Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian von Brunn SPD vom 16.04.2014 Hochwasserschutz Bayern III: Rückhalt an Gewässern Der natürliche Wasserrückhalt an Gewässern ist ein wich­ tiger Bestandteil eines effektiven Hochwasserschutzes. Die Halbzeitbilanz (2001 bis 2010) des Hochwasserschutz­Ak­ tionsprogramm 2020 bezüglich natürlichem Rückhalts er­ gab, das von der Zielvorgabe von 10.000 ha renaturierter Auenfläche nur 1.883 ha renaturiert wurden und erst 764 km von geplanten 2.500 km Gewässerstrecke renaturiert wur­ den. Zur Erreichung der Zielvorgaben bis 2020 muss noch einiges getan werden. Ich frage daher die Staatsregierung: 1. a) Welche konkreten Maßnahmen zur stärkeren För­ derung der natürlichen Gewässerentwicklung, z. B. Flussrückbau und Auenvernetzung, hat die Staatsre­ gierung in den letzten 10 Jahren durchgeführt oder be­ gonnen? b) Welche Maßnahmen sind derzeit noch geplant? c) Aufgrund welcher Tatsachen geht die Staatsregierung angesichts der eigenen zeitlichen Zielsetzungen da­ von aus, dass die Ziele nun deutlich schneller erreicht werden können als in den vorhergehenden Jahren? 2. a) Welche finanziellen Mittel in welcher Höhe wurden in den letzten 10 Jahren zur Förderung der natürlichen Gewässerentwicklung ausgegeben? b) Welche Mittel sind hierfür noch vorgesehen? 3. a) Welche konkreten Aufgaben wurden für die Wasser­ wirtschaftsämter aktuell als dauerhafte bzw. als vorü­ bergehende Aufgaben ermittelt? b) Wie viele Personen sind für diese Aufgaben jeweils mit welchem Stundenumfang eingeteilt? 4. a) Warum stoppte die Staatsregierung 2011 die finanziel­ le Förderung des Auenzentrums Neuburg­Ingolstadt? b) Wie hoch war diese Förderung? c) Wie kann aus Sicht der Staatsregierung die dadurch entstandene finanzielle Lücke für das Auenzentrum Neuburg­Ingolstadt geschlossen werden? 5. Aus welchen fachlichen Gründen werden in Bayern Gewässerrandstreifen, die zur Verbesserung der Was­ serspeicherungsmöglichkeiten der Gewässer dienen, in Art. 21 BayWG abweichend zu § 38 WHG nicht ge­ setzlich festgelegt und keine konkreten Regelungen z. B bzgl. Umwandlung von Grünland in Ackerland ge­ troffen? 6. a) Welche Deiche wurden seit 2011 zurückverlegt, b) Welche Standorte kommen für eine Rückverlegung noch infrage? c) Wie erfolgt die Prüfung bezüglich der Möglichkeit einer Rückverlegung? 7. a) Was ergab die bayernweite Prüfung bezüglich der Fra­ ge, wo in Bayern noch reaktivierbare Rückhalteräume vorhanden sind, b) Welche konkreten Flächen sind zur Nutzung als Rück­ halteräume geeignet? c) Nach welcher Methode und welchen Kriterien erfolgte die Überprüfung? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 21.05.2014 Die Schriftliche Anfrage wird bezüglich Frage 5 im Einver­ nehmen mit dem Staatsministerium für Ernährung, Land­ wirtschaft und Forsten wie folgt beantwortet: 1. a) Welche konkreten Maßnahmen zur stärkeren Förderung der natürlichen Gewässerentwicklung, z. B. Flussrückbau und Auenvernetzung, hat die Staatsregierung in den letzten 10 Jahren durchgeführt oder begonnen? In den letzten 10 Jahren wurde eine Vielzahl von Renatu­ rierungen an bayerischen Gewässern durchgeführt. Die­ se fördern die Entwicklung der Flüsse einschließlich ihrer Auen. Wo immer es möglich und sinnvoll ist, wird versucht, dem Gewässer mehr Raum zu geben. Auch bei technischen Hochwasserschutzmaßnahmen werden ökologische Ziel­ setzungen integriert. Musterbeispiele für große umgesetzte Maßnahmen sind z. B: Wertach vital I, Isarplan, Deichrück­ verlegung Fridolfing, Dynamisierung Donauauen und Rena­ turierung Iller. Für den Bereich der Gewässer dritter Ordnung, an denen die Gemeinden für die Unterhaltung und den Ausbau zu­ ständig sind, bietet der Freistaat Förderungen für Vorhaben zur Verbesserung des natürlichen Rückhalts im Gewässer, der Aue und auf Feuchtflächen an. Der Fördersatz hierfür wurde in 2013 auf maximal 75 % angehoben. Der notwendi­ ge Grunderwerb kann hier ebenfalls gefördert werden. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 04.07.2014 17/2188 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2188 Zudem wurde in 2002 das Bayerische Auenprogramm ins Leben gerufen, das den Erhalt intakter Auen sowie die Auen­ entwicklung zum Ziel hat und somit ebenfalls zur Förderung des natürlichen Rückhalts an den bayerischen Gewässern beiträgt. In 2014 wurde die Phase IV des Auenprogramms gestartet. In dieser Phase sollen noch vorhandene Potent­ iale zum natürlichen Rückhalt in Bayern ermittelt werden. b) Welche Maßnahmen sind derzeit noch geplant? Auch weiterhin wird bei Wasserbaumaßnahmen darauf ge­ achtet, dass neben dem Schutz des Menschen auch die Natur von der Maßnahme profitieren wird. Besondere He­ rausforderungen in den nächsten Jahren stellen hier bei­ spielsweise die Großprojekte an Salzach und am Lech (z. B. Projekt Licca liber) dar. c) Aufgrund welcher Tatsachen geht die Staatsregierung angesichts der eigenen zeitlichen Zielsetzungen davon aus, dass die Ziele nun deutlich schneller erreicht werden können als in den vorhergehenden Jahren? Durch die zusätzlichen Mittel des Hochwasserschutz­Ak­ tionsprogramms (AP) 2020plus wird auch versucht, Maß­ nahmen des natürlichen Rückhalts schneller umzusetzen. Der Grunderwerb bleibt jedoch hier besonders schwierig, da die Nachfrage nach Immobilien und Grundstücken unge­ brochen hoch ist. Zudem wirkt auf die nur begrenzt vorhan­ denen Flächen ein erheblicher Nutzungsdruck z. B. durch die Landwirtschaft (Energiepflanzen). 2. a) Welche finanziellen Mittel in welcher Höhe wurden in den letzten 10 Jahren zur Förderung der natürlichen Gewässerentwicklung ausgegeben? Für ökologische Verbesserungen der Gewässer wurden in Bayern in den letzten Jahren pro Jahr ca. 40 Mio. € inves­ tiert. Im Jahr 2013 waren es sogar 50 Mio. €. b) Welche Mittel sind hierfür noch vorgesehen? Nicht nur reine ökologische Maßnahmen tragen zur Verbes­ serung der Gewässerstruktur bei, sondern in der Regel alle Wasserbaumaßnahmen durch ihren Ökoanteil, also z. B. auch technischer Hochwasserschutz. Eine feste Budgetie­ rung ist daher nicht vorgesehen. 3. a) Welche konkreten Aufgaben wurden für die Wasserwirtschaftsämter aktuell als dauerhafte bzw. als vorübergehende Aufgaben ermittelt? b) Wie viele Personen sind für diese Aufgaben jeweils mit welchem Stundenumfang eingeteilt? Für die Ermittlung der dauerhaften Aufgaben werden ge­ bietsspezifische Parameter, hydrologische sowie Art und Anzahl dauernd zu betreuender wasserwirtschaftlicher An­ lagen herangezogen. Eine Abgrenzung der Aufgaben bzw. des hierfür eingesetzten Personals im Hinblick auf den natürlichen Rückhalt an Gewässern ist bedingt durch die Systematik nicht möglich. Für vorübergehende Aufgaben werden Anzahl und Um­ fang der wasserwirtschaftlichen Vorhaben, z. B. Hochwas­ serschutzmaßnahmen, sowie von den Wasserwirtschafts­ ämtern betreute Projekte Dritter berücksichtigt. Bei den Vorhaben der staatlichen Wasserwirtschaft wurde in den letzten Jahren einschließlich der von den Wasser­ wirtschaftsämtern erstellten Basisstudien eine vierstellige Anzahl von Vorhaben in der Personalbemessung erfasst und berücksichtigt. Eine Auflistung aller konkreten einzel­ nen Aufgaben bzw. Projekte und Filterung im Hinblick auf den natürlichen Rückhalt an Gewässern ist mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Daher kann auch keine Auflistung erfolgen, wie viele Personen mit jeweils welchem Stunden­ umfang den einzelnen Aufgaben zugeteilt sind. Bezüglich der anstehenden staatlichen Hochwasser­ schutzvorhaben wird jedoch beispielhaft auf den Flussbe­ richt 2012 verwiesen (Langfassung), in welchem eine Viel­ zahl von Vorhaben aufgelistet ist. http://www.stmuv.bayern.de/umwelt/wasserwirtschaft/flues­ se_seen/flussbericht.htm 4. a) Warum stoppte die Staatsregierung 2011 die finanzielle Förderung des Auenzentrums NeuburgIngolstadt ? Der Freistaat Bayern hat das Auenzentrum Neuburg an der Donau durch eine befristete anteilige Projektstelle (50 %) zum Aufbau des „Auenforums“ innerhalb des Auenzentrums unterstützt. Die Stelle war am Landesamt für Umwelt ange­ siedelt und bei ihrer Genehmigung in 2008 von vornherein lediglich als befristeter Beitrag für eine Laufzeit von zwei Jahren angelegt. Nach einer zusätzlichen Verlängerung Ende 2009 lief die Stelle zum 31.12.2010 planmäßig aus. b) Wie hoch war diese Förderung? Die Kosten der Gesamtstelle am Landesamt für Umwelt be­ trugen jährlich rund 70.000 Euro und wurden aus Landes­ mitteln finanziert. Die Stelle stand zu 50 % für Aufgaben des Auenzentrums zur Verfügung. c) Wie kann aus Sicht der Staatsregierung die dadurch entstandene finanzielle Lücke für das Auenzentrum Neuburg-Ingolstadt geschlossen werden ? Da die Projektstelle von vornherein als befristete Stelle an­ gelegt war, ist keine finanzielle Lücke entstanden. 5. Aus welchen fachlichen Gründen werden in Bayern Gewässerrandstreifen, die zur Verbesserung der Wasserspeicherungsmöglichkeiten der Gewässer dienen, in Art. 21 BayWG abweichend zu § 38 WHG nicht gesetzlich festgelegt und keine konkreten Regelungen z. B bzgl. Umwandlung von Grünland in Ackerland getroffen? Gewässerrandstreifen sind aufgrund der vorhandenen Be­ lastungssituation der Gewässer in Bayern nicht flächende­ ckend erforderlich. Derzeit ist an 36 % der Flusswasserkör­ per das Anlegen von Gewässerrandstreifen als Maßnahme zur Beseitigung einer Belastung in den aktuellen Maßnah­ menprogrammen nach EG­Wasserrahmenrichtlinie vor­ gesehen. Eine Lösung, die sich an der fachlichen Erfor­ derlichkeit orientiert, wird der pauschalen Vorgabe eines 5 m­Streifens vorgezogen. Die landesrechtliche Regelung in Art. 21 BayWG ist auch deshalb der bundesrechtlichen Regelung in § 38 WHG vor­ zuziehen, da die WHG­Regelung lediglich den Erhalt des bestehenden Zustands sichert und keine weitergehende Entwicklung fordert (Verbot der Umwandlung von beste­ hendem Grünland in Ackerland, eine Rückumwandlung von Ackerland in Grünland ist nicht gefordert). Die bundesrecht­ liche Regelung sieht außerdem keinerlei einschränkende Maßnahmen bezüglich des ufernahen Einsatzes von Dün­ ger und Pflanzenschutzmitteln – über das landwirtschaftli­ Drucksache 17/2188 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 che Fachrecht hinaus – verpflichtend vor. Mit der Regelung des Art. 21 BayWG sind über vertragliche Vereinbarungen bzw. Förderprogramme an die konkrete Belastungssituation angepasste Lösungen möglich. Die verschiedenen Funkti­ onen des Gewässerrandstreifens vom reinen Pufferstreifen bis hin zur vollständigen Uferrenaturierung stehen damit zur Verfügung. Mit der freiwilligen Inanspruchnahme von KU­ LAP­Maßnahmen verpflichten sich Landwirte zu wesentlich höherwertigeren Auflagen im Vergleich zur Vorgabe nach § 38 WHG, zum Teil wird auch das gesamte Feldstück in die KULAP­Maßnahme einbezogen. Damit Landwirte die für ih­ ren Betrieb und die jeweilige Situation am Gewässer pas­ senden Maßnahmen finden und umsetzen, wurden bereits im Jahr 2009 an Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten spezielle Wasserberater eingestellt. Das Prinzip „Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht“ entspricht dem allgemeinen Umsetzungsprinzip zur EG­Wasserrah­ menrichtlinie. Es muss sich allerdings an den erzielten Erfol­ gen messen lassen. Die Erreichung der Ziele aus der EG­ Wasserrahmenrichtlinie spielt hier bei der Bewertung eine wesentliche Rolle. 6. a) Welche Deiche wurden seit 2011 zurückverlegt, Eine genaue Zahl liegt dem StMUV derzeit nicht vor. Ein gutes Beispiel, welches seit 2011 umgesetzt wurde, ist die Deichrückverlegung bei Natternberg an der Donau. Die Deichrückverlegung bei Oberemmerting an der Alz ist der­ zeit im Bau. b) Welche Standorte kommen für eine Rückverlegung noch infrage? Wo immer möglich und sinnvoll, werden Deichrückverle­ gungen in die Planungsüberlegungen einbezogen. In den nächsten Jahren werden z. B. an der Isar bei Niederhummel oder an der Donau Deiche zurückverlegt. c) Wie erfolgt die Prüfung bezüglich der Möglichkeit einer Rückverlegung? Die Prüfung ist stets abhängig vom Einzelfall. Hier spielen vor allem Faktoren der Grundstücksverfügbarkeit, ökolo­ gische Randbedingungen, Grundwasserverhältnisse und technische Realisierbarkeit eine Rolle. 7. a) Was ergab die bayernweite Prüfung bezüglich der Frage, wo in Bayern noch reaktivierbare Rückhalteräume vorhanden sind, b) Welche konkreten Flächen sind zur Nutzung als Rückhalteräume geeignet? c) Nach welcher Methode und welchen Kriterien erfolgte die Überprüfung? Im Einzugsgebiet der Donau und des Inn wurden durch die TU München (Donau) und durch die Verbund Innkraftwerke GmbH (Inn) Standorte für gesteuerte Flutpolder wissen­ schaftlich identifiziert und deren Wirksamkeit abgeschätzt. Für das weitere Einzugsgebiet der Donau (einschließlich Inn) sollen vertiefende Untersuchungen durchgeführt wer­ den. Für das Einzugsgebiet des bayerischen Main sollen im Zuge des Vorsorgegedankens weitere überregionale Rückhalteräume identifiziert werden. Eine Ermittlung noch vorhandener Potenziale für den natürlichen Rückhalt läuft derzeit im Rahmen der Phase IV des Bayerischen Auenpro­ gramms.