Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ulrike Gote BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 30.05.2018 Ersatzfreiheitsstrafe in Bayern: Kosten, Sinn und Alternativen Vorbemerkung: Bundesweit sitzen ca. 5.000 Menschen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis, weil sie die vom Gericht verordnete Geldstrafe nicht zahlen konnten oder wollten. Das bedeutet , dass die zu einer Geldstrafe verurteilten Personen ins Gefängnis müssen, obwohl das Gericht ursprünglich von einer Haftstrafe abgesehen hatte. Damit kann nicht nur der Grundgedanke der Resozialisierung nicht verwirklicht werden , sondern es entstehen auch erhebliche Kosten für den Staat. Bundesländer wie u. a. Baden-Württemberg, Nordrhein -Westfalen und Niedersachen zeigen, dass es auch Alternativen gibt, von denen sowohl der Staat als auch die betroffenen Personen profitieren können. Daher frage ich die Staatsregierung: 1.1 Wie viele Menschen sind in Bayern aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert (bitte die Zahlen für die einzelnen Justizvollzugsanstalten angeben)? 1.2 Welche Straftaten haben diese Menschen begangen (bitte nach Anzahl und Straftaten sortieren)? 1.3 Wie viele Monate sind die zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilten Personen in Bayern durchschnittlich inhaftiert ? 2.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Tatsache, dass Personen bei Nichtbezahlung ihrer Geldstrafe aufgrund der Ersatzfreiheitsstrafe in Haft müssen, obwohl das Gericht ursprünglich von der Verhängung einer Freiheitsstrafe abgesehen hatte? 2.2 Wie bewertet die Staatsregierung die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB)? 2.3 Befürwortet die Staatsregierung alternative Maßnahmen zur Ersatzfreiheitsstrafe? 3.1 Wie viele Personen, die in Bayern zu einer Geldstrafe verurteilt werden, stellen einen Antrag auf Zahlungserleichterung ? 3.2 Wird mit dem Antrag auf Zahlungserleichterung bei einer Verurteilung zur Geldstrafe offensiv geworben? 3.3 Wie viele Menschen nehmen nach § 293 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) die „freie Arbeit “ statt der Ersatzfreiheitsstrafe wahr? 4.1 Unternimmt die Staatsregierung Maßnahmen, um die Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe zu fördern? 4.2 Wenn ja, welche? 4.3 Wenn ja, wie hoch ist die Erfolgsquote dieser Maßnahmen ? 5.1 Wie hoch sind die Kosten für die Durchsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe pro Person und Tag? 5.2 Wie hoch sind die Kosten für die Ersatzfreiheitsstrafen ingesamt in den Jahren 2017, 2016, 2015, 2014 und 2013? 6.1 Wie viel Geld könnte eingespart werden, wenn statt Ersatzfreiheitsstrafen alternative Methoden umgesetzt würden? 6.2 Wie hoch ist im Schnitt die Geldstrafe, die die zur Ersatzfreiheitsstrafe verurteilten Personen in Bayern nicht bezahlen können? 6.3 Bei wie vielen davon wurde aktiv mit Maßnahmen geworben , um eine Haft zu vermeiden? 7.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe „Schwitzen statt Sitzen“ aus Baden -Württemberg? 7.2 Wie bewertet die Staatsregierung das Vorhaben aus Nordrhein-Westfalen, das Schwarzfahren nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahnden ? 7.3 Wie bewertet die Staatsregierung die Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“ aus Niedersachsen? 8.1 Unternimmt die Staatsregierung Maßnahmen, um die hohe Quote an Verurteilungen zur Ersatzfreiheitsstrafe zu verringern? 8.2 Gibt es Überlegungen innerhalb der Staatsregierung, die Ersatzfreiheitsstrafe in ihrer jetzigen Form zu reformieren ? 8.3 Gibt es Überlegungen innerhalb der Staatsregierung, die Ersatzfreiheitsstrafe wie in Dänemark oder Schweden ersatzlos zu streichen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 01.10.2018 Drucksache 17/23056 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23056 Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 29.06.2018 Nach § 43 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) tritt an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe Freiheitsstrafe, wobei ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe entspricht . Eine Ersatzfreiheitsstrafe wird dabei nicht durch das verurteilende Gericht festgesetzt; im Urteil wird nur die einschlägige Geldstrafe ausgesprochen. Die Grundlage dafür, dass die Ersatzfreiheitsstrafe an die Stelle der Geldstrafe tritt, ergibt sich unmittelbar aus § 43 Abs. 1 StGB. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe wiederum geht gemäß § 459e Strafprozessordnung (StPO) auf eine Anordnung der Vollstreckungsbehörde zurück. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein wichtiger Baustein im strafrechtlichen Sanktionensystem des Strafgesetzbuchs. Sie stützt die Geldstrafe, indem sie durch das Inaussichtstellen eines Freiheitsentzugs bei fortgesetzter Nichtzahlung wesentlich dazu beiträgt, dass der weit überwiegende Teil der verhängten Geldstrafen durch die Verurteilten beglichen wird. An der Ersatzfreiheitsstrafe ist bereits aus diesem Grund festzuhalten, zumal wirksame Alternativen nicht ersichtlich sind. Die zum Teil geäußerte Kritik, die Ersatzfreiheitsstrafe sei „unsozial“, geht an der Sache vorbei: Den finanziellen Verhältnissen der verurteilten Person wird bereits durch das Gericht bei der Festlegung der Tagessatzhöhe Rechnung getragen. Auch im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens besteht noch die Möglichkeit, die finanziellen Verhältnisse der verurteilten Person durch die Gewährung von Zahlungserleichterungen zu berücksichtigen. Stellt die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe eine unbillige Härte dar, kann das zuständige Gericht auf der Grundlage von § 459f StPO bestimmen , dass ihre Vollstreckung unterbleibt. Die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden , ist seit Langem ein wichtiges Anliegen des Staatsministeriums der Justiz (StMJ). Wer nicht über die notwendigen finan ziellen Mittel zur Begleichung einer Geldstrafe verfügt, aber bereit ist, anstelle einer Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige Arbeit zu leisten – insbesondere im Rahmen des seit vielen Jahren erfolgreichen Programms „Schwitzen statt Sitzen “ –, dem wird diese Möglichkeit grundsätzlich auch eingeräumt . Das StMJ beteiligt sich derzeit an einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe . Diese erörtert weitere Möglichkeiten, um den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden. Möglicherweise werden sich derartige Alternativen dem Abschlussbericht , der nach derzeitigem Stand Mitte des Jahres 2019 vorgelegt werden soll, entnehmen lassen. 1.1 Wie viele Menschen sind in Bayern aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert (bitte die Zahlen für die einzelnen Justizvollzugsanstalten angeben)? Zum letzten Stichtag 31.03.2018 haben von den inhaftierten Personen in den angeführten Anstalten jeweils eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt: Justizvollzugsanstalt Ersatzfreiheitsstrafe Aichach 38 Amberg 7 Ansbach 3 Aschaffenburg 20 Augsburg 61 Bad Reichenhall 1 Bamberg 16 St. Georgen-Bayreuth 26 Bernau 61 Ebrach - Eichstätt - Erding - Erlangen - Garmisch-Partenkirchen 11 Hof 16 Ingolstadt - Kaisheim 4 Kempten (Allgäu) 20 Kronach 9 Landsberg a. Lech 9 Landshut 33 Laufen-Lebenau - Memmingen 20 Drucksache 17/23056 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Justizvollzugsanstalt Ersatzfreiheitsstrafe Mühldorf a. Inn 7 München 141 Neuburg a. d. Donau 13 Neuburg-Herrenwörth 1 Niederschönenfeld 3 Nürnberg 96 Passau 18 Regensburg 16 Schweinfurt 8 Straubing 9 Traunstein 6 Weiden i. d. OPf. 4 Würzburg 29 insgesamt 706 1.2 Welche Straftaten haben diese Menschen begangen (bitte nach Anzahl und Straftaten sortieren)? Eine statistische Verknüpfung der Strafart (also z. B. Ersatzfreiheitsstrafe ) und der der Verurteilung zugrunde liegenden Delikte erfolgt nicht. Eine bayernweite händische Überprüfung sämtlicher einschlägiger Verfahrensakten wäre mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. 1.3 Wie viele Monate sind die zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilten Personen in Bayern durchschnittlich inhaftiert? Die Inhaftierungsdauer der Gefangenen, die zum letzten Stichtag 31.03.2018 wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe in bayerischen Justizvollzugsanstalten inhaftiert waren, betrug durchschnittlich 76,21 Tage. 2.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Tatsache, dass Personen bei Nichtbezahlung ihrer Geldstrafe aufgrund der Ersatzfreiheitsstrafe in Haft müssen , obwohl das Gericht ursprünglich von der Verhängung einer Freiheitsstrafe abgesehen hatte? Der Umstand, dass anstelle uneinbringlicher Geldstrafe Freiheitsstrafe tritt, ergibt sich aus dem Gesetz. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung Bezug genommen. Ohne die Möglichkeit der Ersatzfreiheitsstrafe wäre in vielen Fällen auch die Einbringlichkeit der verhängten Geldstrafe gefährdet. 2.2 Wie bewertet die Staatsregierung die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB)? Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. 2.3 Befürwortet die Staatsregierung alternative Maßnahmen zur Ersatzfreiheitsstrafe? Die Staatsregierung befürwortet grundsätzlich geeignete und effektive Maßnahmen zur Vermeidung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe. 3.1 Wie viele Personen, die in Bayern zu einer Geldstrafe verurteilt werden, stellen einen Antrag auf Zahlungserleichterung? Die Zahl der Personen, die in Bayern im Rahmen der Geldstrafenvollstreckung einen Antrag auf Zahlungserleichterungen stellen, wird statistisch nicht erfasst und kann aus dem vorliegenden Datenmaterial nicht ausgelesen werden. Eine bayernweite händische Überprüfung sämtlicher einschlägiger Verfahrensakten wäre mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. 3.2 Wird mit dem Antrag auf Zahlungserleichterung bei einer Verurteilung zur Geldstrafe offensiv geworben ? Im Rahmen der strafrechtlichen Hauptverhandlung werden die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der angeklagten Person erörtert. Ergeben sich bereits hier Hinweise darauf, dass es der angeklagten Person nicht zuzumuten ist, die Geldstrafe in einem Betrag zu bezahlen, kann das Gericht auf der Grundlage von § 42 StGB im Urteil bestimmen, dass Zahlungserleichterungen gewährt werden. Zum Teil erfolgt auch nach Verkündung des Urteils durch das Gericht der Hinweis, dass im Vollstreckungsverfahren Zahlungserleichterungen beantragt werden können. Das vollstreckungsrechtliche Schreibwerk der Staatsanwaltschaften bietet zudem die Möglichkeit, eine verurteilte Person zu verschiedenen Zeitpunkten des Vollstreckungsverfahrens über die Gewährung von Zahlungserleichterungen zu informieren. Diese Möglichkeit wird von den Vollstreckungsbehörden entsprechend den Gegebenheiten des Einzelfalls häufig genutzt. 3.3 Wie viele Menschen nehmen nach § 293 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) die „freie Arbeit“ statt der Ersatzfreiheitsstrafe wahr? Bezogen auf die im Jahr 2017 erledigten Verfahren der Geldstrafenvollstreckung haben in Bayern 2.310 Personen (zumindest auch) durch die Ableistung gemeinnütziger Arbeit auf Grundlage der Bayerischen Gnadenordnung ein auf Vollstreckung einer Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe gerichtetes Vollstreckungsverfahren erledigt. 4.1 Unternimmt die Staatsregierung Maßnahmen, um die Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe zu fördern ? 4.2 Wenn ja, welche? 4.3 Wenn ja, wie hoch ist die Erfolgsquote dieser Maßnahmen ? Vor dem Hintergrund steigender Zahlen an uneinbringlichen Geldstrafen wurde im Jahr 2005 das Projekt Gemeinnützige Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe („Schwitzen statt Sitzen“) mit dem Abschluss einer Vereinbarung über die Gewährung einer Zuwendung für die Vermittlung erfolgreich abgewendeter Ersatzfreiheitsstrafen vom StMJ ins Leben gerufen. Diese Vereinbarung haben insgesamt 38 Einrichtungen Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23056 unterzeichnet. Im Rahmen des Projekts vermitteln die beteiligten Einrichtungen verurteilte Personen, gegen die die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet wurde, in gemeinnützige Arbeit. Grundgedanke des Projekts ist die ausschließliche Förderung der Vermittlungstätigkeit mit Mitteln des Freistaates Bayern. Ziel ist es, durch die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen Hafttage einzusparen und damit in der Folge reale Kostenreduzierungen im Vollzug zu erwirken. Die Einsparungen werden in Form von Zuwendungen für die Projektfinanzierung verwendet und an die beteiligten Einrichtungen ausgereicht. Zahlen, wie viele Verurteilte im Einzelnen im Rahmen des Projekts „Schwitzen statt Sitzen“ eine Haftstrafe vermieden haben, liegen nicht vor, jedoch die Zahl der vermiedenen Hafttage. Diese stellt sich wie folgt dar: 2005: 51.476 2006: 90.356 2007: 82.873 2008: 82.837 2009: 87.083 2010: 90.773 2011: 73.460 2012: 66.887 2013: 71.541 2014: 70.685 2015: 67.973 2016: 64.241 insg. 900.185 Für das Jahr 2017 liegen noch nicht alle Abrechnungen vor. Rechnet man die vorläufigen Zahlen hinzu, dann wurden durch das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ seit dem Beginn der finanziellen Förderung im Jahr 2005 insgesamt schon fast 1.000.000 Hafttage vermieden. 5.1 Wie hoch sind die Kosten für die Durchsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe pro Person und Tag? Ein spezieller Haftkostensatz für einen Ersatzfreiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen wird nicht erhoben. Die durchschnittlichen Kosten des Haftvollzugs für einen Gefangenen betrugen in Bayern 2017 einschließlich Bauund Investitionskostenanteil 107,79 Euro pro Tag. 5.2 Wie hoch sind die Kosten für die Ersatzfreiheitsstrafen ingesamt in den Jahren 2017, 2016, 2015, 2014 und 2013? Da keine systematische Erfassung und Auswertung der Gefangenen , die eine Ersatzfreiheitsstrafe innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (z. B. ein Jahr) in einer Justizvollzugsanstalt verbüßen, erfolgt, können die Kosten insoweit nicht beziffert werden. Die Gesamtausgaben des Justizvollzugs in den Jahren 2013 bis 2017 stellen sich folgendermaßen dar: 2013: 404.085.890,26 Euro 2014: 407.143.071,33 Euro 2015: 403.121.125,94 Euro 2016: 394.895.609,42 Euro 2017: 417.133.085,62 Euro 6.1 Wie viel Geld könnte eingespart werden, wenn statt Ersatzfreiheitsstrafen alternative Methoden umgesetzt würden? Konkrete Einsparmöglichkeiten ergeben sich insbesondere bei den sogenannten variablen Kosten, wie z. B. Verpflegung und medizinische Versorgung der Gefangenen. Die Ausgaben betrugen im Jahr 2017 insoweit 6,94 Euro für einen Gefangenen pro Hafttag. Der oben genannte Betrag von pro Tag 107,79 Euro je Hafttag beinhaltet insbesondere auch Fixkosten u. a. für Personal, Bau, Investitionen und Unterhalt der Justizvollzugsanstalten. Diese Fixkosten fallen weiterhin an, unabhängig von der Zahl der Gefangenen, solange nicht ganze Justizvollzugsanstalten mit allen Konsequenzen aufgelöst werden können. Die (Gesamt-)Kosten für alternative Sanktionen können hier nicht beurteilt werden. 6.2 Wie hoch ist im Schnitt die Geldstrafe, die die zur Ersatzfreiheitsstrafe verurteilten Personen in Bayern nicht bezahlen können? Bei vollstreckten Geldstrafen wird deren durchschnittliche Höhe statistisch nicht ausgewertet. Aus dem vorliegenden Datenmaterial konnten jedoch für die bayerischen Vollstreckungsbehörden – nicht gewichtete – Durchschnittswerte ermittelt werden, wobei die betroffenen Personen ggf. auch außerhalb Bayerns wohnhaft waren bzw. in einer außerbayerischen Justizvollzugsanstalt ihre Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt haben. Danach betrug die Höhe der Geldstrafen, die im Jahr 2017 durch Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt oder durch gemeinnützige Arbeit getilgt wurden, durchschnittlich 1.493 Euro. 6.3 Bei wie vielen davon wurde aktiv mit Maßnahmen geworben, um eine Haft zu vermeiden? Von den im Jahr 2017 erledigten Verfahren wurde in 17.098 Fällen den Verurteilten das Angebot gemacht, die Ersatzfreiheitsstrafe durch die Ableistung gemeinnütziger Arbeit abzuwenden. Wie die betroffenen Personen letztlich die jeweils gegen sie verhängte Geldstrafe getilgt haben – sei es durch Zahlung, gemeinnützige Arbeit oder Ersatzfreiheitsstrafe –, kann anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht bestimmt werden. 7.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe „Schwitzen statt Sitzen“ aus Baden-Württemberg? Nachdem zu der konkreten Ausgestaltung der in Baden- Württemberg praktizierten Maßnahmen zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe keine näheren Erkenntnisse vorliegen, kann von hier aus keine tragfähige Bewertung erfolgen. Für den hiesigen Geschäftsbereich, in dem seit November 1986 ein namensgleiches Projekt besteht, gilt Folgendes: Das Angebot, die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zur Tilgung einer nicht einbringbaren Geldstrafe durch Leistung gemeinnütziger Arbeit zu vermeiden, ist seit Langem ein wichtiges Anliegen der Staatsregierung. Es wurde bereits im November 1986 flächendeckend in Bayern eingeführt und in der Abwicklung sukzessive verbessert, etwa durch die o. g. Drucksache 17/23056 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Vereinbarung über die Gewährung einer Zuwendung für die Vermittlung erfolgreich abgewendeter Ersatzfreiheitsstrafen (vgl. die Antworten zu den Fragen 4.1–4.3). Die Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Ableistung gemeinnütziger Arbeit hat mehrere positive Effekte: Der Strafanspruch des Staates kann konsequent durchgesetzt werden, wertvolle Ressourcen der Justiz und des Justizvollzugs werden geschont, ein Beitrag zur Resozialisierung der Täter wird geleistet und nicht zuletzt dient die gemeinnützige Arbeit einer guten Sache, von der auch die Allgemeinheit profitiert. 7.2 Wie bewertet die Staatsregierung das Vorhaben aus Nordrhein-Westfalen, das Schwarzfahren nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahnden? Es besteht kein Anlass, das Erschleichen von Beförderungsleistungen zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Es handelt sich bei der Beförderungserschleichung nicht um Bagatellunrecht. Auch derjenige handelt grundsätzlich sozialschädlich, der sich eine Leistung verschafft, indem er unter dem Deckmantel der Ordnungsmäßigkeit das Vertrauen missbraucht, das der Betreiber eines öffentlichen Verkehrsmittels durch das uneingeschränkte Anbieten seiner Leistung der Bevölkerung entgegenbringt. Häufig ist der Schaden der einzelnen Tat zwar gering. Das muss aber nicht so sein, wenn man an Fernfahrten mit der Bahn denkt. Es ist nicht erkennbar, wo man hier eine Grenze ziehen soll, und ferner, wie eine Straflosigkeit gegenüber vergleichbaren Fällen geringen Unrechts, etwa dem Erschleichen einer Kinovorstellung , zu rechtfertigen ist. Nicht ausge blendet werden dürfen auch die Folgen der – leider – weit verbreiteten Begehung entsprechender Taten: So fügt die massenhafte Begehung der Beförderungserschleichung der Volkswirtschaft Schäden in Millionenhöhe zu, die letztendlich die Allgemeinheit über erhöhte Fahrpreise zu tragen hat. So gehen den Verkehrsunternehmen in Deutschland nach Schätzungen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen jährlich 250 bis 300 Mio. Euro an Ticketeinnahmen durch „Schwarzfahren“ verloren. Abgesehen davon prägen die „Einmalfälle“ auch nicht das Bild der Praxis. Sofern sie überhaupt vorkommen, gibt das Strafverfahrensrecht jede Möglichkeit, dem Maß des verwirklichten Unrechts, etwa durch Opportunitätseinstellung , gerecht zu werden. Vielmehr haben die öffentlichen Verkehrsbetriebe, jedenfalls in Bayern, schon seit Jahren die bewährte Übung, den „Schwarzfahrer“ erst im Anschluss an – zumeist mehrere – vorangegangene Taten zur Anzeige zu bringen. Festzuhalten ist also, dass die Justiz im Regelfall ohnehin nur den „Wiederholungstäter“ verfolgt, und zwar grundsätzlich – bei Erwachsenen – mit Strafbefehl . Die einschlägigen Verfahren sind einfach zu handhaben und schnell abzuwickeln. Eine substanzielle Entlastung wäre mit einer Entkriminalisierung daher nicht verbunden, allenfalls würden Arbeitslasten nur auf die Verwaltungsbehörden verschoben. Eine weitere grundlegende Schwäche jedes Entkriminalisierungsversuchs ist die Behandlung des Wiederholungstäters. Dass auch der hartnäckige Wiederholungstäter straffrei gestellt wird und durch Herabstufung der Tat zu einer Ordnungswidrigkeit nur ein Bußgeld zu erwarten hat, erscheint unbillig. Mit der Entkriminalisierung würden schließlich auch die besonderen präventiven Wirkungen der Strafe verloren gehen . Angesichts der Massenhaftigkeit des Verhaltens, dem Unwert, der einer ungerechtfertigten Teilhabe an im öffentlichen Interesse angebotenen Leistungen zukommt und sich in einem hohen Gesamtschaden ausdrückt, und dem Umstand , dass sich die Täter häufig genug durch ein erhöhtes Beförderungsentgelt nicht beeindrucken lassen, sollte hierauf aber nicht verzichtet werden. 7.3 Wie bewertet die Staatsregierung die Alternative zur Ersatzfreiheitsstrafe „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen“ aus Niedersachsen ? Die im Land Niedersachsen u. a. praktizierte Alternative „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen “ nimmt vornehmlich diejenigen Verurteilten in den Blick, die Transferleistungen empfangen oder Geringverdiener sind. In vielen Fällen sind gerade diese Verurteilten mit der ordnungsgemäßen Tilgung einer Geldstrafe überfordert. Im Hinblick auf die Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen treten im Rahmen des Projekts zu Geldstrafen verurteilte Personen Leistungsansprüche gegenüber Sozialbehörden oder Arbeitgebern an bestimmte Anlaufstellen ab. Die Anlaufstellen vereinbaren sodann Ratenzahlungen mit den für die Vollstreckung der Geldstrafen zuständigen Staatsanwaltschaften und stellen die pünktliche und vollständige Ratenzahlung auf die Geldstrafe sicher. Die aus Niedersachsen bislang vermeldeten Zahlen zur Erfolgsquote der Geldverwaltung und der Anzahl der hierdurch vermiedenen Hafttage erscheinen vielversprechend. Die Staatsregierung prüft fortlaufend die Implementierung erfolgsversprechender Projekte zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen . Die Einrichtung einer der Geldverwaltung in Niedersachsen ähnlich gelagerten Alternative zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen wird insoweit derzeit ebenfalls geprüft. 8.1 Unternimmt die Staatsregierung Maßnahmen, um die hohe Quote an Verurteilungen zur Ersatzfreiheitsstrafe zu verringern? Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, erfolgt keine Verurteilung durch das Gericht zu einer Ersatzfreiheitsstrafe. Das Gericht verurteilt vielmehr zu einer Geldstrafe; die Surrogatfunktion der Ersatzfreiheitsstrafe ergibt sich aus dem Bundesgesetz. Dem StMJ ist es als Organ der Justizverwaltung wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit verwehrt, auf gerichtliche Verfahren Einfluss zu nehmen. Die Gerichte sind nach Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz und nach Art. 85 Verfassung des Freistaa tes Bayern unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass zum Stichtag 31.03.2018 von den insgesamt in bayerischen Jus tizvollzugsanstalten inhaftierten Personen lediglich 6,09 Prozent eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt haben. Seite 6 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23056 8.2 Gibt es Überlegungen innerhalb der Staatsregierung , die Ersatzfreiheitsstrafe in ihrer jetzigen Form zu reformieren? Wie bereits im Rahmen der Vorbemerkung angesprochen, beteiligt sich das StMJ an einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich mit den Möglichkeiten beschäftigt, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden. Die Arbeitsgruppe wird auf der Grundlage einer eingehenden Bestandaufnahme darstellen und bewerten, ob und ggf. welche Veränderungsmöglichkeiten bestehen. Einer grundlegenden Reform der Ersatzfreiheitsstrafe steht das StMJ indessen aus den in der Vorbemerkung genannten Gründen ablehnend gegenüber . 8.3 Gibt es Überlegungen innerhalb der Staatsregierung , die Ersatzfreiheitsstrafe wie in Dänemark oder Schweden ersatzlos zu streichen? Derartige Überlegungen gibt es nicht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung Bezug genommen.