Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Schindler SPD vom 06.07.2018 Fall Gurlitt Teil 1 In dem Buch „Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal“ (Europa Verlag, München 2017) erhebt der Autor Maurice Philip Remy im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen den im Mai 2014 verstorbenen Kunstsammler Cornelius Gurlitt schwerwiegende Vorwürfe gegen bayerische Ermittlungsbehörden. Ich frage deshalb die Staatsregierung: 1. Wegen welcher Tatvorwürfe hat die Staatsanwaltschaft Augsburg nach dem 22.09.2010 Ermittlungen gegen Cornelius Gurlitt aufgenommen und welche tatsächlichen Anhaltspunkte lagen vor, um ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung einzuleiten? 2. Aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft Augsburg von der Tatsache der rechtmäßigen Einfuhr von Bargeld i. H. v. 9.000 Euro durch Cornelius Gurlitt auf den Verdacht der rechtswidrigen Einfuhr von Kunstgegenständen aus der Schweizerischen Eidgenossenschaft in die Europäische Union geschlossen? 3. Aufgrund welcher Tatsachen hat sich die Staatsanwaltschaft Augsburg berechtigt gesehen, Antrag auf Beschlagnahme von mehr als 1.000 im Besitz von Cornelius Gurlitt befindlichen Objekten zu stellen? 4. Warum hat die Staatsanwaltschaft Augsburg, nachdem sie spätestens am 29.11.2012 davon Kenntnis erlangt hat, dass es sich bei 246 beschlagnahmten Bildern um Objekte aus der Verwertung sog. „Entarteter Kunst“ gehandelt hat, nicht beantragt, die Beschlagnahme dieser Werke aufzuheben? 5. Inwieweit war dem Beschleunigungsgrundsatz angesichts der Tatsache noch Genüge getan, dass sich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach der Beschlagnahme vom 28.02.2012 etwa ein Jahr auf das Aufspüren von Kunstwerken aus der Aktion „Entartete Kunst“ konzentrierten und die Ermittlungen zu dem möglicherweise strafrechtlich relevanten Besitz von Raubkunst deshalb in den Hintergrund rückten? 6. Aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft Augsburg bei der Pressekonferenz vom 05.11.2013 nicht bekannt gegeben, dass zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, dass sich rund die Hälfte der beschlagnahmten Werke in rechtmäßigem Besitz von Cornelius Gurlitt befunden hatte? 7. Wie erklärt sich der Widerspruch zwischen der Einschätzung des Zollkriminalamts Köln vom 04.11.2013, dass Zweifel hinsichtlich eines hinreichenden Anfangsverdachts der Steuerhinterziehung gegen Cornelius Gurlitt bestanden hätten, zu der Aussage des Leitenden Oberstaatsanwalts Reinhard Nemetz bei der Pressekonferenz vom 05.11.2013, dass es einen steuerrechtlich relevanten Tatverdacht gegen Cornelius Gurlitt gegeben habe, und worin bestand der steuerrechtlich relevante Tatverdacht? 8. Warum wurde dem Beschuldigten während des gesamten Ermittlungsverfahrens kein Pflichtverteidiger bestellt, obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gegeben hatte und ein psychiatrisches Gutachten vom 20.12.2013 zu dem Schluss gekommen war, dass der Beschuldigte an „seelischer, geistiger und gesundheitlicher Gebrechlichkeit“ gelitten habe? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 21.08.2018 Vorbemerkung: Das gegen Herrn Gurlitt geführte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg hatte u. a. den Vorwurf der Steuerhinterziehung zum Gegenstand. Damit ist zwar das Steuergeheimnis nach § 30 Abgabenordnung (AO) zu berücksichtigen. Die Abwägung schutzwürdiger privater Interessen mit dem Informationsinteresse des Auskunft begehrenden Abgeordneten unter Berücksichtigung der Bedeutung der Pflicht zur erschöpfenden Beantwortung parlamentarischer Anfragen für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems (vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof – BayVerfGH, Entscheidung vom 11.09.2014 – 67-IVa-13) führt jedoch im konkreten Fall dazu, dass die mit den konkret gestellten Fragen begehrten Auskünfte erteilt werden können. Dafür ist insbesondere ausschlaggebend, Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.10.2018 Drucksache 17/23614 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23614 dass das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und dass über Einzelheiten des ihm zugrunde liegenden Sachverhalts zwischenzeitlich öffentlich zugänglich berichtet wurde, vor allem in dem in der Anfrage zitierten Buch. Die Angaben in den nachstehenden Antworten auf die gestellten Fragen beruhen auf den im Staatsministerium der Justiz vorliegenden Berichten über das damalige Ermittlungsverfahren gegen Herrn Gurlitt und einem zusammenfassenden Bericht des Generalstaatsanwalts in München vom 31.07.2018. 1. Wegen welcher Tatvorwürfe hat die Staatsanwaltschaft Augsburg nach dem 22.09.2010 Ermittlungen gegen Cornelius Gurlitt aufgenommen und welche tatsächlichen Anhaltspunkte lagen vor, um ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung einzuleiten? Nach dem Bericht des Generalstaatsanwalts in München vom 31.07.2018 reiste Herr Gurlitt am 22.09.2010 morgens mit der Deutschen Bahn von München nach Zürich und am Abend wieder zurück. Bei der Hinfahrt wie auch der Rückfahrt wurden Zoll- und Bargeldkontrollen durchgeführt. Herr Gurlitt führte bei der Hinfahrt außer einem Aktenkoffer, in dem sich Zeitschriften, schriftliche Reiseauskünfte der Deutschen Bahn, ein braunes Kuvert und drei weiße leere Kuverts befanden, keinerlei Gepäck mit sich. Bei der Rückfahrt wurden in dem mitgeführten Aktenkoffer nur noch zwei leere Kuverts aufgefunden. Die Frage nach mitgeführtem Bargeld verneinte er. Angesprochen auf den fehlenden Verbleib des dritten weißen Kuverts reagierte Herr Gurlitt nach Mitteilung der kontrollierenden Beamten nervös und aufgeregt und erklärte ausdrücklich, er führe kein Bargeld außer dem, was sich in seiner Geldbörse befinde, mit sich. Auch die Frage, ob er noch Bargeld am Körper oder in der Jacke verborgen halte, verneinte er. Das Verhalten des Herrn Gurlitt gab für die kontrollierenden Zollbeamten Anlass, ihn abzutasten (vgl. § 12a i. V. m. § 10 Zollverwaltungsgesetz – ZollVerwG). Dabei wurde das dritte weiße Kuvert mit 18 500-Euro-Scheinen aufgefunden. Auf die Frage nach der Herkunft des Geldes machte Herr Gurlitt keine Angaben. Auf Vorhalt bestritt er, dass er in der Schweiz ein Konto unterhalte. Nach Aufklärung über seine Mitwirkungspflicht zu im Ausland befindlichem Anlagevermögen (§ 90 AO) erklärte er, dass das von ihm mitgeführte Geld aus der Schweiz und aus dem Verkauf von Bildern, die sein Vater in der NS-Zeit an das Auktionshaus Kornfeld in Bern verkaufte, stamme. Zudem gab er an, dass sein Vater Hildebrand Gurlitt Museumsleiter in Zwickau gewesen sei. Weitere Angaben über die Herkunft des Geldes oder die näheren Umstände der Verkäufe machte er nicht. Weiter gab Herr Gurlitt an, dass er keinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland unterhalte und nur gelegentlich in einer Wohnung seiner Schwester in München übernachte. Er wies sich nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg mit einem vom Deutschen Honorarkonsulat Salzburg ausgestellten Reisepass aus, der einen Wohnsitz in Salzburg bescheinigte. Die anschließenden weiteren Abklärungen durch die Staatsanwaltschaft und die Zollbehörden ergaben, dass Herr Gurlitt keinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland angemeldet hatte. Allerdings teilten die österreichischen Behörden mit, dass das Anwesen der österreichischen Meldeadresse nicht zum dauerhaften Bewohnen geeignet sei. Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen bestand daher der Verdacht, dass Herr Gurlitt seinen festen Wohnsitz in München hatte. Steuerlich war er in München nicht erfasst. Recherchen zu seinen regelmäßigen Einkünften für den täglichen Lebensunterhalt verliefen ergebnislos. Im Rahmen der weiteren Überprüfungen durch die Staatsanwaltschaft und die Zollbehörden ergaben sich Hinweise darauf, dass der Vater des Herrn Gurlitt, Hildebrand Gurlitt, als Kunsthändler vom Propagandaministerium der nationalsozialistischen Regierung beauftragt worden war, Bilder und Kunstgegenstände, die damals als sog. „Entartete Kunst“ angesehen wurden, zu verwerten und aus dem Verkauf Devisen zu beschaffen. Ein Teil der Verkäufe wurde nach den damals vorliegenden Erkenntnissen seinerzeit in der Schweiz in Bern getätigt, wobei das – von Herrn Gurlitt bei der Kontrolle im Zug erwähnte – Auktionshaus Kornfeld involviert gewesen sein sollte. Daneben lagen Anhaltspunkte (u. a. mitgeteilt von der Koordinierungsstelle Magdeburg, der zentralen deutschen Serviceeinrichtung für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste) dafür vor, dass Hildebrand Gurlitt auch an der Verwertung von NS-Raubkunst beteiligt war. Aus diesen Erkenntnissen ergab sich nach Beurteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg der Verdacht, dass Herr Gurlitt seinen Lebensunterhalt aus Geldbeträgen aus der Schweiz und/oder aus durchgeführten Verkäufen von Kunstgegenständen in der Schweiz und Deutschland bestreitet . Aufgrund der Einfuhr eines relativ hohen Bargeldbetrages und der Angaben des Herr Gurlitt lagen danach zudem Anhaltspunkte dafür vor, dass sich in der Schweiz neben Geld auch Kunstwerke befinden und Herr Gurlitt diese zur Verwertung und Bestreitung seines Lebensunterhalts in die Bundesrepublik Deutschland einführte. Dies begründete nach der Beurteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg den Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung durch Verkürzung der Einfuhrumsatzsteuer. Deren Einschätzung bestätigte das Amtsgericht Augsburg, indem es am 23.09.2011 Durchsuchungsbeschlüsse für Wohnungen des Herrn Gurlitt in München und Salzburg erließ. Im Rahmen der weiteren Ermittlungen ergaben sich für die Staatsanwaltschaft Augsburg aufgrund der bei der Durchsuchung am 28.02.2012 aufgefundenen Gegenstände und weiterer Angaben des Herrn Gurlitt Anhaltspunkte für weitere Straftaten der Hehlerei, Unterschlagung und Geldwäsche sowie der Hinterziehung von Einkommensteuer und Gewerbesteuer. Insbesondere wurden Unterlagen zu einem Verkauf des Kunstwerkes „Löwenbändiger“ von Max Beckmann in Köln aufgefunden. Für dieses Kunstwerk machte die Erbengemeinschaft nach Alfred Flechtheim Ansprüche aus NS-bedingtem Entzug geltend. Obwohl Herr Gurlitt mehrfach erklärte, dass sämtliche Erwerbsunterlagen seines Vaters über An- und Verkäufe von Kunstwerken bei einem Brand in Dresden 1945 verbrannt seien, wurden die Geschäftsbücher von Hildebrand Gurlitt in der Wohnung von Herrn Gurlitt aufgefunden. Zu einer sichergestellten Spitzweg-Zeichnung fand sich ebenfalls Schriftverkehr, aus dem sich Ansprüche von ehemaligen Eigentümern aus NS-bedingtem Entzug ergaben . Das sichergestellte Gemälde von Max Liebermann „Reiter am Strand“ war mit einer Suchmeldung in „lostart“ erfasst . Auch fanden sich handschriftliche Verkaufslisten von Kunstwerken sowie umfangreicher Schriftverkehr über den Drucksache 17/23614 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Verkauf von Kunstwerken und Einzahlungs- und Geldwechselbelege von Banken in der Schweiz. Auf verschiedenen Kunstwerken waren Stempel und Zeichen aufgebracht, die auf eine Verbringung der Kunstwerke in die Schweiz hinwiesen . Hinweise auf eine deutsche oder österreichische Zollbehandlung bei der Einfuhr in die Europäische Union konnten nicht gewonnen werden. Auffällig waren auch sichergestellte Beweismittel, die einen Geldtransport verschleiern konnten. So wurde beispielsweise ein größeres und dickeres Buch aufgefunden, das einen von außen nicht erkennbaren, professionell ausgestanzten Hohlraum für Bargeldbeträge enthielt, und besonders aus Zeitschriften gefaltetes Umverpackungsmaterial, das für den unverdächtigen Transport von Zeichnungen oder Drucken geeignet erschien. Aufgrund der Beschaffenheit der sichergestellten Beweismittel lagen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Augsburg weitere Anhaltpunkte für den ursprünglichen Verdacht der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung vor. Nach der Beurteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg ergab sich ferner der Anfangsverdacht, dass Herr Gurlitt Einkünfte aus einem durch ihn betriebenen gewerblichen Kunsthandel erzielt und nicht zur Einkommensteuer erklärt hatte. Ferner ergab sich für die Staatsanwaltschaft Augsburg ein Anfangsverdacht dahin gehend, dass sich Herr Gurlitt einzelne Kunstwerke, an denen er aus rechtlichen Gründen nicht wirksam Eigentum erlangt hatte, dadurch zugeeignet hatte, dass er sie bei Auktionshäusern zur Versteigerung einlieferte. Inwieweit zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten (sog. Anfangsverdacht, § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung – StPO) vorliegen, hat die zuständige Staatsanwaltschaft auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorliegenden Informationen zu beurteilen. Später im Rahmen der durchgeführten Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse können dabei naturgemäß keine Rolle spielen. Sie haben auch bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfahrenseinleitung außer Betracht zu bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) steht der Staatsanwaltschaft bezüglich der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2016 – III ZR 387/14 – Rn. 14). 2. Aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft Augsburg von der Tatsache der rechtmäßigen Einfuhr von Bargeld i. H. v. 9.000 Euro durch Cornelius Gurlitt auf den Verdacht der rechtswidrigen Einfuhr von Kunstgegenständen aus der Schweizerischen Eidgenossenschaft in die Europäische Union geschlossen? Auf die Antwort auf Frage 1 wird Bezug genommen. 3. Aufgrund welcher Tatsachen hat sich die Staatsanwaltschaft Augsburg berechtigt gesehen, Antrag auf Beschlagnahme von mehr als 1.000 im Besitz von Cornelius Gurlitt befindlichen Objekten zu stellen? Einzig aussichtsreich zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts erschienen der Staatsanwaltschaft Augsburg aus damaliger Sicht die Erwirkung und der Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse. Diese wurden vom Amtsgericht Augsburg am 23.09.2011 erlassen und in der Wohnung in München im Zeitraum vom 28.02.2012 bis 02.03.2012 vollzogen. Nach § 94 Abs. 1 StPO sind bei einem Anfangsverdacht auf eine begangene Straftat die Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sicherzustellen bzw. zu beschlagnahmen (§ 94 Abs. 2 StPO). Dabei ist eine potenzielle Beweisbedeutung des jeweiligen Gegenstandes erforderlich, aber auch ausreichend. Es muss die Möglichkeit bestehen, dass er zu Beweiszwecken verwendet werden kann. Für welche Beweisführung er im Einzelnen in Betracht kommt, braucht noch nicht festzustehen . Da das Beweisergebnis ungewiss und die Entwicklung eines Verfahrens nicht vorhersehbar ist, kommt es auch nicht darauf an, ob der Gegenstand später Beweismittel wird und ob er dann beweiserheblich ist. Bei potenzieller Beweisbedeutung muss der Gegenstand aufgrund des auch insoweit geltenden Legalitätsprinzips sichergestellt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 94 Rn. 6). Entsprechend des damaligen Kenntnisstandes der Staatsanwaltschaft wurde der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss wegen des Verdachts der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung in einer noch zu ermittelnden Anzahl von Einzelfällen beantragt. Die Beschlagnahme der Kunstgegenstände wurde beantragt, um die für die steuerstrafrechtliche Abklärung des Sachverhalts erforderlichen Feststellungen, welche Kunstwerke aus der Schweiz, ggf. über Österreich, in das Bundesgebiet eingeführt wurden, zu ermöglichen. Dies erforderte auch Feststellungen zur Herkunft und zur Echtheit der Kunstwerke. Hierzu bedurfte es aus Sicht der Staatsanwaltschaft einer sachverständigen Begutachtung; eine Erledigung vor Ort war nicht möglich. Sämtliche in Vollzug des Beschlusses vom 23.09.2011 beschlagnahmten Gegenstände hatten nach der damaligen Einschätzung der Staatsanwaltschaft Augsburg potenzielle Beweisbedeutung. Um weiter ermitteln zu können, welche Kunstwerke Herr Gurlitt angeboten und/oder eingeführt hatte , mussten etwa Auktionskataloge (von Auktionshäusern/ Galerien) bzw. Zeugenaussagen mit den Kunstwerken aus dem Bestand des Herrn Gurlitt abgeglichen werden. Da zum Teil von einem Kunstmotiv mehrere Exemplare existierten , war für die weiteren Ermittlungen nach sachverständiger Beratung der Staatsanwaltschaft durch die Bayerische Staatsgemäldesammlung jeweils das Originalbeweismittel zu sichern. Darüber hinaus enthielten zahlreiche Originalbeweismittel Stempelabdrücke, Beschriftungen und Ausradierungen auf der Rückseite, die fotografisch nur unzulänglich dokumentiert werden konnten, jedoch für die weiteren Ermittlungen von erheblicher Bedeutung waren. Beispielsweise deuteten gewisse Stempel auf eine Verbringung des Kunstwerks in die Schweiz hin, andere Kunstwerke enthielten Hinweise auf die ursprünglichen Eigentümer. Auch für die Abklärung der Unterschlagungsvorwürfe war die Sicherung der Kunstwerke aus Sicht der Staatsanwaltschaft unverzichtbar . Vor Ort konnte weder die Herkunft der Bilder noch deren Echtheit geprüft werden. Auch unter sachverständiger Beratung konnte eine Vielzahl von Kunstwerken nicht eindeutig identifiziert werden. Neben der Beweissicherung war zu berücksichtigen, dass die Kunstwerke für eine etwaige Rückgewinnungshilfe zugunsten von durch Eigentumsstraftaten im Dritten Reich Geschädigter, zu der die Staatsanwaltschaft über § 111k StPO a. F. und Nr. 75 Abs. 2 und 3 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) verpflichtet war, zu sichern waren. In seiner am 16.03.2012 verkündeten Entscheidung „Plakatsammlung Sachs“ bestätigte der Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23614 BGH, dass der zivilrechtliche Herausgabeanspruch Geschädigter nicht durch besondere Regelungen über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts verdrängt wird, wenn verfolgungsbedingt entzogene Gegenstände nach dem Krieg verschollen waren und der Eigentümer erst nach Ablauf der Anmeldefrist für Rückerstattungsansprüche von dem Verbleib des Vermögensgegenstandes Kenntnis erlangt (BGH, Urteil vom 16.03.012 – V ZR 279/10). Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hob die Staatsanwaltschaft Augsburg die Beschlagnahme frühestmöglich hinsichtlich der Kunstwerke auf, die – nach sachverständiger Prüfung – eindeutig dem Eigentum des Herrn Gurlitt zuzuordnen waren und die nicht beweisrelevant für einen Steuersachverhalt waren. Mehrere schriftliche Angebote an Herrn Gurlitt zu deren Rückgabe erfolgten ab Januar 2013. Dieser erbat jedoch in verschiedenen Schreiben immer wieder Verschiebungen des Termins zur Rückgabe und antwortete schließlich nicht mehr. Darüber hinaus wurde mehrmals erfolglos versucht, mit ihm wegen der Rückgabe der Kunstwerke telefonisch Kontakt aufzunehmen. Als ein Betreuer bestellt worden war, erfolgte die Rückgabe der Kunstwerke an diesen. 4. Warum hat die Staatsanwaltschaft Augsburg, nachdem sie spätestens am 29.11.2012 davon Kenntnis erlangt hat, dass es sich bei 246 beschlagnahmten Bildern um Objekte aus der Verwertung sog. „Entarteter Kunst“ gehandelt hat, nicht beantragt, die Beschlagnahme dieser Werke aufzuheben? Nach einem Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Augsburg hatte die Staatsanwaltschaft eine von einem Vertreter der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien empfohlene Sachverständige von der Freien Universität Berlin – Forschungsstelle „Entartete Kunst“ – mit der Identifizierung und Herkunftsermittlung der Kunstwerke beauftragt . Diese Sachverständige stellte mit Schlussbericht vom 28.11.2012 fest, dass von den sichergestellten Kunstwerken aus dem Besitz von Herrn Gurlitt 106 Werke eindeutig als 1937 beschlagnahmte „Entartete Kunst“ identifiziert werden konnten. 56 Werke seien mit hoher Wahrscheinlichkeit der Beschlagnahme „Entartete Kunst“ von 1937 zuzuordnen und 84 Werke hätten wahrscheinlich ebenfalls zu den 1937 beschlagnahmten Werken gehört, aber nicht eindeutig zugeordnet werden können. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft belegte dies eine zweifelsfreie Eigentümerstellung des Herrn Gurlitt an diesen Werken noch nicht hinreichend, sodass weitere Abklärungen erforderlich waren. Nach den ihr damals vorliegenden Erkenntnissen wurde Hildebrand Gurlitt vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) neben anderen Kunsthändlern autorisiert, die beschlagnahmte sog. „Entartete Kunst“ gegen Devisen ins Ausland zu vermitteln. Zunächst war für die Händler nur eine Übernahme in Kommission vorgesehen. Mit Fortschreiten des Krieges wurde den Händlern erlaubt, „Entartete Kunst“ im Tausch oder Kauf zu erwerben. Hildebrand Gurlitt erwarb auf diese Weise große Konvolute in den Jahren 1940 bis 1941. Allerdings war festzustellen, dass sich für zahlreiche im Besitz von Herrn Gurlitt befindliche Werke keine Kommissions -, Kauf- oder Tauschverträge zwischen Hildebrand Gurlitt und dem RMVP auffinden lassen. Auch erwiesen sich die Angaben im NS-Inventar der beschlagnahmten Werke von 1938 bis 1941 teilweise als unzutreffend. So fanden sich Werke bei Herrn Gurlitt, von denen Hildebrand Gurlitt dokumentierte, dass diese von ihm an das RMVP zurückgesandt wurden. Teilweise wurden auch Werke als „zerstört“ erfasst, obwohl sie bei Herrn Gurlitt beschlagnahmt werden konnten. Aufgrund dessen war es aus Sicht der Staatsanwaltschaft Augsburg erforderlich, die Eigentumslage eingehend abzuklären, die im Hinblick auf den Tatvorwurf der Unterschlagung von Bedeutung war. Außerdem wies eine hohe Anzahl dieser Bilder auf der Rückseite Stempel auf, die auf eine Verbringung in die Schweiz hindeuteten. Da sie sich aber wieder in München befanden, waren diese Kunstwerke auch Beweismittel für eine mögliche Einfuhr der Bilder. Soweit das Eigentum des Herrn Gurlitt eindeutig feststand und eine Beweisrelevanz der Beweismittel nicht mehr gegeben war, wurden die entsprechenden Kunstwerke seit Januar 2013 Herrn Gurlitt zur Rückgabe angeboten; auf die Antwort auf Frage 3 wird insoweit verwiesen. 5. Inwieweit war dem Beschleunigungsgrundsatz angesichts der Tatsache noch Genüge getan, dass sich die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach der Beschlagnahme vom 28.02.2012 etwa ein Jahr auf das Aufspüren von Kunstwerken aus der Aktion „Entartete Kunst“ konzentrierten und die Ermittlungen zu dem möglicherweise strafrechtlich relevanten Besitz von Raubkunst deshalb in den Hintergrund rückten? Die erforderlichen Abklärungen nahmen nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg aufgrund der umfangreichen sachverständigen Begutachtung einige Zeit in Anspruch. Die genaue Abklärung erschien zur Prüfung sowohl der Verdachtslage als auch möglicher begründeter Ansprüche Dritter , die der Herausgabe an Herrn Gurlitt als letzten Gewahrsamsinhaber hätten entgegenstehen können (vgl. Nr. 75 Abs. 3 Satz 1 RiStBV), erforderlich. Die Zuordnung einzelner Kunstgegenstände in die Kategorie „Entartete Kunst“ hatte nicht zur Folge, dass insoweit keine weiteren Feststellungen mehr erforderlich waren. Auf die Antwort auf Frage 4 wird insoweit Bezug genommen. Für die „Entartete Kunst“ existiert bei der Freien Universität Berlin eine Datenbank. Die Datenbankinhalte basieren nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg auf dem NS-Inventar der beschlagnahmten Werke von 1938 bis 1941 sowie auf Dokumenten der damals betroffenen Museen und beteiligten Kunsthändler. Anhand dieser Recherchemöglichkeiten konnte der beschlagnahmte Bestand relativ schnell hinsichtlich der Provenienz abgeklärt werden. Soweit eine Zuordnung zur „Entarteten Kunst“ nicht erfolgen konnte, musste die Herkunft der Werke im Einzelfall aufwendig nachvollzogen werden. Es existiert keine vollständige Datenbank für NS-bedingt entzogene Kunstwerke. Durch die Zuordnung zur „Entarteten Kunst“ konnte somit effektiv ein Teil der beschlagnahmten Werke abgeklärt werden. Es erfolgte eine Negativabgrenzung zu den Kategorien „Entartete Kunst“ und „sicheres Eigentum des Herrn Gurlitt“, um diejenigen Werke zu identifizieren, die möglicherweise durch NSbedingten Entzug bemakelt sein konnten. Dies erschien der Drucksache 17/23614 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Staatsanwaltschaft Augsburg die effektivste und schnellste Herangehensweise, die auch dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung tragen sollte. 6. Aus welchen Gründen hat die Staatsanwaltschaft Augsburg bei der Pressekonferenz vom 05.11.2013 nicht bekannt gegeben, dass zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, dass sich rund die Hälfte der beschlagnahmten Werke in rechtmäßigem Besitz von Cornelius Gurlitt befunden hatte? Die Rechtmäßigkeit des Besitzes war nicht allein maßgeblich für die strafrechtliche Beurteilung der gegenständlichen Sachverhalte. Die nach der damaligen Einschätzung der Staatsanwaltschaft Augsburg im Raum stehenden Steuerstraftaten knüpften an die Einfuhr bzw. den gewerblichen Handel in Bezug auf die Kunstgegenstände an und konnten daher auch bei rechtmäßigem Besitz gegeben sein. Ergänzend wird zur Frage der Rechtmäßigkeit des Besitzes auf die Antwort auf Frage 4 verwiesen. Bei der Auskunftserteilung gegenüber den Medien hatte die Staatsanwaltschaft auch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) zu beachten. 7. Wie erklärt sich der Widerspruch zwischen der Einschätzung des Zollkriminalamts Köln vom 04.11.2013, dass Zweifel hinsichtlich eines hinreichenden Anfangsverdachts der Steuerhinterziehung gegen Cornelius Gurlitt bestanden hätten, zu der Aussage des Leitenden Oberstaatsanwalts Reinhard Nemetz bei der Pressekonferenz vom 05.11.2013, dass es einen steuerrechtlich relevanten Tatverdacht gegen Cornelius Gurlitt gegeben habe, und worin bestand der steuerrechtlich relevante Tatverdacht? Eine Einschätzung des Zollkriminalamts Köln vom 04.11.2013 liegt im Staatsministerium der Justiz nicht vor. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg ist sie auch dort weder aus den Akten der Staatsanwaltschaft noch bei den staatsanwaltlichen Sachbearbeitern bekannt. Ungeachtet dessen kommt es auf eine etwaige Rechtsauffassung des Zollkriminalamts nicht entscheidend an. Denn über das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten (Anfangsverdacht) entscheidet gemäß § 152 Abs. 2 StPO die zuständige Staatsanwaltschaft . Dabei steht ihr ein Beurteilungsspielraum zu; auf die Antwort auf Frage 1 wird insoweit Bezug genommen. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Beantragung von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen ist im Hinblick auf die Verdachtslage allein das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Straftaten (§ 152 Abs. 2 StPO). Eines hinreichenden Tatverdachts bedarf es insoweit nicht; dieser ist nach dem Gesetz Voraussetzung für die Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO). 8. Warum wurde dem Beschuldigten während des gesamten Ermittlungsverfahrens kein Pflichtverteidiger bestellt, obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gegeben hatte und ein psychiatrisches Gutachten vom 20.12.2013 zu dem Schluss gekommen war, dass der Beschuldigte an „seelischer, geistiger und gesundheitlicher Gebrechlichkeit“ gelitten habe? Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat die Erforderlichkeit eines Pflichtverteidigers fortlaufend geprüft. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist erforderlich, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO vorliegt. Dies war hier nicht der Fall. Ein Sachverhalt aus dem Katalog des § 140 Abs. 1 StPO war nicht gegeben. Da eine Schwere der Tat im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 StPO regelmäßig eine Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe voraussetzt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 140 Rn. 23) und es hieran fehlte, schied eine Beiordnung aus diesem Grund ebenfalls aus. Auch eine Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO musste nicht zwingend angenommen werden. Selbst bei einer schwierigen Beweislage besteht nicht stets eine schwierige Rechtslage im Rechtssinne (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 140 Rn. 26, 26a). Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg war für sie auch nicht ersichtlich, dass sich Herr Gurlitt nicht selbst verteidigen konnte (§ 140 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 StPO). Persönliche und fernmündliche Kontakte der Ermittlungsbehörden mit Herrn Gurlitt sowie dessen Schreiben ließen keinerlei Hinweise auf besondere Auffälligkeiten oder kognitive Einschränkungen erkennen; auch anderweitige Anhaltspunkte hierfür waren der Staatsanwaltschaft Augsburg bis zu der am 23.12.2013 erfolgten Bestellung eines Rechtsanwalts als vorläufigen Betreuer nicht bekannt. Herr Gurlitt wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens mehrfach ausdrücklich über seine Rechte als Beschuldigter belehrt; zu diesen gehört auch das Recht, jederzeit einen Verteidiger hinzuzuziehen. Im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnräume verzichtete Herr Gurlitt nach erfolgter Belehrung am 28.02.2012 ausdrücklich auf die Beiziehung eines Verteidigers. Nachdem der Staatsanwaltschaft Augsburg keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass Herr Gurlitt sich nicht selbst verteidigen konnte (s. o.), sah sie keinen Anlass, dessen Entscheidung, keinen Verteidiger beiziehen zu wollen, zu hinterfragen oder nicht zu akzeptieren. Da die vorläufige Betreuung auch den Aufgabenkreis „Vertretung in Strafsachen“ umfasste, bestand seit dieser Anordnung kein zusätzlicher Bedarf für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Der vorläufige Betreuer mandatierte zeitnah nach seiner Bestellung mehrere Rechtsanwälte, u. a. zur Verteidigung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.