Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Ganserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 15.05.2018 Fahrwegsicherheit und Zugsicherung bei Eisenbahnen In Deutschland resp. Bayern fahren so viele Züge wie noch nie in der Geschichte der Eisenbahnen in unserem Land. Dafür ist das System, vor allem das der Infrastruktur, nicht ausgelegt gewesen. Die „normalen“ Engpässe sind inzwischen der alltägliche Betrieb. Gleichzeitig unterliegen die Eisenbahnen einem immensen Kostendruck zum einen durch den Wettbewerb der Straße (Individualverkehr, Fernbusse, Speditionen) und zum anderen im Wettbewerb der Eisenbahnverkehrsunternehmen untereinander. Darunter leidet auch die Qualität der Ausbildung der Betriebspersonale wie auch der Überwachung dieser Tätigkeiten. Die entstehenden Sicherheitslücken müssen, vor allem in der Infrastruktur , bei der Anerkennung des allgemeinen hohen Sicherheitsstandards , trotzdem zur Kenntnis genommen werden. Außerhalb der TEN-Korridore (TEN = Transeuropäische Netze) wird das European Train Control System (ETCS) auf absehbare Zeit wohl nicht eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. Bis wann wird ETCS nach Meinung der Staatsregierung auf welchen Strecken in Bayern voll verfügbar sein? 2. Inwieweit werden die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bei der Einführung von ETCS unterstützt? 3. Sind nach Einführung von ETCS die bestehenden Sicherheitslücken beseitigt? 4. Welche anderen Möglichkeiten zur Steigerung der Fahrwegsicherheit bei der Eisenbahn sieht die Staatsregierung ? 5. Wie beurteilt die Staatsregierung Antikollisionssysteme für den Eisenbahnbetrieb? 6. Inwieweit fördert die Staatsregierung die Erprobung oder Einführung von Antikollisionssystemen für den Eisenbahnbetrieb? 7. Inwieweit kann die Einführung von Antikollisionssystemen für den Eisenbahnbetrieb durch SPNV-Ausschreibungen vorangetrieben werden? Antwort des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr vom 30.07.2018 1. Bis wann wird ETCS nach Meinung der Staatsre gierung auf welchen Strecken in Bayern voll ver fügbar sein? Die Ausrüstung von Strecken mit dem European Train Control System (ETCS) ist Aufgabe der Eisenbahninfrastrukturunternehmen , in erster Linie der bundeseigenen Deutsche Bahn (DB) Netz AG als Betreiberin des mit Abstand größten Schienennetzes. Nach dem von der Bundesregierung am 11.12.2017 bei der Europäischen Kommission notifzierten nationalen Umsetzungsplan (NUP) für das ETCS ist aktuell der Abschnitt Ebensfeld – Landesgrenze Bayern/Thüringen der Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg – Erfurt der einzige in Bayern mit ETCS im Regelbetrieb. Bis zum Jahr 2023 sollen gemäß dem aktuellen NUP die Abschnitte Passau Güterbahnhof – Staatsgrenze D/A sowie Schirnding – Staatsgrenze D/CZ hinzukommen. Der NUP ist im Abstand von höchstens fünf Jahren zu aktualisieren. Zwischenzeitlich hat die DB Netz AG im Januar 2018 das Programm „Digitale Schiene Deutschland“ vorgestellt, wonach das Unternehmen unter anderem eine netzweite Migration auf ETCS Level 2 oder höher einschließlich digitaler Stellwerke (DSTW) innerhalb von ca. 20 Jahren realisieren will. Streckengenaue Umsetzungspläne gibt es noch nicht. Der tatsächliche Zeitraum bis zu einer vollständigen ETCS- Migration hängt letztlich von mehreren Randbedingungen ab, insbesondere inwieweit vom zuständigen Bund zusätzliche Finanzmittel für eine beschleunigte ETCS-Migration bereitgestellt werden. Mögliche Migrationsszenarien einschließlich des Finanzierungsbedarfs sind Gegenstand von Studien im Auftrag der Bundesregierung, deren Ergebnisse bis Ende des Jahres 2018 vorliegen sollen. 2. Inwieweit werden die Eisenbahnverkehrsunterneh men (EVU) bei der Einführung von ETCS unter stützt? Derzeit gibt es keine speziellen Programme zur Unterstützung der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bei der ETCS-Einführung. Die Notwendigkeit einer fahrzeugseitigen ETCS-Ausstattung wegen des Befahrens von ausschließlich mit ETCS ausgerüsteten Strecken ergibt sich derzeit nur für Züge auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Nürnberg und Berlin sowie für Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Verkehr auf ausländischen ETCS-Strecken. Die EVU in den eigenwirtschaftlichen Segmenten Personenfernverkehr und Güterverkehr entscheiden bislang anhand der einzelnen nationalen Umsetzungspläne (NUP) und nach unternehmerischen Kriterien über eine Fahrzeugausrüstung mit dem ETCS. In den bislang sehr seltenen Fällen einer ETCS- Ausrüstungspflicht für Züge des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) werden die zusätzlichen Kosten für das ETCS Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de–Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 15.10.2018 Drucksache 17/23536 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23536 bislang in das Bestellerentgelt eingepreist, das der SPNV- Aufgabenträger an das EVU bezahlt. Die Auswirkungen und der fahrzeugseitige Finanzierungsbedarf für den Fall einer beschleunigten ETCS-Migration sind Gegenstand der von der Bundesregierung beauftragten Studien. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 3. Sind nach Einführung von ETCS die bestehenden Sicherheitslücken beseitigt? Durch die ETCS-Spezifikationen sind im Wesentlichen Format und Inhalt der zwischen streckenseitigen Anlagen und den Fahrzeugen ausgetauschten Kommandos sowie die Reaktion der Fahrzeuge genormt. Die Funktionen zur Einstellung und Sicherung des Fahrwegs sind im Stellwerk realisiert und grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Strecke mit ETCS ausgerüstet ist oder nicht. Etwaige Sicherheitsdefizite in dem Sinne, dass mehr oder weniger viele Bedienhandlungen des Fahrdienstleiters erforderlich bzw. möglich sind und insoweit Potenzial für menschliche Fehlhandlungen besteht, sind von der Konzeption des Stellwerks abhängig. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass neuere Stellwerke insoweit ein höheres Sicherheitsniveau gegenüber älteren Bauformen bieten können, da das Einstellen der Fahrwege im Regelbetrieb vollautomatisch erfolgt und entsprechend keine manuellen Bedienhandlungen erforderlich sind. Außerdem können dem Fahrdienstleiter an via Bildschirm bedienten elektronischen oder digitalen Stellwerken bessere, situationsbezogene Hilfestellungen für den Fall von Unregelmäßigkeiten gegeben werden. Eine ETCS-Migration könnte insoweit mittelbar zu einer Erhöhung der Fahrwegsicherheit führen, da ETCS mit älteren Stellwerksbauformen nicht kompatibel ist und deshalb die Strecke mit elektronischem Stellwerk (ESTW) oder digitalem Stellwerk (DSTW) ausgerüstet werden würde. Im Übrigen könnten bei einer netzweiten Migration auf ETCS Level 2 oder höher auch Funktionen zur kontinuierlichen Überwachung des Fahrtverlaufs implementiert werden, die bislang nur auf Strecken mit Linienzugbeeinflussung (LZB) vorzufinden sind. 4. Welche anderen Möglichkeiten zur Steigerung der Fahrwegsicherheit bei der Eisenbahn sieht die Staatsregierung? Die Analyse von Eisenbahnunfällen und das Unterbreiten von Sicherheitsempfehlungen ist Aufgabe der Bundesstelle für die Untersuchung von Eisenbahnunfällen (BEU). Die BEU hat im Abschlussbericht vom 07.02.2018 zur Zugkollision im Bahnhof Leese-Stolzenau empfohlen, ältere Stellwerke ohne selbsttätige Gleisfreimeldeanlagen einer Risikobetrachtung zu unterziehen und erforderlichenfalls solche Anlagen nachzurüsten, die die Einfahrt von Zügen in bereits besetzte Gleise technisch verhindern. Die Staatsregierung teilt die Auffassung der BEU, dass damit die Fahrwegsicherheit erhöht und Unfälle wie der in Aichach am 07.05.2018 verhindert werden könnten. 5. Wie beurteilt die Staatsregierung Antikollisions systeme für den Eisenbahnbetrieb? Einer Verbreitung von Antikollisionssystemen im allgemeinen , interoperablen Eisenbahnnetz stehen nach Stand der Erkenntnisse rechtliche und tatsächliche Hindernissen entgegen . Die Staatsregierung wird gemäß den Beschlüssen des Landtags (Drs. 17/10228 und 17/10229) nach Vorliegen des Unfalluntersuchungsberichtes der BEU zum Zugunglück von Bad Aibling dem Landtag abschließend Bericht erstatten und dabei auch eine Beurteilung solcher Systeme vornehmen. 6. Inwieweit fördert die Staatsregierung die Erpro bung oder Einführung von Antikollisionssystemen für den Eisenbahnbetrieb? Es gibt bislang keine entsprechende Nachfrage von Eisenbahnunternehmen nach einer Förderung durch die Staatsregierung . 7. Inwieweit kann die Einführung von Antikollisions systemen für den Eisenbahnbetrieb durch SPNV Ausschreibungen vorangetrieben werden? Die Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH (BEG) ist für die Planung, Finanzierung und Qualitätssicherung des Schienenpersonennahverkehrs in Bayern verantwortlich. Die Zuständigkeit der BEG umfasst jedoch nicht die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes. Die BEG trifft daher im Rahmen ihrer Ausschreibungen von Schienennahverkehrsleistungen keinerlei Festlegungen zur Sicherheit des Eisenbahnbetriebes. Diese zu gewährleisten, ist innerhalb der jeweiligen, gesetzlich bestimmten Verantwortungsbereiche eine Aufgabe der Eisenbahnunternehmen, Anlagen- und Fahrzeughersteller sowie der Eisenbahn-Sicherheitsbehörden.