit streng geschützten Tierarten, insbesondere solchen, die nicht dem Jagdrecht unterliegen wie dem Wolf oder streng geschützten Vogelarten? Für den Bereich der Bayerischen Polizei wurde als Reaktion auf die illegalen Tötungen von Luchsen im Jahr 2015 das „Handlungskonzept zur polizeilichen Aufgabenwahrnehmung im Zusammenhang mit dem Luchs“ erstellt. Das Handlungskonzept ist zwar inhaltlich angelehnt an Ereignisse im Zusammenhang mit dem Luchs, die enthaltenen Handlungsgrundsätze sind jedoch gleichsam anwendbar auf weitere streng geschützte Tierarten. Als Anlage zum Handlungskonzept wurde eine eigene Checkliste für Maßnahmen bei Verkehrsunfällen erstellt. Diese sieht insbesondere die Verständigung des zuständigen Landratsamtes (untere Naturschutzbehörde) sowie des Landesamtes für Umwelt vor. Anlassbezogen ist gleichfalls die Verständigung des regionalen Ansprechpartners aus dem „Netzwerk große Beutegreifer“ vorgesehen. Das Handlungskonzept nebst Anlagen wurde bei allen Bayerischen Polizeipräsidien umgesetzt . 2. a) Wie oft wurde in den letzten zehn Jahren ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz im Rahmen eines Verkehrsunfalls mit Tieren festgestellt (bitte aufschlüsseln nach Jahren und nach beteiligter Tierart)? b) In welchen der unter der Frage 2 a genannten Fälle wurde der Unfallverursacher sanktioniert? c) Welcher Art waren die Sanktionen in den unter der Frage 2 b genannten Fällen? Von der Bayerischen Polizei wurde in den letzten zehn Jahren im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme in insgesamt acht Fällen ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz angezeigt . Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verstöße: – 2010: vorsätzliches Anfahren eines Hundes, leicht verletzte Vorderpfoten. Das Verfahren wurde mit Verfügung von der Staatsanwaltschaft Bayreuth gemäß § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. – 2012: VU-Flucht (VU = Verkehrsunfall), Autofahrer ließ schwerverletzten Hund unversorgt liegen. Das Verfahren wurde bei einer Gerichtsverhandlung durch das Amtsgericht Landau an der Isar gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt . – 2013: Reh gegen Auto, Reh läuft davon, Autofahrer meldet Vorfall nicht. Das Verfahren nach dem Tierschutzgesetz wurde vom Landratsamt Altötting eingestellt. – 2015: Hund gegen Fahrradfahrer, Fahrradfahrer verletzt. Der Hund war stets allein in Zwiesel unterwegs. Das Verfahren gegen die Hundehalterin wurde vom Landratsamt Regen eingestellt. – 2015: VU-Flucht, Autofahrer lässt verletzte Katze unversorgt liegen. – 2015: VU-Flucht, Autofahrer lässt verletzten Hund unversorgt liegen. – 2016: VU-Flucht, Autofahrer lässt verletzte Katze unversorgt liegen. – 2017: VU-Flucht, Autofahrer lässt verletzten Hund unversorgt liegen. In den vier letztgenannten Fällen konnte jeweils der flüchtige Unfallverursacher nicht ermittelt werden. 3. a) Warum liegt bei einem Verkehrsunfall mit Tieren keine Fahrerflucht vor, wenn der Unfallverursacher nach dem Unfall einfach weiterfährt? Es wird davon ausgegangen, dass sich die Frage auf eine Strafbarkeit nach § 142 StGB bezieht (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort). Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist der Schutz von zivilrechtlichen Ansprüchen der im Rahmen des öffentlichen Straßenverkehrs geschädigten Personen. Voraussetzung ist deshalb, dass sich durch den Unfall ein nicht völlig belangloser Personen- oder Sachschaden ergibt. Da auf Tiere gemäß §§ 90, 90 a BGB die Vorschriften für Sachen entsprechend anzuwenden sind, kann durch Unfälle mit Tieren ein durch § 142 StGB geschützter Schadensersatzanspruch entstehen, soweit die Bagatellgrenze überschritten wird. b) Wie wird Fahrerflucht im Allgemeinen sanktioniert ? Gemäß § 142 Abs. 1 StGB wird das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. c) Welche Möglichkeiten sieht die Staatsregierung, den Straftatbestand „Fahrerflucht“ auch bei Verkehrsunfällen mit Tieren, wie es beispielsweise schon in der Schweiz gehandhabt wird, einzuführen ? Änderungen des Strafgesetzbuches liegen in der Zuständigkeit des Bundes. Unfälle mit Tieren sind von § 142 StGB erfasst, soweit sie einen Eigentümer haben und die Bagatellgrenze überschritten wird (siehe Antwort zu Frage 3 a). Darüber hinaus besteht die bereits in der Antwort zu Frage 1 a beschriebene bußgeldbewehrte Meldepflicht nach dem Jagdrecht. 4. a) Welche Tierarten, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen, werden statistisch erfasst? Eine statistische Erfassung der getöteten Tiere in der Verkehrsunfallstatistik erfolgt nicht. Dort werden nur bei Wildunfällen die beteiligten Wildtierarten erfasst. Die Wildtierarten sind dabei in folgende Gruppen aufgeteilt: – Hase/Kaninchen, – Reh-/Rot-/Damwild, – Schwarzwild, – Fuchs, – Dachs, – Greif-/Flugwild, – sonstiges Wild. Drucksache 17/21848 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Darüber hinaus dokumentiert das Landesamt für Umwelt alle gemeldeten Verkehrsunfälle mit Beteiligung von großen Beutegreifern, z. B. dem Luchs. b) Welche Rückschlüsse können aus diesen Statistiken gezogen werden? Die Verkehrsunfallstatistik dient grundsätzlich der Auswertung und Analyse des Unfallgeschehens, um örtliche, zeitliche sowie auf die Unfallbeteiligten und ggf. ihre Fahrzeuge bezogene Auffälligkeiten erkennen und darauf reagieren zu können. Dies gilt auch für die Wildunfälle. Im Rahmen der Unfallkommissionsarbeit können z. B. spezielle Wildunfallkommissionen gebildet werden, die aufgrund der ausgewerteten Daten der Wildunfälle Maßnahmen an besonders unfallträchtigen Wildquerungsstellen treffen können. Aber auch die örtliche Polizeidienststelle kann bei erkannten Auffälligkeiten frühzeitige Abhilfemaßnahmen bei den zuständigen Behörden oder dem Jagdausübungsberechtigten anregen. Zudem besteht durch Aufteilung in die angeführten Tiergruppen (siehe Antwort zu Frage 4 a) die Möglichkeit, auch für die einzelnen Gruppen diese Auswertungen durchzuführen. Ferner stellen wir auf Anfrage unsere statistischen Verkehrsunfalldaten unter Beachtung des Datenschutzes gern sowohl anderen Ressorts als auch der Unfallforschung zur Verfügung. Darüber hinaus unterstützen wir mit unseren Verkehrsunfalldaten Projekte, die der Wildunfallvermeidung dienen, so z. B. die Wildwarn-App von WUIDI. 5. a) Stellen Verkehrsunfälle als Todesursache streng geschützter Arten eine Bedrohung für deren (langfristigen ) Arterhalt dar? Grundsätzlich kann die Mortalität über den Straßen- bzw. Schienenverkehr eine Bedrohung für den Arterhalt darstellen , insbesondere wenn a) es sich um eine kleine Population mit nur wenigen an der Fortpflanzung beteiligten Individuen handelt; b) über die Trennwirkung von Verkehrsachsen der Genaustausch zwischen kleinen Vorkommen stark eingeschränkt wird oder gar zum Erliegen kommt. b) Wenn ja, für welche Tierarten trifft dies zu? Die Böhmisch-Bayerisch-Österreichische Luchspopulation ist nach wie vor sehr klein – eine grenzüberschreitende Zählung 2014 und 2015 ergab nur 60 bis 80 selbstständige Individuen (adult und subadult, ohne juvenil), davon 15 reproduzierende Weibchen. Verkehrsunfälle haben hier das Potenzial, die Situation zu verschlechtern.