Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 30.04.2018 Unterbringung, Teilhabe- und Integrationschancen für unbegleitete junge Geflüchtete bei Volljährigkeit Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern oder andere Erziehungsberechtigte in Deutschland Schutz suchen, gelten als besonders schutzbedürftige Gruppe. Sie unterliegen daher bis zu ihrer Volljährigkeit der staatlichen Fürsorgepflicht im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher zum 01.11.2015 reduzierte sich die Anzahl der neu aufzunehmenden unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländer (UMA). Doch bleiben die Unterbringung sowie die Gewährleistung von Teilhabeund Integrationschancen für unbegleitete junge Geflüchtete eine sehr große Herausforderung für das Jugendhilfesystem . Viele der unbegleiteten Minderjährigen, die bislang unter das Jugendhilferecht fielen, erreichen naturgemäß im Laufe ihres Aufenthaltes in Bayern die Volljährigkeit. Dies bedeutet , dass der Anspruch auf Maßnahmen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) und der Jugendhilfe nur auf Antrag der Jugendhilfe erfolgt, was Auswirkungen auf die gesamte Lebenssituation der jungen Menschen, wie z. B. auf ihre Unterbringung und Vormundschaft, den schulischen und beruflichen Werdegang als auch möglicherweise auf den Aufenthaltsstatus, hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Jugendämter auf die Herausforderung im Umgang mit dieser Gruppe der volljährig Werdenden reagiert. Ich bitte daher um die Beantwortung folgender Fragen: 1.1 Wie viele der sich in der Zuständigkeit der Jugendämter in Bayern befindenden unbegleiteten zunächst minderjährigen Ausländerinnen und Ausländer erreichten im Jahr 2017 und 2018 die Volljährigkeit (bitte aufschlüsseln nach Geschlecht und Nationalität)? 1.2 Welche Veränderungen des Aufenthaltstitels gehen mit der Volljährigkeit einher? 1.3 Welche Perspektiven haben die jungen Geflüchteten bezüglich eines Bleiberechts? 2.1 Für wie viele von diesen jungen Erwachsenen wurde die Verlängerung des Jugendhilfebedarfs beantragt? 2.2 Von welcher Anzahl an Verlängerungen des Jugendhilfebedarfs geht die Staatregierung in ihren Planungen aus (bitte nach Geschlecht aufschlüsseln)? 2.3 Welche Auswirkungen hat diese Prognose für die bestehenden Jugendhilfeeinrichtungen (die weiteren Planungsschritte der Staatregierung, die sich daraus ergeben, bitte auflisten)? 3.1 Wo wohnen gegenwärtig die jungen Geflüchteten mit Vollendung des 18. Lebensjahres, die keine Verlängerung des Jugendhilfebedarfs erhalten? 3.2 Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die jungen Volljährigen bei dem Einstieg in das Erwachsenenleben zu unterstützen? 3.3 Wie bewerten die Jugendämter und die Staatsregierung das bestehende Angebot quantitativ und qualitativ ? 4.1 Wo werden junge Geflüchtete untergebracht, die suchtkrank sind oder psychische Erkrankungen haben ? 4.2 Welche Rolle spielt dabei das Erreichen der Volljährigkeit ? 5.1 Welche Auswirkungen hat die Volljährigkeit bzw. der veränderte Aufenthaltsstatus auf die Bildungs- und Ausbildungssituation? 5.2 Inwiefern wird bei der Unterbringung ab Volljährigkeit darauf geachtet, dass Bildung bzw. Ausbildung fortgesetzt werden kann? 5.3 Mit welchen Angeboten stellen die Staatsregierung und die Städte und Landkreise eine adäquate Integration dieser jungen, aber inzwischen volljährigen Geflüchteten sicher? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter w w w. bayern. landtag. de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter w w w . bayern .landtag . de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.09.2018 Drucksache 17/22339 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/22339 Antwort des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 25.05.2018 Vorbemerkung: Unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer (UMA) sind entsprechend den Vorgaben des SGB VIII nach Feststellung der Minderjährigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe unterzubringen. Insoweit bezieht sich die Beantwortung der Anfrage nur auf die Gruppe der jungen Volljährigen, die vor Erreichen der Volljährigkeit im System der Kinder- und Jugendhilfe versorgt und betreut wurden. 1.1 Wie viele der sich in der Zuständigkeit der Jugendämter in Bayern befindenden unbegleiteten zunächst minderjährigen Ausländerinnen und Ausländer erreichten im Jahr 2017 und 2018 die Volljährigkeit (bitte aufschlüsseln nach Geschlecht und Nationalität)? Im Rahmen der bundesweiten Verteilung der UMA werden vonseiten des Bundesverwaltungsamtes (BVA) die tagesaktuellen Zahlen der UMA sowie der jungen Volljährigen (ehemalige UMA) erfasst. Dabei wird weder nach Geschlecht noch nach Nationalität differenziert. Es wird auch nicht gesondert dargestellt, wie viele der jungen Volljährigen im Laufe des Jahres volljährig werden, sondern nur, wie viele junge Volljährige sich insgesamt noch im System der Kinder - und Jugendhilfe befinden, unabhängig davon, ob sie erst vor Kurzem volljährig wurden oder ob das Erreichen der Volljährigkeit schon längere Zeit zurückliegt. Insoweit kann nur die Gesamtzahl der jungen Volljährigen (ehemaligen UMA) zu einzelnen Stichtagen im System der bayerischen Kinder- und Jugendhilfe dargestellt werden. Dies waren z. B. zum: – 02.01.2017: 3.758 junge Volljährige, – 03.07.2017: 4.670 junge Volljährige, – 01.01.2018: 4.077 junge Volljährige, – 15.05.2018: 4.207 junge Volljährige. (Quelle: Datenerfassung Registerportal BVA) 1.2 Welche Veränderungen des Aufenthaltstitels gehen mit der Volljährigkeit einher? Die Veränderung des Aufenthaltstitels wird durch den Fortgang des Asylverfahrens bestimmt. Insoweit gehen mit Erreichen der Volljährigkeit keine Veränderungen des Aufenthaltstitels einher. 1.3 Welche Perspektiven haben die jungen Geflüchteten bezüglich eines Bleiberechts? Für UMA und ehemalige UMA gilt im Hinblick auf das Ausländerrecht kein Sonderrecht. Die Frage des Bleiberechts ist, wie sonst auch, individuell für jeden Einzelfall zu beantworten . 2.1 Für wie viele von diesen jungen Erwachsenen wurde die Verlängerung des Jugendhilfebedarfs beantragt ? Kinder- und Jugendhilfe wird im eigenen Wirkungskreis der Kommunen umgesetzt. Detaillierte Zahlen, in welchem Umfang im Rahmen des Hilfeplanverfahrens Hilfen für junge Volljährige durch die fallzuständigen Jugendämter gewährt werden, liegen der Staatsregierung nicht vor. Die Hilfegewährung erfolgt im Rahmen des Hilfeplanverfahrens nach § 41 SGB VIII „Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung“. 2.2 Von welcher Anzahl an Verlängerungen des Jugendhilfebedarfs geht die Staatregierung in ihren Planungen aus (bitte nach Geschlecht aufschlüsseln )? Siehe hierzu auch die Beantwortung der Fragen 1.1 und 2.1. Die regionale Jugendhilfeplanung ist Aufgabe und Bestandteil der Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfe im eigenen Wirkungskreis der Kommunen. Dort liegen die notwendigen Grundinformationen über die Zusammensetzung der Gruppe der UMA nach Alter und Geschlecht im Zuständigkeitsbereich des örtlichen Jugendamtes vor. 2.3 Welche Auswirkungen hat diese Prognose für die bestehenden Jugendhilfeeinrichtungen (die weiteren Planungsschritte der Staatregierung, die sich daraus ergeben, bitte auflisten)? Die Planung und Umsetzung der erforderlichen Jugendhilfeeinrichtungen vor Ort erfolgt im partnerschaftlichen Miteinander und Austausch zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe . Die Staatsregierung unterstützt diese Planungsprozesse z. B. mit gemeinsam erarbeiteten fachlichen Orientierungshilfen im Rahmen der übergreifenden Diskussionsplattform For.UM (siehe hierzu auch: www.uma.bayern.de), ist jedoch nicht direkt involviert. 3.1 Wo wohnen gegenwärtig die jungen Geflüchteten mit Vollendung des 18. Lebensjahres, die keine Verlängerung des Jugendhilfebedarfs erhalten? Es gelten die gleichen Rahmenbedingungen wie bei sonstigen Erwachsenen auch: – UMA, die mit Vollendung des 18. Lebensjahres aus der Jugendhilfe entlassen werden und als Asylbewerber anerkannt sind, wechseln in die Zuständigkeit der SGB-II- Träger und können eine eigene Wohnung beziehen. – Als Asylbewerber abgelehnte UMA, die mit Vollendung des 18. Lebensjahres aus der Jugendhilfe entlassen werden, weil sie dies selbst wünschen und/oder weil kein weiterer Jugendhilfebedarf mehr festgestellt wird, fallen in den Bereich des allgemeinen Asylsystems und dessen Unterbringungsformen. 3.2 Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die jungen Volljährigen bei dem Einstieg in das Erwachsenenleben zu unterstützen? Junge Volljährige, die als UMA im System der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht und versorgt waren, werden im Rahmen der jeweils bestehenden konzeptionellen Grundlagen der einzelnen Jugendhilfeeinrichtungen im engen Zusammenwirken mit den fallzuständigen Jugendämtern regelhaft auch auf den Übergang in die Selbstständigkeit vorbereitet. Die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe orientieren sich dabei einerseits am individuellen Jugendhilfebedarf und sind andererseits an den regionalen Gegebenheiten vor Ort ausgerichtet. Drucksache 17/22339 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Zur Unterstützung der Angebotsplanung vor Ort hat die Staatsregierung im Rahmen der gemeinsamen und übergreifenden Diskussionsplattform For.UM hierzu unterschiedliche Orientierungshilfen entwickelt. Diese sind auf der Internetseite www.uma.bayern.de abrufbar. 3.3 Wie bewerten die Jugendämter und die Staatsregierung das bestehende Angebot quantitativ und qualitativ? Siehe hierzu auch die Beantwortung der Frage 2.3. Darüber hinaus geht die Staatsregierung davon aus, dass im Rahmen der von den Heimaufsichten der Regierungen erlassenen Betriebserlaubnisse die Umsetzung der Kinderund Jugendhilfe vor Ort quantitativ und qualitativ entsprechend der in den „Fachlichen Empfehlungen des Landesjugendhilfeausschusses zur Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII“ (Fortschreibung vom 11.03.2014), dem Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 14.11.2017 „Betreutes Wohnen für junge Menschen im Sinne sonstiger betreuter Wohnformen gemäß § 34 und § 41 SGB VIII“ sowie entsprechend der „Orientierungswerte für Schüler- und Jugendwohnheime sowie sozialpädagogisch begleitete Wohngruppen in Bayern“ (www.stmas.bayern.de/imperia/md/content/ stmas/stmas_inet/uma/3.7.8_orientierungsrahmen_schue lerjugendwohnheime-erweiterungzielgruppeuma.pdf) festgelegten Standards erfolgt. 4.1 Wo werden junge Geflüchtete untergebracht, die suchtkrank sind oder psychische Erkrankungen haben? Wie alle anderen Personen auch, sind junge Geflüchtete bei vorliegender Suchterkrankung oder psychischer Erkrankung entsprechend dem Behandlungsbedarf innerhalb des Gesundheitssystems unterzubringen. 4.2 Welche Rolle spielt dabei das Erreichen der Volljährigkeit ? Das Erreichen der Volljährigkeit spielt im Bereich der weiteren Unterbringung und Betreuung unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe nur bzgl. der Gewährung von Jugendhilfeleistungen über das Erreichen der Altersgrenze 18 Jahre hinaus eine Rolle. Dazu ist vor allem die Frage der altersgemäßen persönlichen Reife und Entwicklung zu klären. Die Sicherstellung der Krankenversorgung ist nach Verlassen des Systems der Kinder- und Jugendhilfe ggf. von einer anderen Stelle zu übernehmen (allgemeines Asyl system oder SGB II), ist jedoch von dem Erreichen bestimmter Altersgrenzen unabhängig. 5.1 Welche Auswirkungen hat die Volljährigkeit bzw. der veränderte Aufenthaltsstatus auf die Bildungsund Ausbildungssituation? Siehe hierzu die Beantwortung der Frage 1.2. 5.2 Inwiefern wird bei der Unterbringung ab Volljährigkeit darauf geachtet, dass Bildung bzw. Ausbildung fortgesetzt werden kann? Wie zu Frage 3.2 bereits ausgeführt, werden junge Volljährige , die als UMA im System der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht und versorgt waren, im Rahmen der jeweils bestehenden konzeptionellen Grundlagen der einzelnen Jugendhilfeeinrichtungen im engen Zusammenwirken mit den fallzuständigen Jugendämtern regelhaft auf den Übergang in die Selbstständigkeit vorbereitet. Dies schließt auch die Frage ein, wie Bildung bzw. Ausbildung nach erfolgter Verselbstständigung fortgesetzt werden kann. Auch zu diesem Themenkomplex hat das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) im Rahmen der gemeinsamen und übergreifenden Diskussionsplattform For.UM eine Orientierungshilfe entwickelt („Zielgruppe unbegleitete Minderjährige (uM) sowie junge Volljährige (ehemalige uM): Empfehlungen zum Übergangsmanagement berufliche Integration“, www.stmas.bayern.de/imperia/md/ content/stmas/stmas_inet/uma/3.7.8_endfassung__ag___ berg.management_beruf__stand_oktober_2016.pdf). 5.3 Mit welchen Angeboten stellen die Staatsregierung und die Städte und Landkreise eine adäquate Integration dieser jungen, aber inzwischen volljährigen Geflüchteten sicher? Kinder- und Jugendhilfe wird im eigenen Wirkungskreis der Kommunen umgesetzt. Der weit überwiegende Teil dieser jungen, aber inzwischen volljährigen Geflüchteten befindet sich weiterhin im Betreuungssystem der Kinder- und Jugendhilfe (siehe hierzu auch die Beantwortung der Fragen 3.1 und 3.2). Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe schließen regelhaft weit im Vorfeld der Volljährigkeit unterschiedliche Unterstützungsleistungen zur Integration mit ein. Dies beinhaltet z. B. die frühzeitige Kontaktaufnahme und Unterstützung der Selbstständigkeit im Bezug zu anderen Unterstützungssystemen wie Jobcenter, Wohnungsamt oder Gesundheitsbereich genauso wie das Erschließen von Ehrenamtlichennetzwerken und Kontakten zu örtlichen Vereinsstrukturen oder zu Angeboten der Jugendarbeit. Ebenso selbstverständlich ist im Rahmen der Angebotsgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe z. B. die Vermittlung zentraler Verhaltensregeln im neuen Lebensumfeld, die Sicherstellung von Grundkenntnissen im Umgang mit Verträgen oder auch ergänzend neben der Schule die Unterstützung des Spracherwerbs im Alltag. Verlässt ein ehemaliger UMA mit Erreichen des 18. Lebensjahres oder später die Kinder- und Jugendhilfe, kann er an den vorgenannten Integrationsschritten anknüpfen. Seit 01.11.2015 übernimmt der Freistaat alle Jugendhilfekosten für die Unterbringung und Betreuung aller UMA in Bayern. Zusätzlich hat das StMAS zur Unterstützung der Angebotsplanung vor Ort im Rahmen der gemeinsamen und übergreifenden Diskussionsplattform For.UM hierzu unterschiedliche Orientierungs- und Arbeitshilfen entwickelt. Diese sind auf der Internetseite www.uma.bayern.de abrufbar .