Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 09.04.2014 Kontrollpraxis durch Beamte der Polizei – Maßnahmen gegen „racial profiling“ Ich frage die Staatsregierung: 1. In welchen Situationen und auf welcher rechtlichen Grundlage (bitte unter Nennung der jeweiligen Befugnisnorm ) ist die Polizei berechtigt, Personen kurzzeitig anzuhalten, zu befragen und zu verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere vorgezeigt werden? 1.1 Nach welchen Kriterien unternimmt die Bayerische Polizei diese Kontrollmaßnahmen? 1.2 Inwieweit kann dabei das äußere Erscheinungsbild des Betroffenen, insbesondere die Vermutung einer ausländischen Herkunft, relevant für die Einleitung einer hoheitlichen Maßnahme sein? 2. Welche Maßnahmen trifft die Polizei, damit bei Kontrollmaßnahmen kein „racial profiling“ zur Anwendung kommt, also die Einleitung von hoheitlichen Maßnahmen alleine aufgrund von äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten ? 3. Sind bei der Bayerischen Polizei bzw. den Aufsichtsbehörden in den vergangenen drei Jahren Beschwerden von Personen eingegangen, die angegeben haben, sich durch „racial profiling“ bei Kontrollmaßnahmen diskriminiert zu fühlen? 3.1 Wenn ja, wie viele und welche (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreis und mit einer kurzen Sachverhaltsdarstellung ) Beschwerden gab es? 3.2 Welche Ergebnisse erbrachte die Überprüfung dieser Beschwerden? 4. Wie bewertet die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die von der Grundrechteagentur der Europäischen Union im Handbuch „Für eine effektivere Polizeiarbeit. Diskriminierendes ‚Ethnic Profiling‘ erkennen und vermeiden“ empfohlenen Praktiken, wie beispielsweise die Forderung nach der Einführung von Formularen zur Dokumentation von Polizeikontrollen und -durchsuchungen? 4.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Forderung der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Meldestrukturen zu schaffen, die eine lückenlose Erfassung von Beschwerden erlauben und die Überprüfung durch eine unabhängige und fachkompetente Prüfinstanz gewährleisten? 4.2 Wie bewertet die Staatsregierung die Forderung der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), die Polizeibehörden durch Anti-Rassismus-Trainings in die Lage zu versetzen, ihre hoheitlichen Aufgaben ohne „racial profiling“ durchzuführen? 5. Wie werden die Themen „Menschenrechte, Grundrechte und Diskriminierungsverbot“ in der Aus- und Fortbildung der Polizei behandelt? 5.1 Welche Projekte und Maßnahmen gibt es bei der Bayerischen Polizei, um die interkulturelle Kompetenz der Beamtinnen und Beamten zu stärken? 5.2 Welche Projekte und Maßnahmen unternimmt die Bayerische Polizei, um das Konzept der Diversität in ihrer Organisation zu implementieren? 6. Welche Polizeieinheiten haben in Bayern die Charta der Vielfalt unterzeichnet und welche Folgemaßnahmen hat dies nach sich gezogen? 7. Wie hoch ist derzeit bei der Bayerischen Polizei der Anteil an Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund ? 7.1 Welche Projekte und Maßnahmen gibt es bei der Bayerischen Polizei, um den Anteil an Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund zu erhöhen? 8. Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um bei Ermittlungsverfahren zu Straftaten, bei denen Menschen mit Migrationshintergrund Opfer waren, standardmäßig auch ein möglicherweise fremdenfeindliches Motiv des oder der Täter in die Ermittlungen einzubeziehen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 30.05.2014 1. In welchen Situationen und auf welcher rechtlichen Grundlage (bitte unter Nennung der jeweiligen Befugnisnorm ) ist die Polizei berechtigt, Personen kurzzeitig anzuhalten, zu befragen und zu verlangen , dass mitgeführte Ausweispapiere vorgezeigt werden? Die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung fußen auf den gesetzlichen Bestimmungen des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) sowie der Strafprozessordnung (StPO). Die Polizei ist zur Gefahrenabwehr nach dem PAG berechtigt , Identitätsfeststellungen gemäß Art. 13 PAG durchzufüh- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 11.07.2014 17/2225 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2225 ren. Des Weiteren besteht zur Gefahrenabwehr die Möglichkeit , auskunftspflichtige Personen gemäß Art. 12 PAG zu befragen und für diese Dauer anzuhalten. Soweit im Rahmen strafverfolgender Tätigkeiten Identitätsfeststellungen erforderlich sind, kommt als Befugnisnorm § 163 b StPO in Betracht. Die Generalklausel des Art. 46 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) lässt die Anwendung dieser Norm auch für das Bußgeldverfahren zu. Zur Identitätsfeststellung an Kontrollstellen gilt § 111 StPO unter den dort genannten Voraussetzungen. 1.1 Nach welchen Kriterien unternimmt die Bayerische Polizei diese Kontrollmaßnahmen? Im Rahmen der polizeilichen Aufgabenerfüllung können Identitätsfeststellungen nach Vorliegen der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen oben genannter Ermächtigungsgrundlagen durchgeführt werden. Hierbei kommen beispielsweise Identitätsfeststellungen zur Abwehr von konkreten Gefahren, an gefährlichen Orten, an gefährdeten Objekten sowie zur Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität in Betracht. Des Weiteren können auch personenbezogene Daten erhoben werden, sofern zureichend tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht für eine verfolgbare Straftat oder Ordnungswidrigkeit begründen. 1.2 Inwieweit kann dabei das äußere Erscheinungsbild des Betroffenen, insbesondere die Vermutung einer ausländischen Herkunft, relevant für die Einleitung einer hoheitlichen Maßnahme sein? Das sogenannte „racial profiling“ im Sinne der Durchführung polizeilicher Maßnahmen allein aufgrund der äußeren Erscheinung von Personen ist rechtswidrig und wird durch die Bayerische Polizei nicht vorgenommen. Die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung knüpfen nicht an eine bestimmte Nationalität , Hautfarbe oder ein vermeintlich ausländisches Erscheinungsbild . Die verfassungsrechtlichen Grundsätze für polizeiliches Einschreiten werden gewahrt. Im Übrigen ist die Polizei für die Bewältigung ihrer täglichen Aufgaben unabdingbar darauf angewiesen, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen, es werde nicht mit zweierlei Maß gemessen. 2. Welche Maßnahmen trifft die Polizei, damit bei Kontrollmaßnahmen kein „racial profiling“ zur Anwendung kommt, also die Einleitung von hoheitlichen Maßnahmen alleine aufgrund von äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen, unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten? 4.2 Wie bewertet die Staatsregierung die Forderung der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), die Polizeibehörden durch Anti-RassismusTraining in die Lage zu versetzen, ihre hoheitlichen Aufgaben ohne „racial profiling“ durchzuführen? 5. Wie werden die Themen „Menschenrechte, Grundrechte und Diskriminierungsverbot“ in der Aus- und Fortbildung der Polizei behandelt? 5.1 Welche Projekte und Maßnahmen gibt es bei der Bayerischen Polizei, um interkulturelle Kompetenz der Beamtinnen und Beamten zu stärken? 5.2 Welche Projekte und Maßnahmen unternimmt die Bayerische Polizei, um das Konzept der Diversität in ihrer Organisation zu implementieren? Die Fragen 2, 4.2, 5, 5.1 und 5.2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. “Racial profiling“ oder auch „ethnic profiling“ wird bereits in der Ausbildung dadurch vorgebeugt, dass den angehenden Polizeivollzugsbeamten neben den verfassungsmäßigen Grundlagen in Bezug auf Menschenrechte, Grundrechte und das Diskriminierungsverbot interkulturelle Kompetenz vermittelt wird. Die Besonderheiten kultureller und religiöser Gruppen, ihre Problemstellungen, ihre Schutzbedürftigkeit und die Vorbeugung vor Diskriminierungen werden fächerübergreifend thematisiert. In Unterrichtsfächern wie „Politische Bildung oder Zeitgeschehen “ und „Politologie“ werden Hintergründe und Auswirkungen von Migration sowie die Bedeutung und Möglichkeiten interkultureller Kommunikation dargestellt. In Fächern wie „Soziologie“, „Psychologie“ und „Berufsethik“ wird auf die Grundwerte menschlichen Zusammenlebens, die Gefahr der Entstehung von Vorurteilen, die Bedeutung sozialer Gruppen und die Bildung von sozialen Urteilen und Wertvorstellungen eingegangen. Des Weiteren wird im Rahmen eines Projekts das Verhältnis zwischen Polizei und ausländischen Mitbürgern thematisiert und im Rahmen dessen örtliche Einrichtungen der Opferhilfe als auch eine Moschee besucht. In Fortbildungsangeboten wird das vorgenannte Wissen vertieft. So erfolgt beispielsweise die Vermittlung von Hintergrundwissen und des richtigen Umgangs mit dem arabisch-islamischen Kulturkreis anhand von Multiplikatorenschulungen. Zudem steht in den polizeiinternen Medien ein umfangreiches Informationsangebot zu diesem Thema bereit. 3. Sind bei der Bayerischen Polizei bzw. den Aufsichtsbehörden in den vergangenen drei Jahren Beschwerden von Personen eingegangen, die angegeben haben, sich durch „racial profiling“ bei Kontrollmaßnahmen diskriminiert zu fühlen? 3.1 Wenn ja, wie viele und welche (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreis und mit einer kurzen Sachverhaltsdarstellung ) Beschwerden gab es? 3.2 Welche Ergebnisse erbrachte die Überprüfung dieser Beschwerden? Hautfarbe, Herkunft und Abstammung eines Menschen dürfen keinesfalls ausschlaggebend und bestimmend für das polizeiliche Handeln sein. Beschwerden hinsichtlich „racial profiling“ oder auch „ethnic profiling“ werden vor diesem Hintergrund sehr ernst genommen, jedem insoweit erhobenen Vorwurf wird sorgfältig nachgegangen. Ein voreingenommenes Verhalten bayerischer Polizeibeamter gegenüber ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern wird dabei keinesfalls toleriert. Entsprechende Beschwerden werden üblicherweise als Dienstaufsichtsbeschwerden von den hiermit betrauten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern der bayerischen Polizeipräsidien bzw. des Bayer. Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr geprüft und beantwortet . Bei den einzelnen Dienststellen der Polizei gehen jährlich insgesamt in etwa 1.700 Beschwerden zu den verschiedensten Sachverhalten ein, die jeweils individuell bearbeitet werden. Eine systematische inhaltliche Erfassung wird dabei nicht vorgenommen, sodass eine statistische Auswertung nach einem bestimmten Beschwerdesachverhalt nicht möglich ist. 4. Wie bewertet die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die von der Grundrechteagentur der Europäischen Union im Handbuch „Für eine ef- Drucksache 17/2225 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 fektivere Polizeiarbeit. Diskriminierendes ‚Ethnic Profiling‘ erkennen und vermeiden“ empfohlenen Praktiken, wie beispielsweise die Forderung nach der Einführung von Formularen zur Dokumentation von Polizeikontrollen und -durchsuchungen? Am 15.02.2007 erließ der Rat die Verordnung (EG) Nr. 168/2007 (nachstehend „Verordnung“) zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Die Agentur nahm am 01.03.2007 ihre Tätigkeit auf. Das Ziel der Grundrechteagentur besteht nach Art. 2 Verordnung darin, den relevanten Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Gemeinschaft (nunmehr Union) und ihrer Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts (nunmehr Unionsrecht) in Bezug auf die Grundrechte Unterstützung zu gewähren. Danach hat die Agentur eine rein unterstützende Funktion und berät ausschließlich. Um eine uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu gewährleisten, soll sie verlässliche Daten über die Entwicklung der Lage der Grundrechte in der Europäischen Union sammeln und analysieren. Die in Rede stehende Publikation der FRA „Für eine effektivere Polizeiarbeit. Diskriminierendes ,Ethnic Profiling‘ erkennen und vermeiden: ein Handbuch“ (nachstehend „Handbuch“), hat damit keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit. Das Handbuch wurde ausweislich des Protokolls des Ländervertreters in der Sitzung des Koordinierungsausschusses für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (CATS) am 25./26.10.2010 in Brüssel erörtert. Der Direktor der FRA stellte dabei drei Publikationen vor, u. a. das Handbuch, und kündigte deren Veröffentlichung auf der Website der FRA an. Mehrere Mitgliedstaaten machten methodische und fachliche Einwände zu den Ergebnissen der Berichte geltend. Die anschließende Diskussion kam im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass die Berichte interessant seien, aber im Kern auf persönlichen Empfindungen der befragten Personen fußten und daher nur ein Baustein für weitere Überlegungen sein könnten. Polizeiliche Maßnahmen zur Feststellung der Identität von Personen werden grundsätzlich nur dann in den polizeilichen Auskunfts- und Vorgangsbearbeitungssystemen dokumentiert, wenn sich daran weitere polizeiliche Maßnahmen , beispielsweise in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, anschließen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, polizeiliche Maßnahmen auch ohne die genannten Anschlussmaßnahmen zu dokumentieren, sofern dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Erteilung einer Bescheinigung über die Durchsuchung der Person zur Feststellung der Identität ist aufgrund der Regelungslage des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) nicht vorgesehen, dagegen ist jedoch gemäß Artikel 22 Abs. 2 PAG bei der Durchsuchung von Sachen dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt auf Verlangen eine Bescheinigung über die Durchsuchung und ihren Grund zu erteilen. Letzteres gilt ebenfalls für die polizeirechtliche Durchsuchung von Wohnungen. Hier ist gemäß Artikel 24 Abs. 4 PAG über die Durchsuchung eine Niederschrift anzufertigen , welche dem Wohnungsinhaber oder dessen Vertreter auf Verlangen auszuhändigen ist. Die Einführung von Formularen zur grundsätzlichen Dokumentation von Polizeikontrollen hält das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr weder für erforderlich noch für zweckmäßig. 4.1. Wie bewertet die Staatsregierung die Forderung der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Meldestrukturen zu schaffen, die eine lückenlose Erfassung von Beschwerden erlauben und die Überprüfung durch eine unabhängige und fachkompetente Prüfinstanz gewährleisten? In einem demokratischen Rechtsstaat muss der Bürger das Recht und die Möglichkeit haben, sich gegen ungerechtfertigte Eingriffe zu wehren, d. h. es muss Kontrollmöglichkeiten gegen staatliches und somit auch gegen polizeiliches Handeln geben. Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, bestehen für die Bürgerinnen und Bürger bereits heute ausreichend Überprüfungsmöglichkeiten , sofern sich jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt sieht. Jede Beschwerde oder Anzeige, sei sie dienstlich an Vorgesetzte herangetragen , vom Bürger bei einer Dienststelle oder bei politisch Verantwortlichen persönlich als auch schriftlich vorgebracht, wird ernst genommen und sorgfältig geprüft. Erforderlichenfalls werden konsequent straf- sowie disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet. Ferner steht Betroffenen auch gerichtlicher Rechtsschutz offen. Die bestehenden Instrumente, wie Dienst- und Fachaufsicht , Bearbeitung von Beschwerden und Disziplinarangelegenheiten durch juristische Sachbearbeiter, Ermittlungen bei Amtsdelikten durch kriminalpolizeiliche Fachdienststellen (seit 1. März 2013 ist beim Bayerischen Landeskriminalamt ein neues Dezernat mit jeweils einem Sachgebiet in Nürnberg und München für interne Ermittlungen bei der Bayerischen Polizei zentral zuständig) bzw. die Staatsanwaltschaften , die Aufsicht durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr sowie das Parlament und die Öffentlichkeit, gewährleisten eine ausreichende und effektive Kontrolle polizeilichen Handelns. Deshalb sehen wir weder für die Einrichtung definierter Meldestrukturen noch für die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle (bzw. Polizeibeauftragten oder Ombudsmann) ein Erfordernis. Entsprechende Anträge wurden bereits in den Jahren 2008 (Antrag BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) und 2010 (Antrag der FREIEN WÄHLER) im Landtag behandelt und abgelehnt. 6. Welche Polizeieinheiten haben in Bayern die Charta der Vielfalt unterzeichnet und welche Folgemaßnahmen hat dies nach sich gezogen? Die Bayerische Polizei hat die „Charta der Vielfalt“ nicht unterzeichnet . Die Bayerische Staatsregierung stellt sich jedoch der sich verändernden Zusammensetzung der Gesellschaft. Migration und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft sind so zu den prägenden Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft geworden. Integration ist eine „Querschnittsaufgabe “ der Politik. Nahezu alle Politikbereiche sind von sich durch Migration und Integration ergebende Herausforderungen betroffen. Es ist deshalb notwendig, alle politischen Entscheidungen daraufhin zu prüfen, welche Auswirkungen sie auf die Gestaltung des Zusammenlebens und die Integration von Zuwanderern haben. Aus diesem Grund ist das Amt des Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung unabhängig und ressortübergreifend angelegt. Der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung berät sämtliche Ressorts der Staatsregierung und trägt so auch zu einer besseren Vernetzung der Integrationspolitik in Bayern bei. Hierzu entwickelt er im Interesse der Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2225 Betroffenen wie auch der gesamten Gesellschaft Konzepte und Ideen, wie die Integrationspolitik des Freistaats noch erfolgreicher und zielorientierter gestaltet werden kann. Die Staatsministerien beteiligen den Integrationsbeauftragten bei allen die Bereiche Migration und Integration berührenden Gesetzesvorhaben sowie anderen wichtigen Vorhaben. Das gilt insbesondere auch für die vorrangig mit Integrationsfragen befassten Ressorts: • das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr • das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissen- schaft und Kunst • sowie das in Integrationsfragen federführende Staatsmi- nisterium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration 7. Wie hoch ist derzeit bei der Bayerischen Polizei der Anteil an Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund ? 7.1 Welche Projekte und Maßnahmen gibt es bei der Bayerischen Polizei, um den Anteil an Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund zu erhöhen? Bereits heute haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und auch im Polizeivollzugsdienst einen Migrationshintergrund, ohne dass allerdings ihr Anteil statistisch erfasst werden könnte. Die Frage der ausländischen Herkunft ist in Zusammenhang mit der Einstellung deutscher Bewerber in den Polizeivollzugsdienst dienstrechtlich nicht relevant und wird daher nicht erfasst. Zudem könnte die Erhebung solcher Angaben in den Bewerbungsunterlagen oder in einem Vorstellungsgespräch eine Diskriminierungsvermutung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nahelegen. Informationen über die Gesamtzahl bayerischer Polizeibeamter mit Migrationshintergrund liegen insofern nicht vor. Wenn ein besonderes dienstliches Bedürfnis besteht, werden bei der Bayerischen Polizei im Wege einer Ausnahmeregelung auch ausländische Staatsangehörige eingestellt . Voraussetzung hierfür ist, dass auch die ausländischen Bewerber die gültigen Einstellungsvoraussetzungen erfüllen. Im September 1993 wurden erstmals ausländische Staatsangehörige im mittleren Polizeivollzugsdienst eingestellt , zwischenzeitlich sind es 143 Beamtinnen und Beamte mit ausländischer Staatsangehörigkeit. 8. Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um bei Ermittlungsverfahren zu Straftaten, bei denen Menschen mit Migrationshintergrund Opfer waren, standardmäßig auch ein möglicherweise fremdenfeindliches Motiv des oder der Täter in die Ermittlungen einzubeziehen? Bedeutendes Element der polizeilichen Zusammenarbeit im Bereich des Polizeilichen Staatsschutzes ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK), der es unter Beachtung der Vorgaben ermöglicht, die ihm zugrunde liegenden Sachverhalte im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten zu bewerten. Hierbei werden insbesondere Feststellungen zur Qualität des Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zu möglichen internationalen Dimensionen und zu einer ggf. zu verzeichnenden extremistischen/ terroristischen Ausprägung der Tat getätigt. Bereits das „Bayerische Handlungskonzept gegen den Rechtsextremismus“, welches vom Ministerrat am 12.01.2009 beschlossen wurde, thematisiert die konsequente Strafverfolgung von Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund vonseiten der Polizei insbesondere durch „täterorientierte Ermittlungsführung“. Hierbei ist die bei der Bewältigung der kriminalpolizeilichen Vorgangsbearbeitung erforderliche phänomenologische Qualifikation Voraussetzung für eine sachgerechte Aufgabenerledigung. Die Kenntnis über phänomenspezifische Entwicklungen sowie Ereignisse im nationalen und internationalen Kontext sind daher unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung. Die Erforschung der Motivlage des Täters ist bei allen Straftaten mit Opferbezug Teil der (kriminal)polizeilichen Ermittlungen. In besonderen Fällen (z. B. Abgrenzung Mord bzw. Totschlag ) ist sie ggf. Tatbestandsmerkmal und daher explizit einer Beweiswürdigung zu unterziehen. Im Sinne eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes wurden die Dienststellen der Bayerischen Polizei explizit angewiesen , z. B. bei „Angriffen gegen Asylunterkünfte“, alle Eventualitäten zu beleuchten und im Benehmen mit dem Polizeilichen Staatsschutz die Motivationslage des Täters zu ergründen. Die verpflichtende Motivprüfung auf Fremdenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus bei Gewaltkriminalität ist zudem als Empfehlung an die Polizei sowohl im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses-NSU Bund (Empfehlung Nummer 1) als auch im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses -NSU Bayern (Nummer 4.3.3) enthalten . Am 25.09.2013 wurde durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr eine bayernweite Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge zur Umsetzung der Forderungen der Untersuchungsausschüsse erarbeiten soll. Einen wichtigen Themenbereich bildet hierbei auch die vorgenannte Forderung nach standardmäßiger Überprüfung von Motiven auf Fremdenfeindlichkeit im Rahmen von Ermittlungsverfahren . Die Tätigkeit der Arbeitsgruppe ist noch nicht beendet. Ergebnisse liegen noch nicht vor.