Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Bernhard Roos SPD vom 19.03.2018 Luftreinhaltung im Zusammenhang mit der Dieselgate- Affäre Die Staatsregierung wurde bereits durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Tätigwerden hinsichtlich der Luftreinhaltung verurteilt, ohne dass die Verurteilung die Staatsregierung zu einer Intensivierung ihrer Bestrebungen veranlasst hätte. Es wurden Zwangsgelder verhängt, die ganz offensichtlich ebenfalls keinen Eindruck machen konnten. Nennenswerte Fortschritte im Bereich der Luftreinhaltung jedenfalls vermag die Staatsregierung nicht zu vermelden. Nunmehr drohen nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in mehreren bayerischen Städten und Regionen. Ich frage die Staatsregierung: 1. Beabsichtigt die Staatsregierung nunmehr den Richterspruch der obersten deutschen Verwaltungsrichter ernst zu nehmen und ein Maßnahmenpaket zur Reinhaltung der Luft in Bayern zu verabschieden? 2. Falls ja, welche Maßnahmen werden hierbei von der Staatsregierung bevorzugt? 3. Welche Schritte werden derzeit konkret von der Staatsregierung unternommen, um Dieselfahrverbote zu verhindern? 4. Wie bewertet die Staatsregierung die von der früheren Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dr. Barbara Hendricks ins Gespräch gebrachten blauen Plaketten? 5. a) Wie bewertet die Staatsregierung den Vorschlag, die Steuervergünstigung des Dieselkraftstoffes abzuschaffen ? b) Hält sie gar eine höhere Besteuerung für möglich und/ oder sinnvoll? 6. Welche Realisierungsmöglichkeiten sieht die Staatsregierung für den unter anderem vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV) vorgetragenen Vorschlag zur Schaffung eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)? 7. Inwieweit beabsichtigt die Staatsregierung im Rahmen der Erarbeitung eines Luftreinhaltungskonzeptes die deutsche Automobilindustrie mit in die Pflicht zu nehmen ? 8. Beabsichtigt die Staatsregierung die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um den Kommunen die Umrüstung auf Elektrobusse zu ermöglichen? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern und für Integration, dem Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, dem Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat sowie dem Staatsministerium für Wirtschaft, Energie und Technologie vom 24.04.2018 1. Beabsichtigt die Staatsregierung nunmehr den Richterspruch der obersten deutschen Verwaltungsrichter ernst zu nehmen und ein Maßnahmenpaket zur Reinhaltung der Luft in Bayern zu verabschieden? Die Staatsregierung nimmt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ernst. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt jedoch noch nicht vor. Diese wird intensiv geprüft werden. Ein umfangreiches konkretes Maßnahmenpaket einschließlich der Maßnahmen, die in der gemeinsamen Erklärung der Staatsregierung mit der bayerischen Fahrzeugindustrie vom 28.06.2017 und in dem Positionspapier der Ministerpräsidenten der Automobilländer zur Zukunft der Automobilwirtschaft vom 07.07.2017 enthalten sind, hat das bayerische Kabinett bereits am 18.07.2017 beschlossen . Die Staatsregierung setzt damit auf Anreize anstatt auf Verbote. 2. Falls ja, welche Maßnahmen werden hierbei von der Staatsregierung bevorzugt? Die wichtigsten Bestandteile des Maßnahmenpakets sind: – zügige Verbesserung der Flottenwerte, – Förderung innovativer Antriebe/Elektromobilität, – Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV, – Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs, – Maßnahmen zur Unterstützung nachhaltiger Mobilitätskonzepte . 3. Welche Schritte werden derzeit konkret von der Staatsregierung unternommen, um Dieselfahrverbote zu verhindern? Die kurzfristig greifenden Maßnahmen wie Software-Nachrüstungen und Umstiegsprämien werden seit Verabschiedung des Maßnahmenpakets durch den Ministerrat von den Herstellern zügig umgesetzt. Weitere Vorhaben zur Flottenerneuerung wie Kaufanreize für modernste Dieselfahrzeuge Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter w w w . bayern . landtag . de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter w w w . bayern . landtag . de–Aktuelles/ Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 03.09.2018 Drucksache 17/21967 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/21967 und ein Umrüstprogramm für Stadtbusse wurden auf Bundesebene angestoßen. Zur weiteren Verbreitung der Elektromobilität hat die Staatsregierung sowohl die Forschungsgelder für die Zukunftstechnologie der Festkörperbatterie als auch die Mittel zum Aufbau der Ladesäuleninfrastruktur deutlich aufgestockt . Auf Bundesebene hat sich die Staatsregierung für die Verbesserung der Rahmen- und Investitionsbedingungen für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Batteriezellenfertigung in Deutschland gemäß der in die Roadmap integrierte Zellen- und Batterieproduktion der Nationalen Plattform Elektromobilität (z. B. durch Einstufung als Industrieprojekt von gemeinsamem europäischen Interesse) eingesetzt und den Bund zu einer Verstärkung der Fördermittel für neueste Batteriezellenforschung aufgefordert. In der Technologieförderung hat die Staatsregierung Schwerpunkte in den Bereichen alternative Antriebe und synthetische Kraftstoffe gebildet und eine finanzielle Aufstockung der entsprechenden Fördermöglichkeiten bereits im Nachtragshaushalt 2018 erreicht. Als eine zentrale Maßnahme erachtet die Staatsregierung , den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr zum öffentlichen Personennahverkehr zu erleichtern. Die Planung, Organisation und Sicherstellung des allgemeinen öffentlichen Personennahverkehrs liegt im Aufgabenbereich der Kommunen. Die Staatsregierung unterstützt von NO2-Grenzwertüberschreitungen betroffene Kommunen finan ziell mit entsprechenden Fördermitteln. Das Gesamtpaket für die Jahre 2018 bis 2022 soll ca. 404 Mio. Euro umfassen. Die ersten Mittel wurden bereits im Nachtragshaushalt 2018 berücksichtigt. Das bayerische Programm ist abgestimmt auf das Programm des Bundes und ergänzt dieses sinnvoll. Die Vertreter der Lotsenstelle des Bundes haben erklärt, dass sie sowohl Umfang als auch Inhalt des bayerischen Maßnahmenpakets für vorbildlich erachten. Die Staatsregierung hat durch Schreiben und Infoveranstaltungen die betroffenen Kommunen informiert. Nun ist es Aufgabe der betroffenen Städte, aus ihrer Sicht geeignete Maßnahmen zu entwickeln und das Förderangebot sinnvoll zu nutzen. Zur Stärkung des Radverkehrs werden 2018 die ersten Schritte für die Konzeption eines bayernweiten Alltags- Radverkehrsnetzes begonnen. In die Pilotprojekte für Radschnellwege in den Großräumen Nürnberg und München ist die Staatsregierung eingebunden. Im Jahr 2018 wurde die Förderung für die Errichtung von Fahrradabstellanlagen an Haltestellen und Bahnhöfen von 50 Prozent auf bis zu 75 Prozent der förderfähigen Kosten erhöht. Erstmals gibt es in diesem Jahr Fördermöglichkeiten für innovative Pilotprojekte im Radverkehr, beispielsweise vollautomatisierte Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen und ÖV-Haltestellen (ÖV = öffentliche Verkehrsmittel) oder in zentralen innerstädtischen Lagen. Die Unterstützung nachhaltiger Mobilitätskonzepte wird zum Großteil durch das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017–2020“ des Bundes abgedeckt, mit dem auch die Erstellung von individuellen Masterplänen zur Ausarbeitung von passgenauen Maßnahmen für eine bessere Luftqualität in den jeweiligen Kommunen gefördert werden soll. Die Masterpläne können Maßnahmen zur Digitalisierung des Verkehrs, zur Vernetzung von Verkehrsträgern, zur Elektrifizierung , zur Radverkehrsförderung oder zur urbanen Logistik umfassen. Mit der Fertigstellung der Masterpläne wird bis Sommer 2018 gerechnet. Ergänzt werden die Maßnahmen aus dem Masterplan im Raum München durch den Verkehrspakt München, der verschiedene Maßnahmen im Verkehrsbereich anstößt und beschleunigt. 4. Wie bewertet die Staatsregierung die von der früheren Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dr. Barbara Hendricks ins Gespräch gebrachten blauen Plaketten? Von verschiedenen Stellen werden „blaue“ Plaketten vorgeschlagen , um die Luftqualität zu verbessern, indem emissionsfreie oder besonders emissionsarme Fahrzeuge gekennzeichnet werden können. Es gibt aber derzeit auf Bundesebene keine Anzeichen, die Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung von 2006 – 35. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV) über das System von roter, gelber und grüner Plakette hinaus fortzuschreiben. Die Staatsregierung lehnt pauschale Fahrverbote ab, weil sie weder verhältnismäßig noch sinnvoll sind. Sie würden Dieselfahrzeughaltern, Pendlern, Handwerkern und anderen innerstädtischen Gewerben nicht zumutbare Härten auferlegen . 5. a) Wie bewertet die Staatsregierung den Vorschlag, die Steuervergünstigung des Dieselkraftstoffes abzuschaffen? Diesel- und Benzinkraftstoffe unterliegen der Energie steuer. Hierbei handelt es sich um eine reine Bundessteuer, da nach der Finanzverfassung des Grundgesetzes die Gesetzgebungs -, Ertrags- und Verwaltungskompetenz dem Bund obliegt. Dieselkraftstoff unterliegt im Vergleich zu Benzin einer deutlich niedrigeren Energiesteuer. Diese differenzierte Energiesteuer hat ihre vorrangige Ursache in der internationalen Wettbewerbssituation des Güterverkehrsgewerbes. Eine stärkere Besteuerung von Dieselkraftstoff würde zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zulasten des deutschen Transportgewerbes führen. Dieser Aspekt steht einer Vereinheitlichung der Energiesteuersätze für die genannten Kraftstoffe entgegen. Bei Personenkraftwagen (Pkw) wird der energiesteuerliche Vorteil im Übrigen durch eine höhere Kraftfahrzeugsteuer kompensiert. Eine steuerliche Förderung für Diesel- Pkw liegt somit im Ergebnis nicht vor. b) Hält sie gar eine höhere Besteuerung für möglich und/oder sinnvoll? Eine höhere Besteuerung würde insbesondere zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten des deutschen Güterverkehrsgewerbes führen sowie Bürger und Unternehmen stärker belasten. Die Staatsregierung lehnt eine derartige Steuererhöhung daher ab. Eine Steuererhöhung im nationalen Alleingang wäre darüber hinaus wegen des zu erwartenden zunehmenden Tanktourismus, verbunden mit Einnahmeverlusten für bayerische Tankstellenbetreiber weder aus ökologischer noch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll. Drucksache 17/21967 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 6. Welche Realisierungsmöglichkeiten sieht die Staatsregierung für den unter anderem vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV) vorgetragenen Vorschlag zur Schaffung eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)? Die Realisierung eines kostenlosen ÖPNV hängt von finanziellen , technischen und organisatorischen Randbedingungen ab: Bereits heute wird der ÖPNV nicht nur durch die Nutzer, sondern auch zu einem deutlichen Anteil von der Allgemeinheit durch die Verwendung von Steuereinnahmen finanziert. Die Refinanzierung des kostenlosen ÖPNV durch die öffentliche Hand müsste durch die Einsparung von Ausgaben für die Verkehrsleistungen oder die Erhöhung von Einnahmen an anderer Stelle erfolgen. Die Leistungsfähigkeit des ÖPNV stößt in den großen Städten, wie z. B. München, in den Hauptverkehrszeiten schon jetzt an ihre Grenze. Für eine weitere Zunahme der Fahrgäste im ÖPNV ist zunächst ein attraktives Angebot vor Ort mit ausreichenden Kapazitäten notwendig. Während in kleineren Städten ein zusätzlicher Einsatz von Bussen die Kapazitäten kurzfristig erhöhen kann, ist dies in größeren Städten mit schienengebundenen Verkehrsmitteln nicht möglich. Hier sind insbesondere lange Planungs- und Bauzeiten zu berücksichtigen. Die Einführung einer kostenlosen Fahrtberechtigung für den ÖPNV kann grundsätzlich zu einer Verlagerung von Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr führen. Die Erfahrungen aus den anderen Städten zeigen auch, dass ein kostenloser ÖPNV im Einzelfall zu einer deutlichen Zunahme der Fahrgäste führen kann, allerdings häufig auch zulasten des Anteils des umweltfreundlichen Radverkehrs. Trotzdem musste die Mehrzahl der Projekte für einen kostenlosen ÖPNV im In- und Ausland abgebrochen werden. Zum einen waren die Fahrgeldeinnahmeausfälle durch den Nulltarif zusammen mit den Mehrkosten für die notwendigen Kapazitätsausweitungen durch die öffentliche Hand zu finanzieren, zum anderen führte die Einführung des kostenlosen ÖPNV nicht automatisch zu einer ausreichenden Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs auf den ÖPNV. 7. Inwieweit beabsichtigt die Staatsregierung im Rahmen der Erarbeitung eines Luftreinhaltungskonzeptes die deutsche Automobilindustrie mit in die Pflicht zu nehmen? Sowohl auf der Ebene der Staatsregierung (siehe auch Antwort zu Frage 1) wie auch des Bundes (Nationales Forum Diesel) werden intensive Gespräche geführt, um Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen, die zwar zum Zeitpunkt der Zulassung die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt haben, nun aber nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprechen , zu erreichen. Dies kann nur auf freiwilliger Basis ohne Verpflichtung der Hersteller zur Nachrüstung und Kostenübernahme geschehen. Vereinbarungen auf dieser Ebene werden dann auch einen positiven Effekt für ein auf eine bestimmte Kommune bezogenes Luftreinhaltungskonzept, das in einen Luftreinhalteplan mündet, haben. 8. Beabsichtigt die Staatsregierung die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um den Kommunen die Umrüstung auf Elektrobusse zu ermöglichen? Im Rahmen des Maßnahmenpakets ist veranschlagt, bis ins Jahr 2022 voraussichtlich 26,4 Mio. Euro auch für die Förderung von Elektrobussen zu verwenden. Die Umrüstung auf Elektrobusse wird auch vom Bund im Rahmen des „Sofortprogramms Saubere Luft 2017 – 2020“ gefördert. Dabei schöpft der Bund die beihilferechtlichen Höchstgrenzen aus. Soweit der Bund nicht alle Förderanträge bedient, greift das Maßnahmenpaket der Staatsregierung. Aktuell wird geprüft, wie die Förderung des Bundes in diesem Punkt durch das Maßnahmenpaket der Staatsregierung am effektivsten ergänzt werden kann.