Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 04.04.2018 Abschiebung von M. D. Vorbemerkung: Am 26.03.2018 wurde der Afghane M. D. von der Polizei aus seiner Unterkunft in Obergünzburg abgeholt und anschließend nach Kabul abgeschoben. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan wurden Abschiebungen dorthin eingegrenzt auf Straftäter, Gefährder und sog. hartnäckige Identitätsverweigerer. M. D. ist weder Straftäter noch Gefährder . M. D. wurde als sog. Identitätsverweigerer abgeschoben , obwohl er nach langen Bemühungen und Schwierigkeiten eine Tazkira erfolgreich beschafft hat und bereits 14 Tage vor der Abschiebung ein Bild seiner Original-Tazkira an die Ausländerbehörde schickte mit dem Hinweis, er werde sobald möglich das Originaldokument vorlegen. Seit zwei Tagen vor der Abschiebung war er im Besitz der Tazkira, die wegen der Lage in Afghanistan für ihn schwer zu beschaffen war. Dennoch wurde seine Abschiebung nicht gestoppt. Ich frage die Staatsregierung: 1.1 Warum wurde entschieden, Herrn M. D. im März 2018 abzuschieben, obwohl der zuständigen Ausländerbehörde bekannt war, dass zeitnah eine Tazkira des Betroffenen vorgelegt werden würde und ihr bereits eine Kopie vorab zugesandt wurde? 1.2 Wie genau ist der Begriff des hartnäckigen Identitätsverweigerers definiert? 1.3 Wie kann der Widerspruch zwischen dem Vorwurf hartnäckiger Identitätsverweigerung und der Tatsache einer baldigen Vorlage der Tazkira in Verbindung mit den dafür aufgewendeten Bemühungen des Herrn M. D. aufgelöst werden? 2.1 Seit wann wurde Herr M. D. als hartnäckiger Identitätsverweigerer eingestuft? 2.2 Wurde Herrn M. D. oder seinem Anwalt bzw. Bevollmächtigtem diese Einstufung mitgeteilt? 2.3 Warum blieben die Bemühungen um eine Tazkira in den vergangenen fünf Monaten unberücksichtigt , sodass das Abschiebeausreisedokument vom 08.11.2017 durch die zuständige Ausländerbehörde nicht korrigiert wurde? 3.1 Welche Maßnahmen zur Identitätsklärung wurden von Herrn M. D. bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags im November 2016 gefordert ? 3.2 Wann und wie oft wurde Herr M. D. seit der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung aufgefordert? 3.3 Welche konkreten Maßnahmen hätte er aus Sicht der Staatsregierung ergreifen müssen? 4.1 Wann hat die zuständige Ausländerbehörde von der bevorstehenden Vorlage der Original-Tazkira des Herrn M. D. Kenntnis erhalten? 4.2 Wie wurde auf eine solche Information reagiert (beispielsweise etwa durch eine Rückmeldung an Herrn M. D.)? 4.3 Seit wann ist die zuständige Ausländerbehörde in Besitz einer Kopie oder einer Abbildung der Original-Tazkira des Herrn M. D.? 5.1 Wie viele vollziehbar ausreisepflichtige Afghanen gibt es derzeit in Bayern? 5.2 Wie viele von ihnen haben bisher keinen Identitätsnachweis erbringen können? 5.3 Wie viele von ihnen werden derzeit als hartnäckige Identitätsverweigerer eingestuft? 6.1 Hat Herr M. D. in der Vergangenheit Anträge auf Arbeitserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung gestellt? 6.2 Wenn ja, wie wurde darüber entschieden? 7.1 Warum wurde der Sachbearbeiterwechsel der ehrenamtlichen Helferin C. K., die bis zu diesem Zeitpunkt in Austausch mit der zuständigen Sachbearbeiterin stand und hierzu vom Herrn M. D. beauftragt worden war, nicht seitens der Behörde von sich aus mitgeteilt? 7.2 Kann die Staatsregierung ausschließen, dass der Sachbearbeiterwechsel zu einer Verzögerung hinsichtlich der Kenntnisnahme der E-Mail mit einer Kopie der Original-Tazkira und der damit verbundenen Ankündigung einer zeitnahen Nachreichung des Originaldokuments geführt hat? 7.3 Warum hat Herr M. D. lediglich ein Abschiebeausreisedokument vom 08.11.2017 erhalten und kein aktualisiertes ? 8.1 Wurde die vorgelegte Kopie der Tazkira geprüft? 8.2 Gab es Zweifel an der Gültigkeit der Tazkira? 8.3 Wenn ja, wurde Herr M. D. über diese Zweifel informiert ? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter w w w . bayern . landtag . de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter w w w . bayern . landtag . de–Aktuelles/ Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 10.09.2018 Drucksache 17/22057 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/22057 Antwort des Staatsministeriums des Innern und für Integration vom 07.05.2018 1.1 Warum wurde entschieden, Herrn M. D. im März 2018 abzuschieben, obwohl der zuständigen Ausländerbehörde bekannt war, dass zeitnah eine Tazkira des Betroffenen vorgelegt werden würde und ihr bereits eine Kopie vorab zugesandt wurde? Herrn M. D. waren spätestens seit dem 22.07.2016 seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten zur Identitätsklärung bekannt. Er kam den diesbezüglichen Aufforderungen der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde Schwaben (ZAB Schwaben) nicht nach. Herr M. D. hielt sich über zwei Jahre in der Bundesrepublik Deutschland auf, ohne den Behörden ein identitätsklärendes Dokument im Original vorzulegen. Der ZAB Schwaben war nicht bekannt, wann sie eine Original-Tazkira des Herr M. D. erhalten würde. Eine Kopie einer Tazkira reicht zur gesicherten zweifelsfreien Identitätsklärung nicht aus. 1.2 Wie genau ist der Begriff des hartnäckigen Identitätsverweigerers definiert? Die Vereinbarung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und des Auswärtigen Amtes vom 01.06.2017 lässt ausdrücklich nur die Abschiebung von Mitwirkungsverweigerern zu, die bis zum Tag ihrer Abschiebung bzw. bis zum Tag ihres Untertauchens hartnäckig ihre Identitätsfeststellung trotz mehrfacher diesbezüglicher behördlicher Belehrung verweigerten. Die Einordnung in die Gruppe der „hartnäckigen Identitätsverweigerer“ erfordert in jedem Einzelfall eine besondere Beharrlichkeit der Verweigerung an der Mitwirkung bei der individuellen Identitätsklärung. Dies lässt sich für die Ausländerbehörden dadurch feststellen, dass der ausländische Staatsangehörige trotz des ausländerbehördlichen Hinweises bereits zuvor vorsätzlich gegen seine Mitwirkungsverpflichtung an seiner Identitätsklärung verstoßen hat. Im Übrigen schreiben sowohl §§ 15, 16 Asylgesetz (AsylG) als auch §§ 47a, 48, 49, 82 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) für Asylbewerber und ausländische Staatsangehörige Pflichten zur Mitwirkung an der Feststellung und Sicherung ihrer Identität durch die Behörden vor. 1.3 Wie kann der Widerspruch zwischen dem Vorwurf hartnäckiger Identitätsverweigerung und der Tatsache einer baldigen Vorlage der Tazkira in Verbindung mit den dafür aufgewendeten Bemühungen des Herrn M. D. aufgelöst werden? Herr M. D. hatte seit der ersten Belehrung keine zielführenden und ernsthaften Bemühungen zur Erlangung eines identitätsklärenden Dokuments gezeigt. Diese Feststellung der ZAB Schwaben wurde noch am Tag der Abschiebung sowohl vom Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg als auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidungen von Rechtsmitteln bestätigt. Herr M. D. änderte mehrfach seine Angaben zum Verbleib etwaiger Dokumente. Auch enthielt das dann vorgelegte Lichtbild einer Tazkira Hinweise, die erhebliche Zweifel an deren Echtheit begründeten. 2.1 Seit wann wurde Herr M. D. als hartnäckiger Identitätsverweigerer eingestuft? Die Einstufung einer vollziehbar ausreisepflichtigen Person in eine der drei Gruppen, welche derzeit nach Afghanistan abgeschoben werden können, wird regelmäßig unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bis zum Tag der Abschiebung durch die zuständigen Ausländerbehörden bewertet. 2.2 Wurde Herrn M. D. oder seinem Anwalt bzw. Bevollmächtigtem diese Einstufung mitgeteilt? Nein. Herr M. D. wurde mehrfach durch die zuständigen Behörden darüber belehrt, dass er gesetzlich zur Mitwirkung an der Feststellung und Sicherung seiner Identität verpflichtet ist. 2.3 Warum blieben die Bemühungen um eine Tazkira in den vergangenen fünf Monaten unberücksichtigt , sodass das Abschiebeausreisedokument vom 08.11.2017 durch die zuständige Ausländerbehörde nicht korrigiert wurde? Auf die Antwort zu Frage 1.3 wird verwiesen. 3.1 Welche Maßnahmen zur Identitätsklärung wurden von Herrn M. D. bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags im November 2016 gefordert? Herr M. D. gab bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Juli 2016 niederschriftlich an, dass er sich die Tazkira seines Vaters, in die er als Kind eingetragen wurde, zuschicken lassen könnte. Er wurde aus diesem Grund aufgefordert, diese nachzureichen. Da diese Tazkira in der Folge von Herrn M. D. nicht vorgelegt wurde, wurde er im November 2016 durch die ZAB Schwaben über seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten belehrt und aufgefordert, die von ihm als mögliche weitere Identitätsdokumente benannten Unterlagen vorzulegen. Anfang Dezember 2016 wurde Herr M. D. erneut schriftlich über seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten zur Identitätsklärung informiert. In der Folge erklärte Herr M. D., dass es entgegen seinen bisherigen Angaben keine Tazkira von ihm gäbe. Anfang März 2017 übersandte Herr M. D. zwei Fotos eines „Tazkiraheftchens“ und erklärte, dieses würde seinem Bruder gehören. Herr M. D. reichte allerdings nur die Kopie der Vorderseite der Tazkira sowie die Seite mit dem Lichtbild und den Angaben zum Ausstellungsort, der Seriennummer und den Merkmalen wie Größe, Augenfarbe, Hautfarbe etc. ein. Einen Namen enthielten die Kopien nicht, weshalb nicht nachvollzogen werden konnte, wem diese Tazkira überhaupt gehörte. 3.2 Wann und wie oft wurde Herr M. D. seit der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung aufgefordert? Herr M. D. wurde ab dem Eintritt seiner vollziehbaren Ausreisepflicht Ende Januar 2017 sechs Mal über seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten bei der Identitätsklärung belehrt. Die Belehrungen erfolgten mit Schreiben vom 21.02.2017, mit Schreiben vom 23.03.2017, am 03.04.2017 persönlich unter Hinzuziehung eines Dolmetschers, mit Schreiben vom Drucksache 17/22057 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 26.05.2017, am 23.06.2017 persönlich unter Hinzuziehung eines Dolmetschers sowie mit Schreiben vom 20.12.2017. 3.3 Welche konkreten Maßnahmen hätte er aus Sicht der Staatsregierung ergreifen müssen? §§ 15, 16 Asylgesetz (AsylG) als auch §§ 47a, 48, 49, 82 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) legen für Asylbewerber und ausländische Staatsangehörige Pflichten zur Mitwirkung an der Feststellung und Sicherung ihrer Identität durch die Behörden fest. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3.2 verwiesen. 4.1 Wann hat die zuständige Ausländerbehörde von der bevorstehenden Vorlage der Original-Tazkira des Herrn M. D. Kenntnis erhalten? Die ZAB Schwaben erhielt am 07.03.2018 ein Lichtbild einer Tazkira. Es gab jedoch keine Angabe dahin gehend, wann das Original vorliegen wird. 4.2 Wie wurde auf eine solche Information reagiert (beispielsweise etwa durch eine Rückmeldung an Herrn M. D.)? Das übersandte Lichtbild wurde zur Kenntnis genommen. 4.3 Seit wann ist die zuständige Ausländerbehörde in Besitz einer Kopie oder einer Abbildung der Original -Tazkira des Herrn M. D.? Seit dem 07.03.2018. 5.1 Wie viele vollziehbar ausreisepflichtige Afghanen gibt es derzeit in Bayern? Zum Stichtag 31.03.2018 waren in Bayern nach Auswertung des Ausländerzentralregisters 2.580 afghanische Staatsangehörige vollziehbar ausreisepflichtig. 5.2 Wie viele von ihnen haben bisher keinen Identitätsnachweis erbringen können? 5.3 Wie viele von ihnen werden derzeit als hartnäckige Identitätsverweigerer eingestuft? Statistische Angaben liegen der Staatsregierung nicht vor. Ihre Erhebung wäre nur mit einem nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand möglich. 6.1 Hat Herr M. D. in der Vergangenheit Anträge auf Arbeitserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung gestellt ? 6.2 Wenn ja, wie wurde darüber entschieden? Herr M. D. beantragte über seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt am Tag seiner Abschiebung beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg eine Arbeitserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung. Ein unterschriebener und eingetragener Ausbildungsvertrag lag nicht vor. Über diesen Antrag wurde daher nicht entschieden. 7.1 Warum wurde der Sachbearbeiterwechsel der ehrenamtlichen Helferin C. K., die bis zu diesem Zeitpunkt in Austausch mit der zuständigen Sachbearbeiterin stand und hierzu vom Herrn M. D. beauftragt worden war, nicht seitens der Behörde von sich aus mitgeteilt? 7.2 Kann die Staatsregierung ausschließen, dass der Sachbearbeiterwechsel zu einer Verzögerung hinsichtlich der Kenntnisnahme der E-Mail mit einer Kopie der Original-Tazkira und der damit verbundenen Ankündigung einer zeitnahen Nachreichung des Originaldokuments geführt hat? Die Zuordnung in der Sachbearbeitung ist eine innerbehördliche Angelegenheit ohne Außenwirkung. 7.3 Warum hat Herr M. D. lediglich ein Abschiebeausreisedokument vom 08.11.2017 erhalten und kein aktualisiertes? Eine Erneuerung des Laissez Passer war nicht notwendig. 8.1 Wurde die vorgelegte Kopie der Tazkira geprüft? Ja. Eine Echtheitsprüfung ist allerdings bei einer Kopie nicht möglich. 8.2 Gab es Zweifel an der Gültigkeit der Tazkira? Ja. 8.3 Wenn ja, wurde Herr M. D. über diese Zweifel informiert ? Nein.