Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ruth Müller SPD vom 25.04.2018 Bayern-Sprit aus Straubing Ministerpräsident Dr. Markus Söder hat in seiner Regierungserklärung am 18.04.2018 ein „Zentrum zur Entwicklung von sauberem ‚Bayern-Sprit‘“ am Standort Straubing angekündigt. Ich frage die Staatsregierung: 1. Bezieht sich die Bezeichnung „Bayern-Sprit“ auf Bioethanol der zweiten Generation, sogenanntes Zellulose-Ethanol aus Weizenstroh oder anderen Agrar reststoffen, das die Firma Clariant durch das sunliquid®-Verfahren in Straubing herstellt? 2. a) Plant die Staatsregierung, die seit Juli 2012 betriebene vorkommerzielle Anlage in Straubing weiterzuentwickeln ? b) Bezieht sich die Ankündigung auf den „Bau einer neuen biotechnologischen Demonstrationsanlage in Straubing“, die bereits 2015 mit einem Einsatz von 20 Mio. Euro Fördermitteln des Freistaates von der damaligen Staatsministerin für Wirtschaft und Medien , Energie und Technologie Ilse Aigner angekündigt wurde? 3. a) Wie beurteilt die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das von der Staatsregierung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 28 Mio. Euro geförderte Verfahren mit der Pilotanlage (20 Arbeitsplätze) dazu führte, dass 2018 Clariant eine eigene kommerzielle Großanlage zur Herstellung von Zellulose- Ethanol mit einer jährlichen Produktionskapazität von 50.000 Tonnen auf Basis der sunliquid®-Technologie im Südwesten Rumäniens baut? b) Wie beurteilt die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das von der Staatsregierung und dem BMBF mit rund 28 Mio. Euro geförderte Verfahren mit der Pilotanlage (20 Arbeitsplätze) dazu führte, dass 2017 die Firma Enviral, der größte Hersteller von Bioethanol der Slowakei, eine Lizenz für die Anwendung von Clariants sunliquid®-Technologie erwarb, um eine Großanlage für die kommerzielle Produktion von jährlich rund 50.000 Tonnen Zellulose- Ethanol aus Agrarreststoffen zu realisieren? c) Wie will die Staatsregierung in diesem Zusammenhang durchsetzen, dass Bioethanol in größerem Stil in Straubing produziert werden soll? 4. a) Wie viel Bioethanol der zweiten Generation kann derzeit Superkraftstoff für den alltäglichen Einsatz in Serienfahrzeugen ohne Probleme zugemischt werden? b) Welches Potenzial an Ernterückständen sieht die Staatsregierung in Bayern, das bei Berücksichtigung der notwendigen Bodenregeneration energetisch verwertet werden könnte? c) Wie viel Bioethanol könnte daraus jährlich gewonnen werden (absolute Zahlen, Prozentangabe des derzeitigen Benzinbedarfs in Bayern)? 5. Wie will die Staatsregierung verhindern, dass es zu einem ähnlichen Fehlstart wie bei der Einführung des Biokraftstoffs E10 kommt? 6. Wie beurteilt die Staatsregierung den von Audi verwendeten Ersatzstoff Isooktan aus Leuna, der aus 100 Prozent biologisch hergestelltem Isobuten synthetisiert wird, im Vergleich zum „Bayern-Sprit“? Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft, Energie und Technologie vom 27.06.2018 1. Bezieht sich die Bezeichnung „Bayern-Sprit“ auf Bioethanol der zweiten Generation, sogenanntes Zellulose-Ethanol aus Weizenstroh oder anderen Agrarreststoffen, das die Firma Clariant durch das sunliquid®-Verfahren in Straubing herstellt? Der „Bayern-Sprit“ ist keine bayern-spezifische Kraftstoffsorte , sondern der Titel einer F+E-Initiative mit dem Ziel, in Straubing Kompetenzen zu den Bereichen synthetische Kraftstoffe und Spezial-/Fein-Chemikalien aufzubauen bzw. gezielt zu verstärken. Die von Herrn Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder vorgestellte Maßnahme „Bayern-Sprit“ teilt sich auf in zwei verzahnte Teilprojekte: Im neu aufzubauenden Fraunhofer Forschungszentrum „Bay ern-Sprit“ entwickeln die Fraunhofer-Forscher biobasierte und nachhaltige Verfahren, die prinzipiell für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen geeignet sind. Diese Verfahren werden in Straubing (Institutsteil BioCat) mit Unterstützung von Sulzbach-Rosenberg (Institutsteil UMSICHT-ATZ) erforscht und für den Einsatz in ersten Testmengen vorbereitet. In einem zweiten Schritt wird durch eine Demonstrationsanlage die Möglichkeit geschaffen, diese Verfahren zur „Industrietauglichkeit“ (z. B. Herstellung großer Men- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente  abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen/ T agesübersicht  zur Verfügung. 17. Wahlperiode 01.10.2018 Drucksache 17/22972 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/22972 gen, einfache Handhabung, finanzielle Konkurrenzfähigkeit etc.) zu skalieren. Nur so können synthetische Kraftstoffe bzw. Kraftstoffadditive in die breite Anwendung überführt werden. Aufgrund der breiten technischen Ausstattung kann die Anlage auch für die Skalierung anderer Fein- und Spezial -Chemikalien genutzt werden („Mehrzweckanlage“) und passt optimal in das Profil der „Region der nachwachsenden Rohstoffe“. Die geplante Demonstrationsanlage ist organisatorisch und wirtschaftlich unabhängig von der bisher bestehenden sunliquid®-Anlage bzw. dem sunliquid®-Verfahren des Unternehmens Clariant. 2. a) Plant die Staatsregierung, die seit Juli 2012 betriebene vorkommerzielle Anlage in Straubing weiterzuentwickeln ? Nein, eine Erweiterung der Anlage des Unternehmens Clariant ist durch die Staatsregierung nicht vorgesehen. b) Bezieht sich die Ankündigung auf den „Bau einer neuen biotechnologischen Demonstrationsanlage in Straubing“, die bereits 2015 mit einem Einsatz von 20 Mio. Euro Fördermitteln des Freistaates von der damaligen Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie Ilse Aigner angekündigt wurde? Ja. Bereits 2015 bestand der Wunsch der Staatsregierung, die Wertschöpfung aus Spitzenforschung vor Ort zu ermöglichen , Ansiedlungsimpulse für Niederbayern zu setzen und mit einer einzigartigen Demonstrationsanlage das Profil von Straubing als „Region der nachwachsenden Rohstoffe“ national und international weiter zu schärfen. Diesen Wunsch hatte die damalige Staatsministerin für Wirtschaft und Medien , Energie und Technologie in Straubing zum Ausdruck gebracht. 3. a) Wie beurteilt die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das von der Staatsregierung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 28 Mio. Euro geförderte Verfahren mit der Pilotanlage (20 Arbeitsplätze) dazu führte, dass 2018 Clariant eine eigene kommerzielle Großanlage zur Herstellung von Zellulose-Ethanol mit einer jährlichen Produktionskapazität von 50.000 Tonnen auf Basis der sunliquid®-Technologie im Südwesten Rumäniens baut? Am 20.07.2012 wurde die Anlage zur biotechnologischen Herstellung von Bioethanol aus Abfall- und Reststoffen, also aus Rohstoffen, die nicht zur Herstellung von Nahrungsoder Futtermitteln verwendet werden können, in Straubing eingeweiht. Das Gesamtvorhaben mit einem Volumen von insgesamt 28 Mio. Euro umfasste Investitionen in Höhe von rund 16 Mio. Euro und begleitende Forschungsvorhaben in Höhe von knapp 12 Mio. Euro. Die Investitionskosten wurden nicht gefördert. Zur Unterstützung für die begleitenden Forschungsvorhaben wurden vom damaligen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie (StMWi) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jeweils 5 Mio. Euro in Aussicht gestellt. Diese bereitgestellten Mittel wurden von Clariant nicht vollständig abgerufen. Das Ziel der Anlage des Unternehmens Clariant war es, das damals neue sunliquid®-Verfahren zur „Industrietauglichkeit “ zu skalieren. Eine Produktion von zum Verkauf vorgesehenem Bioethanol war in der sunliquid®- Demonstrationsanlage in Straubing nicht vorgesehen. Dazu sollte eine sunliquid®-Referenzanlage errichtet werden, die im Rahmen eines Calls des 7. EU-Forschungsrahmenprogrammes (Work Programme 2012, Theme 5 – Energy, EN- ERGY 2012.3.2.3: „Pre-commercial industrial scale demonstration plant on lignocellulosic ethanol“) unterstützt wurde. Am 31.10.2017 gab Clariant bekannt, diese Referenzanlage in Rumänien zu errichten. Die Staatsregierung bedauert diese Investitionsentscheidung des Unternehmens Clariant, betont aber die unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Umso mehr erscheint es der Staatsregierung wichtig, das wissenschaftliche und wirtschaftliche Profil von Straubing zu schärfen, um langfristig die Attraktivität für Forschung und Entwicklung sowie die kommerzielle Anwendung in Niederbayern zu steigern. b) Wie beurteilt die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das von der Staatsregierung und dem BMBF mit rund 28 Mio. Euro geförderte Verfahren mit der Pilotanlage (20 Arbeitsplätze) dazu führte, dass 2017 die Firma Enviral, der größte Hersteller von Bioethanol der Slowakei, eine Lizenz für die Anwendung von Clariants sunliquid®-Technologie erwarb, um eine Großanlage für die kommerzielle Produktion von jährlich rund 50.000 Tonnen Zellulose-Ethanol aus Agrarreststoffen zu realisieren? Die Strategie der Staatsregierung zielt darauf ab, hochwertige Verfahren und Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen in Straubing zu etablieren, da ein Wettbewerb mit preiswerten Massenprodukten und -verfahren angesichts der hiesigen Lohnkosten nicht erfolgversprechend erscheint. Die Auslizensierung der in Bayern entwickelten Technologie zeigt, dass diese angestrebte Technologieführerschaft auch an anderen Standorten wahrgenommen wird. Sie ist daher als Erfolg zu werten. Zudem profitieren die in Straubing und Bayern ansässigen Unternehmen auch von Lizenzeinnahmen und es werden für die Technologieentwicklung hochwertige Arbeitsplätze gesichert und geschaffen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 a verwiesen. c) Wie will die Staatsregierung in diesem Zusammenhang durchsetzen, dass Bioethanol in größerem Stil in Straubing produziert werden soll? Die kommerzielle Produktion von großen Mengen an Bioethanol am Standort Straubing ist nicht das Ziel der Maßnahmen „Bayern-Sprit“. Vielmehr geht es darum, neue und innovative Verfahren zur Herstellung von synthetischem Kraftstoff aus Biomasse, CO2 und Abfällen zu erforschen und diese in einen „industrietauglichen“ Maßstab zu skalieren . So wird der Wissensvorsprung am Standort Straubing gezielt weiterentwickelt und das Profil geschärft. Drucksache 17/22972 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 4. a) Wie viel Bioethanol der zweiten Generation kann derzeit Superkraftstoff für den alltäglichen Einsatz in Serienfahrzeugen ohne Probleme zugemischt werden? Aufgrund der Kraftstoffnorm DIN EN 228 Anlage 2 a und 2 b können derzeit bis zu 10 Prozent Ethanol im Ottokraftstoff enthalten sein. Darüber hinaus regelt die 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BlmSchV) die Anforderungen an den Ethanolkraftstoff E85. In einem Test des Unternehmens Clariant in Kooperation mit Mercedes Benz und Haltermann Carless wurde 2016 die Anwendung von Bioethanol aus Stroh in einem Flottentest mit Serienfahrzeugen erprobt. Für den Test wurde dem von Haltermann Carless produzierten Kraftstoff ein Ethanolanteil von 20 Volumenprozent (E20) aus der sunliquid®-Anlage in Straubing beigemischt. Es zeigte sich über einen Zeitraum von 12 Monaten, dass E20-Treibstoff mit Bioethanol sehr gute Verbrennungseigenschaften mit hohem Wirkungsgrad und gleichbleibendem Verbrauch gegenüber dem heutigen Standardbenzin E10 besitzt. Bedingt durch die leicht geringere Energiedichte von E20 war bei gleichen Betriebsbedingungen mit einem geringfügig höheren Kraftstoffverbrauch (0 bis 3 Prozent) zu rechnen. b) Welches Potenzial an Ernterückständen sieht die Staatsregierung in Bayern, das bei Berücksichtigung der notwendigen Bodenregeneration energetisch verwertet werden könnte? Bei den Ernterückständen käme als Rohstoff für synthetische Kraftstoffe derzeit vorwiegend Stroh infrage. Das damit einhergehende Potenzial für Bayern liegt schätzungsweise bei rund 1,5 Mio. Tonnen pro Jahr. Allerdings wird Stroh auch für andere Zwecke, z. B. für die Humuserhaltung, Fütterung oder als Einstreu benötigt, und hat zudem einen Marktpreis zwischen 60 und 90 Euro/t. Diese Faktoren mindern die tatsächlich für Kraftstoffe verfügbare Strohmenge. Allerdings sollen in der Initiative „Bayern-Sprit“ auch andere Rohstoffquellen adressiert werden. Die Forschungsarbeiten des Fraunhofer-lnstitutsteils BioCat in Straubing nutzen eine Kombination von chemischer Katalyse mit Elektrokatalyse und Biokatalyse zur Synthese von Chemikalien und Kraftstoffen basierend auf dem Gas CO2 und unter Nutzung regenerativ erzeugter elektrischer Energie („synthetische Kraftstoffe“). Daher werden neben den auf Stroh basierenden Biokraftstoffen auch CO2-basierte Treibstoffe und Treibstoffadditive bearbeitet. c) Wie viel Bioethanol könnte daraus jährlich gewonnen werden (absolute Zahlen, Prozentangabe des derzeitigen Benzinbedarfs in Bayern)? Die Menge an erzielbarem Bioethanol aus den in Antwort 4 b beschriebenen Mengen an Stroh ist sehr stark vom Wirkungsgrad des jeweiligen Verfahrens abhängig. Die Initiative „Bayern-Sprit“ zielt nicht ausschließlich auf die Produktion von Kraftstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen , wie z. B. Stroh. Vielmehr sollen gleichrangig Verfahren erforscht und entwickelt werden, die eine Verwendung z. B. des Gases CO2 ermöglichen. 5. Wie will die Staatsregierung verhindern, dass es zu einem ähnlichen Fehlstart wie bei der Einführung des Biokraftstoffs E10 kommt? Nach Einschätzung der Staatsregierung beruhte die Ablehnung des im Jahr 2011 eingeführten Kraftstoffes E10 vorrangig auf kommunikativen Schwächen. Diese Einschätzung wird durch eine Veröffentlichung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages gestützt (WD8-3000- 007/17). Die Staatsregierung sucht die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit, z. B. durch die Errichtung des NAWARE- UMs in Straubing. Das NAWAREUM – natürlich erneuerbar – ist der Informations- und Erlebnisort für nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien. Es ergänzt das Angebot des Kompetenzzentrums für Nachwachsende Rohstoffe (TUM-Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit , Technologie- und Förderzentrum, C.A.R.M.E.N. e. V.). Das NAWAREUM soll anschaulich, ansprechend und interaktiv die Zukunft unserer Energie- und Rohstoffversorgung mit konkreten Perspektiven darstellen und erlebbar machen. 6. Wie beurteilt die Staatsregierung den von Audi verwendeten Ersatzstoff Isooktan aus Leuna, der aus 100 Prozent biologisch hergestelltem Isobuten synthetisiert wird, im Vergleich zum „Bayern- Sprit“? Bei „Bayern-Sprit“ handelt es sich nicht um eine konkrete Kraftstoffsorte wie in dem angesprochenen Projekt des Unternehmens Audi, sondern vielmehr um eine Fördermaßnahme zur Entwicklung einer Bandbreite an synthetischen Kraftstoffen bzw. Kraftstoffadditiven. Es besteht hierbei keine Vorfestlegung auf eine bestimmte Sorte von Kohlenwasserstoffen bzw. Additiven oder ein bestimmtes biochemisches oder biotechnologisches Herstellungsverfahren. Auch sind die im Rahmen der Initiative „Bayern-Sprit“ zu erforschenden synthetischen Kraftstoffe nicht auf die Beimischung von Bioethanol (aus Stroh oder CO2) beschränkt. Vielmehr sollen die jeweils besten Verfahren und Produkte erforscht und anschließend zu einer „Industrietauglichkeit“ weiterentwickelt werden.