Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 17.04.2014 Provenienzforschung an staatlichen Museen 1. In welchem Umfang wurden seit der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 vom Freistaat Bayern Mittel für die Provenienzforschung an staatlichen Museen bereitgestellt (aufgeschlüsselt nach Jahren)? a) In welchem Umfang wurden die seit der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 für die Provenienzforschung an staatlichen Museen bereitgestellten Mittel ausgeschöpft (aufgeschlüsselt nach Jahren)? b) Von welchen staatlichen Einrichtungen und zu welchem konkreten (Forschungs-)Zweck wurden die ausgeschöpften Mittel verwendet? 2. Welche Kunstwerke konnten aufgrund der entspre- chenden Forschungsprojekte von staatlichen Einrichtungen restituiert werden (aufgeschlüsselt nach Jahren , Kunstwerken und Einrichtungen)? 3. In wie vielen Fällen besteht der Verdacht, dass es sich dabei um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelt (aufgeschlüsselt nach Kunstwerken und Museen)? 4. Welche Fälle, in denen Anspruchsteller gegenüber staatlichen Museen in Bayern die Herausgabe von Kunstwerken fordern, bei denen der Verdacht besteht, dass es sich dabei um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelt, sind der Staatsregierung derzeit bekannt (aufgeschlüsselt nach Kunstwerken und Museen)? a) Wie ist in diesen Fällen jeweils der Stand der Provenienzrecherche bzw. der Verhandlungen zwischen den betroffenen Museen und den Anspruchstellern? b) Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand hinsichtlich der Restitutionsansprüche der Erbengemeinschaft Hagen , die gegenüber den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die Herausgabe des Bildes „The lemon slice“ von Jacob Ochtervelt fordert? 5. Welche Ergebnisse hat das Forschungsprojekt „Das Schicksal jüdischer Kunstsammler und Händler in München 1933–1945“ erbracht? a) Wie beurteilt die Staatsregierung die Aussagen des österreichischen Kunstexperten Alfred Weidinger, der laut dpa (06.11.13) kritisierte, bayerische Restitutionsforscher hätten nicht „ordentlich gearbeitet“: „Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Wenn man im Jahr 2013 darauf kommt, dass es in München die Sammlung Gurlitt gibt, dann haben die ihren Job nicht richtig gemacht.“ Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 28.05.2014 1. In welchem Umfang wurden seit der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 vom Freistaat Bayern Mittel für die Provenienzforschung an staatlichen Museen bereitgestellt (aufgeschlüsselt nach Jahren)? a) In welchem Umfang wurden die seit der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998 für die Provenienzforschung an staatlichen Museen bereitgestellten Mittel ausgeschöpft (aufgeschlüsselt nach Jahren)? b) Von welchen staatlichen Einrichtungen und zu welchem konkreten (Forschungs-)Zweck wurden die ausgeschöpften Mittel verwendet? Die Maßnahmen der Provenienzforschung werden aus den allgemeinen Haushaltsansätzen der staatlichen Museen bei Kap. 15 70 finanziert. Ein spezieller zweckgebundener Ausgabetitel existiert insoweit nicht. Eine Angabe der Ausgaben für Provenienzforschung ist daher nicht möglich. 2. Welche Kunstwerke konnten aufgrund der entsprechenden Forschungsprojekte von staatlichen Einrichtungen restituiert werden (aufgeschlüsselt nach Jahren, Kunstwerken und Einrichtungen)? Abgebendes Museum Kunstwerk Jahr der Restitution Begünstigter Bayerische Staatsgemäldesammlungen Jan Brueghel d. Ä. (Werkstatt) „Blumenstrauß in einer Tonvase“ 2012 Erben nach Julius Kien Bayerische Staatsgemäldesammlungen Narcisse Virgilio Diaz de la Pena „Die verletzte Eurydike“ 2013 Erben nach Eduard Behrens Bayerische Staatsgemäldesammlungen Leopold Graf von Kalckreuth „Des Menschen Leben währet 70 Jahre“ 2000 Erben nach Elisabeth Glanville Bayerische Staatsgemäldesammlungen Willem Kalf „Stilleben mit Porzellankanne“ 2008 Erben nach Josef Block Bayerische Staatsgemäldesammlungen Kölnisch um 1460 „Ein Apostel“ 2010 Erben nach A. L. Mayer Bayerische Staatsgemäldesammlungen Cristoforo de‘Moretti „Maria mit dem Kinde, den hll. Heiligen Anna, Antonius und Petrus Martyr“ 2010 Erben nach A. L. Mayer Bayerische Staatsgemäldesammlungen Oberitalienisch „Christus vor Pilatus“ 2010 Erben nach A. L. Mayer Bayerische Staatsgemäldesammlungen Max Pechstein „Weißes Haus an der Straße“ 2013 Erben nach Curt Glaser Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 18.07.2014 17/2206 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2206 Bayerische Staatsgemäldesammlungen Max Pechstein „Wiesental in den Bergen mit Straße und Schloß“ 2013 Erben nach Curt Glaser Bayerische Staatsgemäldesammlungen Fritz Schider „Musikalische Unterhaltung“ 2005 Erben nach Max Meirowsky Bayerische Staatsgemäldesammlungen Hans Thoma „Dämmerung am Gardasee “ 2004 Erben nach Ottmar Strauss Bayerische Staatsgemäldesammlungen Wilhelm Thöny „Auf einem Stuhl sitzende Dame“ 2010 Erben nach A. L. Mayer Bayerisches Nationalmuseum Figur „Merkur“ 2012 Erben nach A. L. Mayer Bayerisches Nationalmuseum Tapisserie „Allegorische Szene“ 2013 Erben nach A. S. Drey Bayerisches Nationalmuseum Doppelkürbisvase mit Lotusdekor 1995 Erben nach G. v. Klemperer Bayerisches Nationalmuseum Teekanne mit LöwenKnaufdeckel 2012 Erben nach G. v. Klemperer Bayerische Nationalmuseum Deckelvase mit indianischen Blumen und Vogelbaum 2011 Dresdener Porzellansammlung im Zwinger Bayerisches Nationalmuseum Bechervase mit indianischen Blumen und Tieren 2011 Dresdener Porzellansammlung im Zwinger Bayerisches Nationalmuseum Deckelvase mit Gelbfond und Fabeltierdekor 2011 Dresdener Porzellansammlung im Zwinger Bayerisches Nationalmuseum Rahmtopf mit Deckel und indianischen Blumen und Vögeln 2012 Erben nach G. v. Klemperer Staatliche Graphische Sammlung München Rudolf von Alt, „Der Alte Nordbahnhof in Wien“ 2011 Erben nach Valerie Heissefeld Staatliche Graphische Sammlung München Andrea Boscoli „Das Eselwunder“ 2014 Erben nach Michael Berolzheimer Teilweise wurden die Werke unmittelbar nach der Restitution zurückerworben oder die Restitution wurde durch eine Entschädigungszahlung ersetzt. Wie sich aus der obigen Liste ergibt, wurden vom Bayerischen Nationalmuseum acht Kunstwerke restituiert. Insoweit liegt eine Abweichung gegenüber der Antwort zur Schriftlichen Anfrage vom 12.12.2013 Drs. 17/545 vor, in der die Anzahl der Restitutionen mit neun angegeben wurde. Dies ergibt sich daraus, dass sich bei der Überprüfung der Restitutionsfälle herausgestellt hat, dass hinsichtlich eines Kunstwerkes eine Ausgleichszahlung im Wege einer gütlichen Einigung nicht vom Bayerischen Nationalmuseum, sondern von dem Händler geleistet wurde, von dem das Nationalmuseum das Kunstwerk erworben hat. Drei der in der Liste aufgeführten Kunstwerke wurden der Dresdner Porzellansammlung im Zwinger restituiert und sind somit nicht als NS-verfolgungsbedingt entzogen im engeren Sinn anzusehen. 3. In wie vielen Fällen besteht der Verdacht, dass es sich dabei um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelt (aufgeschlüsselt nach Kunstwerken und Museen)? Eine konkrete Anzahl von Verdachtsfällen hinsichtlich NSverfolgungsbedingt entzogener Kunstwerke kann nicht ge- nannt werden. Teilweise konnten die Museen jedoch in einer ersten Überprüfung des Sammlungsbestandes solche Kunstwerke identifizieren, bei denen offene Provenienzfragen zu klären sind. In den Staatsgemäldesammlungen betrifft dies z. B. 1.500 Werke von insgesamt über 5.000 Werken. Diese 1.500 Werke wurden nach Erwerbsmerkmalen kategorisiert. Anschließend wurde mit Einzelrecherchen zu relevanten Themenkomplexen begonnen. Bisher wurden ca. 300 Werke näher untersucht. 4. Welche Fälle, in denen Anspruchsteller gegenüber staatlichen Museen in Bayern die Herausgabe von Kunstwerken fordern, bei denen der Verdacht besteht , dass es sich dabei um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelt, sind der Staatsregierung derzeit bekannt (aufgeschlüsselt nach Kunstwerken und Museen)? a) Wie ist in diesen Fällen jeweils der Stand der Provenienzrecherche bzw. der Verhandlungen zwischen den betroffenen Museen und den Anspruchstellern ? b) Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand hinsichtlich der Restitutionsansprüche der Erbengemeinschaft Hagen, die gegenüber den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die Herausgabe des Bildes „The lemon slice“ von Jacob Ochtervelt fordert ? Der Staatsregierung sind die nachfolgend aufgelisteten Fälle bekannt, in denen Ansprüche im Hinblick auf NS-verfolgungsbedingten Entzug geltend gemacht werden. Der jeweilige Verfahrensstand ist in Spalte 3 dargestellt. Staatliches Museum für Völkerkunde Verschiedene chi- nesische Objekte (z. B. Skulpturen u. Keramiken) bzgl. einer Restitutionsforderung Sachverhaltsprüfung läuft Deutsches Theatermuseum Kohlezeichnung von Luis Letronne Entwurf einer gütlichen Einigung liegt vor Staatliche Graphische Sammlung Rudolf von Alt „Das Arbeitszimmer des Künstlers“ Prüfung abgeschlossen , Gespräche mit den Erben Staatliche Graphische Sammlung Rudolf von Alt „Wien. Das Neue Burgtor“ Prüfung kurz vor dem Abschluss Staatliche Graphische Sammlung Adolf von Menzel „Uniform (Mantel) August der II. von Sachsen“ Sachverhaltsprüfung läuft Staatliche Graphische Sammlung Adolf von Menzel „Drei Studien zu einem Araber“ Sachverhaltsprüfung läuft Staatsgemäldesammlungen Pablo Picasso „Madame Soler“ Gerichtsverfahren in New York Staatsgemäldesammlungen Max Beckmann (sechs Werke) Rechtsgutachten beauftragt (erneute Überprüfung) Staatsgemäldesammlungen Ochtervelt (Das Zitronenscheibchen ) Rechtsgutachten beauftragt (erneute Überprüfung) Staatsgemäldesammlungen Lovis Corint „Drei Grazien“ Der Beratenden Kommission (Limbach Kommission) vorgelegt Staatsgemäldesammlungen Cranach Schule „Hauptmann“ Erneute Überprüfung Bayerisches Nationalmuseum 3 Bronzegruppen Sachverhaltsprüfung läuft Drucksache 17/2206 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Bayerisches Nationalmuseum 5 Objekte (u. a. Porzellan) Sachverhaltsprüfung läuft Bayerisches Nationalmuseum 1 Porzellanobjekt (Senfkännchen) Sachverhaltsprüfung läuft Bayerisches Nationalmuseum 1 Porzellanobjekt (Leopardenweibchen) Sachverhaltsprüfung läuft 5. Welche Ergebnisse hat das Forschungsprojekt „Das Schicksal jüdischer Kunstsammler und Händler in München 1933–1945“ erbracht? Es wurde das Schicksal zu fast 70 Münchner Kunstsammlern recherchiert, deren Sammlungen mit über 2.000 Objekten 1938 mithilfe der Münchner Museen und deren Personal beschlagnahmt wurden. Die geplante umfangreiche Publikation ist in der Lektoratsphase und wird für Ende 2014/ Anfang 2015 erwartet. a) Wie beurteilt die Staatsregierung die Aussagen des österreichischen Kunstexperten Alfred Weidinger , der laut dpa (06.11.13) kritisierte, bayerische Restitutionsforscher hätten nicht „ordentlich gearbeitet“: „Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Wenn man im Jahr 2013 darauf kommt, dass es in München die Sammlung Gurlitt gibt, dann haben die ihren Job nicht richtig gemacht.“ Diese Aussage kann nicht beurteilt werden, da sie weder bestimmte „Bayerische Restitutionsforscher“ benennt noch konkrete Tatsachenangaben enthält. Der Bayerischen Staatsregierung war die Existenz der Sammlung Gurlitt nicht bekannt .