Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 12.04.2018 Gesetzentwurf zum Familiennachzug Anlässlich der im Gesetzentwurf des Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer geforderten weitreichenden Beschränkungen des Grundrechts auf Fa milie bei Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus und der angedachten Umsetzung dieses begrenzten Familiennach zugs frage ich die Staatsregierung: 1.1 Welche Kriterien für die Gestattung des Familiennach zugs will die Staatsregierung zusätzlich zum Bundes gesetz definieren? 1.2 Ist von der Staatsregierung angedacht, den Familien nachzug der Restfamilie zu verunmöglichen, wenn Fa milienmitglieder geflohen sind, um nicht zum Beispiel für Milizen zwangsrekrutiert zu werden? 1.3 Ist von der Staatsregierung gedacht, den Familien nachzug zu verunmöglichen, wenn Teile der Familie sich vorab auf den gefährlichen Fluchtweg begeben haben, um sicherere Fluchtwege für schutzbedürfti gere Familienangehörige zu suchen, da beispielswei se Kinder bei Schiffsunglücken besonders gefährdet sind? 2.1 Wie viele Familienangehörige sollen nach Meinung der Staatsregierung pro Geflüchteten nachziehen dür fen? 2.2 Soll es nach Meinung der Staatsregierung eine Be grenzung oder Obergrenze des Zuzugs geben? 2.3 Auf welche Familienangehörige soll nach Meinung der Staatsregierung der Zuzug begrenzt werden? 3.1 Welche Kriterien sollen Familienangehörige erfüllen müssen, um nachziehen zu dürfen (bitte die Kriterien vollständig aufzählen)? 3.2 Welche Kriterien sollen die sich in Deutschland aufhal tenden Geflüchteten erfüllen müssen, um ihre Familie nachziehen lassen zu dürfen? 3.3 Müssen Familienangehörige und nach Deutschland Geflüchtete mehrere bzw. alle Kriterien erfüllen, schlie ßen sich einzelne Kriterien gegenseitig aus oder soll es Punktelisten geben? 4.1 Welche bayerischen Behörden sollen prüfen, ob Ge flüchtete die Kriterien des Familiennachzugs erfüllen und welche Familienangehörige entsprechend dieser Kriterien nachziehen dürfen? 4.2 Anhand welcher Datenlage bzw. Quellen sollen diese Entscheidungen getroffen werden? 4.3 Inwiefern wird der Zunahme der zu prüfenden Kriterien und der gestiegenen Dokumentationspflicht durch ent sprechende Ausstattung der beauftragten Behörden Rechnung getragen werden? 5.1 Ist die Abwicklung dieser Prüfungen überhaupt inner halb von vier Wochen möglich? 5.2 Inwiefern wird verhindert, dass allein aufgrund von Verzögerungen bei Behördenabläufen die vierwöchige Frist überschritten und der Familiennachzug verun möglicht wird? 5.3 Können die Fälle, in denen die Prüfung durch die Be hörden nicht innerhalb von vier Wochen abgeschlos sen werden, in den nächsten Monat übertragen wer den? 6.1 Wird es bundesländerspezifische monatliche Aufnah mequoten geben (sollte dem so sein, bitte die Anzahl der Familiennachzugsfälle nennen, die auf Bayern entfallen)? 6.2 Wie lange dauert es nach Einschätzung der Staatsre gierung, bis einem positiv beschiedenen Antrag (bei Geflüchteten mit Anerkennung) auf Familiennachzug tatsächlich auch der Familiennachzug erfolgt, wenn das nachziehende Familienmitglied sich derzeit in Sy rien, in Afghanistan, in der Türkei oder auf Lesbos be findet? 7.1 Wie soll die Koordinierung zwischen den Bundeslän dern erfolgen, um zu erreichen, dass die im Koalitions vertrag beschlossene Zahl von 1.000 Nachziehenden nicht überschritten wird? 7.2 Kann ein Kontingent in den Folgemonat übertragen werden, wenn es in diesem Monat aufgrund des er heblichen zeitlichen Koordinierungsaufwands der Be hörden nicht ausgeschöpft worden sein sollte? 8.1 Wie viele Anträge auf Familiennachzug liegen den Be hörden in Bayern derzeit vor? 8.2 Wie viele davon sind von Geflüchteten mit subsidiä rem Schutzstatus? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter w w w . bayern . landtag . de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter w w w . bayern . landtag . de–Aktuelles/ Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 10.09.2018 Drucksache 17/22261 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/22261 Antwort des Staatsministeriums des Innern und für Integration vom 18.05.2018 1.1 Welche Kriterien für die Gestattung des Familien nachzugs will die Staatsregierung zusätzlich zum Bundesgesetz definieren? Der in der Bundeskabinettssitzung vom 09.05.2018 als Ge setzentwurf der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (nachfolgend: Gesetzentwurf) sieht vor, dass ab dem 01.08.2018 Kernfamilienmitgliedern eines Ausländers, der nach Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz eine Aufenthalts erlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 Aufent haltsgesetz besitzt (nachfolgend: Stammberechtigter), aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wer den kann. Der Gesetzentwurf führt in beispielhafter, also nicht abschließender Weise einige humanitäre Gründe auf. Derartige Gründe, wie etwa schwerwiegende Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit, können sowohl beim Stammbe rechtigten als auch beim nachzugswilligen Familienange hörigen vorliegen. Die Zahl der nationalen Visa, die von den deutschen Auslandsvertretungen für Familiennachzüge zu Stammberechtigten im vorgenannten Sinn erteilt werden können, soll auf höchstens 1.000 pro Monat begrenzt werden. Nach dem Gesetzentwurf sollen die Auslandsvertretungen auslandsbezogene und die Ausländerbehörden inlandsbe zogene Aspekte insbesondere zu humanitären Gründen im vorgenannten Sinn prüfen und die dabei gewonnenen In formationen an das Bundesverwaltungsamt übermitteln. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Bundesverwaltungsamt nach Prüfung aller relevanten Aspekte des jeweiligen Ein zelfalls verwaltungsintern als Dienstleister des Auswärtigen Amts im Visumverfahren feststellt, ob humanitäre Gründe vorliegen. Für die Erteilung des den Fami lienangehörigen zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland berechti genden Visums sollen jedoch – bei positiver Feststellung des Bundesverwaltungsamts im Rahmen des monatlichen Kontingents – die deutschen Auslandsvertretungen zustän dig bleiben. Angesichts der vorgenannten Prüfungs und Visumsertei lungszuständigkeiten und angesichts des Umstands, dass das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene erst am Anfang steht, beabsichtigt die Staatsregierung aktuell nicht, Kriterien im Sinn von Frage 1.1 zu definieren. 1.2 Ist von der Staatsregierung angedacht, den Fami liennachzug der Restfamilie zu verunmöglichen, wenn Familienmitglieder geflohen sind, um nicht zum Beispiel für Milizen zwangsrekrutiert zu wer den? 1.3 Ist von der Staatsregierung gedacht, den Fami liennachzug zu verunmöglichen, wenn Teile der Familie sich vorab auf den gefährlichen Flucht weg begeben haben, um sicherere Fluchtwege für schutzbedürftigere Familienangehörige zu suchen, da beispielsweise Kinder bei Schiffsunglücken be sonders gefährdet sind? Die Staatsregierung „verunmöglicht“ keine Ansprüche von Ausländern auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber, sondern ge währleistet, dass die bayerischen Ausländerbehörden die ausländerrechtlichen Bestimmungen nach Recht und Ge setz vollziehen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf eine Regelung enthält, wonach ein An spruch auf Familiennachzug zu einem Stammberechtigten mit subsidiärer Schutzberechtigung ausdrücklich nicht be stehen soll. 2.1 Wie viele Familienangehörige sollen nach Meinung der Staatsregierung pro Geflüchteten nachziehen dürfen? Nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist jeder Fami liennachzug personal grundsätzlich auf die Mitglieder der Kernfamilie, also auf Ehepartner, minderjährige Ausländer und Eltern minderjähriger Ausländer, beschränkt. Der Nach zug sonstiger Familienangehöriger ist gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG nur ausnahmsweise unter der Voraussetzung möglich, dass es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Eine Änderung dieser Rechtslage sieht der Gesetzentwurf nicht vor. 2.2 Soll es nach Meinung der Staatsregierung eine Be grenzung oder Obergrenze des Zuzugs geben? Auf die Antwort zu Frage 1.1 wird verwiesen. 2.3 Auf welche Familienangehörige soll nach Meinung der Staatsregierung der Zuzug begrenzt werden? Auf die Antworten zu den Fragen 1.1 und 2.1 wird verwiesen. 3.1 Welche Kriterien sollen Familienangehörige erfül len müssen, um nachziehen zu dürfen (bitte die Kriterien vollständig aufzählen)? 3.2 Welche Kriterien sollen die sich in Deutschland aufhaltenden Geflüchteten erfüllen müssen, um ihre Familie nachziehen lassen zu dürfen? 3.3 Müssen Familienangehörige und nach Deutsch land Geflüchtete mehrere bzw. alle Kriterien erfül len, schließen sich einzelne Kriterien gegenseitig aus oder soll es Punktelisten geben? 4.1 Welche bayerischen Behörden sollen prüfen, ob Geflüchtete die Kriterien des Familiennachzugs erfüllen und welche Familienangehörige entspre chend dieser Kriterien nachziehen dürfen? Auf die Antwort zu Frage 1.1 wird verwiesen. 4.2 Anhand welcher Datenlage bzw. Quellen sollen diese Entscheidungen getroffen werden? Wie in der Antwort zu Frage 1.1 dargestellt, sieht der Ge setzentwurf eine Entscheidungszuständigkeit der Auslän derbehörden beim Familiennachzug zu Stammberechtigten mit subsidiärer Schutzberechtigung nicht vor. Im Übrigen gilt grundsätzlich, dass ein Stammberechtigter, der einen hu manitären Grund vorbringt, das Vorliegen dieses Grundes zumindest glaubhaft zu machen hat, es sei denn, der betref fende humanitäre Grund ist bereits aktenkundig oder offen sichtlich. Der Gesetzentwurf sieht beispielsweise vor, dass eine Erkrankung, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, aus der ein humanitärer Grund abgeleitet werden soll, durch eine qualifizierte Bescheinigung glaubhaft zu machen ist, es sei denn, es liegen anderweitige Anhaltspunkte für das Vor liegen der jeweiligen Beeinträchtigung vor. Drucksache 17/22261 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 4.3 Inwiefern wird der Zunahme der zu prüfenden Kri terien und der gestiegenen Dokumentationspflicht durch entsprechende Ausstattung der beauftrag ten Behörden Rechnung getragen werden? In Bezug auf die deutschen Auslandsvertretungen, die dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts zugeordnet sind, und das Bundesverwaltungsamt liegen der Staatsregierung keine Informationen im Sinn der Frage 4.3 vor. Hinsichtlich der bayerischen Ausländerbehörden wird davon ausgegan gen, dass der Gesetzentwurf – so er unverändert Gesetz wird – nur zu maßvollen Mehrbelastungen führen wird, die keine Personalmehrungen erforderlich machen, weil bun desweit höchstens 1.000 Familiennachzüge pro Monat erfolgen können und das in der Antwort zu Frage 1.1 dar gestellte Prüfverfahren stets durch einen Visumsantrag bei einer deutschen Auslandsvertretung initiiert werden muss. Ein Arbeitsaufwand der Ausländerbehörde kann daher erst dann ausgelöst werden, wenn die deutsche Auslandsvertre tung die Ausländerbehörde im Visumverfahren beteiligt. 5.1 Ist die Abwicklung dieser Prüfungen überhaupt in nerhalb von vier Wochen möglich? 5.2 Inwiefern wird verhindert, dass allein aufgrund von Verzögerungen bei Behördenabläufen die vierwö chige Frist überschritten und der Familiennachzug verunmöglicht wird? Innerhalb welchen Zeitraums die Prüfungen nach dem in der Antwort zu Frage 1.1 dargestellten Verfahren durchgeführt werden können, wird von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls und insbesondere davon abhängen, welche bzw. wie viele humanitäre Gründe für einen Fami liennachzug zu einem Stammberechtigten mit subsidiärer Schutzberechtigung vorgebracht werden. Im Übrigen sehen weder das geltende Ausländerrecht noch der Gesetzentwurf eine bestimmte Frist für die Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines nationalen Visums vor. 5.3 Können die Fälle, in denen die Prüfung durch die Behörden nicht innerhalb von vier Wochen abge schlossen werden, in den nächsten Monat übertra gen werden? Der Gesetzentwurf sieht vor, dass pro Monat bis zu 1.000 Visa für einen Familiennachzug zu einem Stammbe rechtigten mit subsidiärem Schutzstatus erteilt werden kön nen. Medienberichten zufolge wurde im Rahmen der Res sortanhörung zu dem Gesetzentwurf eine Verständigung erzielt, wonach in der Anfangsphase ein nicht ausgeschöpf tes Monatskontingent auf den Folgemonat übertragen wer den könne. Dadurch solle etwaigen Anlaufschwierigkeiten bei der Implementierung des in der Antwort zu Frage 1.1 dargestellten Prüfverfahrens Rechnung getragen werden. Diese Übergangsregelung soll für die ersten fünf Monate nach dem – von der Bundesregierung für den 01.08.2018 avisierten – Inkrafttreten des Gesetzes gelten. 6.1 Wird es bundesländerspezifische monatliche Auf nahmequoten geben (sollte dem so sein, bitte die Anzahl der Familiennachzugsfälle nennen, die auf Bayern entfallen)? Nein. Nach geltendem Recht kann ein Familiennachzug stets nur zum tatsächlichen Führen der familiären Lebens gemeinschaft in Deutschland gewährt werden. Der Fami liennachzug erfolgt daher immer an den Wohnort des im In land befindlichen Stammberechtigten. Eine Änderung dieser Rechtslage sieht der Gesetzentwurf nicht vor. 6.2 Wie lange dauert es nach Einschätzung der Staats regierung, bis einem positiv beschiedenen Antrag (bei Geflüchteten mit Anerkennung) auf Familien nachzug tatsächlich auch der Familiennachzug erfolgt, wenn das nachziehende Familienmitglied sich derzeit in Syrien, in Afghanistan, in der Türkei oder auf Lesbos befindet? Hierzu liegen der Staatsregierung keine statistischen Anga ben vor. Ein nationales Visum zum Familiennachzug wird in der Regel mit einer Gültigkeitsdauer von drei Monaten er teilt. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Familienangehö rige legal in die Bundesrepublik Deutschland einreisen. Die Gründe, warum eine Einreise im Einzelfall gegebenenfalls nicht sofort nach Visumserteilung erfolgt bzw. erfolgen kann (z. B. wegen zu Reiseunfähigkeit führender Erkrankung oder noch zu beschaffender Mittel zur Finanzierung der Reise), sind vielfältig und liegen jedenfalls außerhalb des Einfluss bereichs der Staatsregierung. 7.1 Wie soll die Koordinierung zwischen den Bundes ländern erfolgen, um zu erreichen, dass die im Ko alitionsvertrag beschlossene Zahl von 1.000 Nach ziehenden nicht überschritten wird? Auf die Antworten zu den Fragen 1.1 und 6.1 wird verwiesen. 7.2 Kann ein Kontingent in den Folgemonat übertra gen werden, wenn es in diesem Monat aufgrund des erheblichen zeitlichen Koordinierungsauf wands der Behörden nicht ausgeschöpft worden sein sollte? Auf die Antwort zu Frage 5.3 wird verwiesen. 8.1 Wie viele Anträge auf Familiennachzug liegen den Behörden in Bayern derzeit vor? 8.2 Wie viele davon sind von Geflüchteten mit subsi diärem Schutzstatus? Statistische Angaben zu den Fragen 8.1 und 8.2 liegen der Staatsregierung nicht vor. Anträge auf Visumserteilung zum Familiennachzug zu dem in Deutschland aufhältigen Stammberechtigten, die bei den deutschen Auslandsver tretungen gestellt werden, werden im Ausländerzentral register (AZR) nicht erfasst, weil ein entsprechender Spei chersachverhalt dort nicht besteht. Auch die Erteilung eines nationalen Visums zum Familiennachzug wird von der Aus landsvertretung nicht im AZR gespeichert, sondern nur in der Visadatei. Aus der Visadatei ist aber lediglich ersicht lich, dass ein nationales Visum erteilt wurde, nicht jedoch auf welcher Rechtsgrundlage des Aufenthaltsgesetzes die Erteilung erfolgte. Ein AZRDatensatz wird in diesem Fall erst nach der Einreise des nachzugsberechtigten Familien angehörigen erstmals von der Ausländerbehörde angelegt. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist ausgeführt, dass dem Auswärtigen Amt derzeit rund 26.000 Anträge auf Terminvereinbarungen zur Beantragung eines Visums zum Familiennachzug zu Stammberechtigten mit subsidiärer Schutzberechtigung vorlägen.