Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Schindler SPD vom 06.07.2018 Fall Gurlitt Teil 2 In dem Buch „Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal“ (Europa Verlag, München 2017) erhebt der Autor Maurice Philip Remy schwere Vorwürfe auch gegen die Staatsregierung. Ich frage deshalb die Staatsregierung: 1. Was war die Rechtsgrundlage für die unter Beteiligung des Staatsministers der Justiz getroffene Entscheidung vom 08.11.2013, alle Kunstwerke mit unklarer Provenienz aus der beschlagnahmten Sammlung Cornelius Gurlitts in der Datenbank von „lostart.de“ zu veröffentlichen, und zu welchen Erkenntnissen über welche Kunstwerke hat die Veröffentlichung bis heute geführt? 2. Trifft es zu, dass es seitens der Staatsregierung ab etwa Mitte November 2013 intensive Bestrebungen gab, Cornelius Gurlitt in Kenntnis seiner fortschreitenden seelischen und geistigen Gebrechlichkeit davon zu überzeugen, das Eigentum an einem großen Teil seiner Sammlung freiwillig in andere, vorzugsweise staatliche Hände zu geben, und wer ist mit dieser Absicht wie tätig geworden? 3. Anhand welcher Tatsachen und Kriterien gelangte die sog. Taskforce vom 08.11.2013 bis zur Vorlage des Abschlussberichts am 14.01.2016 zu den jeweils veröffentlichten Zahlenangaben über raubkunstverdächtige Objekte aus der beschlagnahmten Sammlung Cornelius Gurlitts und in wie vielen Fällen hat sich der Verdacht seither bestätigt? 4. Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung über den Vorgang der Zuspielung von Unterlagen aus den Ermittlungsakten samt Fotos von der Beschlagnahme der Kunstsammlung im Herbst 2013 an Reporter eines Wochenmagazins vor? 5. a) Sind diesbezüglich Ermittlungen wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen eingeleitet worden? b) Falls ja, gegen welche Mitarbeiter welcher Behörde (bitte jeweils mit dem Ergebnis angeben)? Antwort des Staatsministeriums der Justiz , hinsichtlich der Fragen 1 und 3 im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vom 21.08.2018 1. Was war die Rechtsgrundlage für die unter Beteiligung des Staatsministers der Justiz getroffene Entscheidung vom 08.11.2013, alle Kunstwerke mit unklarer Provenienz aus der beschlagnahmten Sammlung Cornelius Gurlitts in der Datenbank von „lostart.de“ zu veröffentlichen, und zu welchen Erkenntnissen über welche Kunstwerke hat die Veröffentlichung bis heute geführt? Rechtsgrundlage für die Einstellung von Kunstwerken aus der Sammlung des Herrn Gurlitt in die LostArt-Datenbank (www.lostart.de) durch die Staatsanwaltschaft Augsburg war nach übereinstimmender Auffassung von Staatsanwaltschaft Augsburg und Generalstaatsanwaltschaft München die allgemeine Ermittlungsbefugnis aus § 161 Strafprozessordnung (StPO). Zur Abklärung der Eigentumsverhältnisse und möglicher noch nicht verjährter Straftaten war die Provenienz dieser Kunstwerke zu ermitteln. Darüber hinaus war abzuklären, ob möglicherweise berechtigte Ansprüche Dritter bestehen, die der Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber hätten entgegenstehen können (Nr. 75 Abs. 3 Satz 1 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren – RiStBV). Maßgeblich für die Einstellung in LostArt war nicht das Bestehen eines begründeten Verdachts auf NS-verfolgungsbedingten Entzug; entscheidend war vielmehr, dass sich aufgrund sachverständiger Auskunft aus damaliger Sicht der Verdacht nicht ausschließen ließ, dass es sich um NS-verfolgungsbedingten Entzug handeln könnte. Der Kunstfund bei Herrn Gurlitt warf Fragen zur Restitution im Zusammenhang mit Kunstwerken auf, bei denen sich der Verdacht NS-verfolgungsbedingten Entzugs nicht ausschließen ließ. Dabei war auch von Bedeutung, dass nach den damals vorliegenden Erkenntnissen der Vater des Herrn Gurlitt im Dritten Reich in den Handel mit verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern involviert gewesen sein sollte. Damit galt es, im Bewusstsein für die Verantwortung Deutschlands für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und die berechtigten Interessen der Opfer Transparenz herzustellen und den vielfältigen eigentumsrechtlichen und kulturhistorischen Aspekten zur Geltung zu verhelfen. Aufgrund der Veröffentlichung der Kunstwerke meldete sich eine große Anzahl von Anspruchstellern bei der Staatsanwaltschaft Augsburg. Mit der fachkundigen Abklärung möglicher Ansprüche wurde die zwischenzeitlich eingesetzte „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ (im Folgenden: Taskforce) beauftragt; die Anspruchsschreiben und Unterlagen der Anspruchsteller wurden von der Staatsanwaltschaft Augsburg an die Taskforce weitergegeben. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.10.2018 Drucksache 17/23615 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23615 Durch eine Registrierung in der LostArt-Datenbank sind Werke aus dem Kunstfund bei Herrn Gurlitt, deren Herkunft bislang nicht hinreichend aufgeklärt werden konnte, öffentlich mit Einträgen in deutscher und englischer Sprache einsehbar . Die Einträge dokumentieren den aktuellen Stand der Forschung und werden sukzessive nach Auswertung der Abschlussberichte aktualisiert und ergänzt. Darüber hinaus sind bei jedem Eintrag sog. Object Record Excerpts hinterlegt. Über diese ausführlicheren Datenblätter können die unternommenen Rechercheschritte und die daraus resultierenden Forschungsergebnisse zum jeweiligen Werk nachvollzogen werden. Andere Forscher und potenzielle Anspruchsberechtigte haben somit die Möglichkeit, im Bestand nach NS-verfolgungsbedingt abhanden gekommenen Objekten zu suchen. Es wurden mehrere Ansprüche auf Werke angemeldet, die in der LostArt-Datenbank veröffentlicht wurden. Dadurch konnten auch Informationen zu den Werken von Anspruchstellern gewonnen werden. Es kann jedoch nicht im Detail nachvollzogen werden, welche Ansprüche unmittelbar bzw. ausschließlich auf der Veröffentlichung der entsprechenden Werke beruhen. 2. Trifft es zu, dass es seitens der Staatsregierung ab etwa Mitte November 2013 intensive Bestrebungen gab, Cornelius Gurlitt in Kenntnis seiner fortschreitenden seelischen und geistigen Gebrechlichkeit davon zu überzeugen, das Eigentum an einem großen Teil seiner Sammlung freiwillig in andere, vorzugsweise staatliche Hände zu geben, und wer ist mit dieser Absicht wie tätig geworden? Nach Aktenlage im Staatsministerium der Justiz hat im November und Dezember 2013 kein Vertreter der Staatsregierung Kontakt mit Herrn Gurlitt aufgenommen oder aufzunehmen versucht. Vielmehr kam es ab Anfang 2014 zu mehreren Treffen zwischen Vertretern des Staatsministeriums der Justiz, der Taskforce und der Beauftragen des Bundes für Kultur und Medien sowie den Rechtsanwälten und dem Betreuer von Herrn Gurlitt. Das erste Treffen fand am 13.01.2014 statt, es folgten mehrere weitere. Bei diesen Besprechungen wurde versucht, eine einvernehmliche Lösung zum Schicksal der Bilder zu finden. Ziel war vor allem, im Bewusstsein für die Verantwortung Deutschlands für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen einen geeigneten Rahmen für die von allen Seiten als notwendig erachtete Provenienzrecherche zu etablieren. In diesem Zusammenhang wurde auch die Möglichkeit der Gründung einer Stiftung diskutiert, im Ergebnis aber nicht weiterverfolgt. Die Gespräche mündeten in den Abschluss einer Verfahrensvereinbarung vom 03.04.2014, die dann die Grundlage für die durchgeführte Provenienzrecherche bildete. Die Interessen des Herrn Gurlitt wurden bei den Gesprächen und dem Abschluss der Vereinbarung dadurch gewahrt, dass sein Betreuer und seine Rechtsanwälte daran beteiligt waren . 3. Anhand welcher Tatsachen und Kriterien gelangte die sog. Taskforce vom 08.11.2013 bis zur Vorlage des Abschlussberichts am 14.01.2016 zu den jeweils veröffentlichten Zahlenangaben über raubkunstverdächtige Objekte aus der beschlagnahmten Sammlung Cornelius Gurlitts und in wie vielen Fällen hat sich der Verdacht seither bestätigt? Die Angaben im Abschlussbericht der Taskforce beruhen auf den Forschungsergebnissen der internationalen Taskforcemitglieder . Diese ergeben sich aus Daten, die unter anderem aus dem schriftlichen Nachlass des Herrn Gurlitt, Archiven, Datenbanken, Auktionskatalogen und Werkverzeichnissen gewonnen werden konnten. Bei ihrer Forschung standen die Taskforcemitglieder in fachlichem Dialog mit Institutionen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Inund Ausland. Unterstützt wurde die Arbeit der Taskforce von ca. 30 externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die internationale und interdisziplinäre Ausrichtung der Taskforce ermöglichte eine weit ausgreifende Recherche und Beratung. Gleichwohl konnten nicht alle Fragen geklärt werden, etwa weil keine einschlägigen Quellen existierten oder Lücken in der Provenienz sich nicht durch archivalische Erkenntnisse schließen ließen. Bei der Einordnung der Forschungsergebnisse orientierte sich die Taskforce an den Washingtoner Prinzipien von 1998, der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, von 1999 und der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern und dem Kunstmuseum Bern vom 24.11.2014. Methodik und Vorgehensweise sind zudem in dem veröffentlichten Bericht über die Arbeit der Taskforce Schwabinger Kunstfund einerseits sowie den einzelnen Object Record Excerpts andererseits dokumentiert. Bei insgesamt sechs Werken aus dem Bestand hat sich bisher ein NS-Raubkunstverdacht bestätigt. Bei wie vielen Werken noch Unklarheit hinsichtlich des NS-Raubkunstverdachts besteht, ist im Staatsministerium der Justiz nicht bekannt . 4. Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung über den Vorgang der Zuspielung von Unterlagen aus den Ermittlungsakten samt Fotos von der Beschlagnahme der Kunstsammlung im Herbst 2013 an Reporter eines Wochenmagazins vor? 5. a) Sind diesbezüglich Ermittlungen wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen eingeleitet worden? b) Falls ja, gegen welche Mitarbeiter welcher Behörde (bitte jeweils mit dem Ergebnis angeben)? Der Generalstaatsanwalt in München hat dem Staatsministerium der Justiz berichtet, dass im Nachgang zur erstmaligen Presseberichterstattung zu den gegen Herrn Gurlitt geführten Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Augsburg im November und Dezember 2013 mehrere Strafanzeigen Drucksache 17/23615 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 unbeteiligter Dritter gegen unbekannt wegen Straftaten zum Nachteil von Herrn Gurlitt eingingen. Dabei wurde u. a. die ggf. rechtswidrige Veröffentlichung personenbezogener und steuerlich relevanter Umstände thematisiert. Aufgrund der detaillierten Presseberichterstattung bejahte die Staatsanwaltschaft Augsburg den Anfangsverdacht für Straftaten der Verletzung von Steuer-, Dienst- und Privatgeheimnissen nach § 355 Abs. 1, § 353b Abs. 1, § 203 Abs. 2 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Wegen der Befassung der Staatsanwaltschaft Augsburg mit dem Ausgangsverfahren wurde das eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen unbekannt durch Anordnung des Generalstaatsanwalts in München vom 03.02.2014 gemäß §145 Abs.1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auf die Staatsanwaltschaft München I zur weiteren Bearbeitung übertragen. Im Januar 2014 erstattete darüber hinaus ein anwaltlicher Vertreter des Herrn Gurlitt unter Bezugnahme auf die Medienberichterstattung Strafanzeige gegen unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung des Steuer- und Dienstgeheimnisses sowie der Verletzung von Privatgeheimnissen. Die Anzeigeerstattung erfolgte bei dem Generalstaatsanwalt in München; der Vorgang wurde von dort zur weiteren Behandlung an die Staatsanwaltschaft München I geleitet. Im April 2014 ergänzte der anwaltliche Vertreter die Strafanzeige aufgrund fortlaufender Medienberichterstattung zum Thema. Im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I verdichtete sich in der Folge ein Tatverdacht nach §§355, 353b, 203 StGB gegen zwei Beamte des Zollfahndungsamtes München. Da die erste Medienberichterstattung bereits zeitlich vor Übergabe der einschlägigen Unterlagen an die Staatsanwaltschaft Augsburg erfolgt und zudem ein Teil der berichteten Details (Einzelheiten der Wohnungsdurchsuchung , weitere Lichtbilder der Durchsuchung) in den dann übergebenen Akten nicht enthalten war, bestanden zum einen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Täterschaft aus dem Bereich des beteiligten Zollfahndungsamtes . Zum anderen konnte im Rahmen der Ermittlungen ein personenbezogener Anfangsverdacht gegen zwei handelnde Zollbeamte konkretisiert werden. Gegen sie bestand der Verdacht, zahlreiche Details aus dem bis dahin der Öffentlichkeit nicht bekannten Ermittlungsverfahren gegen Herrn Gurlitt an Reporter eines Nachrichtenmagazins weitergegeben zu haben, darunter insbesondere interne Vermerke im Wortlaut, Informationen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Herrn Gurlitt sowie Lichtbilder von dessen Observation, von der Durchsuchung seiner Wohnung und von asservierten Gegenständen. Auf die Antwort vom 26.02.2016 auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 04.01.2016 betreffend „Ermittlungen gegen ‚Whistleblower ‘“ (Drs. 17/10291) wird insoweit verwiesen. Die Staatsanwaltschaft München I führte umfangreiche Ermittlungen durch, insbesondere Durchsuchungen, Zeugenvernehmungen und Auswertungen von Datenträgern. Mit Verfügung vom 27.07.2016 wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil durch die Ermittlungen der Tatverdacht gegen die beiden Beschuldigten nicht hinreichend erhärtet werden konnte. Es konnte nicht bewiesen werden, dass einer der beiden Beschuldigten tatsächlich die später in verschiedenen Artikeln eines Nachrichtenmagazins wiedergegebenen Informationen an einen Journalisten weitergegeben hatte. Da die relevanten Informationen elektronisch gespeichert waren und auch andere Personen als die Beschuldigten darauf zugreifen konnten, bestand die Möglichkeit, dass die betreffenden Ermittlungsdetails durch andere Personen als die beiden Beschuldigten an das Nachrichtenmagazin weitergegeben worden waren. Weitere Ermittlungsansätze, auch in Richtung anderer in Betracht kommender Personen, bestanden nicht. Das weitere oben bezeichnete, auf Strafanzeigen unbeteiligter Dritter bei der Staatsanwaltschaft Augsburg zurückgehende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I wurde mit Verfügung vom 01.08.2016 ebenfalls gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Zur Begründung wurde insbesondere auf die Ermittlungen in dem Ermittlungsverfahren gegen die beiden Zollbeamten verwiesen, durch die ein Nachweis von Straftaten in Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Details aus den Ermittlungsakten nicht mit ausreichender Sicherheit erbracht werden konnte (siehe oben).